Kölner Archiveinsturz: Rat genehmigt Vergleichsvorschlag

Über 600 Millionen Euro Schadenersatz und Weiterbau des Gleiswechselbauwerks

Unmittelbar, nachdem der Kölner Rat dem Vorschlag von Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Verwaltungsspitze Ende Juni 2020 zugestimmt hat, zur Beendigung der Rechtsverfahren im Zusammenhang mit dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln im März 2009 einen Vergleich mit der „ARGE Los-Süd“ abzuschließen, hat Oberbürgermeisterin Reker für die Stadt Köln die Vergleichsvereinbarung unterschrieben.

Mit diesem außergerichtlichen Vergleich sind die wechselseitigen Ansprüche zwischen der ARGE Los-Süd, der Stadt Köln und der KVB AG erledigt. Der Vergleich übernimmt die Refinanzierung des Neubaus des Historischen Archivs und sichert die Finanzierung für die Restaurierung der geborgenen Archivalien. 95 Prozent der damals mit dem Gebäude verschütteten Archivalien konnten inzwischen geborgen werden. Der Neubau des Archives wird im nächsten Jahr als modernstes kommunales Archiv Europas mit dem Umzug von Büros und Archivalien zunächst betriebsintern die Arbeit aufnehmen.

Die ARGE Los-Süd, an der der Industriedienstleister Bilfinger,die STRABAG-Tochtergesellschaft Ed. Züblin AG und Ingenieurbau Wayss & Freytag zu einem Drittel beteiligt sind, verpflichtet sich in dem Vergleich zum Ausgleich der finanziellen Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Einsturz des Stadtarchives zur Zahlung eines Betrages von 600 Millionen Euro an die Stadt Köln. Außerdem wird sie auf eigene Kosten und eigene Verantwortung die havarierte Baustelle des Gleiswechselbauwerkes im erweiterten Rohbau sanieren und das damals vereinbarte „Bausoll“ des Bauvertrages fertigstellen. In diesem Zusammenhang übernimmt die ARGE Los-Süd auch die Errichtung eines Sonderraumes „K³“ im Gleiswechselbauwerk auf eigene Kosten.

Vor der Perspektive eines zeitlich nicht absehbaren, zumindest aber mehrjährigen Klagefahrens sowohl hinsichtlich des Schadensgrundes als auch der Schadenshöhe hatten sich die Stadt Köln und die Vertreter der ARGE Los-Süd im November 2019 darauf verständigt, in einem moderierten Verfahren eine außergerichtliche Einigung zur Regulierung der finanziellen Einbußen anzustreben.

Der Einsturz des Historischen Archives am 3. März 2009 steht im Zusammenhang mit der Errichtung des unterirdischen Gleiswechselbauwerks, durch dessen Einsturz nicht nur das Historische Archiv, sondern auch benachbarte Wohngebäude in die Tiefe gerissen wurden. Der Einsturz und die Folgen für Anwohner, das Archiv, Schulen und das gesamte Quartier stellen bis heute einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der Stadt Köln dar und hinterlassen eine bis heute nicht geschlossene Wunde in der Kölner Stadtgesellschaft. Der Einsturz forderte das Leben von zwei Kölner Bürgern, die nicht mehr rechtzeitig gewarnt und evakuiert werden konnten und in dem Trümmerfeld zu Tode kamen. Es entstand außerdem ein zunächst unabsehbarer tatsächlicher und finanzieller Schaden an Gebäuden, Archivgut und der im Bau befindlichen Trasse der Nord-Süd Stadtbahn. Unmittelbar nach dem Einsturz und den akuten Rettungsmaßnahmen an der Einsturzstelle standen insbesondere die Versorgung der betroffenen Menschen sowie die Bergung der verschütteten Archivalien im Mittelpunkt der Bemühungen der Stadt Köln. Es folgte der Beginn einer hochkomplexen juristischen Aufarbeitung des Schadensereignisses.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker betont, „dass mit diesem Vergleich ein zügiger Neustart am Waidmarkt möglich gemacht werden kann und gleichzeitig die Restaurierung der Archivalien für die nächsten Jahrzehnte gesichert ist“. Köln sei nach der Katastrophe nicht „in Schockstarre verharrt“, sondern habe auch damals mit Hilfe von vielen engagierten Bürgern sofort gehandelt und so die Folgen des Einsturzes abmildern können. Reker weiter: „Ich befürworte den Vergleich, weil wir sonst auf unabsehbare Zeit den Wiederaufbau unterirdisch und auch oberirdisch verschoben hätten und juristische Verfahren die Weiterentwicklung behindern. Damit können wir neben dem Weiterbau der Nord-Süd-Stadtbahn sowohl die Generationenaufgabe der Restaurierung der Archivalien finanziell absichern als auch die bisher allein von der Stadt Köln getragenen Kosten des Neubaus für das Historische Archiv in diesen schwierigen Finanzzeiten refinanzieren. Der Einsturz hat die Stadt verändert. Das wird bleiben. Aber wir konzentrieren uns jetzt auf die konkrete Gestaltung der Zukunft und schließen am Waidmarkt eine klaffende Wunde im Stadtbild.“

