Wenn die Menschen glauben, dass die alten Geschichten bei ihm ihren ewigen Frieden finden, muss Matthias Buchholz sie enttäuschen. Ein Archiv ist kein Grab, ein Archivar kein Bestatter, und ohnehin ist es doch nicht so, dass die Vergangenheit eines Tages einfach stirbt. Höchstens die Erinnerung daran, was Matthias Buchholz für eine Gefahr hält. „Vergangenheit ist immer aktuell, wenn es um sie so etwas wie ein Kartell des Schweigens gibt“, sagt er, und deshalb packt er nun diesen Postkarton voller düsterer Vergangenheit und geht damit von den abgedunkelten Räumen im Parterre der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur durch kaltes Neonlicht und nackte Gänge hinauf in den ersten Stock, wo es etwas heller ist.
Er ächzt leise an der Treppe und schwankt ein bisschen. Aufarbeitung ist beschwerlich, aber Matthias Buchholz, der ein schmächtiger Mann ist, lässt sich nichts abnehmen. „Die Kiste ist nicht schwer, nur etwas unhandlich.“ Ein paar Meter noch, links in die lange Allee aus gelben Türstöcken, einen der vielen Endloskorridore dieses Gebäudeklotzes Otto-Braun-Straße 70-72, der sich wie ein trauriges Ungeheuer aus der Berliner Asphaltebene am Alexanderplatz erhebt. Matthias Buchholz lässt die Kiste fallen. In seinem Büro herrscht die Unordnung eines Mannes, der ab und zu ganz gerne in Arbeit versinkt. Draußen rauscht gleichgültig der Verkehr vorbei. Der Archivar schnauft. Bitteschön, sagt sein Blick, viel Spaß beim Tauchgang in die Abgründe des deutschen Sports.
Vielsagende Titel
Es ist in diesem Moment tatsächlich so, als habe sich das Tor zur Unterwelt einen Spalt weit geöffnet. Allerdings wirklich nur einen Spalt weit. Diese Geschichte des systematischen Dopings in der DDR passt nicht in eine Kiste, sie ist zu groß, und sie hat noch ganz andere, viel klarere Zeugnisse neben diesen paar Forschungsarbeiten im gelben Karton, die vielsagende Titel tragen: „Zur Wirkung anaboler Steroide auf die sportliche Leistungsentwicklung in den leichtathletischen Sprungdisziplinen.“ – „Zur Bestimmung der Wirkung von Training und wiederholter Applikation von Oral-Turinabol auf die Leistungsentwicklung sowie Veränderung ausgewählter biologischer Parameter im Venenblut am Beispiel leichtathletischer Sprintdisziplinen.“ – „Berichte über die Wirkung des Einsatzes von STS646 bei der Handballnationalmannschaft Frauen.“ Und so weiter.
Es gibt weitere Akten aus dem DDR-Nachlass. Papiere, die Täter und Geschädigte nennen. Quellen, aus denen Dokumentationen wuchsen. Beweismaterial, das vor Gericht bestand. Im vergangenen Jahr hat Professor Werner Franke, Molekularbiologe an der Universität Heidelberg, nach jahrelanger Enthüllungsarbeit mit seiner Frau, der früheren Diskuswerferin Brigitte Berendonk, dem Archiv der Stiftung solche Akten geschenkt. Franke wollte, dass jeder sie einsehen kann. Doch das hat nicht ganz geklappt, ein Teil seiner Schenkung bleibt im Schatten des Stiftungsarchivs. Buchholz kann vorerst nur die gelbe Kiste bieten. Es tut ihm leid. Es geht nicht anders.
Frankes Material ist zu brisant, was die Allgemeinheit davon sehen darf, bestimmt nicht er, auch nicht Buchholz oder die Stiftung. Sondern das deutsche Rechtssystem, und das sagt, dass man die Vergangenheit, die sich in abgeschlossenen Fällen spiegelt, nicht beliebig wieder hervorkramen darf, wenn sie einzelne Privatpersonen belastet. Es könnte passieren, dass der Antidoping-Kämpfer Werner Franke in Konflikt mit dem Gesetz gerät. Da ist Buchholz lieber vorsichtig und beugt sich dem Eindruck, den er, gebürtig in Magdeburg, Jahrgang ’71, beredt und belesen, bei aller Bescheidenheit mal so umschreiben würde: „Maßgebliche Teile der Gesellschaft sind nicht wirklich daran interessiert, das Thema Doping grundlegend aufzuarbeiten.“
Viele Beobachter haben das festgestellt, und vor allem erleben sie, dass das DDR-Doping zunehmend in den Nebel einer kalkulierten Vergesslichkeit rückt. Der Sport ist eine deutsche Leidenschaft, Wirtschaftsfaktor, gesellschaftliche Klammer. Eine Traumfabrik, die noch echte Helden auswirft. Da stören Misstöne nur und trüben die bunte Kulisse, in der sich wie sonst nirgends Geld und Moral verbinden lassen.
Und so dosieren die großen Sportbetreiber sehr gezielt die Erinnerung an die Geschichten von einst, die Medien, die Manager, und auch die Verbände als staatlich gestützte Sachwalter des Sportbetriebs: Ihre Sportgeschichte ist voll von Legenden und sagenhaften Heldentaten. Was nicht dazu passt, geben sie frei zum Vergessen. Und das DDR-Doping passt nicht dazu nach all dem Ärger, den es in den Neunzigerjahren entfachte: nach den Recherchen der Brigitte Berendonk, ihrem Buch „Doping-Dokumente“, Frankes Einsteigen, den Klagen früherer Athleten.
