Umfangreicher Nachlass Hilgendorff im Kreisarchiv des Enzkreises jetzt nutzbar

Waldensergeschichte kompakt.

„Es war eine besondere Überraschung“, schwärmt der Leiter des Kreisarchivs des Enzkreises, Konstantin Huber, „als im Herbst der engagierte Waldenserforscher Francis Guillaume aus Neuhengstett anrief und fragte, ob der Enzkreis ein besonderes Geschenk annehmen wolle“: die insgesamt 27 Stehordner umfassenden Unterlagen der Waldensergenealogin Natalie Hilgendorff.

Guillaume, langjähriger Beirat der Deutschen Waldenservereinigung, ist Träger der Heimatmedaille Baden-Württemberg für seine ehrenamtlichen Verdienste, unter anderem als Leiter des Arbeitskreises Zeitgeschichte Althengstett. Im Jahr 2013 hatte ihn die Natalie Hilgendorff, Betreiberin eines Übersetzungs- und Genealogiebüros aus Markdorf/Bodensee, angerufen und ihm angeboten, deren Forschungsunterlagen binnen vier Tagen abzuholen. Ansonsten würden diese vernichtet, da sie sich wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes in ein Heim begeben musste. Guillaume setzte sich spontan ins Auto, fuhr nach Norddeutschland, wo die damals 87jährige Dame seit 2009 lebte, und sicherte deren jahrzehntelange Arbeit für die Nachwelt.


Abb.: Waldenserforscher Francis Guillaume (links) übergibt an Archivleiter Konstantin Huber den aus 27 Ordnern bestehenden Nachlass der Waldenserforscherin Natalie Hilgendorff (Foto: Enzkreis/Sebastian Schmidt).

Es handelt sich um Fotokopien der Kirchenregister sowie Familienzusammenstellungen der deutschen Waldensergemeinden Pinache-Serres, Perouse, Groß- und Kleinvillars, Nordhausen, Dürrmenz sowie Gottstreu und Gewissenruh in Hessen. Eine besondere Abteilung bilden 5 Ordner mit Kirchenbüchern von Mentoulles im Val Cluson/Piemont von 1629 bis 1729, der Herkunftspfarrei vieler Waldenser. Darin können die Familien der deutschen Glaubensflüchtlinge weiter zurückverfolgt werden. Weitere Ordner betreffen verschiedene Listen mit Einwohnern und Abzugswilligen der einzelnen Siedlungen, Passagieren der auf dem Rhein transportierten Flüchtlinge sowie spezielle Ausarbeitungen zu den Familien Charrier, Conte und Simondet.

In den vergangenen Jahren sichtete Francis Guillaume den Gesamtbestand und fasste die Unterlagen übersichtlich zusammen. Natürlich zögerte Huber keine Sekunde, Bereitschaft zur Übernahme ins Kreisarchiv zu signalisieren, passt doch die Waldensergeschichte ganz besonders ins Forschungsprofil. Auch wenn die Sammlung weit über den Enzkreis hinausreicht, erschien es Guillaume und Huber zweckmäßig, diese in ihrer Gesamtheit dort zu archivieren und nicht auf verschiedene Archive zu zerstückeln. Mit Ausnahme der Unterlagen zu Neuhengstett, die Guillaume zunächst selbst detailliert auswerten und erst danach übergeben möchte, ist die Sammlung nun als Bestand P40 im Kreisarchiv für Interessierte nach Voranmeldung einsehbar.

Kontakt:
Kreisarchiv des Enzkreises
Östliche-Karl-Friedrich-Straße 58
75175 Pforzheim
(Postfach 101080, 75110 Pforzheim)
Tel.: 07231/308-9423
Kreisarchiv@enzkreis.de

Quelle: Enzkreis, Pressemitteilung, 25.6.2021

Aschaffenburger Kulturerbe digitalisiert und online gestellt

Das historische Erbe am bayerischen Untermain hat am 25.6.2021 einen großen Schritt in die digitale Zukunft gemacht. Im Ridingersaal des Aschaffenburger Schlosses wurden in Anwesenheit der bayerischen Digitalministerin Judith Gerlach zwei Projekte von Stadt- und Stiftsarchiv und Hofbibliothek Aschaffenburg präsentiert, die wiederum durch den Freistaat Bayern im Kontext des Internetportals “bavarikon” gefördert worden sind. Tausende Digitalisate von Handschriften, Urkunden und anderen historischen Dokumenten stehen ab sofort im Kulturportal bavarikon.de online zur kostenfreien Nutzung bereit. Das bavarikon.de-Projekt wird maßgeblich vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst sowie dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales getragen.