Der nun vom Rat der Stadt Köln gebilligte Vergleich ist Ergebnis eines sechsmonatigen Moderationsverfahrens zwischen den Parteien, moderiert von renommierten Experten im Bereich von Großschäden bei Bauvorhaben und Mediationsverfahren. Der am Ende dieses Verfahrens erarbeitete Vergleichsvorschlag verfolgt das Ziel, unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Risiken eines gerichtlichen Verfahrens die durch die Havarie entstandenen finanziellen Schäden auszugleichen, einen zügigen Weiterbau der Nord-Süd Stadtbahn zu ermöglichen. Stadtdirektor Stephan Keller: „Mit diesem Vergleich ist nach Auffassung der Stadt die Einsturzursache nunmehr geklärt, und er bestätigt das Gutachten des im Auftrag des Landgerichts Köln tätigen Sachverständigen. Die der Stadt Köln entstandenen Schäden werden zu einem wesentlichen Teil ersetzt, außerdem kann so ein langjähriges und aufwändiges Klageverfahren durch vermutlich alle Instanzen vermieden werden.

Die Baustelle am Waidmarkt und damit die Nord-Süd Stadtbahn als Ganzes haben nun eine realistische Perspektive der Fertigstellung und Inbetriebnahme. Dies ist eine gute Nachricht für das seit elf  Jahren betroffene Stadtquartier und die ganze Stadt.“

Durch die Zusage der ARGE , das Gleiswechselbauwerk entsprechend des vertraglichen Bau-Solls im erweiterten Rohbau auf eigene Kosten und in eigener Verantwortung zu sanieren und fertig zu stellen, hat die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn nun eine zeitlich realistische Perspektive. Auch die bauliche Wunde am Waidmarkt kann geschlossen werden. Über die Gestaltung eines oberirdischen Gedenkortes wird die Stadt Köln im Zusammenhang mit den Planungen für das Gelände unter maßgeblicher Beteiligung der Bürger später entscheiden.

Vor dem Hintergrund der bestehenden Risiken und unter Würdigung aller zeitlichen Szenarien betrachtet die Stadt Köln die Vergleichssumme von 600 Millionen Euro als ein gutes Ergebnis.

Vorgeschaltet vor dem eigentlichen gerichtlichen Verfahren wurden seit 2010 die Rechtsansprüche der Stadt Köln dem Grunde und der Höhe nach in zwei gerichtlichen Beweisverfahren verfolgt. Für die hochkomplexe Beweissicherung zur Ursachenforschung haben die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe in aufwändigen technischen Verfahren nach einem unterirdischen Bergungsbauwerk auch ein unterirdisches Besichtigungsbauwerk entlang der äußeren Schlitzwand errichtet. In dem Verfahren zur Ermittlung der Schadensursache hat der vom Landgericht Köln beauftragte Sachverständige Prof. Dr. Kempfert nach achtjährigen Untersuchungen ab 2018 diverse Teilgutachten vorgelegt. Er kommt zu dem Schluss, dass die Fehlstelle in einer von der ARGE Los-Süd hergestellten Schlitzwand unzweifelhaft die alleinige Einsturzursache vom 3. März 2009 war. Die ARGE geht von einem alternativen Schadenshergang aus.

Der vom Landgericht Köln beauftragte Gutachter Prof. Dr. Weber hat auf der Grundlage von repräsentativen Stichproben im Wege einer mathematischen Hochrechnung eine Schätzung der voraussichtlichen Restaurierungskosten der Archivalien vorgenommen. Bei einer angenommenen Restaurierungszeit von mehreren Dutzend Jahren kommt er zu einem möglichen Schadenskorridor von 517 bis 660 Millionen Euro.

Der Rat hatte bereits am 4. April 2019 die Fortsetzung der Sanierungsplanung  beschlossen. Aufbauend auf diesen Beschluss haben KVB AG und Verwaltung entsprechend der Sanierungsvereinbarung zwei Sanierungsvarianten ausgewählt, welche in einer zweiten Planungsstufe fortgeführt und von Seiten der ARGE bis zur Vorbereitung der Vergabe geplant werden sollten. Für beide Varianten hat die ARGE zum Jahresende 2019 genehmigungsfähige Entwurfsplanungen mit Beendigung der Leistungsphase 3 nach HOAI vorgelegt. Der Genehmigungsprozess der letztendlich bei der Bezirksregierung Köln eingereichten Sanierungsvariante (Unterwasserbetonsohle) läuft derzeit, die Genehmigung wird für das dritte Quartal 2020 erwartet. Nach der Sanierung und Fertigstellung des Gleiswechselbauwerks werden die dann noch notwendigen Arbeiten, um die Nord-Süd Stadtbahn für den durchgängigen Betrieb herzustellen (Installation der Betriebstechnik wie Gleise, Unterwerk u.ä.), nach bereits vorhandenen Planungen erfolgen.

Der Vergleich eröffnet die Möglichkeit, das nach wie vor beschädigte Quartier am Waidmarkt nach elfjährigem Leben an und mit einer Unglücksstelle nunmehr eine in die Zukunft gerichtete Perspektive zu entwickeln.