Heute steht fest: Das Dopingsystem in der DDR gab es, es hat Jugendliche rücksichtslos mit Chemie gepäppelt und die Gesundheit vieler früherer Sportler zerstört. Die Weltrekorde und Olympiasiege der DDR-Stars waren nicht nur Ergebnis von Talent und Fleiß, sondern auch einer flächendeckenden, staatlich verordneten Muskelmast. Doch vor drei Jahren endete der Prozess gegen die Verantwortlichen und ihre Vollstrecker mit Freiheitsstrafen zur Bewährung und Geldbußen, in den Verbänden nahmen die verurteilten Trainer wieder ihre Arbeit auf. Ende März 2003 ist die Meldefrist für Geschädigte des Zwangsdopings abgelaufen, denen der Staat per Gesetz eine finanzielle Entschädigung zugebilligt hat, zwei Millionen Euro insgesamt. Nun droht das große Vergessen.
Dabei ist das Thema noch ziemlich lebendig. Natürlich, die Meldefrist ist zu Ende, und der eigens gegründete Verein zur Dopingopfer-Hilfe hat seine Dependance in Berlin abgeben müssen. Aber Birgit Boese, in ihrer DDR-Jugend Kugelstoßerin, vom Doping gezeichnet und weiterhin als Beraterin der Dopingopfer tätig, sagt: „Das ist absolut kein Schlusspunkt.“ Der Kampf geht weiter, denn die Frist war kurz. Viele Dopingopfer erfuhren zu spät von ihren Ansprüchen, andere scheuten die Meldung aus Scham. Am Freitag beginnt zudem in Frankfurt ein neuer Prozess zur ungeliebten Vergangenheit. Die frühere DDR-Schwimmerin Karen König verklagt das Nationale Olympische Komitee auf Schadenersatz. Schließlich hat es Vermögen des DDR-NOKs übernommen.
Hang zur Selbsttäuschung
Und im Ausland ist man sensibel: Zu Beginn des Jahres empörte sich die britische Presse über ihre Siebenkampf-Olympiasiegerin Denise Lewis, weil sie sich dem deutschen Ekkart Arbeit anschloss, der vor der Wende als DDR-Verbandstrainer der Abteilung Wurf das Dopingsystem mitstützte – genauso wie der Cheftrainer des Deutschen Leichtathletikverbandes. Bernd Schubert war als DDR-Verbandstrainer Sprung/Mehrkampf einst Arbeits Kollege. Und an Franke wenden sich Journalisten aus aller Welt. Sie sind brennend interessiert an den Leidtragenden des DDR-Sports. Denn ihre Geschichten erzählen von den Gefahren des Dopings. Franke sagt: „Das Thema ist im Ausland absolut in.“
In Deutschland dagegen winkt man ab oder plaudert über das Thema hinweg. Es gibt ein paar besorgte Politiker, Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sportbundes, hat Verfehlungen des Sports eingeräumt. Aber sonst? „Sehen Sie sich doch diese unglückseligen Nostalgie-Shows an“, sagt Birgit Boese. Da bekommt sie noch einmal die Errungenschaften des Systems vorgeführt, das sie von einem arglosen Mädchen in eine körperlich gebrochene Frau verwandelt hat. Und zwar in der ganzen Oberflächlichkeit kommerzieller Unterhaltungskunst, die alles erlaubt, nur keinen tieferen Gedanken. Sie kann das kaum ertragen, und auch wer die Wirklichkeit nicht am eigenen Leib spürte, schüttelt den Kopf. „Neulich. Ostalgie-Show“, fängt Matthias Buchholz an und man merkt gleich, dass er jetzt keinen Witz erzählen wird. „Da haben sie die DDR-Sportler eingeladen, haben die abgefeiert. Und kein Wort, aber nicht einmal andeutungsweise die Frage Doping.“
Das Gefällige ist im Trend. Die Art, wie das DDR-Doping im Bewusstsein der Öffentlichkeit an Konturen verliert, ist da nur ein Beispiel für einen deutschen Hang zur Selbsttäuschung. Matthias Buchholz ist selbst ein Kind der DDR, aber das, was mittlerweile Ostalgie heißt, diese Rückbesinnung auf irgendeine überholte Plattenbauromantik, hat er nie empfunden. Dazu hat er die DDR zu gut verstanden. Sollen die Leute doch über die alten Tempo-Linsen schmunzeln und über die Bambina-Schokolade. „Es ist ja lustig, wenn sie das aus dem Regal nehmen.“ Aber was sagt das über die DDR? „Da hat Eppelmann etwas ganz Zutreffendes gesagt.“ Rainer Eppelmann, einst DDR-Bürger, SED-Kritiker, heute Bundestagsabgeordneter und Vorstandsmitglied der Stiftung. „Er befürchtet, dass bei all den Ostalgie-Shows irgendwann keiner mehr weiß, warum die Leute damals auf die Straße gegangen sind.“ Und dazu fällt Buchholz die Begegnung mit einem früheren Lehrer ein. „Der fragte, wo ich arbeite. Ich sag: Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Bitte wo? Hab ich noch mal gesagt, wie das heißt. Er fragt: Was gibt’s denn da aufzuarbeiten? Ich sag: Na ja, man konnte hier nicht seine Meinung sagen, Leute sind in den Knast gewandert, sind umgebracht worden. Er antwortet: Ich konnte immer meine Meinung sagen. Ich sag: Vielleicht hatten Sie die richtige. Da ist er gegangen.“ Matthias Buchholz sagt: „Manche wollen nicht wahrhaben, wie perfide dieses System war.“
Also schweigen sie. Denn Schweigen ist einfach, und Schweigen schützt. Kein Trainer aus dem alten Dopingsystem, kein Funktionär, kein Arzt hat sich je freiwillig bei den Geschädigten entschuldigt. Auch nicht das Unternehmen Jena-Pharm, heute eine hundertprozentige Tochter des Schering-Konzerns, obwohl Jena-Pharm in der DDR die bittere Sportler-Medizin lieferte. Die Spende des Konzerns für den Opferhilfe-Fonds in Höhe von 25 000 Euro wollte Schering ausdrücklich nicht als Schuldeingeständnis verstanden wissen.
