Ausgrenzung und Diskriminierung der Verdener Juden seit 1933

Wanderausstellung des Stadtarchivs Verden.

„Sara sei dein Name!“ – Ausgrenzung und Diskriminierung der Verdener Juden heißt die neue Wanderausstellung, die das Stadtarchiv Verden gemeinsam mit dem Weser-Aller-Bündnis: Engagiert für Demokratie und Zivilcourage (WABE e.V.) entwickelt und mit Unterstützung des Präventionsrats Verden e.V. umgesetzt hat.


Abb.: Wanderausstellung „Sara sei dein Name!“ (Stadtarchiv Verden)

Auch in der Stadt Verden wurden in der Zeit des Nationalsozialismus körperlich und geistig Behinderte, Sinti und Roma sowie Homosexuelle aus dem öffentlichen Leben verbannt, beraubt und gedemütigt. Eine Gruppe stand dabei besonders im Fokus der Nationalsozialisten – die Juden. Ausgrenzung und Diskriminierung gipfelten im Holocaust.

In der Ausstellung wird thematisiert, wie die Nationalsozialisten die Juden mit Hilfe des staatlichen Verwaltungsapparates seit 1933 zuerst systematisch diskriminiert und sie schließlich gezielt aus der Gesellschaft ausgegrenzt haben. Historische Originaldokumente aus den Beständen des Stadtarchivs Verden zeigen die Auswirkungen des staatlichen Handelns auf die in Verden ansässigen Juden.

Neben den historischen Ereignissen werden zudem Bezüge zu aktuellen Formen von Ausgrenzung und Diskriminierung hergestellt und am konkreten Beispiel des heutigen Antisemitismus illustriert.

Die Ausstellung besteht aus zehn Roll-Ups (je 85 x 220 cm) und kann beim Stadtarchiv Verden ausgeliehen werden.

Dem Verdener Stadtarchiv kann man mittlerweile auch auf Instagram folgen. Dort informiert das Archiv einerseits über Neuzugänge und Neuerungen im Stadtarchiv, andererseits sollen aber auch verborgene Winkel der Allerstadt entdeckt und berühmte (oder auch berüchtigte) Verdener*innen vorgestellt werden. Auch an all die großen und kleinen Jubiläen und Gedenk- und Feiertage soll erinnert werden. Im ‚Verdener Allerlei‘ blickt das Stadtarchiv in die Zeitungen des 19. und 20. Jahrhunderts, die Interessantes und von vielen Vergessenes zu berichten haben.

Kontakt:
Stadtarchiv Verden
Rathaus Große Straße
Große Straße 40
27283 Verden (Aller)
Tel.: 04231-12230
stadtarchiv@verden.de
www.verden.de/stadtarchiv
https://www.instagram.com/stadtarchiv.verden/

Quelle: Stadt Verden, Aktuelles aus dem Stadtarchiv, 10.2.2021, 21.4.2021; Verdener Nachrichten, 1.5.2021

Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm

Das Filmarchiv des DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum in Frankfurt/Main bewahrt bedeutsame Sammlungen zu unterschiedlichen thematischen Aspekten der Filmgeschichte und Filmproduktion auf. Unter den rund 20.000 Filmwerken des Archivs finden sich Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme, aber auch Amateur- und Experimentalfilme. Eine Sammlung von Amateurfilmen des Erfinders und Filmpioniers Julius Neubronner (1852-1932) aus den Jahren 1900 bis 1918 ist mittlerweile auch in der Deutsche Digitalen Bibliothek verfügbar.


Abb.: Spektakuläre Ereignisse: „Gordon-Bennett-Autorennen (17.6.1904)“, DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum (Public Domain Mark 1.0)

Die Sammlung wurde 1991 von Julius Neubronners Sohn Carl Neubronner (1896-1997) an das Filmarchiv des DFF übergeben. Die insgesamt 66 Videos stammen aus der hochauflösenden Digitalisierung und Restaurierung des DFF, die 2018 von der Staatsministerin für Kultur und Medien (BKM) gefördert wurde; sie sind allesamt Public Domain.

Inhaltlich unterscheiden sich Neubronners Filme kaum von denen der Brüder Lumière oder des Meisters der frühen Tricktechnik, Georges Méliès. Genau wie Neubronner dokumentierten die Lumières zunächst Straßenszenen, besondere Ereignisse und ihren familiären Alltag. Wie auch Georges Méliès setzt Julius Neubronner für seine Sketche und Zaubertricks den Stopptrick ein. Hierbei wird eine Einstellung aufgezeichnet, zum Beispiel Neubronner, wie er mit großen Gesten einen Zauberstab schwingt. Im zweiten Schritt wird die Kamera angehalten und das Bild verändert – beispielsweise platziert man einen Zylinder auf einem Beistelltisch. Danach wird die Kamera wieder angeschaltet und im fertigen Film entsteht der Eindruck, der Zylinder sei aus dem Nichts erschienen.


Abb.: Der Stopptrick in Aktion – hier wird Wasser in Tauben verwandelt, und Zylinder erscheinen aus dem Nichts: „Julius Neubronner zaubert“ (1904), DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum (Public Domain Mark 1.0)

1908 patentiert Neubronner die Brieftaubenfotografie. Hierfür werden Brieftauben mit kleinen Fotokameras ausgestattet, was Luftaufnahmen ermöglicht. So obskur die Idee heute erscheinen mag, liefert sie Anfang des 20. Jahrhunderts spektakuläre Bilder und erregt über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit.