Abb.: Albrecht II. Mainz, Erzbischof, Kurfürst, Kardinal (1490-1545); Verfasser: Missale Hallense des Kardinals Albrecht von Brandenburg – Hofbibliothek Aschaffenburg Ms. 10

Staatsministerin Judith Gerlach betonte: „Mit diesem Projekt machen wir unsere heimische Geschichte online erlebbar. Der Bayerische Untermain hat eine bewegte und spannende Vergangenheit. Mit Hilfe der Digitalisierung kann jetzt jede und jeder Interessierte immer und überall kostenlos in diese Historie eintauchen. Das ist eine wichtige Brücke vom Gestern ins Morgen. Denn wie hat unser früherer Bundeskanzler Helmut Kohl gesagt: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“

Dr. Klaus Ceynowa, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, ergänzte aus Sicht von bavarikon: “Die Digitalisierung von schriftlichem Kulturerbe gewinnt zunehmend an Bedeutung – und das nicht erst seit der Corona-Krise. Durch die digitale Präsentation der Aschaffenburger Kulturschätze in bavarikon können wichtige historische Quellen erstmals einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Besonders freut uns, dass in diesem Zusammenhang auch die älteste erhaltene Originalurkunde im Stadt-und Stiftsarchiv Aschaffenburg wiederentdeckt werden konnte.”


Abb.: „Protocollum camerae vicariarum“ des Stifts St. Peter und Alexander zu Aschaffenburg (Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg – Signatur: StiftsA 5970)

Mit dem neuen Auftritt bei bavarikon mache auch die Stadt Aschaffenburg deutlich, so der für die städtische Digitalstrategie zuständige Bürgermeister Eric Leiderer, dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche umfasst: “Gerade die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung der Digitalisierung ist. Die digitale Teilhabe im Bereich der Kultur ist für die Stadt Aschaffenburg ein zentraler Baustein ihrer Digitalstrategie – hierfür steht auch der vor einigen Monaten eröffnete Digitalladen des Stadtlabors am Aschaffenburger Roßmarkt. Wir danken dem Freistaat herzlich für die tatkräftige Unterstützung der jetzt beendeten Projekte.”

Hintergrund
Zwischen 2019 und 2021 konnten in der Hofbibliothek Aschaffenburg sowie dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg wichtige Quellengruppen und Handschriften-Schätze digital erfasst und über das Internetportal bavarikon zugänglich gemacht werden. Hierzu zählen die Zimelien des kleinen, aber herausragenden Handschriften- und Inkunabelbestandes der Hofbibliothek ebenso wie die Urkunden des Kollegiatstifts St. Peter und Alexander (mit einem Neufund der ältesten Aschaffenburger Urkunde aus dem Jahr 982), Amtsbuch- und Protokollserien sowie ausgewählte historische Ansichten aus dem Stadt- und Stiftsarchiv.

Neben der bavarikon-Förderung des Freistaats haben die Stadt Aschaffenburg sowie der Geschichts- und Kunstverein Aschaffenburg und der Allgemeine Schul- und Studienfonds die Arbeiten an den Projekten finanziell unterstützt.

Die Sammlungen sind abrufbar unter diesen Links:

https://www.bavarikon.de/hofbibliothek-aschaffenburg (Hofbibliothek)

https://www.bavarikon.de/stadtarchiv-aschaffenburg (Stadt- und Stiftsarchiv)

Über bavarikon
bavarikon ist das Internetportal zu Kunst, Kultur und Landeskunde des Freistaats Bayern. Es macht das vielfältige kulturelle Erbe Bayerns weltweit kostenlos zugänglich und richtet sich sowohl an die breite kulturinteressierte Öffentlichkeit als auch an wissenschaftliche Nutzer:innen. Mittlerweile sind über 370.000 Inhalte von mehr als 110 Kultureinrichtungen online. bavarikon ist ein Gemeinschaftsprojekt des Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst und des Staatsministeriums für Digitales. Die Bayerische Staatsbibliothek trägt den laufenden redaktionellen, technischen und organisatorischen Betrieb.

Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Digitales, Aktuelles, 25.6.2021; Stadt Aschaffenburg, Aktuelles Meldungen, 25.6.2021

Doppeljubiläum der Dessauer Franzschule und ihres Direktors David Fränkel 1849

Im Jahr 1849 feierte die renommierte israelitische Franzschule in Dessau gleich zwei Jubiläen, den 50. Jahrestag ihres Bestehens und das 50-jährige Dienstjubiläum ihres Direktors Dr. David Fränkel. David Fränkel, ein Großneffe des gleichnamigen Rabbiners, gehörte zu einem Verein jüdischer Intellektueller, die 1799 nach dem Vorbild Mendelssohns in Berlin eine jüdische „Frey-Schule“ in Dessau gründeten.