Selbst jene ehemaligen DDR-Trainer, die heute hohe Posten bekleiden und plötzlich aus voller Überzeugung die Antidoping-Bestimmungen ihrer Verbände mittragen, haben öffentlich noch kein Zeichen der Reue gezeigt. Bernd Schubert zum Beispiel gibt kein Interview zu seiner Vergangenheit. Niemand tut es, sie scheuen die Diskussion. Ein Fernsehreporter von damals bittet höflich um Vergebung. Und Klaus Huhn, in der DDR Sportchef des SED-Organs Neues Deutschland und Multifunktionär, seufzt und lässt alles abprallen mit seiner mächtigen Stimme, die manchmal so laut durch den Telefonhörer donnert, dass man den ein bisschen vom Ohr weghalten muss. Ein Interview über Sportgeschichte? „Ich glaube nein. Es bringt doch nichts.“ Zum Thema Doping? „Auch müßig. Wir müssten fünf Stunden zusammensitzen, und die habe ich nicht. Wenn Sie mich etwas anderes gefragt hätten, hätte ich gerne geholfen. Einen schönen Tag. Meinetwegen auch eine schöne Woche. Man wird Ihnen schauerliche Geschichten erzählen. Die können Sie glauben oder nicht. Good luck to you.“
Die Biografien all dieser Menschen haben die Wende nicht verkraftet, sie haben früher gut gelebt, und jetzt versuchen sie, den Erfolg zu retten, den sie in der DDR genossen haben. Klaus Huhn sagt: „Es hat sich nichts Wesentliches für mich verändert durch Akten.“ Und das klingt wie die Gegenfrage zu all den Vorwürfen, deren Antwort er nie abwarten würde: Soll ich mein Selbstbildnis zerstören, bloß weil eine Mauer gefallen ist? Soll Kristin Otto, die frühere DDR-Schwimmerin, ihren Stolz auf sechs Olympische Goldmedaillen von Seoul 1988 verleugnen? Ihre Lebensleistung als Athletin? Ihre Glaubwürdigkeit als Sportjournalistin, die sie heute beim ZDF mehr denn je braucht? Soll die Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler ihre ganze Jugend ins Zwielicht rücken? Oder die Eiskunstläuferin Katarina Witt an den Grundfesten ihres Ruhms rütteln? Nur weil der Sportwissenschaftler und DDR-Aufarbeiter Giselher Spitzer, ein gebürtiger Kieler, sagt: „Es gibt mittlerweile Beweise, dass im Zwangsdopingsystem der DDR auch Eiskunstlauf der Frauen eine Rolle spielte.“? So stark sind sie alle nicht, so stark sind wahrscheinlich sowieso nur ganz wenige. Matthias Buchholz sagt: „Ich denke, dass es sehr schwer ist, sich mit einer Vergangenheit auseinander zu setzen, die einen selbst in Frage stellt.“
Gegenwind aus dem Osten
Es bleibt die Leere, die das Vergessen der Prominenten hinterlässt, und das Problem, dass sie diese Leere von Zeit zu Zeit füllen müssen. Schließlich wollen die Deutschen hoch hinaus mit ihrem Sport. Sie wollen Olympia 2012 veranstalten. In Leipzig, wo das Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport steht, zu DDR-Zeiten das Zentrum staatlicher Dopingforschung. Ausgerechnet. Die Bewerber haben Probleme, weil sie zu sorglos mit den Stasi-Verstrickungen hoher Funktionäre umgingen. Irgendwann könnte auch das Thema Doping wieder hochkommen. „Wenn die Bewerbung ernst gemeint ist“, sagt Spitzer, „muss man diese Belastung eigentlich aufarbeiten.“
Aber Aufarbeitung ist beschwerlich. Jahrelang hat Spitzer, ausgezeichnet mit dem Preis des Dopingopfer-Hilfe-Vereins und Beirat der Antidopingagentur Nada, als Forscher das Renommee der Universität Potsdam gemehrt. Jetzt ist es offenbar genug, die Granden des Hauses scheint ein steifer Gegenwind aus Osten anzuwehen. Jedenfalls wurde Spitzers Vertrag nicht verlängert. Er hat auf Wiedereinstellung geklagt und will nicht zu viel schimpfen. Er brummt wie ein mürrischer Bär. Die Zeiten sind seltsam.
Die Kraft der Verdrängung ist groß, und doch hat sie nicht gewonnen. Die Verdrängung ist eine weitere Schwäche des ehrgeizigen deutschen Sports geworden, die ihn mit seinen hohen moralischen Ansprüchen stetig in Widersprüche verstrickt. Sie hat ihn angreifbar gemacht. Man muss kein Fachmann sein, um das zu sehen. „Ich glaube“, sagt Matthias Buchholz und betont, dass nun eine ganz und gar subjektive Analyse folgt. „Ich glaube“, sagt er also, „wenn man sich ernsthaft mit dem Thema DDR-Doping beschäftigen würde, müsste man auch die Praktiken im Sport überhaupt in Frage stellen. Und das will man ja nicht.“
Er selbst hält wenig vom Vergessen. Das Vergessen schlägt Löcher. Ein Archivar mag keine Löcher. Die Leute sollen ruhig kommen und in seine gelbe Kiste schauen. Vielleicht kann er eines Tages sogar Frankes brisantes Material zeigen. Obwohl der Professor sich in dieser Sache ja durchaus zu helfen weiß. Er hat Kopien seiner Akten in die USA gebracht. Sie liegen an der Universität von Austin/Texas. Abrufbereit auch im Internet. Es ist alles in Ordnung. Die unbequemen Erinnerungen sind in Sicherheit.