Der vollständige Beitrag von Theresa Rodewald „Neue Sammlungen: Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm“ findet sich in der DDB.

 

Kontakt:
DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum e.V.
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt am Main
+49 69 961 220 – 0
info@dff.film

DFF-Filmarchiv
Thomas Worschech (Leitung)
Tel.: +49 69 961 220 – 581
worschech@dff.film

Quelle: Theresa Rodewald: Neue Sammlungen: Julius Neubronner und der frühe Amateurfilm, in: DDB Journal/Entdecken, 24.3.2021

Der Horst-Wessel-Stein im Teutoburger Wald wird gesprengt (April 1946)

Historischer RückKlick des Stadtarchivs Bielefeld vom April 2021.

Bei dem Historischen RückKlick Bielefeld handelt es sich um ein Angebot von Stadtarchiv und Landesgeschichtlicher Bibliothek Bielefeld. Der aktuelle RückKlick-Beitrag des Bielefelder Archivpädagogen Bernd J. Wagner beschäftigt sich mit dem Horst-Wessel-Stein im Teutoburger Wald.

In der letzten Aprilwoche des Jahres 1946 sprengten britische Pioniere den großen, gut 20 Tonnen schweren Sandsteinblock, der 1933 zum Gedenken an Horst Wessel (1907-1930) westlich des Bismarckturms, den der Volksmund nur unter „Eiserner Anton“ kennt, aufgestellt worden war. Der „Freien Presse“ war dieses Ereignis in ihrer Ausgabe vom 4. Mai 1946 nur zwei Sätze wert. An das 1933 abgegebene Versprechen von Bielefelds damaligem Oberbürgermeister Dr. Paul Prieß (1879-1935), dass „die Stadt das Andenken Horst Wessels alle Zeiten in Ehren halten“ werde, wollte an diesem Tag keiner erinnert werden.


Abb.: Ein riesiger Sandsteinbrocken: Der Horst-Wessel-Stein (1933). (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 72-1-167)

13 Jahre zuvor war Bielefeld der „nationalsozialistischen Feierlaune“ vollends erlegen. Die Stadt gedachte des „verlorenen Sohnes“ Horst Wessel, der am 9. Oktober 1907 in Bielefeld geboren wurde, aber nicht einmal ein Jahr dort wohnte. Sein Vater, Dr. Ludwig Wessel (1878-1922), der Hilfsprediger an der Paulusgemeinde war, nahm 1908 zunächst eine Stelle in Mülheim an und war seit 1913 Pfarrer der Berliner Nikolaigemeinde. 1922 verstarb er in Berlin. Seiner Mutter Margarete, geborene Richter (1881-1970), sollte im „Horst-Wessel-Kult“ eine besondere Rolle zukommen.


Abb.: Die Partei feiert ihren „Helden“. Einweihung des Horst-Wessel-Denkmals am 14. Juni 1939. (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 91-8-3)

Dieser Kult gründete auf den Tod des SA-Mannes Horst Wessel 1930 in Berlin. In einer Zeit blutiger Straßenschlachten zwischen kommunistischen Rotfrontkämpfern und der nationalsozialistischen SA wurde am 14. Januar 1930 auf Wessel geschossen, der am 23. Februar 1930 in einem Berliner Krankenhaus an einer Blutvergiftung starb. Für Kommunisten war Wessel nur ein Zuhälter (Wessel war mit einer Prostituierten liiert), sein Tod nicht mehr als die Folge einer typischen Auseinandersetzung im Rotlichtmilieu. Für Nationalsozialisten war Wessel dagegen ein Märtyrer, der im „Kampf für die Bewegung“ gefallen war.

>> Siehe den gesamten RückKlick-Beitrag „April 1946: Der Horst-Wessel-Stein im Teutoburger Wald wird gesprengt“ hier.

Kontakt:
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld
Postanschrift: 33597 Bielefeld
Lieferanschrift: Kavalleriestr. 17, 33602 Bielefeld
Besuchereingang : Neumarkt 1
Tel.: 0521 51-2471
Fax: 0521 51-6844
stadtarchiv@bielefeld.de
www.stadtarchiv-bielefeld.de

QuelleHistorischer RückKlick Bielefeld, 1.4.2021

200 Jahre Evangelische Landeskirche in Baden

Ausstellung: »Aus der Trennung heraus!«

Das Generallandesarchiv Karlsruhe und der Evangelische Oberkirchenrat zeichnen in ihrer gemeinsamen Ausstellung „Aus der Trennung heraus! 200 Jahre Evangelische Landeskirche in Baden“ anhand vieler bislang unbekannter Exponate die Geschichte der Landeskirche nach. Die Präsentation beleuchtet die Geburtsstunde und wagt einen Blick auf die Zukunft der Christenheit des 21. Jahrhunderts. Die Schau ist vom 20. Mai bis 7. November 2021 zu sehen.

