Unterbringung der Displaced Persons nach Kriegsende in Lingen (Ems)

Nach dem Zweiten Weltkrieg war eines der drängendsten Probleme die Unterbringung der Displaced Persons, der befreiten ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter. Parallel zur Militärregierung war am 6. April 1945 das Relief Military Government Detachment Nr. 205 (bald abgelöst von Nr. 509) in Lingen eingezogen. Seine Aufgabe war es, die Displaced Persons zunächst in ihren Lagern zu registrieren und langfristig in ihre Heimat zurückzuführen. Unterstützt wurde es dabei von einer französischen Frauenhilfseinheit. Als zentrales DP-Auffanglager wurde die Lingener Artillerie-Kaserne eingerichtet. Wer sich im Juli 1946 noch immer außerhalb eines DP-Lagers aufhielt, verlor seinen Status als Displaced Person. Im Kreis Lingen betraf das immerhin 855 Menschen.


Abb.: Beispiel für einen DP-Ausweis: United Nations Displaced Person/Refugee Identity Card von Johanna Päts, 1948 (Voldemar and Johanna Päts collection, Stanford Libraries)

Die Insassen des Lingener DP-Lagers waren getrennt nach Nationen untergebracht. Zunächst entstanden ein sowjetisches und polnisches Camp, dann ein italienisches. Aber auch Niederländer, Franzosen, Belgier, Spanier, Jugoslawen, Tschechen, Letten, Esten und Rumänen befanden sich in der Kaserne. Noch im Laufe des Aprils 1945 wuchs ihre Zahl auf weit über 2000. Im Mai wurden zudem kurzzeitig über 1000 polnische Juden aus dem KZ Bergen-Belsen aufgenommen. Die Evakuierung der Westeuropäer verlief recht unproblematisch. Schwieriger gestaltete sich die Rückführung der Polen, die in Lingen die größte Gruppe bildeten. Viele von ihnen wollten nicht nach Polen zurück und hofften auf eine Einreise in die USA. Im Laufe des Jahres entwickelte sich das DP-Camp so zu einem rein polnischen Lager mit rund 3500 Insassen.


Abb.: Lager B des „Polnischen Zivillagers Lingen (Stadtarchiv Lingen)

Bis zum Februar 1946 stieg ihre Zahl auf 4400, im März 1947 waren es noch immer 3600.


Abb.: Opuszczasz Polski oboz cywilny w Lingen“ – „Sie verlassen das polnische Zivillager in Lingen (Stadtarchiv Lingen)

Nach einigen Monaten Leerstand wurde die Kaserne dann Anfang 1948 – übrigens gegen den erklärten Willen der Stadt – erneut von Displaced Persons bezogen, diesmal aus Jugoslawien und dem Baltikum. Auch sie strebten fast alle eine Immigration in die USA an.

Im Juli 1945 übernahm die unter dem Dach der Vereinten Nationen stehende UNRRA die Lagerleitung, Ende 1946 dann ihre Nachfolgeorganisation IRO, die schließlich auch die Ausreise in aufnahmewillige Drittstaaten ermöglichte. Ohne die Beteiligung der Displaced Persons selbst war die Organisation des Lagers personell jedoch kaum zu realisieren. So wurde aus der Mitte der Insassen ein Camp Leader bestimmt, der als Mittler zu den Insassen fungieren sollte und zunehmende Verantwortung auf sich vereinte. Auch die einzelnen Kasernenblocks wählten eigene Block Leader. So entwickelte sich das Lager allmählich zu einer mehr oder weniger selbstverwalteten Gemeinschaft mit eigenen Schulen, einer Kirche und zwei Theaterensembles. Ein Ensemble spielte unter Leitung von Leon Schiller, einer der berühmtesten Theaterregisseure Polens.


Abb.: Die Lagerkirche im DP-Camp mit improvisiertem Glockenturm (Stadtarchiv Lingen)


Abb.: Im Innern der Lagerkirche (Stadtarchiv Lingen)

Auch ein einfaches Hospital stand dem Lager zur Verfügung. Dennoch war der Gesundheitszustand der Displaced Persons häufig besorgniserregend. Aus Angst vor Seuchenausbrüchen wurden sie zur Entlausung mit DDT behandelt. Eine vermeintliche Typhusepidemie stellte sich schließlich als Masern heraus. Doch gerade in der Anfangszeit kam es zu vermehrten Todesfällen. Allein zwischen April und August 1945 starben 45 Personen, zwischen Juli 1945 und Februar 1946 62, darunter auch zwanzig Männer, die sich mit selbstgebranntem Alkohol vergiftet hatten. Auch die psychologische Belastung war enorm. Das Lingener Gesundheitsamt bezeichnete ihren Zustand 1950 als psycholabil. Eine psychologische Betreuung fand jedoch nicht statt.

Das Verhältnis zu den Lingenern war schlecht. Persönliche Begegnungen fanden bestenfalls auf dem Schwarzmarkt statt. Vorwürfe wurden laut, die Lingener Fleischereien würden nur noch für das DP-Lager produzieren. Berichte über vereinzelte Delikte unter den Lagerinsassen verdichteten sich bei der Lingener Bevölkerung zu dem Vorurteil, die Displaced Persons seien allgemein Diebe und Gewalttäter. Die Beunruhigung in der Bevölkerung würde solange andauern, so schrieb der Lingener Landrat, wie sich zivile Polen außerhalb des Lagers bewegen dürften. Die Täter-Opfer-Beziehung zwischen den Deutschen und ihren ehemaligen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen stellte das schlechterdings auf den Kopf. Der Arzt Carl-Ernst Koch vermerkte 1954 über Lingen: „Die deutsche Bevölkerung der Umgebung ist sehr konservativ und verhält sich gleichgültig-passiv gegenüber den Lagerbewohnern. Anerkannt wird ihre sozial einwandfreie Haltung, mißbilligt wird ihre Existenz überhaupt.“

Die Verantwortung über die DP-Lager ging im Juli 1950 auf die Bundesrepublik über. Das einzige noch bestehende DP-Lager des Emslandes war die Lingener Kaserne mit rund 1000 Insassen, die nun vom städtischen Meldeamt erfasst und damit eingemeindet wurden. Sie waren nun zunehmendem Druck ausgesetzt. Niedersachsen verzichtete auf die überfällige Herrichtung der Unterkünfte und forderte stattdessen Nebenkosten für Strom, Gas und Wasser ein. Die Krankenstation und die Schulen des Camps wurden geschlossen und die Gemeinschaftsverpflegung eingestellt. Der Versuch, einen auch Deutschen offenstehenden Lagerkindergarten zu errichten, scheiterte am heftigen Widerstand der Deutschen.