Quelle: SZ, 22.10.2003
Die Archive von Picasso
Der Gang in die Archive führt uns in keine staubige Abstellkammer. Am Anfang begrüßt uns ein ebenso monumentales wie unscharfes Schwarz-Weiß-Photo an der Wand. Es zeigt einen halb zerfetzten und geöffneten Pappkarton, aus dem ein Chaos von Briefen, Dokumenten und Papierfetzen quillt. Daneben ein Karton mit sorgsam gebündelten Papieren. So hielten die persönlichen Archive Picassos im Jahre 1980 Einzug in das Picasso Museum Paris. Noch nie wurden sie als Einheit vorgestellt und verstanden, verkündet stolz Ausstellungsleiterin Laurence Madeline:
„Oftmals werden die Archive nur als wissenschaftliches Gegengewicht gezeigt. Als Beweisstück. Um zu sagen: Sehen Sie, hier hat er diesen oder jenen getroffen, wie wir im Adressbuch sehen können usw. Es geht immer nur um punktuelle Dinge. Wir zeigen erstmals das gesamte Archivmaterial als Einheit – mit seiner entsprechenden Eigendynamik. Und wir zeigen das Material auf eine ästhetische Art und Weise. Man könnte sogar sagen, dass diese Ansammlungen von Papieren, die Picasso sein gesamtes Leben lang betrieben hat, dass es sich dabei um ein Spontan-Werk handelt, eine Kunst, die parallel zu seinem normalen Werk verlief.“
Der Rundgang beginnt in der Privat- und Intim-Sphäre Picassos. In einem Brief aus dem Jahr 1906 beschreibt er für Max Jacob in einem äußerst gebrochenen Französischen seinen inneren Kampf mit der Malerei. Er schreibt ein Wort, streicht es wieder durch, ringt sich mit Hilfe von Wortbrocken zum Wesentlichen durch. Zeigt sich etwa „glücklich, ein Bild ohne Löcher gemalt zu haben. Wenn Du verstehst, was ich meine. Farbtöne ohne Perspektive, Farben als Farben. Das ist eine nackte Frau.“ Zitat-Ende. Etwas weiter ein flammender Liebesbrief vom 4. März 1918:
„Hier sehen wir einen Liebes-Schwur, den Picasso und Olga schriftlich niedergelegt haben. Olga hat ihn geschrieben und Picasso hat ihn mit unterzeichnet. Das war vor ihrer Heirat. Sie schwören sich Liebe und Frieden bis zu ihrem Tode. Ein vollkommenes Engagement Picassos zu diesem Zeitpunkt. Er scheint daran zu glauben. Das ist sehr berührend, zu sehen, wie er sich jemandem anvertraut hat, wie er in Richtung Zukunft schreitet, jemandem nahe steht.“
In konzentrischen Kreisen dringen wir in der Ausstellung von intimsten Aufzeichnungen zum Briefwechsel mit Kollegen und Freunden vor. Schon sehr früh degradiert Picasso seine Freundschaften in fast unterwürfige Beziehungen. Gertrude Stein bettelt 1918: „Mein lieber Pablo, kein Wort von Ihnen. Ich bin beunruhigt.“
Der ständig ignorierte Cocteau verzweifelt 1922: „Warum schreibst Du nie?“ Breton 1935: „Sie wissen, wie sehr ich sie bewundere und geträumt habe, einen kleinen Platz in ihrem Leben einzunehmen.“ Paul Eluard 1940: „Mein lieber Freund, wie schweigsam sie sind, abwesend, weit weg und fast distanziert.“ Ein finanzieller Hilfeschrei von Victor Brauner aus dem Jahr 1943. Matisse 1944: „Ich weiß, dass sie es hassen zu schreiben. Aber mir zuliebe, lassen sie doch jemanden anderen für sie antworten.“ Picasso liest, Picasso sammelt, aber Picasso antwortet nicht.
„Der Tonfall in den Briefen ist sehr unterwürfig. Weil Picasso sehr schnell jemand geworden ist, der über allem stand – auch wenn das vielleicht nicht das richtige Wort ist. … Ich glaube nicht, dass er diese Dokumente für einen Ernstfall aufgehoben hat, denn es reichte aus, dass er mit dem Finger schnippte, um zu erreichen, was er erreichen wollte. Er musste keinerlei Druck ausüben.“
Picasso hatte in seinen Wohnungen Riesen-Stapel mit Papieren und Dokumenten angehäuft. Zum Ordnen hatte er nicht genügend Zeit. Das Wirrwarr von einem Sekretär ordnen zu lassen, dafür hatte er nicht genug Vertrauen. In der Ausstellung wird die Manie des Alles-Sammlers skrupellos seziert. Briefe hängen eingerahmt an der Wand. Zirkuskarten, Freikarten für das Theater, Hotelabrechnungen sind säuberlich als Einzelhäufchen geordnet und werden dokumentarisch in Schaukästen präsentiert, Schneider-Rechnungen originell auf Sockeln präsentiert, Bettelbriefe und Bewunderungs-Schreiben als meterlange Archiv-Reihen in Szene gesetzt.