Präambel der Unionsurkunde, 26. Juli 1821 (Generallandesarchiv Karlsruhe)

Es war ein feierlicher Augenblick, als am 26. Juli 1821 die Deputierten der ersten gemeinsamen Generalsynode der beiden evangelischen Kirchen in Baden eigenhändig die Urkunde unterzeichneten, mit der sich Lutheraner und Reformierte zusammenschlossen. Reformierte Traditionen der Kurpfalz und lutherisches Erbe der alten Markgrafschaft und weiterer Regionen Badens fanden Heimat in der neuen Landeskirche, an deren Spitze Großherzog Ludwig I. als Landesherr stand. Im Sommer 1821 ging somit die Hoffnung der beiden Kirchen in Erfüllung, aus der Trennung heraus zu Vereinigung und Einheit zu gelangen, wie es die Präambel der Unionsurkunde formulierte.

Evangelischer Oberkirchenrat und Generallandesarchiv gehen in einer gemeinsamen Ausstellung der Geschichte der evangelischen Kirche in Baden in den letzten beiden Jahrhunderten nach. Wertvolle, oft erstmals gezeigte Exponate laden zum Nachdenken über zentrale Zäsuren der badischen Kirchengeschichte ein. Das prächtige Altarkreuz der Karlsruher Schlosskirche steht für die lange, gemeinsame Geschichte von Thron und Altar.

Publikation:
Bildatlas zur badischen Kirchengeschichte 1800-2021.
Im Auftrag des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Kirche in Baden herausgegeben von Udo Wennemuth in Zusammenarbeit mit Johannes Ehmann, Albert de Lange und Mareike Ritter.
Verlag Regionalkultur, ISBN 978-3-95505-260-7

Info:
Ausstellung vom 20. Mai 2021 bis zum 07. November 2021
im Generallandesarchiv Karlsruhe

Anschrift:
Generallandesarchiv Karlsruhe
Nördliche Hildapromenade 3
76133 Karlsruhe
Telefon: 0721/926-2206
glakarlsruhe@la-bw.de

Öffnungszeiten
Di–Do 8.30 – 17.30 Uhr
Fr 8.30 – 19 Uhr
So 13.00 – 17:30 Uhr
Montags, samstags sowie an Feiertagen geschlossen

Hinweis: Aufgrund der aktuellen Pandemie wird darum gebeten, sich rechtzeitig vor Besuch der Ausstellung und der Begleitveranstaltungen über die gültigen Zugangsregelungen zu informieren.

Eintritt frei

Führungen jeden Sonntag um 16:00 Uhr und jeweils eine Stunde vor einer Veranstaltung sowie nach Vereinbarung.

Begleitveranstaltungen:

Dienstag, 8. Juni 2021, 18:00 Uhr
Prof. Dr. Johann Ehmann, Universität Heidelberg
Kirche im Werden – die badische Union von 1821

Dienstag, 8. Juni 2021, 18:00 Uhr
Dr. Udo Wennemuth, Evangelischer Oberkirchenrat Karlsruhe
Kreuz in Bedrängnis. Die Evangelische Landeskirche in Baden in der Zeit des Nationalsozialismus

Dienstag, 13. Juli 2021, 18:00 Uhr
Ein Zeitzeugengespräch mit Landesbischof i.R. Prof. Dr. Klaus Engelhardt und PD Dr. Hans Georg Ulrichs
Zur gegebenen Zeit

Dienstag, 19. Oktober 2021, 18:00 Uhr
Prof. Dr. André Birmelé, Universität Straßburg
Kirchenunion und Einheit der Kirche

Dienstag, 7. November 2021, 17:00 Uhr
Prof. Dr. Johanna Rahner, Universität Tübingen
Die Kirchenunionen des 19. Jahrhunderts – Pioniere der ökumenischen Bewegung

Die Begleitveranstaltungen finden im Generallandesarchiv statt.

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Aktuelles/Nachrichten, 29.4.2021

Zur rasanten Vergrößerung Dresdens infolge von Eingemeindungswellen

Im Jahre 1921 – vor genau 100 Jahren – dehnte die Stadt Dresden ihre Grenzen aus wie nie zuvor. Von der zweiten großen Eingemeindungswelle nach 1903 waren mehr als 20 vormals eigenständige Orte betroffen. Zwar gab es vorher auch „Einverleibungen“ – so mitunter der Sprachgebrauch – nach Dresden, aber nicht in diesem Ausmaß. Von 1836 bis 1999 wurden insgesamt 65 Landgemeinden, vier Gutsbezirke sowie die Stadt Klotzsche nach Dresden eingemeindet. Es gab vier große Eingemeindungswellen: 1903, 1921, 1950 und nach 1990. Anhand eines Weichbildplans gibt das Stadtarchiv Dresden einen Überblick über die Vergrößerung Dresdens durch die zahlreichen Eingemeindungen.


Abb.: Weichbildplan zur Stadtentwicklung mit den Eingemeindungen von 1549 bis 1945 (Stadtarchiv Dresden, Repro: Stadtarchiv Dresden, 6.4.40.1 Stadtplanungsamt Bildstelle, Nr. XIII3991, 1949)

Die erste Eingemeindung war der Anschluss von Altendresden (Innere Neustadt) im Jahr 1549. Für mehr als zwei Jahrhunderte veränderte sich das Stadtgebiet durch die Anlage von Festungsbauten kaum. Erst mit Schleifung der Bastionen, die die Stadt nach außen schützten, aber gleichzeitig jede Ausdehnung verhinderten, erweiterte sich Dresden in den 1830er Jahren über das so genannte Weichbild. Dies betraf vor allem die Friedrichstadt, die Radeberger Vorstadt, die Antonstadt und die Leipziger Vorstadt.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts nahmen die Eingemeindungsbestrebungen wieder Fahrt auf. Striesen und Strehlen wurden schon 1892 sowie Pieschen, Wilder Mann und Trachenberge 1897 angeschlossen. 1901 folgten Gruna ein Jahr später Räcknitz, Seidnitz und Zschertnitz. Mit der ersten großen Eingemeindungswelle im Jahr 1903 kamen Cotta, Kaditz, Löbtau, Mickten, Naußlitz, Plauen, Trachau, Übigau und Wölfnitz zu Dresden. Nach einer kurzen Unterbrechung waren auch Tolkewitz (1912) und Reick (1913) bereit, sich unter die Haube der sächsischen Hauptstadt zu begeben.