Der Lingener Zentralverband vertriebener Deutscher forderte gar die vollständige Räumung der Kaserne, um hier Vertriebene unterzubringen. 1954 befanden sich noch immer 387 ehemalige Displaced Persons in der Kaserne, meist Alte und Kranke. Die letzten Bewohner wurden 1957 in schlecht eingerichtete Mietwohnungen an der Friedrichstraße und der Heinrichstraße umquartiert. Man brauchte die Kaserne für die Bundeswehr.

Während die meisten Displaced Persons in Lingen auf ihre Heim- oder Weiterreise hofften, erreichten zahlreiche Flüchtlinge und Heimatvertriebene aus den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches die Stadt, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen.


Abb.: Verteilung der Flüchtlinge aus Langenbielau auf die Landgemeinden im Kreis Lingen vor 75 Jahren (19. April 1946 (Foto: Axel Wisniewsky)

Darüber berichtete das Emslandmuseum in seiner Serie „75 Jahre Niedersachsen“ am 13.4.2021. Der Beitrag trägt die Überschrift „18. April 1946 – Ankunft eines Flüchtlingstransportes aus Langenbielau (heute Bielawa) in Lingen“. Im Frühjahr 1946 trafen die ersten Transporte in Lingen ein. Zu diesem Zeitpunkt waren alle regulären Unterkünfte im Kreis Lingen bereits mit Flüchtlingen aus Ostpreußen und Pommern überfüllt. Daher mussten die Vertriebenen, zum größten Teil waren es Schlesier, in die Landgemeinden und dort in Privatwohnungen einquartiert werden. Die Einheimischen waren alles andere als begeistert.

Ein Zeitzeuge aus Langenbielau – heute Lingens polnische Partnerstadt Bielawa – berichtet über seine Ankunft in Lingen vor 75 Jahren: „Dann kamen wir also am 18. April in Lingen auf dem Bahnhof an. Da sind wir dann in Lingen auf die Dörfer verteilt worden.“

Nach diesen Sammeltransporten im Frühjahr und Sommer 1946 waren die Aufnahmekapazitäten im Raum Lingen mehr als erschöpft. Selbst Backhäuser und Stallungen auf den Bauernhöfen, Wochenendhäuser und Fischerhütten an der Ems, Wehrmachtsbaracken und frühere Flakstellungen hatte man zu Notwohnungen für die Flüchtlinge umfunktioniert.

Quellen und Literatur:
• Stadtarchiv Lingen, Fotosammlung.
• Stadtarchiv Lingen, Karteisammlung, Nr. 7.
• Kneuper, Richard: 1945. Displaced Persons in Lingen, in: Kivelingszeitung 2017, S. 173-175.
• Lembeck, Andreas: Befreit, aber nicht in Freiheit. Displaced Persons im Emsland 1945-1950 (DIZ-Schriften 10), Bremen 1997.
• Remling, Ludwig: Das Kriegsende 1945 im Raum Lingen (Materialien zur Lingener Geschichte 3), Lingen 1996.
• Schüpp, Heiner: Die politische Entwicklung in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Franke, Werner e.a. (Hg.): Der Landkreis Emsland. Geographie, Geschichte, Gegenwart. Eine Kreisbeschreibung, Meppen 2002.

Kontakt:
Stadtarchiv Lingen (Ems)
Baccumer Straße 22
49808 Lingen (Ems)
Tel.: 0591 / 91671-11
stadtarchiv@lingen.de

Quelle: Stadtarchiv Lingen (Ems), Archivalie des Monats April 2021, 6.4.2021; Emslandmuseum, „75 Jahre Niedersachsen“, 13.04.2021

Flugschau am Segelflugplatz bei Giggenhausen (1977)

Im neuesten „Archivstück des Monats“ des Stadtarchivs Freising thematisiert Stadthistoriker und Stadtarchivar Florian Notter den ehemaligen Segelflugplatz „Lange Haken“ bei Giggenhausen, der bis zur Inbetriebnahme des Münchner Flughafens 1992 existierte. Florian Notter geht auf die Geschichte des Platzes im Freisinger Moos ein, die bis in die frühen 1960er Jahre zurückreicht und blickt außerdem auf die beliebten Flugschauen zurück, die auf dem Flugplatz regelmäßig veranstaltet wurden.

Als im Mai 1992 im Erdinger Moos der neue Münchner Flughafen eröffnet wurde, musste auf der anderen Seite der Isar, im Freisinger Moos, ein beliebter Segelflugplatz schließen. Knapp drei Jahrzehnte lang waren hier Luftsportbegeisterte aus Freising und der gesamten Region München zum Flugtraining, zur Ausbildung, zu Wettbewerben oder Flugvorführungen zusammengekommen.


Abb.: Der Segelflugplatz „Lange Haken“, um 1980 (Stadtarchiv Freising)

Die Anfänge des Segelflugplatzes „Lange Haken“, dessen Name sich von einer historischen Flurbezeichnung ableitete, gehen auf die frühen 1960er Jahre zurück. Die Mitglieder des „Luftsportvereins Freising e.V.“ waren damals auf der Suche nach einem Gelände, das sich für die Anlage eines Segelflugplatzes eignete. Zu diesem Zweck hatte der 1951 gegründete Verein bislang eine Wiese bei Pulling genutzt, die von der Fabrikantenfamilie Schlüter zur Verfügung gestellt worden war. Durch den konstanten Zustrom an Segelflugsportlern reichten die Kapazitäten dieses Platzes letztlich nicht mehr aus.

Zur gleichen Zeit war auch der „Aero-Club München“ gezwungen, seinen Segelflugplatz in Fröttmaning aufzugeben und sich um eine Alternative zu bemühen. Tatsächlich zeitigte die Ausschau nach einem Grundstück wie auch nach politischen Unterstützern bald Erfolge: Bezüglich des Standorts fokussierte man ein Areal an der Moosach, zwischen den Dörfern Giggenhausen und Pulling; wegen der Aufwinde, die durch die nahen Tertiärhügel gegeben waren, schien die Lage für die Segelfliegerei hier ideal.

Einen einflussreichen Förderer fand der Luftsportverein im damaligen Freisinger Landrat (und späteren Justizminister) Philipp Held. Zu den tatkräftigen Initiatoren auf Seiten des Luftsportvereins gehörten seinerzeit der Rechtsanwalt Ludwig Huber-Wilhelm, der Lehrer Rudolf Braun und der Arzt Gerhard Völlinger. Bereits 1961 konnten die ersten Grundstückskäufe getätigt werden. 1963 folgte der Bau der 600 Quadratmeter großen Flugzeughalle im Nordosteck des Areals, nahe der Zufahrtsstraße beziehungsweise der Moosach. Die feierliche Einweihung des Flugplatzes fand am 28. Juli desselben Jahres statt.