„Er sammelte zum einen aus Aberglauben. Dahinter steht die Idee, dass etwas, was ihm zugestoßen ist, ihm auch gehört, etwas von ihm wird und etwas von ihm in sich trägt. Zum anderen wusste er, dass jedes Stück Papier, das von Picasso bekritzelt worden war, einen Wert besaß. Es war sicher auch leichter, Dinge zu stapeln, als sich überlegen müssen: das werfe ich weg, das behalte ich… Brassaï hatte sich über die Papierberge bei Picasso gewundert. Picasso antwortete ihm: er versuche eine möglichst umfassende Dokumentation über sich zu hinterlassen, denn es reiche nicht aus, den Künstler zu kennen, sondern man müsse auch den Menschen kenne.“
In der Ausstellung werden Picassos Obsessionen akribisch addiert und subtrahiert: Picasso hat 20.106 Briefe von 4.157 unterschiedlichen Absendern aufbewahrt. 15.242 Fotografien lassen sich in seinen Archiven finden. 1.903 Postkarten. 2.601 Dokumente in Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg. 42 Eintrittskarten für Stierkämpfe. 8 Freikarten für die Ballets russes. Eine Miet-Quittung Nr. 88 von Juni 1906 aus seiner Wohnung im Bateau-Lavoir: 120 Francs Miete, 5 Franc für das Gaz und 10 Centimes für die Briefmarke. Elende Erbsenzählerei oder essentielle Erkenntnisse?
„Nein. Ich finde, dieses Ensemble ist kein Meisterwerk, aber es ist ein Gesamtwerk. Ich kann nicht einzelne Dokumente herauslösen. Aber ich habe beispielsweise ein Atelier entdeckt, von dem bisher niemand wusste, dass es existierte. Oder ein Projekt, das Picasso für sein Schloss hatte, von dem niemand etwas geahnt hatte. Ich hoffe, dass diese Ausstellung neue Forschungen über Picasso anstoßen wird.“
Selbst für die Post seiner zahlreichen Verehrer fand Picasso Platz. Von seinem 80. Geburtstag 1961 archivierte er 909 Glückwunschkarten. Eine bislang unerforschte Rezeptionsgeschichte. Allein 64 von Fans gemalte – eher misslungene – Picasso-Porträts finden sich an den Ausstellungswänden. Auf den Umschlägen hatte Picasso handschriftlich vermerkt: „Mein Porträt“. Picasso: ein dubioser Hüter seines eigenen Personenkultes.
Service:
Die Ausstellung „Man ist, was man aufbewahrt – Die Archive von Picasso “ ist im Pariser Picasso-Museum vom 21.10.03 bis 19.1.2004 zu sehen.
Quelle: Deutschland-Radio Berlin, 20.10.2003
Im Kita-Keller liegt Sternbergs Stadtgeschichte
Seit 1998 betreut Helga Reichel nicht nur die Bestände in der Bibliothek und ihre vielen Hundert Besucher, sondern „nebenbei“ auch die Geschichte der Stadt Sternberg, niedergelegt in über 250 laufenden Metern Akten aus fünf Jahrhunderten. Diese lagern im Keller der Kita „Sonnenschein“. Vor allem montags widmet sich Helga Reichel diesem Kapitel, ordnet, sortiert und beantwortet diverse Anfragen. „Viel zu wenig Zeit“, wie sie bekennt. Denn eigentlich wären es die geerbten Schätze auf vergilbtem Papier wert, intensiver betreut zu werden. So manche spannende Geschichte, so manche Überraschung aus der Vergangenheit warten hier noch auf eine Wiederentdeckung, ist sie sich sicher.
Derzeit sind es jedoch leider nur Stippvisiten, die die Bibliothekarin in den fünf Aktenräumen im Keller durchführen kann. Erst seit wenigen Jahren hat das Stadtarchiv sein Domizil im Kita-Keller, zuvor war es in der Alten Mühle und noch frühere konnte man es in der Belower Furt finden.
Die älteste Akte des Archivs stammt immerhin aus dem Jahr 1680, berichtet Helga Reichel. Es sind Protokolle über „Eingaben“, die die damalige Sternberger Stadtverwaltung an den Großherzog richtete. Und die jüngste Akte stammt aus diesem Jahr – Unterlagen aus der Stadtkämmerei.
Dazwischen türmen sich kistenweise Akten verschiedensten Inhaltes: Umterlagen über Bauten seit 1880 bis heute, alles über Stadtbrände und die Feuerwehren seit 1880, Skizzen und vom früheren Elektrizitätswerk und der Gasanstalt, vergilbte Seiten über das vielseitige Sternberger Gewerbe ab 1878, Material über politische Ereignisse und Kriegsthemen und natürlich Landtagsprotokolle ab dem Jahre 1737 füllen zahlreiche Bände. Aber auch Militärisches, über die Wasserwirtschaft, diverse Nachlässe, Informationen über die hiesige Schützenzunft sowie über andere Sternberger Vereine und Innungen sind zu finden.
Und das Archiv lebt, denn es wächst von Jahr zu Jahr, wird mit Haushaltsplänen und anderen Unterlagen aus dem Rathaus, den Gemeinden des Amtes, aktuellen Zeitungen und anderen Papieren „gefüttert“.