Bis Ende des 18. Jahrhunderts beschränkte sich die traditionelle jüdische Bildung auf die Vermittlung religiöser Kenntnisse. In der 1801 fürstlich sanktionierten Freischule hingegen sollten die Schüler eine umfassende Allgemeinbildung erhalten, die sich an den Lehrmethoden bekannter Reformpädagogen orientierte. Neben Hebräisch und jüdischer Religion wurden nun auch Deutsch, moderne Fremdsprachen und naturwissenschaftliche Fächer als Voraussetzung für eine spätere Erwerbstätigkeit unterrichtet. Die Schule erwarb sich schnell einen ausgezeichneten Ruf und wurde in ganz Deutschland als eine Stätte moderner Bildung bekannt. Als die ausschließlich aus Beiträgen, Spenden und Schulgeldern finanzierte „Israelitische Hauptschule“ 1815 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, gewährte Herzog Franz ihr einen jährlichen staatlichen Zuschuss und dem Direktor Fränkel erstmals ein Gehalt. Ein Jahr später wurde eine neue Schulordnung genehmigt. Die Lehranstalt durfte sich nun offiziell „Franzschule“ nennen.

Das Jubiläumsjahr 1849 markierte eine einschneidende Zäsur für die Schule. Infolge der Revolution von 1848/49 erhielten die Anhalt-Dessauer Juden ihre bürgerlich-rechtliche Gleichstellung. Jüdische Kinder durften nun staatliche Schulen besuchen. Um den Fortbestand der Franzschule zu sichern, schlug David Fränkel dem Anhaltischen Staatsministerium ihre Umwandlung in eine staatliche Handelsschule vor. In einem Bericht vom 26. Oktober 1849 informierte das Staatsministerium den Herzog über die Eröffnung der neuen Handelsschule anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten am 5. November 1849.


Abb.: Festordnung anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten am 5. November 1849 (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Z 104, Nr. 437)

Die dem Bericht beigefügte „Festordnung“ wird als Archivale des Monats Juni 2021 in den Räumlichkeiten des Archivverbunds Dessau zu sehen sein. Die Quellen zur Geschichte der Franzschule sind online recherchierbar und in der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt einsehbar.

In der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt hat ein Wechsel in der Leitung stattgefunden. Am 3. Mai 2021 hat Dr. Hermann Kinne die Leitung der Abteilung 4 (Dessau) des Landesarchivs Sachsen-Anhalt übernommen.


Abb.: Dr. Hermann Kinne, Leiter der Abteilung Dessau des Landesarchivs Sachsen-Anhalt (Foto: privat)

Herr Kinne folgt auf Dr. Andreas Erb, der die Abteilung seit 2008 leitete und jetzt als Leiter zum Stadtarchiv Amberg gewechselt ist. Dr. Hermann Kinne, geboren 1977 in Leipzig, studierte in Leipzig Geschichte, Historische Hilfswissenschaften, Archivwissenschaften und Namenkunde. Promoviert wurde er mit einer Untersuchung zum Kollegiatstift St. Petri zu Bautzen von dessen Gründung vor 1221 bis zum Jahr 1569. Er war u. a. wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig, nach dem Archivreferendariat in Detmold und Marburg Mitarbeiter des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen, beim Bundesbeauftragen für Stasiunterlagen in Berlin und von 2017 bis 2021 in der Abteilung Merseburg des Landesarchivs Sachsen-Anhalt tätig.

Für die kommenden Jahre sieht Hermann Kinne einen Schwerpunkt bei der Entwicklung und Erprobung neuer Angebote für Nutzer und Nutzerinnen des Archivs. Mit der Digitalisierung und Online-Stellung verschiedener Bestände auch der Abteilung Dessau hat man bereits heute die Möglichkeit, von überall auf Archivalien des Landesarchivs Sachsen-Anhalt zuzugreifen. Die digitale Nutzung muss zugleich durch erweiterte Zugänge zu demjenigen – deutlich größeren – Teil des Archivguts ergänzt werden, der noch immer und dauerhaft nur in analoger Form benutzbar sein wird. Die auch in Dessau veränderten Nutzungsgewohnheiten werden konsequent in die Planung und Ausrichtung der Abteilung sowie die Umsetzung angepasster archivischer Angebote einfließen.

Kontakt:
Landesarchiv Sachsen-Anhalt – Abteilung Dessau
Heidestraße 21
06842 Dessau-Roßlau
Tel.: 0340/519896-13
Fax: 0340/519896-90
dessau@la.sachsen-anhalt.de

Quelle: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Pressemitteilung, 11.05.2021; Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Neue Abteilungsleitung in Dessau

Schenkung einer Handschrift aus Texas für das Landesarchiv NRW

Sein großes Interesse an Paläographie veranlasst Farley Katz, einen privaten Sammler von Manuskriptfragmenten aus San Antonio (Texas, USA), seine Schätze an ausgewählte Bibliotheken in den Vereinigten Staaten zu verteilen – meist in die Bancroft Library in Berkeley.

Im Juni 2021 kam jedoch auch das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in den Genuss einer Schenkung, die durch die Leiterin des Historischen Archivs der Stadt Köln, Bettina Schmidt-Czaia, vermittelt wurde. Denn sie verfasste 1992 ihre Dissertation über „Das Kollegiatstift St. Aegidii et Caroli Magni zu Wiedenbrück“ und wurde durch diese Arbeit als Expertin gefunden.