Quelle: Stadt Köln, Pressemitteilung, 30.6.2020

ARCHIV-info 1/2020

In der aktuellen Ausgabe 1/2020 von ARCHIV-info des Archivs des Deutschen Museums berichten Wilhelm Füßl und Matthias Röschner einleitend über die zweimonatige Schließungszeit des Archivs im Zuge der COVID-19-Pandemie: Während des Homeoffice wurde ein regelmäßiger Notdienst für Kontrollgänge im Archiv eingerichtet. Die Bildstelle erledigte weiterhin Fotoaufträge, sofern die Vorlagen bereits digital vorhanden waren. Das digitale Benutzerbuch wurde auf den neuesten Stand gebracht, die Umsetzung analoger Zugangsbücher in eine Datenbank weitergeführt. Vor allem aber wurden elektronische Datenbankeinträge vereinheitlicht, Normdaten eruiert und nachgetragen, ältere Bestandserschließungen auf den neuesten Stand gebracht, vereinheitlicht und Rechteklärungen vorgenommen. Vieles konnte also erledigt werden, was im Normalalltag hintangestellt werden musste.

Das Editorial von ARCHIV-info 1/2020 schließt mit einem Plädoyer: „Covid-19 hat gelehrt, dass die Digitalisierung in den Archiven noch verstärkt werden muss. Zu fragen bleibt aber auch, ob nicht gesetzliche Vorgaben verändert werden müssen, um Forschungen in Extremsituationen wie in diesem Jahr weiterhin möglich zu machen. Gerade das Urheberrecht setzt den Archiven bei modernen Beständen des 20. Jahrhunderts hinsichtlich der digitalen Bereitstellung von Dokumenten enge Grenzen. Nicht jeder Brief eines Wissenschaftlers muss – provokant gesagt – unter Gesichtspunkten des Urheberrechts betrachtet werden. Oft diente er schlichtweg dem Zweck der Kommunikation und nicht der Schaffung eines »Werks«.“

Weitere Themen der aktuellen Ausgabe:

  • Archivbestände im Deutschen Museum: Thema Kolonialismus
  • Neuerwerbungen:
    – Nachlass von Wilfried de Beauclair
    – Schönbeck – Lenard – Rausch von Traubenberg
    – Vorlesungsmitschrift Liebigs
  • Kurz berichtet: Tag der Archive 2020
  • Publikation »Koloniale Spuren«: Heinz Peter Brogiato; Matthias Röschner (Hrsg.): Koloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaft. Halle 2020, 180 Seiten, 18,00 Euro.
  • Publikationen aus dem Archiv des Deutschen Museums 2016–2019

Kontakt:
Deutsches Museum
Archiv
80306 München
Tel.: (089)  2179 220
Fax: (089)  2179 465
archiv@deutsches-museum.de

Kaiserurkunde Ottos II. von 982 wiederentdeckt

Ältestes Originaldokument des Aschaffenburger Stiftsarchivs

Eine kleiner Sensationsfund ist dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg gelungen. Nachdem es über 100 Jahre verschollen war, ist ein ottonisches Originaldokument aus dem Jahr 982 im Stiftsarchiv wiederentdeckt worden.

Die Urkunde von 892 (Foto: Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg)

Im Jahr 1912 hatte ein österreichischer Forscher im Stiftungsamt zum vorerst letzten Mal das Original sehen können. Irgendwann danach war die Urkunde nicht mehr auffindbar. Die „Wiederentdeckung“ gelang jetzt im Rahmen zweier aktueller Projekte für das Stiftsarchiv, in deren Folge der Gesamtbestand für die Digitalisierung und Reinigung komplett durchforstet wird.

Die Zeit der deutschen Kaiser aus dem Haus der „Ottonen“ ist seit fast 1.000 Jahren Geschichte. Ihnen folgten die Salierkaiser und die Staufer, die gerade im Süden Deutschlands im historischen Bewusstsein heute noch präsent sind.

Für die Entstehung des Stiftes St. Peter und Alexander in Aschaffenburg im späten 10. Jahrhundert ist Kaiser Otto II. (973-983) eine zentrale Gestalt gewesen. Seine Herrschaftsdokumente, Pergamenturkunden, sind eine große Seltenheit! Viele der wertvollen Dokumente sind im Lauf der Jahrhunderte verloren gegangen. Die nun wieder aufgefundene Urkunde im Aschaffenburger Stiftsarchiv war im Jahr 982 für das entstehende Aschaffenburger Kollegiatstift geschrieben worden. Der Kaiser ließ die Urkunde im süditalienischen Capua ausfertigen, wo er damals in einen Krieg mit den muslimischen Sarazenen verwickelt war.

Der sensationelle Neufund hat auch eine große Bedeutung für die mittelalterliche Urkundenforschung. Das Archiv hat einen der Kenner des frühmittelalterlichen Urkundenwesens, Prof. Dr. Mark Mersiowsky (Universität Stuttgart), um eine Video-Stellungnahme gebeten. Die sehens- und hörenswerte Videobotschaft ist ab sofort aufrufbar unter diesem Link: https://youtu.be/tYVCrrsOxz4

Beim „Stiftsarchiv“ handelt es sich um die schriftliche Überlieferung des früheren Aschaffenburger Kollegiatstiftes, das über einen weitreichenden Besitz und großen Einfluss im Staat der Mainzer Erzbischöfe – zu dem Aschaffenburg als wichtige Residenzstadt bis 1814 gehörte – verfügte. Der Besitz und das Archiv des Kollegiatstiftes gingen später an das Königreich Bayern über. Seit dem Jahr 1939 ist das Stiftsarchiv als Dauerleihgabe im Besitz der Stadt und wird daher im Stadt- und Stiftsarchiv verwahrt.