Neben Schülern und Vereinen nutzen auch Universitäten die Sternberger Archivbestände. Zum Beispiel interessierte sich kürzlich die Uni Dortmund über die Sternberger Hexenprozesse und die Uni Bonn wollte Informationen über Direktoren des ehemaligen Sternberger Technikums. Auch der Internationale Suchdienst ruft oft im Stadtarchiv an. Ihm geht es dabei meist um die jüngere Geschichte, um Auskünfte über polnische oder französische Zwangsarbeiter im zweiten Weltkrieg. Und ehemalige Sternberger aus aller Welt wollen im Rahmen privater Ahnenforschung im Archiv Spuren ihrer Vorfahren entdecken.
Kontakt:
Stadtarchiv Sternberg
Finkenkamp 19
19406 Sternberg
Tel. 03847-2712
Quelle: SVZ (Anzeiger für Sternberg-Brüel-Warin), 20.10.2003
Zahlreiche Besucher am Tag der offenen Tür im StA Wesel
Der Stadtgeschichte auf der Spur waren am Samstag im Rahmen der langen Kulturnacht zahlreiche Besucher im Stadtarchiv Wesel, das mit einem Tag der offenen Tür seine Eröffnung in der alten Garnisonsbäckerei der Zitadelle feierte. In Führungen konnten sich die Geschichtsfreunde die neue Heimat der alten Aktenbestände genauer ansehen.
Deutlich einladender als in dem Keller des Rathauses, in dem die Urkunden seit 1974 lagerten, erscheinen die Räume mit großen Fensterfronten. Aber nicht nur heller, auch sicherer ist der neue Ort. „Im Rathaus ist vieles beschädigt worden, das meiste konnten wir aber durch aufwendige Restaurationsarbeit retten“, erklärte der Leiter des Stadtarchivs Dr. Martin Roelen.
Nun werden die geschichtlichen Zeugnisse bestens klimatisiert aufbewahrt. Eine Klimaanlage regelt die Temperatur in den unteren Kellerräumen, in denen der Hauptteil aufbewahrt wird. Der helle Leseraum in der alten Bäckerei, wird durch Lüften und Heizen klimatisiert. „Im Juli war unser letzter Umzug. Nun sind wir wieder funktionsfähig“, sagte Roelen den Besuchern und zeigte sich mit dem Andrang der Besucher zufrieden. Besonders durch die neuen Räumlichkeiten seien aber auch bereits zu den Öffnungszeiten mehr Besucher gekommen.
Die Kulturfreunde, die Samstag den Weg in die Zitadelle fanden, erlebten mit der Öffnung des Ateliers im Hauptgebäude einen weiteren Programmpunkt der Kulturnacht. Sabine Suhborg und Anja Weinberg zeigten ihre Gemälde, während Ron Franke und Karin Koster Fotographie-Arbeiten zeigten. Der Streifzug durch das Atelier wurde mit Tönen des Mirambaphons begleitet. Auch hier herrschte teilweise großer Andrang, sodass die Zitadelle am Samstag zu einem Hauptanlaufpunkt der Stadt wurde.
Kontakt:
Stadtarchiv Wesel
Klever-Tor-Platz 1
D-46467 Wesel
Telefon: 0281-1645-401
Telefax: 0281-1645-397
Quelle: NRZ Wesel, 19.10.2003
20 Jahre Archiv Langenargen
Doppelten Grund zur Freude gibt es derzeit in Langenargen, denn dort stehen gleich zwei Jubiläen an: das 50-jährige Bestehen des Gemeinde-Nachrichtenblattes „Montfort-Bote“ und das 20-jährige Bestehen des Gemeinde-Archivs. Aus diesem Anlass wird die Arbeit der beiden Institutionen als Förderer lebendiger Heimatgeschichte im Rahmen einer Ausstellung im Rathaus-Foyer der Öffentlichkeit vorgestellt.
Das Archiv Langenargen besteht schon länger, hatte aber seine „Stunde Null“ im Jahr 1983 mit der Neuordnung des Bestandes. „Das Gedächtnis einer Gemeinde darf nicht verrotten“, betonte Bürgermeister Müller. Mit Hilfe von Kreisarchivar Elmar Kuhn, Petra Sachs-Gleich, Dr. Peter Bohl und Barbara Fischer wurde das Archiv langsam aufgebaut, bevor 1993 Andreas Fuchs das Amt des Gemeindearchivars übernahm. „Er hat sich dieser Aufgabe voll verschrieben. Mit Freude und Begeisterung hat Andreas Fuchs das Archiv zum Leben erweckt. Sein übergroßes Engagement ist ein Glücksfall für die Gemeinde“, lobte Müller.
Andreas Fuchs blickte in seinem historisch fundierten, interessanten Vortrag auf die Geschichte Langenargens seit dem 15. Jahrhundert zurück. Das Archiv bezeichnete er als „Gedächtnis dieser traditionsreichen Gemeinde“. Das dokumentiert auch die Ausstellung, die unter anderem historische Urkunden aus dem genealogisch-heraldischen Bestand des Archiv zeigt, wie ein Adelswappen der Patrizierfamilie Wocher und eine Urkunde der Nikolausbruderschaft aus dem Jahre 1738.
Die Ausstellung ist bis 21. November im Rathaus-Foyer Langenargen (http://www.langenargen.de) von Montag bis Donnerstag, jeweils von 8 bis 18 Uhr, sowie am Freitag von 8 bis 12 Uhr zu sehen.