Gemeindegrenzen änderten sich insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Umwälzungen. Häufig gingen Eingemeindungen mit einer dramatischen Entwicklung in Politik und Wirtschaft einher. Einer solchen Krise folgte auch die Eingemeindungswelle von 1921. Der Erste Weltkrieg bescherte der Bevölkerung viele Sorgen und Nöte, und für die Gemeinden waren wirtschaftliche Einbrüche nicht zu verhindern. Mancher Ort wollte sich freiwillig Dresden anschließen, andere wiederum versuchten, die Eingemeindung unter allen Umständen zu vermeiden. Am 1. April 1921 kam es dann zur Massenvermählung von Dresden und den Gemeinden Blasewitz, Briesnitz, Bühlau, Coschütz, Dobritz, Gostritz, Kaitz, Kemnitz, Kleinpestitz, Kleinzschachwitz, Laubegast, Leuben, Leutewitz, Loschwitz, Mockritz, Niedergorbitz, Obergorbitz, Rochwitz, Stetzsch und dem mondänen Weißen Hirsch.

An besagtem Tag wurde vormittags von jeder der betroffenen Gemeinden ein besoldetes Ratsmitglied entsandt, begleitet von mehreren unbesoldeten Ratsleuten mit einem Schriftführer. Nach der „Ordnung für die Übernahmefeiern in den Gemeinden“ übernahm dann Oberbürgermeister Bernhard Blüher in Bühlau, Weißer Hirsch und Rochwitz zwischen 9 und 12 Uhr persönlich die Verwaltungsgeschäfte. Taggleich wurden von anderen Bürgermeistern und Stadträten die Verwaltungsgeschäfte in den nun eingemeindeten Orten übernommen. Blasewitz, Loschwitz und der Weiße Hirsch wehrten sich bis zuletzt gegen die Aufgabe ihrer Selbstständigkeit. Aus der langen Auseinandersetzung gingen die Befürworter siegreich hervor. Am 1. Oktober 1921 bestätigte das Sächsische Ministerium des Inneren die Eingemeindung der drei Orte.

Inzwischen erfasste die Eingemeindungswelle 1921 drei weitere Orte: Ebenfalls zu Dresden kamen am 1. Juni Leubnitz-Neuostra, Prohlis und Torna hinzu. Dreißig Jahre später sollte die nächste Eingemeindungswelle folgen. Aufgrund der vielen Eingemeindungen ist Dresden inzwischen die viertgrößte Großstadt Deutschlands.

Kontakt:
Landeshauptstadt Dresden
Stadtarchiv Dresden
Prof. Thomas Kübler
Amtsleiter / Leitender Archivdirektor
Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
Tel.: 0351 / 4881501
Fax: 0351 / 4881503
TKuebler@Dresden.de

Quelle: Stadtarchiv Dresden, Archivale des Monats April 2021

Meißen erwirbt unbekannte Chronik aus dem 18. Jahrhundert

Mit Unterstützung der Otto-und Emma-Horn-Stiftung gelang der Stadt Meißen der Ankauf einer bedeutenden Meißner Chronik aus dem 18. Jahrhundert. Das seltene Stück stammt von dem bekannten kursächsischen Historiker Johann Conrad Knauth, der im Jahr 1662 in Meißen/Cölln geboren wurde.

Sein Vater, der aus Moritzburg stammende Pfarrer Johann Knauth (1630-1716), wirkte in den Städten Meißen, Dippoldiswalde und Moritzburg. Der ältere Bruder Samuel studierte in Wittenberg und war dort als Bibliothekar tätig. Immatrikuliert wurde Johann Conrad ebenfalls in Wittenberg im Jahr 1678. Der spätere Rektor der Dresdner Kreuzschule erlangte als Historiograph sogar am Hofe der sächsischen Residenzstadt große Bekanntheit.

Das von ihm im frühen 18. Jahrhundert verfasste Werk enthält über 1.000 Seiten. In den insgesamt 8 Kapiteln spiegelt es umfassend hauptsächlich den damaligen Wissensstand zur Stadt Meißen sowie zu den Institutionen, der Albrechtsburg und dem Meißner Dom, dem Hochstift, den Bewohnern und dem Meißner Umland, samt Ländereien, Schlössern, Rittergütern und Kirchdörfern, wider.

Zeit seines Lebens erschuf Knauth eine beachtliche Publikationsliste. Die Sächsische Bibliografie verzeichnet 23 Einträge, enthält die Meißner Chronik aber nicht. An diversen Korrekturen ist erkennbar, dass er offensichtlich über 20 Jahre hinweg an diesem Werk gearbeitet hat. Zu einer Drucklegung ist es allerdings nie gekommen. Vermutlich war die Handschrift zu umfangreich und fand so nach seinem Tod im Jahr 1732 zunächst keine weitere Beachtung.

Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass dieses bedeutsame Werk bis heute erhalten geblieben ist und in ein Antiquariat in der Stadt Hamburg gelangte. Der Inhaber bot die Chronik zunächst der Sächsischen Landesbibliothek an, wo es allerdings nicht zu einem Ankauf kam. Tom Lauerwald vom Stadtarchiv Meißen informierte daraufhin Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) über die einmalige Gelegenheit zum Erwerb der Handschrift. Der Stiftungsverwalter der Otto-und Emma-Horn-Stiftung ermöglichte neue Verhandlungen, so dass es möglich wurde, dieses wertvolle Stück Geschichte für 15.000 Euro für die Stadt Meißen und ihre Bürgerschaft zu erwerben und so künftig auch für nachfolgende Generationen zu erhalten. – Die rund 300 Jahre alte Chronik befindet sich nunmehr, für jeden einsehbar, im Stadtarchiv Meißen.

Kontakt:
Stadtarchiv Meißen
Schulplatz 5
01662 Meißen
Tel.: +49 (0) 3521 467312
Fax: +49 (0) 3521 467287
tom.lauerwald@stadt-meissen.de

Quelle: Stadt Meißen, Aktuelle Meldungen, 23.4.2021; Sächsische Zeitung (saechsische.de), Meißen Lokalnachrichten, 23.4.2021; Dresdner Neueste Nachrichten, 25.4.2021

Beispiel einer Hausgeschichte aus Halle (Saale)

Ein Foto der Großen Ulrichstraße 51 in Halle (Saale).

Als Archivale des Monats April 2021 hat das Stadtarchiv Halle (Saale) ein Foto von der Großen Ulrichstraße 51 ausgewählt, um die wechselvolle Geschichte des dortigen Gebäudes vorzustellen.


Abb.: Große Ulrichstraße 51 (Digitalisat nach einem Glasnegativ von Max Strauch, Stadtarchiv Halle (Saale)

Mit der von Peter Sodann inszenierten musikalischen Revue „Was das für Zeiten waren“ öffnete das Neue Theater am 8. April 1981 erstmals seine Türen. Dem Eckhaus in der Großen Ulrichstraße 51 als Domizil der neuen Spielstätte kam schon zuvor als Stätte der Unterhaltung und Kultur eine große Bedeutung zu.
90 Jahre vorher, im Februar 1891 waren in dem neu errichteten Gebäude die „Kaiser-Säle“ eröffnet worden, die mit mehreren Versammlungsräumen, Konferenzzimmern, Restaurant und Biertunnel bald zu den schönsten Vergnügungslokalen der Region gehörten. Im großen Saal fanden zahlreiche Konzerte, literarische Veranstaltungen und Tagungen vieler Vereine statt. Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges gehörten die „Kaiser-Säle“ zu den Anziehungspunkten des gesellschaftlichen Lebens in Halle. Als C.T.-Lichtspiele wurden sie 1919 neu eröffnet und blieben Jahrzehnte als Kino, seit 1969 als „Theater der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“ bestehen.

1930 entstand die Aufnahme des Gebäudes. Sie gehört zu einem Bestand von Glasnegativen des Fotografen Max Strauch (1885-1931) im Bestand des Stadtarchivs Halle (Saale). Aus Berlin stammend unterhielt er ein Atelier in der Großen Steinstraße 9 und hielt eine Reihe von Straßen, Geschäften, Villen, Kaufhäusern und Fabrikgebäude mit Hilfe einer Plattenkamera fest. Kratzer auf der Glasplatte beeinträchtigen die Bildqualität im oberen Bereich. Dennoch sind die Einzelheiten des Gebäudes gut erkennbar. In den Räumen des heutigen „Cafés nt“ präsentieren in dieser Zeit die Germania-Drogerie des Apothekers Karl Kuhnt und die Zigarrenhandlung Curt Offenhauer ihre Waren. Werbeanzeigen am torartigen Eingang des C.-T.-Kinos kündigen den gerade auf dem Programm stehenden Stummfilm „Die Herrin und ihr Knecht“ mit der Hauptdarstellerin Henny Porten an, der seit Ende Dezember 1929 in den Kinos lief.

Kontakt:
Stadtarchiv Halle (Saale)
Rathausstraße 1
06108 Halle (Saale)
Tel.: 0345 / 221-3300

Postanschrift:
Stadt Halle (Saale)
Stadtarchiv
06100 Halle (Saale)

Quelle: Stadtarchiv Halle (Saale), Archivale des Monats April 2021

Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg 14/2021

Auf insgesamt 184 Seiten bietet die aktuelle Neuerscheinung des Stadt- und Stiftsarchivs AschaffenburgMitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg 14/2021 – wieder jede Menge „Lesestoff“ zur Geschichte der Stadt und der Region.

Im Fokus stehen dabei stadtgeschichtlich das 19. und 20. Jahrhundert, beispielsweise in einem umfassenden Beitrag zur Geschichte der früheren Forsthochschule und ihrer Studentenschaft (Autor: Dr. Florian Hoffmann) oder in der wichtigen Würdigung des in vielerlei Hinsicht schillernden Journalisten, rheinischen Separatistenführers und Aschaffenburger „Bürgerschrecks“ Josef Friedrich Matthes. Er verstarb als Opfer des NS-Regimes im Jahr 1943 im KZ Dachau (Autor: Dr. Michael Schweikl).