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Dr. Joachim Kemper (Archivleiter)
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
06021 456105-0
stadtarchiv@aschaffenburg.de
joachim.kemper@aschaffenburg.de

Archiv und Wirtschaft 2/2020

In Kürze erscheint die Ausgabe 2/2020 von „Archiv und Wirtschaft“, der Zeitschrift der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare e.V. (VdW).

Inhaltsverzeichnis „Archiv und Wirtschaft“ 2/2020

AUFSÄTZE

Peter Gleber: „Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht“. 15 Jahre Genossenschaftshistorisches Informationszentrum (60-67)
Michael Hartmann: Einschneidende Geschichte: STIHL Contra – Eine Säge wird 60. Bericht zu einem Produkt-Jubiläum aus Sicht des STIHL Unternehmensarchivs (68-75)
Vivian Strotmann und Stefan Przigoda: Gängige Leistungsindikatoren – Versuch eines Vergleichs und Überlegungen zur indikatorischen Handhabung elektronischer Nutzeranfragen (76-86)
BERICHTE

Benjamin Obermüller: Jahresbericht 2019/2020 des regionalen Arbeitskreises Düsseldorf der VdW (87-90)
REZENSIONEN

Louis P. Cain, Price V. Fishback and Paul W. Rhode (Ed.): The Oxford Handbook of American Economic History (Niklas Hellmich) (91-92)
Wiebke Glässer: Marktmacht und Politik. Das internationale Kartell der Ölgesellschaften 1960–1975 (Siegfried Buchhaupt) (92-94)
Alfred Reckendrees: Beiersdorf. Die Geschichte des Unternehmens hinter den Marken NIVEA, tesa, Hansaplast & Co. (Volker Beckmann) (94-96)

Nachrichten (96-97)
Leserforum (98)
Rezensionsliste (99-100)
Impressum (104)

Kontakt:
Dr. Martin Münzel
c/o F. Hoffmann-La Roche AG
„Archiv und Wirtschaft“
Bau 52/111
CH – 4070 Basel
Telefon: (0049) (0)159-06825241
martin.muenzel@wirtschaftsarchive.de
http://www.wirtschaftsarchive.de/veroeffentlichungen/zeitschrift

Bestandserhaltung im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg

„Papier ist nicht geduldig! Bestandserhaltung im Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg“ heißt eine Ausstellung, die vom 29. Juni bis 6. September im Stadt- und Stiftsarchiv, Wermbachstraße 15, zu sehen ist. Die Eröffnung wird am Freitag, 26. Juni, um 15 Uhr als Livestream auf der Facebook-Seite des Archivs übertragen (www.facebook.com/stadtarchivaschaffenburg/).

Die historischen Dokumente des Aschaffenburger Stiftsarchivs werden seit dem vergangenen Jahr im Rahmen eines großen, mit Bundesmitteln geförderten Projekts umfassend konservatorisch behandelt und gesichert – und damit „fit für die Zukunft“ gemacht. Diese „Bestandserhaltung“ ist eine zentrale Aufgabe in Archiven.

Die Ausstellung präsentiert ausgewählte Archivalien aus dem Stiftsarchiv und aus den anderen Arbeitsfeldern des Stadt- und Stiftsarchivs: Mit welchen „Schadensbildern“ werden die Archivar*innen konfrontiert? Was ist „Tintenfraß“? Welche Gefahren bestehen bei einem Schimmelbefall in Archiven und Bibliotheken?

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht außerdem eine Präsentation des Arbeitskreises Nordrhein-Westfälischer Papierrestauratoren, in der typische Schäden und Restaurierungsmethoden, aber auch geeignete Verpackungen und Lagerungsbedingungen vorgestellt werden. Einen spannenden Einblick in die Entstehung von Handschriften in Klöstern vor der Erfindung des Buchdrucks vermittelt die Schau „Im mittelalterlichen Skriptorium“.

„Papier ist nicht geduldig!“ ist eine Ausstellung im Rahmen des Projekts „Stiftsarchiv Aschaffenburg: Schutz- und Erhaltungsmaßnahmen an einem gefährdeten historischen Altbestand“ (Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Sondermittel zur Erhaltung des schriftlichen Kulturguts in Deutschland) und findet mit Unterstützung des Allgemeinen Schul- und Studienfonds Aschaffenburg, der Firma Schempp Bestandserhaltung GmbH sowie des Arbeitskreises Nordrhein-Westfälischer Papierrestauratoren e.V. statt. Der Ausstellungsteil „Im mittelalterlichen Skriptorium“ ist von Dr. Alice Selinger (Dreieich) erarbeitet worden.

Geöffnet ist die Ausstellung montags bis freitags von 11 bis 16 Uhr sowie am Samstag und Sonntag, 4. und 5. Juli, 1. und 2. August und 5. und 6. September jeweils von 11 bis 16 Uhr.

Der Eintritt ist frei.

Es gelten die aktuellen Verhaltensregeln zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
Telefon: +49 6021 4561050
Telefax: +49 6021 29540
stadtarchiv@aschaffenburg.de

Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz ist 90 und voll

Eigentlich ist es ein Grund, glücklich zu sein: Das Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz in Speyer hat von Jahr zu Jahr mehr zu tun. Historiker und Ahnenforscher wälzen im Lesesaal Papier. Es gibt Lesekurse für alte Handschriften und Drucke, Pfarrer und kirchliche Verwaltungsmitarbeiter lassen sich in Aktenführung fortbilden. Bei der Online-Recherche gewährt das evangelische Kirchenbuchportal Archion Einblick in die digitalen Schätze des Archivs.