In den 29 Jahren seines Bestehens war „Lange Haken“ immer auch ein Ort, der in großer Zahl interessierte Laien anzog. Neben den gewöhnlichen Flugtrainings, die man mitverfolgen konnte, organisierte der Luftsportverein seit den 1970er Jahren mehrmals öffentliche „Flugtage“ – große Volksfeste mit Flugshoweinlagen und kulinarischen Angeboten. Der dritte „Großflugtag“ auf „Lange Haken“ wurde am 18. September 1977 veranstaltet und damit das 25-jährige Bestehen des Luftsportvereins Freising gefeiert (korrekterweise hätte die Feier ein Jahr früher stattfinden müssen). Von diesem Ereignis hat sich im Stadtarchiv Freising ein Plakat erhalten.


Abb.: Plakat für den „Freisinger Großflugtag“ am 18. September 1977 (Stadtarchiv Freising)

Das Programm war gespickt mit größeren und kleineren Attraktionen: verschiedene Flugshows, Fallschirmspringen, Ballonfahrten, eine Flugzeugtaufe und ein Hallenfest mit Tanz. Wie in der Ausgabe vom 20. September 1977 der Freisinger Neuesten Nachrichten berichtet wurde, wohnten dem Ereignis trotz niedriger Temperaturen und häufigen Regenschauern etwa 2.500 Besucherinnen und Besucher bei. Wie aus dem Bericht weiter hervorgeht, war das Ende des Segelflugplatzes, das durch den geplanten Münchner Flughafen unweigerlich drohte, damals bereits ein Thema.


Abb.: Der Segelflugplatz „Lange Haken“ aus der Luft, um 1980. Der Platz liegt relativ mittig zwischen Giggenhausen und Pulling. An der auffallend länglichen Flur kann man den Standort auch heute noch gut lokalisieren (Archiv des Luftsportvereins Beilngries).

Während der Segelflugplatz „Lange Haken“ seit 1992 Geschichte ist, gibt es den traditionsreichen Luftsportverein Freising noch immer, heute allerdings unter dem Namen „Luftsportverein Beilngries e.V.“. – Hier konnte 1994 ein neuer Segelflugplatz bezogen werden.

QUELLEN:

Stadtarchiv Freising, Plakatsammlung.Ebd., Zeitungssammlung, Freisinger Neueste Nachrichten, 20.09.1977; Freisinger Tagblatt 19.07.1963, 28.07.1963, 20.09.1977; Freisinger Zeitung, 29./30.06.1963. Vereinsarchiv Luftsportverein Beilngries e.V. (vormals Luftsportverein Freising), Festschrift „25 Jahre Luftsportverein Freising“.

Kontakt:
Stadtarchiv Freising
Florian Notter, M.A.
Major-Braun-Weg 12
85354 Freising
Tel.: 08161 / 54-44710
Fax: 08161 / 54-54700
stadtarchiv@freising.de

Quelle: Florian Notter, Stadtarchiv Freising, Archivstück des Monats April 2021; Stadt Freising, Aktuelles, 06.04.2021

Stadtarchiv Gladbeck mit neuer Leitung

Christian Schemmert ist seit dem 22.3.2021 neuer Leiter des Archivs im Gladbecker Rathaus. Der 38-jährige Essener tritt die Nachfolge von Katrin Bürgel an, die Anfang Februar zum Stadtarchiv Kleve wechselte. Bürgermeisterin Bettina Weist zeigt sich erfreut darüber, dass das historische „Gedächtnis“ der Stadt nach nur wenigen Wochen der Vakanz in neue Hände gegeben werden konnte: „Mit Christian Schemmert haben wir einen jungen, aber dennoch erfahrenen Historiker und Archivwissenschaftler gewinnen können. Das Stadtarchiv ist die zentrale Stelle für alle Fragen zur Gladbecker Stadtgeschichte und steht jedermann offen – umso wichtiger ist es, die Angebote zu unserer Vergangenheit zukunftsfähig aufzustellen.“


Abb.: Bürgermeisterin Bettina Weist und der neue Gladbecker Stadtarchiv Christian Schemmert (Foto: Stadt Gladbeck)

Der neue Gladbecker Stadtarchivar freut sich auf die abwechslungsreiche und vielseitige Aufgabe und darauf, mit den Gladbeckerinnen und Gladbeckern über die Geschichte ihrer Stadt ins Gespräch zu kommen. „Dabei sind unterschiedliche Vermittlungsformen denkbar. Klassisch gedacht durch Ausstellungen, Pressemitteilungen, Vorträge, Tage der offenen Tür oder Führungen – aber auch neue Ansätze der Geschichtsvermittlung wird es geben“, erläutert der Historiker. Er sieht das Stadtarchiv als eine attraktive Bildungs- und Kultureinrichtung mit einem vielseitigen Dienstleistungsangebot.

Dabei möchte der Archivleiter besonders die jüngere Zielgruppe der Schülerinnen und Schüler ansprechen, um die Identifikation mit der eigenen Stadt gemeinsam mit den Lehrkräften zu stärken. „Das verstehe ich durchaus als Demokratieauftrag. Denn nur wer sich für seine Umgebung interessiert, setzt sich heute oder später auch für sie ein“, weiß der 38-Jährige, der den verantwortungsvollen Auftrag gerne annimmt, für die künftigen Generationen eine aussagekräftige Dokumentation zur Geschichte der Stadt zu schaffen. Dabei legt der Historiker vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung der Stadtverwaltung auch einen Schwerpunkt darauf, neben den analogen auch die digitalen Serviceangebote des Archivs für Bürger und Verwaltung schrittweise zu erweitern und verfügbar zu machen. „Digitalisierung umfasst zweierlei Ansätze: Erstens die technische Maßnahme zum Informationserhalt historisch oder rechtlich bedeutsamer Unterlagen, bei denen ansonsten, bei drohendem Papierzerfall, ein Informationsverlust der Originalquellen droht. Zweitens trägt Digitalisierung dazu bei, dass der Zugang zu den Quellen der Stadtgeschichte für Nutzer erleichtert wird, was das Serviceangebot des Stadtarchivs steigert“, erklärt Christian Schemmert.