Abb.: Amtsbuch des Kollegiatstiftes Wiedenbrück (Landesarchiv NRW, B 905/Kollegiatstift Wiedenbrück – Akten, Nr. 49)

Das schmale Amtsbuch, ein Einkünfteregister der Hebdomadare und Kanoniker des Kollegiatstiftes Wiedenbrück (1571-1604), ist inzwischen im Landesarchiv NRW eingetroffen. – Auch die weitere Überlieferungsgeschichte des frühneuzeitlichen Amtsbuches dürfte interessant sein.

Kontakt:
Landesarchiv NRW
Schifferstr. 30
47059 Duisburg
Tel.: 0203 / 98721-0
poststelle@lav.nrw.de

Quelle: Landesarchiv NRW, Neuigkeiten, 22.06.2021

Tiroler Landeshauptmann durfte auf dem Index stehende Bücher einsehen

Am 11. Juni 1665 unterzeichneten die sieben Mitglieder der Inquisitionskommission in Rom, darunter die Kardinäle Francesco Barberini und Marzio Ginetti, eine Genehmigung, mit der sie Johann Dominicus Graf von Wolkenstein-Trostburg (1620-1675), dem Landeshauptmann der Gefürsteten Grafschaft Tirol, für die Dauer von fünf Jahren die Lektüre der Werke von Charles Dumoulin und Nicolò Macchiavelli erlaubten. Beide Autoren standen auf dem sogenannten Index, also der von den katholischen Kirchenbehörden erstellten Liste der verbotenen Bücher bzw. Autoren, deren Lektüre als Vergehen gewertet wurde und im äußersten Fall mit der Exkommunikation geahndet werden konnte.


Abb.: Genehmigung zur Lektüre der verbotenen Bücher durch die Mitglieder der Inquisitionskommission in Rom, 1665 (Südtiroler Landesarchiv, Archiv Toggenburg, Nr. 750)

Nicht von ungefähr war der Index bzw. die dafür zuständige Römische Inquisition (Indexkongregation) im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts errichtet worden, als sich die Reformation vor allem im deutschen Sprachraum dank massenhafter Verbreitung gedruckter Schriften „häretischen“ und kirchenkritischen Inhalts nahezu unkontrolliert ausbreitete. Dabei wurden nicht nur der Reformation zugeneigte Autoren auf den Index gesetzt, sondern auch katholische Schriftsteller, die abweichende Meinungen vertraten, sowie sämtliche Übersetzungen der Bibel in Volkssprachen, da das Lesen der Bibel durch Laien als gefährlich erachtet wurde.

Charles Dumoulin (1500-1566), ein viel beachteter französischer Rechtsgelehrter, war auf dem Index gelandet und langjährigen Anfeindungen ausgesetzt, da er die Missbräuche der katholischen Kirche bei der Erteilung von Dispensen oder der Vergabe von Benefizien scharf kritisiert hatte.

Die Werke des Staatsphilosophen Nicolò Macchiavelli (1469-1527) wurden bereits 1559 auf den Index gesetzt und in der Folge vielfach verdammt, während sie anderen als fundamentale Werke über die Natur des Regierens galten. Eine Genehmigung zum Lesen dieser beiden Autoren wurde augenscheinlich nur selten erteilt, umso interessanter ist, dass Johann Dominicus von Wolkenstein wohl seiner Funktion als Landeshauptmann wegen als auch wegen seines untadeligen Rufs auf fünf Jahre das Lesen ihrer Werke erlaubt wurde.

Die Zahl der von der katholischen Kirche verbotenen Bücher stieg im Laufe der Jahrhunderte auf circa 6.000 Werke an; der Index, der mehr als vierhundert Jahre bestanden hatte, wurde erst 1966 bzw. 1967 offiziell außer Kraft gesetzt.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8/B
39100 Bozen
Tel.: +39 0471/ 411940
Fax: +39 0471 / 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Aktuelles, Archivale des Monats Juni 2021, 07.06.2021

Auswanderungsforschung am Beispiel der Enzkreis-Gemeinden

Der Kreisarchivar des Enzkreises, Konstantin Huber, hat jetzt in der Schriftenreihe des Kreisarchivs, eine Publikation über die Amerika-Auswanderung aus den Enzkreis-Gemeinden vorgelegt. Das Buch mit dem sprechenden Obertitel „… ich hatte besser Leben in diesem Land“ beleuchtet das Kapitel der Auswanderung nach Nordamerika im 19. Jahrhundert. Der Titel bezieht sich auf das Leben in der neuen Heimat Amerika und repräsentiert die Auffassung vieler Emigranten, die sich in ihren Briefen zufrieden mit ihrem neuen Leben zeigen und sogar ihre Verwandtschaft auffordern, es ihnen gleich zu tun.