„Doch wir platzen aus allen Nähten“, sagt Archivdirektorin Gabriele Stüber zwischen Geburtstagsfreude und Kummer. Viele Pfarrämter trennten sich von ihren Aktensammlungen und schickten sie nach Speyer. Das Zentralarchiv am Domplatz 6 mit seinen bemerkenswerten Sammlungen, etwa zur Ostasienmission, zur Volksfrömmigkeit sowie zu Gesangbüchern und Bibeln, hat im 90. Jahr seines Bestehens vor allem ein Platzproblem und auch zu wenig Personal. Schon seit Jahren suche das Archiv ein Außenmagazin in oder um Speyer, erzählt Stüber.

Abb.: Sucht seit Jahren ein Außenmagazin: Archivdirektorin Dr. Gabriele Stüber (Foto: Landry)

Am 27. Mai 1930 ordnete der Landeskirchenrat die Gründung eines Archivs an, Pfarreien wurden aufgefordert, genaue Verzeichnisse ihrer Akten zu erstellen. Nach der Trennung von Staat und Kirche 1919 im Zuge der Weimarer Verfassung erkannte die Landeskirche, dass sie ihre in Pfarrämtern und Dekanaten verstreuten Unterlagen in einem zentralen Archiv sichern müsse, sagt Stüber.

Nur dadurch, so das Kalkül der Kirchenleitung, könne man seine Rechte gegenüber staatlichen Stellen und Privatpersonen geltend machen – und eine Erforschung der landeskirchlichen Geschichte ermöglichen. Auch die Feier des 400. Protestationsjubiläums 1929 in Speyer habe die Identität der Pfälzer Protestanten gestärkt und die Bedeutung historischer Dokumente bewusst gemacht. Über Ausstellungen, die Presse, Fachliteratur und das Internet vermittelt das Archiv die Bedeutung kirchlicher Themen. Schulen liefert es Arbeitsmaterialien zur Kirchenge­schich­te. Das internationale Interesse richtet sich vor allem auf Kirchenbücher und das Archiv der Ostasienmission. Dieses dokumentiert seit 1977 die Arbeit des 1884 in Weimar gegründeten „Allgemeinen Evangelischen Missionsvereins„.

Jetzt hat das Archiv eine überarbeitete Internetseite. „Gerade in Corona-Zeiten hilft die digitale Verfügbarkeit von Unterlagen, Anfragen zu bedienen“, sagt Stüber.

Kontakt:
Zentralarchiv der Evangelischen Kirche der Pfalz
Domplatz 6
67346 Speyer
Telefon: 06232/667-180
Telefax: 06232/667-234
zentralarchiv@evkirchepfalz.de
www.zentralarchiv-speyer.de

Quelle: Alexander Lang, Evangelischer Kirchenbote. Sonntagsblatt für die Pfalz, 5.6.2020

München zwischen Oktober 1918 und Juni 1919

Neue Publikation des Stadtarchivs München.

Die Beiträge der erfolgreichen Vortragsreihe des Stadtarchivs München, „Machtwechsel. München zwischen  Oktober 1918 und Juli 1919“, erscheint nun als reich bebilderte Publikation im Münchner Volk Verlag.

Abb.: Friedenskundgebung auf der Theresienwiese, 7. November 1918 (Foto: Stadtarchiv München: FS-REV-001)

Neun Monate – von Oktober 1918 bis Juni 1919 – veränderten das Gesicht der Stadt München grundlegend. Kriegserfahrung, Hungerwinter, Revolution und Räterepublik, Ende der Monarchie, Demobilmachung, blutige Straßenkämpfe und die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft, schließlich ein demokratischer Neuanfang auf kommunaler Ebene, aber auch besorgniserregende Vorzeichen von Inflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise – das sind die komplexen und eng miteinander verwobenen Ereignisse und Zäsuren jener Zeit.

Das Stadtarchiv München widmete der Revolutions- und Rätezeit  2018/19 eine Vortragsreihe, in denen die Geschehnisse anhand von teilweise neuen Archivquellen und Zeitzeugnissen nacherzählt, aber auch rückblickend analysiert und gedeutet sowie in einen größeren zeitlichen Kontext gestellt wurden. Die überarbeiteten und mit eindrucksvollem Bildmaterial versehenen Beiträge der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs und der Staatlichen Archive Bayerns erscheinen nun als Buch.

Eine Buchpräsentation ist derzeit corona-bedingt leider nicht möglich.

Info:
Elisabeth Angermair/Andreas Heusler (Hg.)
„Machtwechsel. München zwischen Oktober 1918 und Juni 1919“
Volk Verlag : München 2020
ISBN: 978-3-86222-337-4; 24,90 € (zu erwerben im Buchhandel)

Kontakt:
Stadtarchiv München
Winzererstr. 68
80797 München
Tel. 089/2330308
stadtarchiv@muenchen.de