Kontakt:
Gemeindearchiv Langenargen
Franz-Anton-Maulbertsch-Schule (Westgebäude)
Postfach 4273,
D-88081 Langenargen,
Tel./Fax: +49 (0)7543 49709,
fuchs@langenargen.de
Quelle: SKOL, 16.10.2003
Streit um Standort des Stadtarchivs Lübbecke
Ob und wann das städtische Archiv Lübbecke aus dem alten Rathaus in geeignete Räume umziehen kann, ist weiter offen. Nachdem bereits der Bauausschuss vor sechs Wochen sich nicht entscheiden wollte, vertagte das gleiche Gremium gestern abermals ein klares Votum und verwies die Angelegenheit zunächst zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Schule, Jugend, Kultur und Sport.
Die SPD legte erst nach einer Sitzungsunterbrechung ihre Haltung fest und verlangte von der Verwaltung konkrete Angaben und „genauere Grundlagen“ (Susanne Lindemann) für deren Empfehlung, seit längerem leer stehende Räume der Wiehenwegschule für das Archiv zu nutzen. „Ich warne vor der Vernichtung von Schulraum“, entfuhr es Manfred Muth (SPD). Während einerseits für rund eine Million Euro die Realschule umgebaut werden solle um mehr Klassenräume zu erhalten, würden andererseits Zimmer in der Wiehenwegschule dauerhaft vom Stadtarchiv belegt werden. „Das halte ich für Wahnsinn“, so Muth.
Schulamtsleiter Horst Heidrath hatte zuvor beteuert, dass die Räume der Hauptschule aller Voraussicht nach wegen der geringeren Schülerzahlen nicht mehr benötigt würden, aber auch ungenutzte Räume mit jährlichen Betriebskosten von 60 Euro pro Quadratmeter die Stadt belasteten.
Nach Angaben der Verwaltung ist für die Sanierung und Herrichtung der in Frage kommenden Räume der Schule für die Bedürfnisse des Archivs mit Kosten von rund 280.000 Euro zu rechnen. Etwa die Hälfte dieser Investition sei aber wegen des vorhandenen „Sanierungsstaus“ der Räumlichkeiten auf jeden Fall aufzubringen. Und ein Archiv-Neubau sei auf jeden Fall wesentlich teurer als der Umzug in entsprechend um- und ausgebaute Räume der künftig maximal dreizügigen Wiehenwegschule.
Das alles konnte die Ratsopposition indes nicht recht überzeugen. Trotz wiederholter Hinweise auf die Dringlichkeit einer Entscheidung – im Etat des kommenden Jahres soll die Summe für den Umbau bereitgestellt werden – beharrte die SPD auf, weitere Informationen zu erhalten. Es seien auch „nicht genug Alternativen geprüft“ worden. Ohne förmlichen Beschluss wurde das Thema schließlich an den Schul- und Kulturausschuss verwiesen, der am 28. Oktober tagt.
Kontakt:
Stadtarchiv Lübbecke
Am Markt 3
D-32312 Lübbecke
Telefon: 05741-298257
Telefax: 05741-90561
E-mail: info@luebbecke.de
Quelle: Neue Westfälische (Lübbecke), 16.10.2003
Archivdirektoren-Konferenz der ARGE ALP tagt in Dornbirn
e-Government ist eines der Themen, mit dem sich die Archivdirektorenkonferenz der ARGE ALP am 14./15. Oktober 2003 in Dornbirn beschäftigen wird. Wie können elektronische Dokumente auf Dauer gesichert werden? Wie kann den Bürgern Rechtssicherheit und der künftige Zugriff auf Geschichtsquellen garantiert werden?
e-Government – eine öffentliche Verwaltung, die moderne Informationstechnologien nützt, um Effizienz und Bürgerservice zu optimieren – ist gerade in Vorarlberg schon ein gutes Stück weit Wirklichkeit. Doch wie kann garantiert werden, dass die elektronischen Datenbanken, Akten und Dokumente auch noch in zwanzig, hundert oder noch mehr Jahren genützt werden können? Eine Herausforderung, vor der alle öffentlichen Archive weltweit stehen. „Nur wenn es gelingt, auch elektronische Akten auf Dauer zu sichern, können wir den Bürgern Rechtssicherheit bieten und künftigen Generationen einen Zugriff auf unsere Lebenswelten von heute ermöglichen“, bringt Landesarchivar Alois Niederstätter die Aufgabe auf den Punkt.
Diese Frage ist einer der Schwerpunkte, mit denen sich die Archivdirektorenkonferenz der ARGE ALP beschäftigt, die unter dem Vorsitz des Vorarlberger Landesarchivs tagt. Einleitend wird Informatikexperte Uwe Leissing das e-Government und die elektronische Aktenverwaltung des Landes Vorarlberg vorstellen.
Zu den Aufgaben, die sich die 1972 gegründete Arbeitsgemeinschaft Alpenländer gestellt hat, zählt die
Bewahrung und Pflege kultureller Traditionen und Beziehungen. So wurde 1976 im Rahmen der Kulturkommission der ARGE ALP eine Expertenkonferenz aus den Direktoren der Staats- und Landesarchive eingerichtet mit dem Ziel, das gegenseitige Geschichtsverständnis in den Mitgliedsländern
zu fördern. Tatsächlich konnte durch diese Initiative die Zusammenarbeit der Archive wesentlich verbessert werden, wovon die Geschichtswissenschaft im Alpenraum profitiert.
Weitere Informationen zu den ARGE ALP-Archiven:
www.archive-argealp.de.