Sein Master-Studium der Geschichtswissenschaft absolvierte der Historiker an der Universität Bielefeld, sein postgraduales Masterstudium der Archivwissenschaft später berufsbegleitend an der Fachhochschule Potsdam. Sein dreijähriges wissenschaftliches Volontariat führte ihn in das Solinger Stadtarchiv, zuvor war er bereits im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn als Sachbearbeiter tätig. Der Hobbyfußballer und Fahrrad-Fan kennt zudem den Kreis Recklinghausen und das Ruhrgebiet gut: Der 38-Jährige kommt ursprünglich aus Haltern am See. „Tatsächlich bringe ich zu diesem Teil des Ruhrgebiets eine gewisse Verbundenheit mit, da in erster Linie meine Familie und viele meiner Freunde hier leben. Manche Ecke übt natürlich ihre eigene Faszination aus, wo ich mich nicht nur als Historiker frage, wo im Zeitalter von Kohle und Stahl eigentlich die Grenzen des Eingriffs in die Natur verliefen, wie die Menschen mit diesen Zumutungen der Moderne umgegangen sind, was da für Spannungen und Konflikte im Gemeinwesen auszuhalten waren. Am Beispiel der Stadtwerdung Gladbecks werden mir solche Themen demnächst von Berufs wegen begegnen“, sagt der Archivleiter. Um das alles besser einordnen und sich orientieren zu können, plant der 38-Jährige zunächst, die Stadt auf eigene Faust zu erkunden – am besten mit dem Rad.

Kontakt:
Stadtarchiv Gladbeck
Neues Rathaus
Willy-Brandt-Platz 2
45964 Gladbeck
Tel.: 02043/ 99-2700 oder 02043/ 99-2028 (Historisches Archiv)
02043/ 99-2545 (Bauakteneinsichten)
Fax: 02043/ 99-1417
stadtarchiv@stadt-gladbeck.de

Quelle: Stadt Gladbeck, Pressemitteilung, 12.4.2021

Braumeister Böhme gegen die Gemeinde Laatzen

Der Archivfund im April 2021 des Stadtarchivs Laatzen kann mit der Überschrift „Das Leiden der Pfanne“ überschrieben werden. Im vorgestellten Schriftstück dreht sich alles um die Auseinandersetzung des Braumeisters Böhme mit der Gemeinde Laatzen. Streitstück ist eine kaputte Braupfanne.

Abb.: Rechnung des Braumeisters Böhme an die Gemeinde Laatzen wegen beschädigter Braupfanne (Stadtarchiv Laatzen)

Bei der kaputten Pfanne handelte es sich um eine sogenannte Braupfanne – regional unterschiedlich auch Würzepfanne, Sudpfanne, Braukessel oder Sudkessel genannt. Diese technische Anlage spielte beim Prozess des Bierbrauens eine elementare Rolle. Mit einer undichten Braupfanne ging ein Verlust des Bieres einher. Der Laatzener Braumeister Böhme wandte sich erstmals 1822 mit der Bitte an die Gemeinde Laatzen, die undichte Braupfanne zu reparieren. Der zwischen dem Braumeister und der Gemeinde geschlossene Vertrag verpflichtete Letztere dazu, die Braupfanne stets im einwandfreien Zustand zu erhalten und die erforderlichen Reparaturen aus ihren Mitteln zu bezahlen.

Leider schweigt das Schriftstück zu der offensichtlichen Frage, wieso die Reparatur der Braupfanne in der Verantwortung der Gemeinde Laatzen lag. Eine mögliche Antwort erschließt sich bei einem kurzen Exkurs in die Geschichte des Bieres: Im Frühmittelalter gehörte das Braurecht zu den Vorrechten der Grund- oder Landesherrschaft. Seit dem Hochmittelalter (Anfang/Mitte des 11. Jahrhunderts) ging das Braurecht größtenteils auf die Städte und Dörfer über. In den folgenden Jahrhunderten wurden fast überall Produktions- und Verkaufssteuern auf Bier erhoben. Aufgrund des hohen Bierkonsums war die „Biersteuer“ für den städtischen Fiskus äußert lukrativ. Der Bierkonsum war auch deshalb Anfang des 19. Jahrhunderts sehr hoch, da Bier zu den wichtigsten Getränken überhaupt gehörte und oftmals das damals noch unsaubere Wasser in den Städten und Dörfern ersetzte.

Als Gegenleistung für die an sie abgeführte „Biersteuer“ war die Gemeinde Laatzen möglicherweise dafür verantwortlich, dass die technischen Anlagen, die dem Bierbrauer sein Handwerk ermöglichten, instandgehalten und wenn nötig repariert wurden. Dem hier vorgestellten Schreiben vom 12. Mai 1829 ist zu entnehmen, dass sich die Gemeinde Laatzen erst nach mehrmaligen Aufforderungen – und selbst dann wohl mehr schlecht als recht – um die Reparatur der Braupfanne kümmerte.

„Aller dieser Reparaturen ohnerachtet war dem Übel, ‚das Leiden der Pfanne‘, nicht abgeholfen und dauerte unaufhörlich bis in diesem Jahre 1829 fort, wo es sich denn endlich die Gemeinde angelegen seyn ließ, die Pfanne einer Hauptreparatur zu unterziehen“

Ein Teil des Bieres ging nach wie vor verloren. Erst 1829 – acht Jahre und einige weitere erfolglose Reparaturen später – ließ die Gemeinde Laatzen die Braupfanne in Hannover von einem Kupferschmiedemeister reparieren. Braumeister Böhme stellte der Gemeinde Laatzen den Verlust durch die undichte Braupfanne in Rechnung – auf den Kosten wollte er schließlich nicht sitzen bleiben. In der Rechnung wird der jährliche Schaden durch den Verlust des Bieres aufgeschlüsselt. Unterm Strich verlangt der Braumeister von der Gemeinde 170 Reichstaler als Entschädigung, wobei er, wie er gegen Ende seines Schreibens angibt, auch noch mehr hätte verlangen können. Wer möchte, kann den ausführlichen Wortlaut der Rechnung auch als Transkription lesen.

Die Auswahl dieses Schriftstücks als „Archivale des Monats“ begründet Stadtarchivar Manuel Schwanse damit, dass „nicht nur historisch bedeutsame, sondern auch kuriose Schriftstücke aus den Beständen des Stadtarchivs Laatzen präsentiert werden sollen.“ „Der vorliegende Bericht des Hannoveraner Braumeisters Böhme über beschädigte Braupfannen und seine Auseinandersetzung mit der Gemeinde Laatzen mutet aus heutiger Sicht recht kurios an, etwa, wenn Böhme vom dem „Leiden der Pfanne“ schreibt. Gleichzeitig gibt uns der Archivfund einen Einblick in die Herausforderungen, mit denen ein Braumeister aus der Region vor nun knapp 200 Jahren zu kämpfen hatte“, so Manuel Schwanse weiter.