Der 112 Seiten starke Band ist illustriert mit Faksimiles vieler Dokumente, die Archivar Huber in den Archiven verschiedener Enzkreis-Gemeinde, wie z.B. Ölbronn, aufgetan hat. Am Beispiel mehrerer Familien werden die Umstände und Beweggründe für die Auswanderung erkennbar: Das württembergische Erbsystem mit dem Prinzip der Realteilung führte dazu, dass breite Bevölkerungsschichten im 19. Jahrhundert verarmten. Ein regelrechter Massenexodus ereignete sich daraufhin ab dem Jahr 1850. – Transkribierte Briefe in der Publikation gewähren tiefe Einblicke in das Schicksal der Auswanderer. Die Lektüre ermuntert nicht zuletzt zu historischen Analogien und Vergleichen.

Info:
Konstantin Huber:
… ich hatte ein besser Leben in diesem Land. Inventuren, Teilungen und Pflegrechnungen und ihre Bedeutung für die Auswanderungsforschung
hg. v. Kreisarchiv des Enzkreises
(Kraichgau-Mosaik, Bd. 1)
(Der Enzkeis. Schriftenreihe des Kreisarchivs, Bd. 14)
zahlreiche farbige Abbildungen, 112 Seiten,
ISBN 978-3-940968-26-5, Euro 14,90.

Kontakt:
Kreisarchiv des Enzkreises
Östliche-Karl-Friedrich-Straße 58
75175 Pforzheim
(Postfach 101080, 75110 Pforzheim)
Tel.: 07231/308-9423
Kreisarchiv@enzkreis.de

Quelle: PK, 12.6.2021; MT, 11.6.2021; PZ, 11.6.2021

Thronwechsel in Mecklenburg-Schwerin im Jahre 1785

Erbprinz Friedrich Franz I. folgt auf Herzog Friedrich den Frommen.

Als Friedrich Franz, Erbprinz von Mecklenburg-Schwerin, am Morgen des 24. April 1785 ausritt, konnte er von der einschneidenden Veränderung, die dieser Tag in sein Leben bringen sollte, noch nichts ahnen. Gewiss, am 21. hatte sein Onkel Friedrich, der regierende Herzog von Mecklenburg-Schwerin, „viel Schmerzen an die Ohren erlitten,“ und ist „die ganze vorige nacht kranck gewesen,“ wie der Erbprinz in seinem Journal vermerkte. Am 22. war der 28jährige „des Morgens beym Herzog zum unterschreiben,“ und „Serenissimus sind zwar etwas besser, allein dürfen noch gar nicht starck Husten, wegen den schmerzen im Kopf, und Ohr.“ Aber immerhin war der Mann auch 67 Jahre alt.

Am 24. nun kam „Auf einmahl die traurige Nachricht, Mein bester Oncle, Vater, und Wohlthäter sey sehr kranck, und diese kranckheit brachte einigemahle den Schlagfluß zu wege, worann er denn heute Morgen als den 24. um 6 ½ Uhr im Herrn sanft und seelig verschiet. Ach Gott welche schwere Strafe, aber auch welches Glük einen so treuen Freund gehabt zu haben, der einen den Weg zum Himmel bahnt, wenn man seinen Fußstapfen folgt. Seelig sind die todten die in den Herrn Schlafen von nun an bis in Ewigkeit. Ach seegne doch Mein Armes Vaterland durch mich unwürdigen.“ Diesen Journaleintrag vom 24. April 1785 schloss Friedrich Franz erstmals mit einem Signum bzw. Monogramm – „FFHzM“: Friedrich Franz, Herzog zu Mecklenburg.


Abb.: Erstmalige Verwendung des Monogramms „Friedrich Franz Herzog zu Mecklenburg“ (Landeshauptarchiv Schwerin, 2.26-1, Nr. 4391, p. 60)

Der von dem frischgebackenen Herzog hier beschworene Verlust scheint nicht mit den seit je gezeichneten Differenzen zwischen Vorgänger und Nachfolger zu harmonieren. Auf der einen Seite der pietistische sowie durch das Verbot von Theateraufführungen und anderem Unterhaltungsspektakel weltlich etwas entrückt scheinende Friedrich, der bereits zu Lebzeiten den Beinnamen „der Fromme“ erhielt. Auf der anderen Seite der Märkte und Volksfeste liebende, für jedweden Schabernack zu habende, mit außerehelichen Eskapaden und zahlreicher außerehelicher Nachkommenschaft auffällige Friedrich Franz, den der Leibarzt der preußischen Königin Luise wohl nicht zufällig als „turbulenten Herzog“ charakterisierte.