Abb.: Josef Friedrich Matthes als „Ministerpräsident“ der separatistischen Rheinischen Republik, 22. November 1923 (Foto: Library of Congress, http://loc.gov/pictures/resource/ggbain.15992/)

Weitere Beiträge behandeln die Geschichte der Stadt im Kontext des sogenannten „Zeitalters der Extreme“ (Prof. Dr. Frank Jacob) und mit „Zwei Aschaffenburger Gelehrte und die päpstliche Unfehlbarkeit“ (Gebhard Johann Syndikus) einen Aspekt der Aschaffenburger Geistes- und Kirchengeschichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aber auch die wichtige mittelalterliche Vergangenheit der früheren Kurmainzer Residenzstadt Aschaffenburg wird in der Neuerscheinung berücksichtigt. So wird beispielsweise über das nahezu abgeschlossene Digitalisierungsprojekt des Archivs zur Überlieferung des Kollegiatstifts St. Peter und Alexander berichtet.


Abb.: Zwei Freunde in Uniform kurz nach ihrer Einberufung 1915 (v. l.): Der Aschaffenburger Literat Julius Maria Becker (1887–1949), kurzzeitiger Vorsitzender des liberalen Jugendvereins „Jung-Aschaffenburg“, und Josef Friedrich „Pepi“ Matthes (1886–1943), von 1909 bis 1915 Redakteur der liberalen „Aschaffenburger Zeitung“ (Foto: Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, SSAA, NL 49, 363)

Überhaupt stehen Werkstattberichte und Beiträge aus den Tätigkeitsfeldern des Stadt- und Stiftsarchivs erneut im Fokus der vorliegenden „Mitteilungen“, beginnend bei Ausstellungsberichten, über Projektberichte bis hin zu Einblicken in wichtige digitale Zukunftsfragen. Diese Berichte, darunter auch ein umfangreicher Beitrag zur Biographischen Datenbank Jüdisches Unterfranken, ergänzen sich sehr gut mit der Einleitung des Bandes, in dem ein kompletter Überblick über die Aktivitäten und Arbeitsschwerpunkte des Stadt- und Stiftsarchivs im Jahr 2020 geboten wird.

Vorbildlich im Sinn des offenen und digitalen Zugangs zur Stadtgeschichte ist der Umstand, dass auch Band 14 der „Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg“ ab Oktober 2021 als kostenfreie PDF-Version („Open Access“) über den Webshop des Archivs verfügbar sein wird. Die Druckversion der „Mitteilungen“ ist ab sofort über den Webshop des Stadt- und Stiftsarchivs erhältlich. Mitglieder des Geschichts- und Kunstvereins Aschaffenburg erhalten den Band in der nächsten Zeit kostenfrei.

Info:
Mitteilungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Band 14 (2021),
184 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
ISSN 0174-5328, 12 €.

Webshop des Stadtarchivs:
https://stadtarchiv-aschaffenburg.de/produkt/mitteilungen-band-14

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
Telefon: +49 6021 4561050
Telefax: +49 6021 29540
stadtarchiv@aschaffenburg.de

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 27.4.2021

Projekt erforscht Stadterneuerung in der Stralsunder Altstadt

Ein Forschungsprojekt von mehreren Wissenschaftlern verschiedener Universitäten und Hochschulen ist auf der Suche nach Dokumenten aus der Zeit der Wende. Es untersucht die bürgerschaftlichen Aktivitäten gegen Flächenabrisse und für eine substanzerhaltende Stadterneuerung in ostdeutschen Städten – vor, während und nach der Wende. Hierbei handelt es sich um das BMBF-Verbundprojekt „Stadterneuerung am Wendepunkt – die Bedeutung der Bürgerinitiativen gegen den Altstadtverfall für die Wende in der DDR“ (Stadt-Wende).

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen des Forschungsprogramms „Wissenslücken über die DDR schließen“ gefördert. Der Stadtwende-Projektverbund ist einer von 14 durch dieses Programm finanzierten Forschungsverbünden und beschäftigt sich seit Januar 2019 (bis Dezember 2022) mit der vorgestellten Thematik.

Das Verbundprojekt besteht insgesamt aus zehn Forschern und Forscherinnen und den fünf Projektleitern und Projektleiterinnen, die eine aufeinander abgestimmte Forschungsstrategie mit interessanten wissenschaftlichen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen verfolgen. Beteiligt sind an dem Forschungsvorhaben „Stadtwende“ die TU Kaiserslautern (Gesamtleitung), die Universität Kassel, das Institut für raumbezogene Sozialforschung in Erkner und die Bauhaus-Universität Weimar.

Das Forschungsprojekt geht von der These aus, dass der zunehmende Stadtverfall vielerorts ein Auslöser für Bürgerproteste und damit auch für die friedliche Revolution im Herbst 1989 war. Der Stadtverfall der DDR-Innenstädte war in den 1980er Jahren ein nicht mehr zu leugnendes und sichtbares Zeichen für den Niedergang der gesamten Gesellschaft. Die marode Bausubstanz, zunehmende Leerstände und großflächige Abrisse von historischer Bebauung zugunsten einer zentralistisch gesteuerten Neubebauung mit uniformen Plattenbauten wurde in den betroffenen Städten teilweise sehr kontrovers diskutiert. Es regte sich Widerstand gegen diese Art brachialer Stadtzerstörung.