Kontakt:
Stadtarchiv Laatzen
Manuel Schwanse
Gutenbergstraße 15
30880 Laatzen OT Laatzen-Mitte
Tel.: 0511 / 8205-1015
manuel.schwanse@laatzen.de

Quelle: Ilka Hanenkamp-Ley, Stadt Laatzen, Pressemeldung, 31.03.2021; Stadtarchiv Laatzen, Archivale des Monats, Archivfund April 2021

Schülerpreis für ostfriesische Kultur und Geschichte 2021

Der Geschichtswettbewerb „Schülerpreis für ostfriesische Kultur und Geschichte“ geht in eine neue Runde. Die Ostfriesische Landschaft und das Niedersächsische Landesarchiv – Abteilung Aurich schreiben den Schülerpreis erneut aus.


Abb.: Plakat zum Schülerpreis (NLA-Abteilung Aurich, Ostfriesische Landschaft)

Nachdem im Jahr 2020 mit 27 Einsendungen fast ein Höchstwert bei den Bewerbungen verzeichnet werden konnte, wird auch im Jahr 2021 – inzwischen zum 12. Mal – ein Schülerpreis für ostfriesische Kultur und Geschichte vergeben.

Die Erforschung und die Darstellung der lokalen und regionalen Kultur und Geschichte haben in Ostfriesland immer schon ein breites Interesse gefunden und Ergebnisse von hohem Rang erbracht. Daran waren und sind neben den Fachwissenschaftlern immer auch eine große Zahl von Laien aus allen Berufen und Schichten beteiligt. Auch in den Schulen sind regionale und lokale Themen aus Kultur und Geschichte immer wieder Gegenstand von Unterrichtsprojekten und Fach- und Hausarbeiten.

Die Erforschung der ostfriesischen Kultur und Geschichte, ihre vermehrte Kenntnis und das vertiefte Verstehen tragen wesentlich bei zur Ausbildung der kulturellen Identität in der Region und zur bewussten Erhaltung der Vielfalt örtlicher und regionaler Traditionen. Dadurch wird insbesondere auch die junge Generation besser in die Lage versetzt, größere historische Zusammenhänge zu verstehen und zugleich die Verhältnisse vor Ort angemessen einzuordnen, Toleranz zu lernen und sowohl die eigene als auch die Heimat anderer stärker zu achten.

Mit dem „Schülerpreis für ostfriesische Kultur und Geschichte“ sollen herausragende Arbeiten von Schülerinnen und Schülern zu Themen der ostfriesischen Geschichte und Kulturgeschichte ausgezeichnet werden. Die sich mit diesen Themen beschäftigenden Schülerinnen und Schüler sollen auf diese Weise öffentliche Anerkennung für besondere Leistungen erhalten können.

Es können Arbeiten eingereicht werden, die im Rahmen der schulischen Beschäftigung in der gymnasialen Oberstufe mit ostfriesischer Kultur und Regionalgeschichte z. B. aus den Fächern Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Politik, Religion etc. entstanden sind, die einen Beitrag zur Erforschung der Kultur und Geschichte Ostfrieslands liefern und sich durch einen wissenschaftspropädeutischen Ansatz und Eigenständigkeit auszeichnen. Die Arbeiten müssen die individuelle Leistung erkennen lassen. Eine Veröffentlichung der ausgezeichneten Arbeit im Internet durch die Ostfriesische Landschaft ist vorgesehen.

Die eingereichten Arbeiten müssen im schulischen Rahmen mindestens mit der Note „gut“ bewertet sein oder von Lehrerinnen und Lehrern empfohlen werden. Der Vorschlag ist sowohl digital als eine einzige Datei (PDF) und in Druckform sowie in Verbindung mit der Angabe der Postadresse und der E-Mail-Adresse des Bewerbers einzureichen.

Über die Bewerbungen und Vorschläge entscheidet eine Jury unter Vorsitz des Direktors der Ostfriesischen Landschaft unter Beteiligung von zwei Wissenschaftlern der Ostfriesischen Landschaft, dem Leiter des Staatsarchivs in Aurich, Dr. Michael Hermann, und drei weiteren, vom Wissenschaftsausschuss der Landschaft zu bestimmenden Pädagogen aus Ostfriesland.

Der „Schülerpreis für ostfriesische Geschichte“ ist mit 500 € dotiert. Der Preis kann geteilt werden. Die Preisverleihung erfolgt im Dezember 2021. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen, eine Rechtspflicht zur Verleihung besteht nicht. Vorschläge für geeignete Preisträgerinnen und Preisträger werden angenommen bis zum 30. September 2021. Einzureichen sind die Vorschläge bei der Ostfriesischen Landschaft.

Für Rückfragen stehen zur Verfügung:
Dr. Paul Weßels, Landschaftsbibliothek Aurich, Ostfriesische Landschaft (Wessels@ostfriesischelandschaft.de; Tel. 04941-179939),
Dr. Michael Hermann, Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Aurich (Michael.Hermann@nla.niedersachsen.de; Tel. 04941-176660).

Kontakt:
Ostfriesische Landschaft
– Körperschaft des öffentlichen Rechts –
Georgswall 1-5
26603 Aurich
Tel.: 04941 / 1799-0
Fax: 04941 / 799-70
ol@ostfriesischelandschaft.de

Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Aurich
Oldersumer Straße 50
26603 Aurich
Tel.: 04941 / 176 660
Fax: 04941 / 176 673
Aurich@nla.niedersachsen.de

Quelle: Ostfriesische Landschaft, Schülerpreis für ostfriesische Kultur und Geschichte 2021; Niedersächsisches Landesarchiv, Neuigkeiten 2021

Das Hoheitszeichen des großherzoglich mecklenburg-schwerinschen Konsulates in Bremen

„Auf einem Schild mittlerer Größe gemahlt“. – 100 Kilo Stahl, verteilt auf 970 x 760 x 4 mm, entsprechen nicht unbedingt landläufigen Vorstellungen von einer Archivalie. Seit 1914 gehört dennoch genau so ein Stück zu den Beständen des Landeshauptarchivs Schwerin. Es handelt sich mitnichten um eine bloße Stahlplatte, sondern vielmehr um das Behördenschild des mecklenburg-schwerinschen Konsulates in Bremen, wie das aufgetragene Wappen und die Umschrift unschwer erkennen lassen.