Digitales Kreisarchiv Calw verfügt jetzt über 270.000 Dateien

Stöbern in 122 weiteren alten Zeitungsjahrgängen möglich

Im Sommer 2018 ist das „digitale Kreisarchiv“ des Landkreises Calw online gestellt worden (siehe Bericht vom 29.8.2019). Seit kurzem sind im digitalen Calwer Kreisarchiv sage und schreibe 150.000 weitere Dateien zugänglich. „Damit stehen nunmehr rund 270.000 Digitalisate zur Verfügung“, erklärt Kreisarchivar Martin Frieß mit berechtigtem Stolz. Für alle an der Heimatgeschichte Interessierten oder sonst nach alten Zusammenhängen Suchenden ist das eine riesige Hilfe beim Recherchieren. Neu hinzugekommen sind Seite für Seite 122 Zeitungsjahrgänge des „Gesellschafters“. Dieser spiegelt auch die Entwicklung des Zeitungswesens. Vom einmal wöchentlich herausgegebenen Intelligenzblatt für mehrere Oberämter in der Art eines Amtsblatts mit etwas Unterhaltung erfolgte der Wandel bis zur sechs Mal wöchentlich erscheinenden Tageszeitung mit Berichten aus dem Kreisgebiet und aus aller Welt.

Wie beim schon länger bereitgestellten, anfangs „Wöchentliche Nachrichten für die Oberamtsbezirke Calw und Neuenbürg“ genannten Vorgänger der Kreisnachrichten und des Schwarzwälder Boten ist das Auffinden des jetzt hinzugekommenen Gesellschafters – der 1822 als „Intelligenzblatt für die Oberamtsbezirke Tübingen, Rottenburg und Nagold“ startete – denkbar einfach. Über die Internetadresse https://digital.kreisarchiv-calw.de kann direkt in die Sammlung gestartet werden. Wer mit dem Internet umgehen kann findet sich leicht zurecht: Alle Zeitungen ab 1850 und jünger sind mit Volltexterkennung – auch 05.05.2020 10:09 als OCR bekannt – versehen. Es muss also nur ein Begriff oder Name eingegeben werden, und schon erscheinen die Ausgaben, in denen das Wort vorkommt.

Auch Kalender- und weitere Suchfunktionen vorhanden
Weitere Suchmöglichkeiten bietet bei den Zeitungen die Kalenderfunktion: Klickt man auf eine Jahreszahl, wird ein Kalender mit den Erscheinungstagen angezeigt. Jetzt muss nur das gesuchte Datum angeklickt werden, schon zeigt der Bildschirm die betreffende Tagesausgabe. Gesucht werden kann auch nach verschiedenen Themen, Autoren, Verlagen, Verlagsorten oder Erscheinungsjahren. Das Digitalarchiv hat noch mehr zu bieten als Zeitungen. So sind dort Oberamtsprotokolle und ältere Kreistags-Niederschriften bis 1997 zu finden. In historischer Literatur kann geblättert werden und auch 14 Adressbücher zeigen Entwicklungen im Altkreis Calw auf, der ja das ehemalige Oberamt Neuenbürg bis zur Kreisreform 1973 komplett mit umfasste. In Arbeit ist die Digitalisierung und Aufnahme vom „Enztäler“ mit Vorgänger-Blättern bis 1945.

Martin Frieß weist darauf hin, dass das Projekt auch ein wichtiger Beitrag zur Sicherung, Schonung und Erhaltung der Originale ist. Sie werden jetzt nur noch selten für Präsentationen oder bei Führungen gebraucht. Zeitungen wurden bekanntlich nicht für die Ewigkeit gemacht. Die Digitalisierung erhält jetzt die Informationen, solange sie auf dem alten Zeitungspapier noch lesbar sind. Die Sicherung der Daten erfolgt im elektronischen Langzeitarchiv des Landratsamts. Außerdem werden sie auf dem Server des Hochschulbibliothekszentrums Köln gespeichert, mit dem der Dienstleister des Calwer Kreisarchivs zusammenarbeitet.

Calw unter den Kommunalarchiven im Land führend
Bei der Digitalisierung von Archivalien ist Calw im Bereich der Kommunalarchive im Land führend und findet deutschlandweit Beachtung. „Immer wieder wird nachgefragt, wie man so was macht und was dabei zu beachten ist“, sagt Martin Frieß. Die meisten digitalisierten Archivalien kommen aus dem Bestand des Kreisarchivs Calw. Aber beim „Gesellschafter“ gab es Lücken. Diese konnten mit Hilfe des Stadtarchivs Nagold und der Druckerei Zaiser als einer ursprünglichen Herausgeberin in der ehemaligen Oberamtsstadt gefüllt werden. Auch beim zu 90 Prozent erfassten „Enztäler“ wird noch das eine oder andere Exemplar vom Neuenbürger Stadtarchiv benötigt, mit dem Kreisarchivar Martin Frieß in Verbindung steht.

Das Einscannen übernimmt eine zuverlässige Esslinger Firma, die Präsentation ein Unternehmen mit Hauptsitz in Bielefeld von seinem Betrieb in Aachen aus. Die jetzt neu aufgenommenen Daten haben 25.000 Euro Aufwand verursacht. Interessierten stehen sie kostenlos zur Verfügung. Das Interesse an dem digitalen Material unterstreicht die automatisch erfasste Statistik: 2019 erzeugten 13.055 unterschiedliche Nutzer 164.860 Zugriffe und luden sich 918 Dateien herunter. In diesem Jahr werden diese Zahlen wohl übertroffen, denn schon jetzt sind knapp über 90.000 Zugriffe registriert. Auch die Verweildauer der einzelnen Besucher wird erfasst: Im letzten Jahr waren dies 38 Minuten; 2020 liegt sie bei gut zweidreiviertel Stunden. „Das kann eventuell der Corona-Krise geschuldet sein“, meint Kreisarchivar Martin Frieß.