Abb.: Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin um 1786 (Landeshauptarchiv Schwerin, 13.1-3, Gen. XX, Friedrich Franz Nr. 26, Ausschnitt)

Diese unzweifelhaften Antagonismen in Lebensauffassung bzw. Lebensführung sollten jedoch den Blick auf das Wesentliche einer Regentschaft nicht verstellen, die Regierungsführung. Herzog Friedrich sah es als seine Regentenpflicht an, unnütze Aufwände zu vermeiden, um die Last des Volkes zu erleichtern. Folglich wird ihm attestiert, in seinem politischen Wirken mit Reformen auf die Verbesserung der Lebensumstände seiner Untertanen gezielt zu haben. Darauf hob Friedrich Franz ab, als er am 24. April 1785 die großen Fußstapfen des Verstorbenen bemühte. Diese Überzeugung bekräftigte der junge Herzog, sich bescheiden in den Hintergrund stellend, auch mit seiner Sukzessionsmedaille. Er legte sie eher wie eine Sterbemedaille für seinen Onkel an, dessen frommen und unsterblichen Spuren er zu folgen beabsichtigte – vestigia pii et immortalis patrui sequor. Inwiefern es ihm in seinen fast 52 Regentschaftsjahren gelang, diesem Credo gerecht zu werden, kommt durchaus auf den Standpunkt des Betrachters an. Den Anspruch, dessen Realisierung eine hier nicht zu erzählende Geschichte darstellt, erhob Friedrich Franz I. jedenfalls.

Kontakt:
Landeshauptarchiv Schwerin
Graf-Schack-Allee 2
19053 Schwerin

Dr. Matthias Manke
Tel.: 0385 / 588794-55
Fax: 0385 / 588794-12
m.manke@lakd-mv.de

Quelle: Dr. Matthias Manke, Landeshauptarchiv Schwerin, Archivalie des Monats Juni 2021

Ablässe in Villingen-Schwenningen

Eine besondere Urkundengattung im Stadtarchiv.

Das Stadtarchiv Villingen-Schwenningen verwahrt eine große Anzahl von Urkunden in seinen Beständen. Eine besondere Gruppe stellen hier die 17 Ablassbriefe und 3 Ablassbestätigungen dar. Sie stammen aus der Zeit von 1286 bis 1759. Insgesamt sieben Dokumente im Stadtarchiv (Best. 2.4 Nr. 582-587) sind sogenannte Sammelindulgenzen. Sie sind von mehreren Würdenträgern ausgestellt. Diese Urkunden sind in der Regel Schauobjekte. Da die Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit Analphabeten waren, sollten sie durch Sehen glauben.


Abb.: Sammelindulgenz, welche am 4. Juni 1341 von neun Erzbischöfen und Bischöfen für die Villinger Pfarrkirche (Altstadtkirche) ausgestellt wurde (Foto: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen)

Die ausgewählte Urkunde (Best. 2.4 Nr. 586) stellten am 4. Juni 1341 neun Erzbischöfe und Bischöfe in Avignon unter dem Pontifikat Benedikts XII. für die Villinger Pfarrkirche (Altstadtkirche) aus. Von den neun Siegeln sind noch acht (schwer beschädigt) erhalten, das neunte fehlt. Der Text ist lateinisch und beginnt mit dem Wort Universis. Das Pergament ist 60 mal 83 cm groß. Der Ausschnitt zeigt von Weinranken eingerahmt die Initiale U (31×44 cm). In der Mitte ist die Heilige Katharina von Alexandria zu sehen. Sie ist an ihren Attributen Krone, Schwert und Rad zu erkennen. Rechts daneben hält ihr ein kniender Mönch ein weiteres ihrer Attribute, den Palmzweig, entgegen. Auch der folgende Buchstabe N ist mit einem floralen Muster geschmückt.

Kontakt:
Amt für Archiv und Schriftgutverwaltung
Abteilung Stadtarchiv
Winkelstraße 7, Bau D, 3. OG
78056 Villingen-Schwenningen
Lantwattenstraße 4
78050 Villingen-Schwenningen
Tel.: 07721 / 82-1810 und 07721 / 82-1817
stadtarchiv@villingen-schwenningen.de

Postanschrift:
Postfach 12 60
78002 Villingen-Schwenningen

Quelle: Stadtarchiv Villingen-Schwenningen, Aktuelles, Juni 2021; Stadt Villingen-Schwenningen, Aktuelle Stadtmeldungen, 04.06.2021

Die Technisierung bei der Crailsheimer Feuerwehr

Vom Ledereimer zum Löschzug.

Eine der ältesten Zeichnungen in der Grafiksammlung des Stadtarchivs Crailsheim zeigt nicht etwa eine historische Stadtansicht oder eine honorige Persönlichkeit, sondern eine kuriose Gerätschaft: Auf einem Traggerüst aus roten Holzbalken und -brettern sitzt ein dekorativ verzierter Kasten. Er wird flankiert von zwei senkrechten Ständern, in denen Hubstangen befestigt sind. Diese kreuzen sich über der Mitte des Kastens und betätigen zwei dünne Eisenstangen, die in den Kasten abgesenkt werden können. Daneben ragt ein Metallrohr empor, dessen waagerecht abgewinkeltes Ende vermutlich geschwenkt werden konnte. Unter dem Kasten ist ein U-förmiges Rohr zu sehen. Offenbar handelt es sich um ein raffiniertes technisches Gerät.