Abb.: Wappenschild des Konsulates des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin in Bremen, ca. 1883-1913 (Landeshauptarchiv Schwerin, 5.12-2/5, Nr. 41)

Wie aber wurde das großherzogliche Hoheitszeichen aus der Hansestadt zur Schweriner Archivalie?
Im 18. Jahrhundert begann Mecklenburg-Schwerin an Plätzen, die aus unterschiedlichen Gründen für das Herzogtum wichtig waren, diplomatisch-konsularische Agenturen zu etablieren: Amsterdam, Antwerpen, Kopenhagen, St. Petersburg, Wien, Berlin, Leipzig, Hamburg, Lübeck, Bremen. Ein wenig scheint es, als sollte hier Präsenz ohne kostspielige ständige Gesandtschaften gezeigt werden. Mit Konstanz wussten diese punktuellen Vertretungen oft nicht aufzuwarten, nach dem „Aus“ eines Repräsentanten blieben sie Jahre unbesetzt oder gingen gänzlich ein.

Das änderte sich im 19. Jahrhundert, als sich sukzessive ein Netz mecklenburgischer Konsulate konstituierte bzw. mehr und mehr verdichtete. Als die auswärtigen Beziehungen der deutschen Einzelstaaten 1867/68 auf den Norddeutschen Bund übergingen, unterhielt Mecklenburg-Schwerin fast 140 konsularische Vertretungen in aller Welt.

Die stetige konsularische Repräsentanz des Großherzogtums in Bremen begann, nachdem der von 1774 bis 1811 amtierende Konsularagent August Gottlieb Eckenbrecher keinen Nachfolger fand, im Jahr 1835. Zu diesem Zeitpunkt ließen sich an der Weser 14 außerdeutsche Staaten sowie vier Mitglieder des Deutschen Bundes konsularisch vertreten: Hannover, Kurhessen, Preußen, Sachsen. 1835 eröffneten hier außerdem noch Argentinien und Bayern Konsulate.

Die Kaufmannschaften in Rostock und Wismar, deren Schiffsführer in erster Linie Nutznießer des Konsulates in Bremen sein sollten, standen der Behörde eher ablehnend gegenüber. Sie hielten sie für weitgehend überflüssig und fürchteten – im Übrigen grundlos – mit der Einrichtung verbundene Kosten in Form von verpflichtenden Gebühren und Abgaben.

Treibende Kraft war 1835 der Bremer Rentier Ernst Christian Ludwig Gruner, der seinen Wohlstand als Kaufmann und Teilhaber eines Handlungshauses auf St. Thomas in Dänisch-Westindien erworben hatte und weiterhin mehrte. Nachdem er Anfang 1857 verstarb, folgte ihm im Lauf des Jahres Carl Tewes im Amt. Der zu den Gründerkreisen der Bremer Bank und des Norddeutschen Lloyd zählende Kaufmann, der sich intensiv für die Dampfschifffahrt auf der Oberweser engagierte, war Teilhaber einer der erfolgreichsten und kapitalstärksten Bremer Firmen im Nordatlantikhandel.

Nach seinem Ableben Anfang 1875 schien, zumal das Deutsche Kaiserreich die Außenvertretung der Einzelstaaten übernommen hatte, die großherzogliche Repräsentanz in Bremen erledigt. Allerdings unterhielten Schwerin und Bremen keine auswärtigen Beziehungen im eigentlichen Sinne, so dass 1877 ein gewisser Adolf Friesland seine Dienste als Konsul erfolgreich in Schwerin anbot. Er war Teilhaber der größten Bremer Petroleum-Raffinerie bzw. Mineralölfabrik August Korff und zudem Schwiegersohn des Firmenpatriarchen.
Als Adolf Friesland sechs Jahre später mit nicht einmal 40 Jahren starb, fand sich mit dem Lloyds-Repräsentanten Hermann Vietsch schnell ein Nachfolger, der erst Anfang 1914 durch Tod aus dem Amt schied. Danach ließ Mecklenburg, nicht zuletzt aufgrund der geringfügigen Konsulatsgeschäfte, die dritte seiner neben Königsberg und Hamburg noch bestehenden Außenvertretungen eingehen.

Deren Geschichte endete allerdings erst einige Wochen später, als die amtlichen Insignien und Hinterlassenschaften in Schwerin eintrafen. Das Außenministerium erhielt zwei Siegel, einen Stempel, das Konsulatspatent, Instruktionen, eingegangene Post, das Notariatsregister des Konsulats sowie per Bahnpost das Konsulats-Schild und eine mecklenburgische Flagge. Es reichte die Sendung mit Ausnahme der Flagge, die nach ihrer den aktuellen Vorschriften entsprechenden Herrichtung zunächst in Verwahrung genommen und fast zwei Jahre später dem Amt Schwerin zum Gebrauch übergeben wurde, an das damalige Geheime und Hauptarchiv Schwerin weiter.

Der Gebrauch von Flagge, Uniform und Wappen war ein Recht, aber keine Pflicht des Konsuls. Das Konsulatswappen, „auf einem Schilde mittlerer Größe gemahlt“, hatte „einzig und allein die Bequemlichkeit der Mecklenburgischen Schiffs-Capitains“ zum Zweck. In Bremen nun „mißfielen“, so Bürgermeister Christian Abraham Heineken in seiner „Geschichte der Freien Hansestadt Bremen“ aus dem Jahr 1812, „die reichgestickten Konsulatsuniformen“ und „großen Wappenschilder über den Haustüren“ von auswärtigen Konsuln „dem Gleichheit liebenden Bürger“. Entweder war das Hermann Vietsch entgangen, oder die Zeiten hatten sich Anfang der 1880er Jahre geändert: Von den vier mecklenburgischen Konsuln in Bremen wies einzig sein Nachlassinventar ein Wappenschild aus, so dass offenbar nur er dieses Hoheitszeichen führte. Die gegenüber dem Muster recht laienhafte Umsetzung verleiht dieser singulären Archivalie eine hohe Authentizität.

Abb.: Muster für das von den mecklenburg-schwerinschen Konsulaten zu gebrauchende Wappenschild (LHAS, 5.12-2/5, Nr. 2)

Kontakt:
Landeshauptarchiv Schwerin
Graf-Schack-Allee 2
19053 Schwerin
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Quelle: Dr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin, Archivalie April 2021

Neuzugänge und drei Container Kassanda in Ahaus

Das Stadtarchiv Ahaus konnte kürzlich einige neue „Schmuckstücke“ in seine Bestände aufnehmen. Hierunter befindet sich beispielsweise eine Aktie der heute nahezu gänzlich aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwundenen Ahaus-Enscheder Eisenbahn (AEE).