Linkhttps://digital.kreisarchiv-calw.de/

Kontakt:
Kreisarchiv Calw
– Schulen und Kultur
Kultur und Kreisarchiv –
Martin Frieß
Vogteistraße 42-46
75365 Calw
Telefon: 07051/160-314
Fax: 07051/795-314
Martin.Friess@kreis-calw.de

Quelle: Hans Schabert, 213. Nachrichtenbrief (2020), Kreisgeschichtsverein Calw e.V., S. 12; Schwarzwälder Bote, 19.5.2020

Die Michelsburg bei St. Lorenzen

Archivale des Monats Mai 2020 im Südtiroler Landesarchiv.

Die Michelsburg, eigentlich St. Michaelsburg, wurde im späten 12. Jahrhundert als Lehen der Bischöfe von Brixen vermutlich von den Grafen von Andechs errichtet. Nach deren Entmachtung fiel sie um 1210 an die Grafen von Tirol und anschließend an die Görz-Tiroler. Seit dem 13. Jahrhundert war die Burg auch Sitz des gleichnamigen Gerichts, das zunächst an Dienstleute (Ministerialen) ausgegeben wurde, ab dem 14. Jahrhundert wurden eigene Pfleger mit der Verwaltung von Burg und Gericht betraut, die ihrerseits Richter einsetzten oder selbst als Burghauptmann und Richter fungierten.

Die Michelsburg, 1941 (Bildarchiv Mario und Benjamin Geat, Nr. 1008, Südtiroler Landesarchiv)

Im Jahr 1500 fiel das Görzer Erbe im Erbweg an die Habsburger und wurde territorial mit der Grafschaft Tirol vereinigt. Wenige Jahre später verpfändete Maximilian I. jedoch die Burgen Michelsburg, Schöneck, Uttenheim und Heinfels für 24.000 Gulden an den Bischof von Brixen. Doch blieb es nicht dabei: Die Burg und das Landgericht Michelsburg, das seinen Sitz zu dem Zeitpunkt jedoch bereits in einem eigenen Gerichtsgebäude in St. Lorenzen hatte, durchlebten im 16. und 17. Jahrhundert zahlreiche Besitzerwechsel; zeitweise wurde die Burg wieder vom Landesfürsten übernommen, an verschiedene Adelsfamilien zu Lehen ausgegeben, einige Zeit auch vom Damenstift in Hall genutzt, fiel dann wieder an das Hochstift Brixen und wurde schließlich wiederum vom Tiroler Landesfürsten übernommen. 1678 wurden Burg und Gericht an die Freiherren von Künigl verpfändet, 1810 wurden die Gerichte Michelsburg, Schöneck, Bruneck und Sonnenburg unter bayerischer Herrschaft zum Landgericht Bruneck vereinigt. Wieder unter österreichischer Herrschaft wurden die Rechte der Grafen Künigl 1827 endgültig abgelöst, das Gericht ging in die staatliche Verwaltung über und wurde endgültig in das Landgericht Bruneck einverleibt, während die im Wesentlichen funktionslose Burg ins Eigentum der Künigl überging, die sie schließlich 1969 verkauften.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Michelsburg, hier in einer Aufnahme von Mario Geat aus dem Jahr 1941, bereits stark von Verfall gekennzeichnet, Teile der Burg waren eingestürzt. Erst in den 1960er Jahren wurden erste Sicherungsmaßnahmen eingeleitet, in den 1990er Jahren folgten durch den aktuellen Eigentümer umfangreiche Sanierungsmaßnahmen, die der Burg ihr altes, beeindruckendes Gepräge wiedergegeben haben.

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Archivale des Monats, 6.5.2020

Evangelische Bühnengilde Koblenz

Digitale Ausstellung des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland

Dank der Deutschen Digitalen Bibliothek konnte die Zeit im Home Office ideal genutzt werden. Das neue Ausstellungs-Tool DDB Studio erlaubt es selbst dem größten Technikmuffel eine digitale Präsentation zu gestalten, sofern man geeignetes Schaumaterial zur Verfügung hat. Die DDB bietet das Programm kostenfrei für bei ihr registrierte Institutionen an und steht dabei jederzeit mit guten Rat und, sofern nötig, auch Tat zur Seite. Eine einmalige Möglichkeit, die Bestände der Kultureinrichtungen einem breiten Publikum zu eröffnen.

Um einen Einblick in den Bestand des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland zu geben, wurden einige der dortigen Fotoschätze mit dem Programm DDB Studio in einer digitalen Ausstellung arrangiert. Die Bilder stammen aus dem Nachlass Walter Hoerder und dokumentieren die Arbeit der Evangelischen Bühnengilde Koblenz (EBK). Die Ausstellung zeigt eine Auswahl des Repertoires der Laienschauspieltruppe und skizziert anhand dessen die 14-jährige Geschichte der EBK.