Abb.: Noa Ruthardt von Biberach war ein gefragter Spezialist: Im Stadtarchiv Crailsheim hat sich sein Entwurf für eine Handdruckspritze erhalten (Bild: Stadtarchiv Crailsheim)

Aufschluss gibt eine kleine Beischrift auf der Rückseite des ehemals wie ein Brief gefalteten Blattes: „Modell von einer Waßerkunst“. Das Bild zeigt somit eine Spritze, bei der durch Betätigen der Hebel im Behälter Druck erzeugt wird und somit Wasser gespritzt werden kann. Der „Meister dieses Werkes“, Noa Ruthardt von Biberach, nennt sich stolz auf der Vorderseite. Dort sind auch die Maße des Kastens angegeben. Offenbar hatten die Crailsheimer zu Beginn des 18. Jahrhunderts genug davon, Brände mühselig mit Ledereimern zu löschen. Die Stadt interessierte sich für eine moderne Feuerspritze und holte dazu von weit her das Angebot eines Fachmannes ein. Der Preis der Spritze ist mit 140 Gulden angegeben.

Der „Technikfuchs“ Noa Ruthardt war damals wohl überregional bekannt: Eine von ihm 1733 gefertigte Handdruckspritze hat sich noch in Lienz in Österreich erhalten. Es ist bekannt, dass Ruthardt persönlich von Biberach nach Lienz reiste, um die Handhabung des Geräts zu erklären. Diese vermutlich älteste erhaltene Feuerspritze Tirols war rund 150 Jahre im Einsatz und befindet sich immer noch im Besitz der Lienzer Feuerwehr.

Ein Vergleich zeigt die Ähnlichkeit zum Entwurf im Crailsheimer Stadtarchiv: Auch hier sitzt ein Kasten auf einer Tragkonstruktion, die an den Schmalseiten die Halterungen für die Pumpstangen hält. Das Spritzrohr ragt oben aus dem Kasten heraus. Deutlich wird jedoch auch, dass zum Transport ein Wagen genutzt werden konnte. Dieser wurde in Lienz von Pferden gezogen. Die Spritze in Lienz ist ebenfalls bemalt, auf der mittigen Kartusche ist das Wappen der Adelsfamilie Wolkensteiner zu sehen, daher der Name: Wolkensteiner Spritze. Auf einem Crailsheimer Modell, wenn es wie auf der Zeichnung dargestellt gebaut worden wäre, hätten sich die drei Kraile (gestürzte schwarze Kesselhaken) des Stadtwappens sicher gut in der Wappenkartusche gemacht, die von Löwen und Blattranken umrahmt wird.

Ob diese „Wasserkunst“ jedoch tatsächlich von der Stadt angeschafft wurde, ist bislang nicht bekannt. Dass sich die Stadt schon in früheren Jahrhunderten rege um eine zeitgemäße technische Ausrüstung – und damit um die Sicherheit ihrer Einwohner – bemühte, ist an einzelnen Punkten gut nachvollziehbar: In den Stadtrechnungen ist belegt, dass 1779 eine „größere Feuermaschine“ mit Schlauch angeschafft wurde. Sie stammte aus der Werkstatt des ansässigen Glockengießers Johann Ernst Lösch. Glockengießer Lösch wurde um 1800 regelmäßig für die Wartung der Spritzen bezahlt.

1837 wurde eine alte tragbare Feuerspritze verkauft und ein moderneres Gerät angeschafft. Schon 1857 lieferte die Firma Metz aus Heidelberg eine „Saug- und Feuerspritze“, nachdem im Jahr zuvor die Feuerwehr für alle Männer verpflichtend geworden war. Weil es immer wieder Beschwerden über deren Einsatzeifer gab, wurde schließlich 1877 unter Stadtschultheiß Leonhard Sachs die Freiwillige Feuerwehr gegründet. Dazu holte die Stadt wiederum Angebote für „Feuermaschinen“ ein, wie mehrere Darstellungen eleganter Löschwagen in der Grafiksammlung des Stadtarchivs beweisen.


Abb.: Werbeplakat der Firma Magirus aus Ulm ca. 1860 (Bild: Stadtarchiv Crailsheim)

Von diesen ältesten Feuerlöschgeräten hat sich in Crailsheim allerdings keines erhalten. Das älteste erhaltene Fahrzeug ist der Tanklöschwagen 15/50, der von 1953 bis 1983 in Betrieb war, weitere Oldtimer sind das Löschgruppenfahrzeug 16-TS von 1960 und der Schlauchwagen 2000 aus dem Jahr 1966: „Die sind alle noch fahrbereit“, betont Stadtbrandmeister Armin Klingenbeck. Nach seiner Auskunft besitzt die Crailsheimer Wehr momentan 32 im Dienst stehende Fahrzeuge, sowie zwölf Abrollbehälter und drei Anhänger. Das modernste Fahrzeug ist der kürzlich angeschaffte Kommandowagen, der über einen Hybridantrieb verfügt.