Abb.: Aktie der Ahaus-Enscheder Eisenbahn-Gesellschaft über 400 DM, hier: vom Juli 1951. Von Auktionshaus Vladimir Gutowski – http://www.gutowski.de/Katalog-54/Katalogbilder/53.jpg, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=50638026

Die Ahaus-Enscheder Eisenbahngesellschaft war 1898 gegründet worden und betreute einen 20,6 km langen Streckenabschnitt zwischen Ahaus und Enschede. Der auf niederländischem Gebiet liegende, sieben Kilometer lange, Teilabschnitt der Strecke wurde bereits 1928 verstaatlicht. Somit verblieb der Gesellschaft ein 13 km langer Abschnitt von Ahaus bis zur Grenze. 1966 stellte man den Personenverkehr auf der Strecke komplett ein. Daraufhin verkaufte die Gesellschaft ihre eigene Diesellok 1967 und übergab die Betriebsführung an die Bentheimer Eisenbahn. Die Zugförderung erfolgte fortan durch die Bundesbahn. Im Jahre 1988, aus welchem auch die Aktie datiert, wurde der Bahnbetrieb gänzlich aufgegeben. 1994 wurde die Gesellschaft verkauft und umbenannt in AEE Lebensmittel AG. Der Geschäftszweck änderte sich hin zur Vermögensverwaltung in einer Holding im Bereich Süßwarenindustrie, Verarbeitung von Lebensmitteln und Vermarktung von Frischfisch. 1998 wurde dann auch der Sitz nach Bonn verlegt und 2000 von dort nach Karlsruhe. 2001 erfolgte die Umfirmierung in AEE AG.

Zu den weiteren Zugängen im Stadtarchiv gehört eine Nachbildung eines Kupferstichs Ottensteins, ebenfalls auf einer Kupferplatte, erwerben. Es handelt sich um die Abbildung des „Fürstlich Braunschweig Lüneburgischen Ambthauß Ottenstein“ von Conrad Buno aus dem 17. Jahrhundert. Vom Amateurfilmclub Ahaus konnte das Stadtarchiv einen Film über die Nachtwächterführungen in der Stadt erhalten. Dieser und auch bisherige Filme wurden dem Stadtarchiv Ahaus auch als originäre Digitalisate überlassen, besonders auch vor dem Hintergrund des bevorstehenden Projekts der Einrichtung eines elektronischen Langzeitarchivs für die Stadt Ahaus, welches der Stadtarchivar Max Pfeiffer anstrebt.

Ein weiterer Höhepunkt der vergangenen Wochen war die große Aufräumaktion in den Altregistraturen der Stadtverwaltung. Hier staunten Max Pfeiffer und Kollegin Christa Neite nicht schlecht, als sie nach einiger Vorsortierung am  Ende doch ganze drei Container voller Altakten zusammenbrachten, deren Aufbewahrungsfristen abgelaufen waren und die nicht archivwürdig waren. Diese Aktion brachte auf jeden Fall wieder einiges an Platz im Rathauskeller ein und war auch eine willkommene Abwechslung zum Büroalltag. „Nur unter großer Mithilfe der Kolleginnen und Kollegen konnten wir die Aussonderung der Altakten angehen, dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten nochmals herzlich bedanken“, freute sich Max Pfeiffer nach Beendigung der Aktion.

Abb.: Der Ahauser Archivar Max Pfeiffer vor einem Container mit Alt-Akten (Foto: Stadt Ahaus)

Neu für ihn nach nur einem halben Jahr im Rathaus ist auch der nun bereits begonnene Blick über den Tellerrand nach Gescher. Die Städte Ahaus und Gescher hatten eine Vereinbarung geschlossen, dass der Ahauser Stadtarchivar die Stadt Gescher vorübergehend archivfachlich berät, solange die dortige Stelle im Stadtarchiv vakant ist. Nach ersten Terminen in Gescher sieht Pfeiffer durchaus die Möglichkeit einer produktiven Zusammenarbeit, da das dortige Kollegium der Zusammenarbeit sehr offen und freundlich entgegensieht, wenngleich ausdrücklich klargestellt wurde, dass die Belange der Stadt Ahaus für den Archivar auch weiterhin Vorrang haben werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Ahaus
Max Pfeiffer
Rathausplatz 1
48683 Ahaus
Tel.: 02561 – 72328
m.pfeiffer@ahaus.de

Quelle: Stadt Ahaus, Pressemitteilung, 1.4.2021

Aschaffenburger Archiv erhält Fördermittel aus dem Programm »WissensWandel«

Über eine Projektförderung in Höhe von 65.000 Euro kann sich das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg freuen. Im Rahmen des Ende 2020 ausgeschriebenen Digitalprogramms für Bibliotheken und Archive steht bis Ende des Jahres diese Summe an Fördermitteln zur Verfügung, die in den Ausbau des digitalen Stadtlabors „Aschaffenburg 2.0“ bzw. des Digitalladens am Roßmarkt 11 fließen soll.


Abb.: Neues Schaufenster des Digitalladens (Foto: Helena Knuf)

Der Digitalladen soll im Rahmen des Projekts zu einer „analog-digitalen Schnittstelle der Stadtkultur“, das heißt als präsenter und barrierefreier Ort der Stadtkultur und Stadtgeschichte erweitert werden. Der für das Archiv zuständige Referent, Bürgermeister Eric Leiderer, weist dabei darauf hin, „dass sich durch den Roßmarkt 11 das digitale Angebot des Stadtlabors prinzipiell auch an Bürger*innen richtet, die bislang wenig Zugang zu digitalen Angeboten und digitaler Bildung haben. Auch ältere Menschen werden zur Partizipation eingeladen – und gerade sie sind es, die für das „digitale Gedächtnis“ wichtige Impulse liefern können.“

Die Fördermittel für das Projekt („Aschaffenburg 4.0. Eine analog-digitale Schnittstelle der Stadtkultur“) stammen aus dem Corona-Hilfsprogramm „NEUSTART KULTUR“ der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Zum Einsatz kommen dabei neben Honoraren, Sach- und Anschaffungskosten auch Personalmittel, die für das Feld der digitalen Kulturvermittlung vorgesehen sind.