Abb.: Fotografisches Zeitzeugnis aus der Zeit der Wende, das deutlich zeigt, wie nötig ein Engagement gegen Abriss in Stralsund war (Foto: Hansestadt Stralsund)

Ziel des Verbundprojekts ist es, den Altstadtverfall in der DDR in seiner ursächlichen Bedeutung zu erfassen, dessen Impulse für die Entfaltung der Bürgerbewegungen als wesentlicher Teil der gesellschaftlichen Wende 1989 zu erklären und darüber hinaus die Stadtentwicklungspolitik nach der deutschen Einheit im Sinne jener Erfahrungen neu einzuordnen und zu bewerten. Außerdem wird die bisher durch die Forschung nicht geleistete systematische Analyse der vielfältigen Proteste gegen den Altstadtzerfall in der DDR aufgearbeitet. Dabei soll anhand von Fallstudien die Situation in etwa 20 Fallstudienstädten untersucht, ausgewertet und verallgemeinert werden.

Im Zusammenhang mit diesen Studien rückte auch Stralsund schnell in den Fokus der Wissenschaftler, weil sich hier Stralsunderinnen und Stralsunder kurz nach dem Mauerfall 1989 in der Bürgerinitiative „Rettet die Altstadt Stralsund“ organisiert hatten. Zu deren Gründungsmitgliedern gehörte Prof. Dr. Herbert Ewe (1921-2006), der auch bis 1991 den Vorsitz innehatte. Herbert Ewe war außerdem von 1952 bis 1986 Direktor des Stadtarchivs Stralsund. Noch im Dezember 1989 wurde Stralsund zu einer Modellstadt der Stadterneuerung. Ob in Bürgerinitiativen, auf Demonstrationen, mit Ausstellungen oder durch Sanierung in Eigenleistung – das Feld des Engagements für den Altstadterhalt war sehr breit.

Wer die Forschungsarbeit in Bezug auf Stralsund unterstützen möchte und Fotos, Zeitungsartikel, Plakate, Dokumentationen, Karikaturen oder etwa Entwürfe für die Altstadt aus dieser Zeit vor, während und nach der Wende besitzt, kann dieses Material im Stadtarchiv Stralsund als Leihgabe oder als Schenkung abgeben. Für das Jahr 2022 ist geplant, eine Ausstellung mit den Forschungsergebnissen in Zusammenarbeit mit der Hansestadt Stralsund in der Kulturkirche St. Jakobi zu zeigen. Wer Informationen oder Fragen zu dem Projekt hat, kann sich auch an Jannik Noeske, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bauhaus-Universität Weimar, wenden.

Kontakt:
Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund
Am Johanniskloster 35
18439 Stralsund
Tel.: 03831 / 253 640
Fax: 03831 / 252 53 640
stadtarchiv@stralsund.de
https://stadtarchiv.stralsund.de/

Bauhaus-Universität Weimar
Professur Raumplanung und Raumforschung
Msc Jannik Noeske
Geschwister-Scholl-Straße 8
99423 Weimar
Tel.: 03643 / 58 32 85
jannik.noeske@uni-weimar.de

Quelle: Stadtarchiv der Hansestadt Stralsund, Aktuelles, 13.04.2021; Bauhaus Universität Weimar, Stadtwende; Stadtwende, Forschungsprojekt

Musik und Kultur in westfälischen Landsynagogen

Festival im Rahmen von »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«.

Historisch kostbare Gebäude und eine reichhaltige Geschichte bilden den Rahmen für das Festival „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“: In den Sommermonaten 2021 soll mit einer neunteiligen Veranstaltungsreihe an die weithin unbekannte Tradition jüdischen Lebens in Westfalen erinnert werden.


Abb.: Programmheft „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“

Geplant sind im Rahmen des bundesweiten Jubiläums „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ neun Veranstaltungen mit Musik, Literatur und Führungen. „Die ehemaligen Landsynagogen sind mehr als bloße Bauwerke“, sagt Festival-Leiter Dr. Manfred Keller: „Sie sind sozusagen Hotspots jüdischer Geschichte, in denen Glaube und Kultur des Landjudentums wieder lebendig werden.“

Das Festival „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“ findet zwischen Juni und Oktober 2021 in Borgentreich-Borgholz, Coesfeld, Gronau-Epe und Drensteinfurt sowie in Hagen-Hohenlimburg, Neheim, Selm-Bork und Petershagen statt. Ehrengast der virtuellen Auftaktveranstaltung Anfang Mai ist Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Mitbegründer des Vereins „321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Dieser Nachmittag soll zugleich einen Vorgeschmack auf die geplanten acht Halbtagesveranstaltungen bieten. Von Bochum aus werden acht Exkursionen zu jeweils einer der genannten Landsynagogen angeboten. Außerdem würden Teilnehmende aus der Region, insbesondere jüdische Menschen, eingeladen, kündigt Dr. Anja Nicole Stuckenberger, Leiterin der mit veranstaltenden Evangelischen Stadtakademie Bochum, an.