Rückfragehinweis: Landespressestelle Vorarlberg
Tel.: 05574/511-20137
Fax: 05574/511-20190
Hotline: 0664/625 56 68 oder 625 56 67
presse@vorarlberg.at
http://www.vorarlberg.at/presse
Quelle: Presseportal.at / Landespressestelle Vorarlberg, 13.10.2003
Hessens Archivare tagen in Offenbach
Die Herbsttagung des „Verbandes hessischer Kommunalarchivarinnen und -archivare“ findet am Mittwoch, 15. Oktober, in Offenbach statt. Gastgeber ist das Stadtarchiv, in dem sich vor 16 Jahren Kolleginnen und Kollegen aus kleinen Stadt- und Gemeindearchiven trafen, um über eine Zusammenarbeit und „aktive Kollegenhilfe“ zu beraten. Die Treffen, die jährlich im Frühjahr und im Herbst stattfinden, sind wechselnden Themen gewidmet. „Sicherheit im Archiv“, lautet der Schwerpunkt diesmal. Durch die Flutkatastrophe des vergangenen Jahres, die viele Archive traf und wertvolles Schriftgut vernichtete, erhält die Tagung eine aktuelle Note. Erwartet werden etwa 50 Teilnehmer.
Kontakt:
Stadtarchiv Offenbach,
Sandgasse 26,
63065 Offenbach am Main
Quelle: Offenbach-Post, 13.10.2003
Roter Faden durch das Fernseharchiv
Fernsehen lebt aus der Konserve. Ohne ein gut gepflegtes Filmarchiv bliebe die Mattscheibe oft schwarz. Ein Content-Management-System, das der Österreichische Rundfunk ORF seit einem Jahr einsetzt, ist in Kapazität und Suchgeschwindigkeit unerreicht.
In der griechischen Sage findet Theseus dank des berühmten Ariadnefadens den Weg durch das Labyrinth des grausamen Minotaurus. Einem Irrgarten gleicht auch der Bestand eines Fernseharchivs: Täglich werden gewaltige Mengen an audiovisuellen Informationen über den Äther geschickt und gleichzeitig für eine eventuelle Wiederverwendung digital gespeichert. Die Herausforderung für jeden Archivar besteht darin, aus Millionen von Sendeminuten auf Anfrage möglichst schnell das passende Material zusammenzustellen. Mit diesem Problem befasste sich das zweijährige EU-Projekt Primavera (Personalized Retrieval and Indexing of Media Assets in Virtual Environments for Real-Time Access). Die darin entwickelte Software testet der Österreichische Rundfunk ORF in Wien seit einem Jahr. Sie wurde gemeinsam entwickelt vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme IPSI in Darmstadt, der tecmath AG in Kaiserslautern und dem Instituto Trentino Di Cultura ITC in Trient.
Im Gegensatz zu existierenden Content-Management-Systemen unterstützt Primavera das kollaborative Sichten von Material. Suchte ein Redakteur bisher in archivierten Sendungen, bestellte er schließlich mehrere, vermutlich passende. Viele davon erweisen sich jedoch schnell als nutzlos. „Nun kann er bereits am Bildschirm anhand von Schlüsselbildern – den Keyframes genannten Standbildern von markanten Szenen – eine Vorauswahl treffen und so die Suche einschränken“, sagt IPSI-Bereichsleiter Matthias Hemmje. Und Stephan Schneider, Projektkoordinator bei tecmath ergänzt: „Mit eineinhalb Millionen durchsuchten Bildern in drei Sekunden halten wir den Rekord.“
Der Zugriff auf Primavera erfolgt über einen Standard-Web-Browser, Suchergebnisse bereitet das System grafisch auf. Beispielsweise stellt es Schnittmengen mehrerer Anfragen in intuitiver Form in einer Relevanzkugel genannten Benutzeroberfläche dar. Damit eine Suche erfolgreich ist, müssen die Archivbestände exakt klassifiziert sein. Mit einem Werkzeug namens Piclasso beschleunigt das Programm die Verschlagwortung von bereits vorhandenen Filmen, indem es deren Klassifizierung quasi lernt und auf neu hinzukommendes Material automatisch anwendet. Der Archivar hat dabei natürlich jederzeit die Wahl, ob er den Vorschlag übernimmt oder nicht. Zudem kann der Nutzer nicht nur text-, sondern auch bildbezogen suchen. Ein Foto genügt, um Filme mit der gewünschten Person zu finden. „Das war bisher nicht möglich und ist für uns eindeutig eine qualitative Verbesserung“, freut sich Herbert Hayduck, Leiter der Dokumentation im ORF-Archiv.
Ansprechpartner:
Dr. Matthias Hemmje
Telefon 0 61 51 / 8 69-8 44 , Fax -68 44, hemmje@ipsi.fraunhofer.de
Dr. Stephan Schneider
Telefon 06 31 / 3 03-52 00, Fax -52 09, stephan.schneider@cms.tecmath.com
Links:
http://www.primavera-ist.de
http://www.fraunhofer.de/mediendienst
Quelle: idw-online / Fraunhofer-Gesellschaft, 13.10.2003
Digitalisierung auf sächsisch
In der Marburger „Archivliste“ weist Thekla Kluttig vom Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden darauf hin, dass der Sächsische Rechnungshof in seinem am 9.10.2003 der Öffentlichkeit vorgestellten Jahresbericht auch die staatliche Archivverwaltung behandelt hat und darin eine deutliche Reduzierung der Bestände fordert. Dies solle u.a. durch Digitalisierung von Archivgut mit anschließender Kassation der Originale geschehen. Abgebende Behörden sollen archivwürdige Akten grundsätzlich nur noch elektronisch übergeben.
Das Referat Archivwesen des Sächsischen Staatsministeriums des Innern hat die Vorschläge des Rechnungshofes in einer Stellungnahme zurückgewiesen, da sie archivfachlich nicht akzeptabel sind und zu einer massiven Vernichtung von Kulturgut führen würden.