Kontakt:
Stadtarchiv Crailsheim
Marktplatz 1 (Gebäude: Arkadenbau)
74564 Crailsheim
Tel.: 07951 / 403-1290
www.stadtarchiv-crailsheim.de

Quelle: Dr. Helga Steiger, Stadtarchiv Crailsheim, Archivale des Monats Juni 2021

Die Überschwemmungskatastrophe von 1926 in Laupheim

Endlich Sommer! Sonnenschein, warme angenehme Temperaturen und blühende lebendige Natur. Das Wetter in den Sommermonaten kann jedoch auch für heftige Regenfälle und sogar Überschwemmungen sorgen. Um zu zeigen, wie das in Laupheim aussehen kann, fiel die Wahl des Stadtarchivs Laupheim für die Archivalie des Monats Juni 2021 auf Fotografien zu der Überschwemmungskatastrophe von 1926.


Abb.: Tiefergelegene Regionen wurden überflutet, 1926 (Stadtarchiv Laupheim)


Abb.: Behelfssteg in Laupheim über eine überschwemmte Straße, 1926 (Stadtarchiv Laupheim)

Georg Schenk erinnert sich in einem Bericht dazu noch lebhaft:

Seit Mittwoch dem 2. Juni 1926 hatte es ununterbrochen geregnet. Alle Vorbereitungen waren schon für die am anderen Tage fällige Fronleichnamsprozession getroffen worden; sie musste jedoch ausfallen, denn es regnete und regnete weiter. Auch am Freitag hatte der Himmel seine Schleusen immer noch offen. Bäche und Flüsse schwollen immer mehr an und begannen über ihre Ufer zu treten.
Schon um neun Uhr des Vormittags konnte die Laubach die aus Grund hervorbrechenden Wassermassen nicht mehr aufnehmen; sie traten über die Ufer und wurden zum reißenden Strom. Sie drangen mit heftiger Gewalt aus dem Schlosspark durch das Fäbergässle zum Marktplatz vor, durchbrachen das Haus von Schumacher Müller und bedrohten die Gebäude vom Mineralwasserfabrikant Stammler und Karl Schmid. Auch die Wege wurden aufgerissen. Die Mittel- und Rabenstraße ergoss sich zunächst ein schmaler, reißender Bach, der sich schnell über die ganze Breite der Straße ausdehnte.
Mit Mühe und Not brachte man die Schulkinder über die schmutziggelben Wogen in Sicherheit; die Kleinen weinten vor Angst, die Großen freuten sich des aufregenden Erlebnisses, das ihnen einen vorzeitigen Abbruch des Unterrichts bescherte. Gegen zehn Uhr waren alle Straßen auch in der Unterstadt überschwemmt; wie Inseln standen die Gebäude im tobenden Element. Es half nur wenig, dass mancher versuchte, seinem Eindringen in Keller und Untergeschoss durch allerlei Behelfsmittel Einhalt zu gebieten. In vielen Häusern mussten die unteren Stockwerke geräumt werden. Vieh, Schweine und Geflügel wurden hastig in Sicherheit gebracht. Noch um elf Uhr schwoll das Wasser an und jetzt umso mehr, als es nun in der Rottum keinen Abfluss mehr fand.
Die Not stieg, denn nun kamen die Wassermassen auch noch von unten herauf. Die Rottum hatte bereits das ganze Wiesengelände bei der Steinerschen Werkzeugfabrik in einen brodelnden See verwandelt. Die Bewohner der Insel und der Krautgasse mussten in Sicherheit gebracht werden. Allenthalben wurde bei der Räumung der Häuser und Eindämmung des Wassers von den wackeren Mannen der Feuerwehr und der Sanitätskolonne, die man aus den Betrieben alarmiert hatte, tatkräftige Hilfe geleistet. Die Brücken wurden überschwemmt; der Verkehr musste eingestellt werden.


Abb.: Sanitäter waten mit einem Verletzten durch eine überspülte Straße, 1926 (Stadtarchiv Laupheim)

Noch um fünf Uhr nachmittags wurden auch die Häuser entlang der Rottum und in der Sterngasse geräumt, denn der Flusslauf stieg im Laufe des ganzen Tages immer mehr an, während die dem Grund entströmenden Gewässer schon ab zwei Uhr langsam nachließen. Gegen Abend konnten einige Straßen um den unteren Marktplatz wieder begangen werden.

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Quelle: Stadtarchiv Laupheim, Archivalie des Monats Juni 2021