Die Veranstaltungen finden jeweils sonntags zwischen 14 und 18 Uhr statt. „Jeder Termin umfasst ein Konzert und eine literarische Veranstaltung, eine kleine Bewirtung aus der jüdischen Küche und einen Besuch mit Führung in der jeweiligen Landsynagoge“, erläutert Festival-Leiter Keller. Nach Möglichkeit sollen neben der jeweiligen Landsynagoge auch andere „jüdische Orte“ aufgesucht werden. „Zur Planung dieser Programmbausteine arbeiten wir eng mit den Verantwortlichen vor Ort zusammen“, betont Keller. Die ehemaligen Landsynagogen sind in der Pogromnacht 1938 nur deshalb nicht angezündet worden, weil sonst das ganze Dorf gebrannt hätte. Die Nazi-Horden „begnügten“ sich damit, die Inneneinrichtung der jüdischen Gotteshäuser zu demolieren. In der Nachkriegszeit, oft bis in die 1980er Jahre, waren die arg geschundenen Gebäude weithin vergessen. Sie dienten u.a. als Abstellraum, Geräteschuppen oder Fahrradwerkstatt. Mittlerweile sind sie von lokalen Initiativen wieder instand gesetzt und zumeist zu Gedenkstätten umgewandelt worden. „Hier wollen wir mit unserem Festival ansetzen“, erläutert Keller.

Diese kostbaren, im äußeren Bestand nunmehr gesicherten Gebäude sind heute keine Synagogen mehr. Aber das, was im Rahmen des Projekts „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“ dort veranstaltet wird, soll nach dem Willen der Veranstalter deutlich an den Urgedanken von Synagoge anknüpfen. Denn: Synagogen hatten und haben bis heute drei Funktionen. Sie sind „Beth ha Knesset“ (Haus der Versammlung), „Beth ha Midrasch“ (Haus des Lernens) und „Beth ha Tefilla“ (Haus des Gebets). An diese dreifache Bestimmung knüpft das Projekt an: Die Veranstaltungen sollen die Landsynagogen als Stätten der Besinnung, der Begegnung und des Lernens erinnern und beleben.

Gleichzeitig soll mit dem Kulturfestival ein Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus geleistet werden. „Wo jüdische und nichtjüdische Menschen sich begegnen, wo sie ihre Traditionen und ihren ,way of life‘ kennenlernen, wachsen Verständnis und Wertschätzung“, ist Manfred Keller (Foto) überzeugt. „Auf diese Weise möchten wir durch Freude an jüdischer Kreativität in Vergangenheit und Gegenwart und durch das gemeinsame Erleben mit jüdischen Menschen dem Antisemitismus den Nährboden entziehen.“

Das Festival „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“ wolle die reiche, aber weithin unbekannte Tradition jüdischen Lebens in Westfalen in Erinnerung rufen, bekannt und erlebbar machen und sie – in den Grenzen des Möglichen – gemeinsam mit jüdischen Partnern auch beleben, erklärt Akademie-Leiterin Stuckenberger.

Das Festival „Musik & Kultur in westfälischen Landsynagogen“ wird von der Evangelischen Stadtakademie Bochum, dem Evangelischen Forum Westfalen und dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe veranstaltet. Das Projekt ist eines von insgesamt 24 Projekten, die von der LWL-Kulturstiftung im Rahmen des Förderschwerpunktes zum bundesweiten Festjahr gefördert wird.

Programm:
Auftaktveranstaltung Online aus der Bochumer Synagoge mit Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Mitbegründer des Vereins 321 –2021:1700 Jahr jüdischen Lebens in Deutschland.

Die Eröffnung des Kultur-Festivals wurde am Sonntag, 11. Juli 2021, über den Video-Kanal des Ev. Kirchenkreises Bochum im Life-Stream übertragen.

Sonntagsveranstaltungen, jeweils 14 bis 18 Uhr
25. Juli 2021 in Petershagen
22. August 2021 in Drensteinfurt
29. August 2021 in Gronau-Epe
12. September 2021 in Selm-Bork
19. September 2021 in Hagen-Hohenlimburg
3. Oktober 2021 in Neheim
10. Oktober 2021 in Borgentreich-Borgholz
24. Oktober 2021 in Coesfeld

Links:

Hinweise zur Covid-19-Pandemie:
Die Corona-Pandemie stellt alle Veranstalter weiterhin vor große Schwierigkeiten. Deshalb steht auch das Festival „Musik & Kultur der in westfälischen Landsynagogen“ unter einem „Corona-Vorbehalt“. Mit allen lokalen Partner ist vereinbart, dass eine räumliche Aufteilung vorgenommen wird: Besuch der jeweiligen Synagoge in Kleinstgruppen und getrennt davon Konzert bzw. Lesung, Gespräch und Bewirtung mit allen Gästen in einem Saal des betreffenden Ortes. „Kirchengemeinden und Kommunen haben uns gastfrei ihre Räume angeboten“, erklärt Festival-Leiter Manfred Keller. Selbstverständlich werden überall die Corona-Schutzverordnungen in der zum fraglichen Zeitpunkt geltenden Form beachtet. Keller: „Zwar sind wir für den Sommer hoffnungsvoll, aber noch weiß niemand, was sein wird. Deshalb wünschen wir uns: Masel tov – Viel Glück!“

Kontakt:
Festival-Leiter Dr. Manfred Keller
Tel. 0234 / 43 05 05
office.stadtakademie@kk-ekvw.de

Quelle: Evangelische Akademikerschaft in Deutschland, Presseinformation: Mehr als bloße Bauwerke. Vergessene Orte jüdischen Lebens in Westfalen, 2021