Archivleiter Dr. Joachim Kemper unterstreicht: „Das Archiv versteht sich dezidiert als ‚offenes Archiv‘, sieht sich aber auch grundsätzlich als einer der Motoren für die digitale und kulturelle Entwicklung der Stadtgesellschaft. Der Zuspruch für das Projekt durch die Jury von „WissensWandel“ zeigt uns, dass wir mit dem Konzept des partizipativen Stadtlabors „Aschaffenburg 2.0“ richtigliegen, was erst recht für den Laden am Roßmarkt 11 gilt. Die Projektförderung hilft uns, diesen zu etablieren, mit dem mittelfristigen Ziel einer Verstetigung.“

Links:

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Dr. Joachim Kemper
Tel.: 06021 456105-0
stadtarchiv@aschaffenburg.de

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 10.4.2021

»Herder-Stipendium« der Stadt Bückeburg ausgeschrieben

Die Stadt Bückeburg stiftet einen Herder-Preis für eine wissenschaftliche Nachwuchsarbeit (Dissertation) sowie ein Stipendium für ein Dissertationsprojekt, das einen wesentlichen Beitrag für die Vermittlung und Aktualisierung von Herders Werk, insbesondere seiner Arbeiten der Bückeburger Zeit, leistet.


Abb.: „Herder-Stipendium“ der Stadt Bückeburg (Bild: Stadt Bückeburg)

Die Dissertation wird mit 2.500 Euro prämiert. Das Stipendium, mit dem ein Aufenthalt im Niedersächsischen Landesarchiv in Bückeburg unterstützt werden soll, beläuft sich auf 1.500 Euro. Die Preisvergabe soll am 16. September 2021 in der Stadtkirche Bückeburg stattfinden. Der Preis wird unterstützt von der Volksbank in Schaumburg eG und der Schaumburg-Lippischen Landeskirche.

Anlass des Preises
Als der Kosmopolit Johann Gottfried Herder (1744-1803) im April 1771 nach Bückeburg kommt, beginnt eine – im Vergleich zu seiner späteren Zeit in Weimar – zwar kurze, aber überaus produktive und für die Entwicklung seines Werkes ebenso grundlegende wie folgenreiche Zeit. Denn in den fünf Bückeburger Jahren, die literaturhistorisch der Bewegung des Sturm und Drang korrespondieren, formen sich die zentralen Ansichten von Herders umfassendem und ganzheitlich-integrativem Interesse an Welt, Kultur und Geschichte.

1772 erscheint seine Preisschrift „Über den Ursprung der menschlichen Sprache“. Sie bietet einen anthropologisch bestimmten sprachphilosophischen Neuansatz. In seinen berühmten Abhandlungen über Ossian, Shakespeare und über das Volkslied entwirft Herder ein neues, emphatisches Modell von (Welt-)Literatur. Die Konzeption der 1778 erscheinenden Schriften zur Plastik und „Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele“ entwickeln dies weiter zu einer leiborientierten Einfühlungsästhetik und integrativen Wahrnehmungstheorie. Einen Höhepunkt bildet schließlich auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit (1774), in der Herder die aufgeklärt humanistische Idee profiliert, dass jede einzelne Kultur aus sich und ihrer Geschichte heraus, zu verstehen ist.

Wie keinem anderen gelingt Herder damit vor 250 Jahren die Grundlegung einer umfassenden Synthese von Anthropologie, Theologie, Kunst, Literatur und Geschichtstheorie. Auf diesen Grundlagen werden sowohl die Klassiker Goethe und Schiller, als auch die Romantiker und nicht zuletzt Friedrich Hölderlin am Ende des 18. Jahrhunderts aufbauen.

Mit dem Herder-Preis der Stadt Bückeburg wird 2021 eine zentrale Figur der europäischen Aufklärung geehrt. Herder hat ein ganzheitliches Kulturkonzept entworfen, das die Ideen von Bildung in ihrem zugleich anthropologischen, geschichtlichen und ästhetischen Zusammenhang wirksam sieht. Die Aktualität dieses umfassenden Anspruchs soll durch die Preisvergabe deutlich werden.

Bewerbungen können bis zum 30. Juni 2021 in Form einer einzigen pdf- oder ggf. Zip-Datei an JHarmening@bueckeburg.de vom Kulturverein Bückeburg gerichtet werden. Inhaltliche Rückfragen können an Lothar.van.Laak@uni-paderborn.de gerichtet werden. Prof. Dr. Lothar van Laak unterrichtet an der Uni Paderborn am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Uni Paderborn, Neuere deutsche Literatur. Für weitere Informationen steht vor allem der Kulturverein Bückeburg zur Verfügung.

Kontakt:
Niedersächsisches Landesarchiv – Abteilung Bückeburg
Schloßplatz 2
31675 Bückeburg
Tel.: 05722 / 9677-30
Fax: 05722 / 9677-31
Bueckeburg@nla.niedersachsen.de

Kulturverein Bückeburg e. V.
Lange Straße 45
31675 Bückeburg
Tel. 05722 3610
kulturverein@bueckeburg.de

Quelle: Niedersächsisches Landesarchiv, Neuigkeiten 2021

Der »Bochumer Anzeiger« vom 10. April 1945

Der Bochumer Anzeiger gehört zu den bekanntesten Zeitungen, die bis 1945 in Bochum erschienen sind. Die WAZ kaufte in der Nachkriegszeit die Rechte an dem Titel und gab ihrer Bochumer Lokalausgabe diesen Namen, so dass dieser Zeitungsname den Bochumern bis heute ein Begriff ist.


Abb.: Titelblatt des Bochumer Anzeigers vom 10.4.1945 (Quelle: Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte)

Während der NS-Herrschaft erschienen in Bochum neben der NSDAP-Zeitung „Westfälische Landeszeitung – Rote Erde“, die „Westfälische Volkszeitung“ der Zentrumspartei sowie der nationalkonservative, parteiungebundene „Bochumer Anzeiger“. Die Westfälische Volkszeitung stellte zum 31. Mai 1941 wegen Papiermangels ihren Betrieb ein. Ausgaben der Roten Erde sind bis zum 11. März 1945 nachweisbar, allerdings ab dem Oktober 1944 nur sehr lückenhaft vorhanden.

Deshalb war es ein außerordentlicher Glücksfall, dass dem Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte Ausgaben des Bochumer Anzeigers aus den Jahren 1944 und 1945 angeboten wurden. Noch besser: die Ausgaben waren quasi druckfrisch in einem ungelesenen Zustand und ohne Lücken.

Die letzte Ausgabe erschien zum 10.April 1945, dem Tag des Einmarsches der amerikanischen Streitkräfte in Bochum. Unglaublich, ist, dass dort noch Inserate abgedruckt wurden.


Abb.: Inserate im Bochumer Anzeiger vom 10.4.1945 (Quelle: Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte)

Kontakt:
Stadtarchiv – Bochumer Zentrum für Stadtgeschichte
Wittener Straße 47
44789 Bochum
Tel.: 0234 / 9109501
Fax: 0234 / 9109504
stadtarchiv@bochum.de

Quelle: Schaufenster Stadtgeschichte, Archivale des Monats April 2021