Abb.: An einem sogenannten Grenzlandabend 1934 führte die EBK das Drama ‚Ostmark‘ von Berthold H. Withalm im Sinne des völkisch-nationalen Zeitgeistes auf. Walter Hoerder begrüßte den nationalen Aufbruch und glaubte an eine friedliche Rückgewinnung deutscher Gebiete im Osten unter Hitlers „genialer Führung“: „Inzwischen aber fiel der Vorhang über einem tragischen Aufzug unserer Geschichte […]. Die Szene wechselte nun und zeigte gottlob ein freundliches hoffnungsreiches Bild“ (Hoerder im Jahresbericht über die Arbeit der Evangelischen Bühnengilde Koblenz im Winter 1933/34)

Die Journalistin Bettina Förster untersuchte im Archiv Boppard den Nachlass von Walter Hoerder, weil sie bei Prof. Dr. Volker Neuhaus an der Universität zu Köln über die Entwicklung des evangelischen Laienspiels von der Weimarer Republik bis 1959 promoviert. Hier beantwortet sie einige Fragen zur Motivation und Tätigkeit der Gilde.

Was zeichnete die Arbeit der EBK aus?
Walter Hoerder war während der gesamten Zeit von 1922 bis 1935 der verantwortliche Leiter der Bühnengilde. Er wirkte auch als Regisseur und übernahm Rollen. Wenn man die zahlreichen Kisten aus seinem Nachlass durchsieht, dann wird ganz schnell klar, dass er und die Gruppe diese Arbeit mit großer Leidenschaft gemacht haben. Die Aufführungen sind durch Fotos, Berichte und Zeitungsartikel akribisch dokumentiert. Sie haben in der Online-Ausstellung, die Sie gemacht haben, eine repräsentative Auswahl getroffen. Eigentlich war Hoerder gelernter Bankkaufmann und auch die anderen Spieler waren alle Laien. Die Kulissen und Kostüme gestalteten sie sehr aufwendig – es muss stundenlang gedauert haben, diese Kostüme zu nähen. Die jungen Erwachsenen spielten aber nicht nur zusammen Theater, sondern sie machten auch Wanderungen oder Singabende. Seine Nichte hat mir geschrieben, dass die Spieler eine intensive Freundschaft verband. Offiziell hieß es, dass die EBK an Gemeindeabenden das „ausserkirchliche Leben in bewusst deutsch-evangelischem Sinne“ [Hoerder, Walter: 10 Jahre Evangelische Bühnengilde Koblenz. In: AEKR Boppard Best. 7NL 133B (Nachlass Walter Hoerder), Nr. 18] fördern wollte. Einige Berichte hat Hoerder auch in der Zeitung Das Evangelische Rheinland geschrieben und hier formuliert er, dass sie spielten, weil sie innerlich ergriffen waren.

Wovon waren die Spieler ergriffen?
Vom Theaterspielen und vom Gemeinschaftsgedanken. Die Einnahmen wurden traditionell nach Abzug der Unkosten gespendet. Hoerder dokumentiert zum Beispiel über die Spielzeit Winter 1933/34, dass sie neben dem Anliegen „in volksbildnerischer Weise in der Gemeinde künstlerische Arbeit“ [Hoerder, Walter: Bericht vom 28. Mai 1934. In: AEKR Boppard Best. 7NL 133B (Nachlass Walter Hoerder), Nr. 18] zu leisten auch den Zweck darin sahen, die Not mit dem Ertrag zu lindern. So gingen auch aus dieser Saison die Eintrittsgelder nach Abzug der Unkosten an die Armenpflege der Gemeinde und an das Winterhilfswerk des Deutschen Volkes. Dieses gilt als wichtiges Propagandaelement der Nationalsozialisten. Hoerder war begeistert vom Nationalsozialismus. Sie spielten auch für die Hitler-Jugend. 1933 wollte er Schlageter aufführen, das erfolgreiche Stück vom Nationalsozialisten Hanns Johst, aber er bekam die Rechte dafür nicht.

Was ist über den Spielplan zu sagen?
Auffällig ist die Bandbreite des Spielplans und die Tatsache, dass die EBK Stücke des Berufstheaters aufführte. So gaben sie zum Beispiel 1926 auch den Jedermann von Hugo von Hofmannsthal. Beim Publikum besonders beliebt und erfolgreich waren Lustspieldarbietungen. Bei der Aufführung von Die goldene Eva von Franz von Schönthan und Franz Koppel-Ellfeld im November 1931 war der Saal wohl „beängstigend“ überfüllt. Die Bühnengilde führte aber auch Stücke auf wie 1929 Zeitenwende vom Laienspielautor Paul Figge. Zu dieser Aufführung kamen sogar dreitausend Besucher.

Warum hörte die Arbeit auf?
Das war ein längerer Prozess. Kurz zusammengefasst: 1934 gab es Korrespondenzen mit dem Stadttheater, der Landesstelle des Propagandaministeriums und der Reichstheaterkammer. Darüber berichtet Hoerder 1935 im Evangelischen Sonntagsblatt. Werke der Berufsbühne und abendfüllende Stücke wurden ihnen nicht mehr erlaubt und Hoerder wollte keinen „kunstlosen Vereinsbühnenkitsch“ fabrizieren. Pastor Wilhelm Winterberg sprach ihm für seine Arbeit innigen Dank aus, aber dies kann Hoerder nicht wirklich getröstet haben. Er schrieb in einem Bericht im Oktober 1935 wehmütig, dass ihm der Abschied besonders schwerfiel.

Quelle und Interview: Maike Schwaffertz: Die evangelische Bühnengilde Koblenz – Eine digitale Ausstellung mit DDB Studio, in: blog.archiv.ekir.de. Blog des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, 22.5.2020

Link: Digitale Ausstellung „Evangelische Bühnengilde Koblenz“

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