Brilon erschwert Aktenzugang im „Opa-Streit“

Eine Woche nachdem Lokalhistoriker in einer Kleinstadt im Sauerland mit ihren Recherchen begannen, hat der „Opa-Streit“ um fragwürdige Äußerungen von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz die bundespolitische Bühne erreicht. So meldeten sich gestern Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz und Sebastian Edathy, der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Rechtsextremismus in der SPD-Bundestagsfraktion, zu Wort. Vor Ort, in Merz Heimatort Brilon, hat unterdessen die Stadtverwaltung versucht, die Forschungsmöglichkeiten für Lokalhistoriker und Pressevertreter zu erschweren.

Der Erste Beigeordnete der Stadt Brilon, Reinhard Sommer, erteilte gestern eine mündliche Dienstanweisung an alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Unterlagen des Briloner Stadtarchivs zum Verhalten von Merz Großvater, des ehemaligen Bürgermeisters Josef Paul Sauvigny, dürfen demnach nur noch nach ausdrücklicher Genehmigung Sommers veröffentlicht werden. Der Beigeordnete bestätigte dieses Vorgehen gegenüber der taz. „Das ist mein Recht als Beigeordneter“, sagte Sommer. Anfragen für weitere Archivmaterialien werde er „schnell und in üblicher Weise“ bearbeiten.

Anders als der derzeitige Briloner Bürgermeister Franz Schrewe (SPD) gehört der Beigeordnete Sommer der CDU an. „In Wahrheit ist die taz gar nicht an Sauvigny interessiert, sondern will nur Friedrich Merz in eine rechte Ecke stellen“, sagte Sommer.

Informanten der taz waren vergangene Woche im Briloner Stadtarchiv auf NS-freundliche Äußerungen Sauvignys gestoßen. Sauvignys Enkel Friedrich Merz hatte auf einer Parteiversammlung am 6. Januar in seinem sauerländischen Heimatort Brilon dazu aufgerufen, das „rote Rathaus“ der Stadt „zu stürmen“. Zur Begründung verwies er auf seinen Großvater, der im Nationalsozialismus bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1937 Bürgermeister des Orts war.

Sein Großvater habe „von 1917 bis 1937“ als Bürgermeister amtiert. Ihn, Merz, erfülle daher „mit tiefem Grausen“, dass derzeit „ein roter Bürgermeister“ amtiere. In keiner Gemeinde des Hochsauerlandkreises engagiere er sich so gern persönlich, wenn es darum gehe, „ein rotes Rathaus zu stürmen“. Diese Äußerungen bestätigten gegenüber der taz übereinstimmend drei Teilnehmer der Veranstaltung, bei welcher der CDU-Bürgermeisterkandidat für die Kommunalwahl aufgestellt wurde.

Vor drei Monaten hatte Merz sich bereits in einem Interview mit dem in Berlin erscheinenden Tagesspiegel affirmativ auf seinen Großvater bezogen. Auch damals bezog sich Merz auf die Amtszeit des Bürgermeisters. „Das war mein Großvater immerhin zwanzig Jahre von 1917 bis 1937“, sagte er in dem autorisierten Interview vom 28. September vergangenen Jahres. Grünen-Chef Bütikofer warf Merz gegenüber der taz vor, „die politische Auseinandersetzung zwischen den Parteien in einen geistigen Bürgerkrieg zu verwandeln – und das nicht zum ersten Mal“.

Quelle: taz Nr. 7262, 20.1.2004, S. 7

Grapschender Hofrat ins Archiv versetzt

Erneut wurde ein Skandal um einen hohen Beamten der Landesregierung der Steiermark bekannt. Eine Sekretärin war monatelang den unerträglichen sexuellen Belästigungen ihres Chefs ausgesetzt. Ob es – wie in einem anderen Fall – zu einer gerichtlichen Verurteilung des Täters kommt, ist jedoch fraglich.

Der betroffene Hofrat, der seit seiner Publikation „Protokoll mit Zeremoniell und Etikette“ im Land als Experte für heikle Benimmfragen gilt, dürfte gegenüber einer ihm unterstellten Frau nicht nur die Etikette über Bord geworfen haben. Der ehemalige Protokollchef des Landes quälte seine Sekretärin mit diversen Übergriffen. Dabei wurde der Frau abwechselnd mit unangenehmen Konsequenzen gedroht oder eine Beförderung versprochen, sollte sie etwas erzählen beziehungsweise schweigen. Die mittlerweile schwer kranke Frau wandte sich schließlich an die Gleichbehandlungsbeauftragte des Landes, Ingrid Jauk.

Wie Jauk bestätigte, bat der Mann sein Opfer in einem Sechs-Augen-Gespräch um Entschuldigung, wonach die Frau alle weiteren Schritte einstellte. Die Sekretärin verzichtet damit auch auf einen Schadenersatz von bescheidenen 363,4 Euro, der ihr nach dem Landes-Gleichbehandlungsgesetz zustehen würde. Statt einer Bestrafung wurde ihr ehemaliger Chef mit 1. Jänner 2004 als Referent ins Landesarchiv versetzt.

Die ÖVP-Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic, war am Mittwoch zu keinerlei Stellungnahme in der „Grapsch-Causa“ bereit. Ein Vorgehen, das ihr von den Frauensprecherinnen von SPÖ, FPÖ und den Grünen unisono als Vertuschung übel genommen wird. Die Grünen-Frauensprecherin Edith Zitz will Klasnic nun im persönlichen Gespräch konfrontieren. Denn Zitz selbst habe in ihrer Funktion als Landtagsabgeordnete wiederholt unter verbalen sexuellen Belästigungen eines ÖVP-Kollegen zu leiden gehabt.

Quelle: Der Standard, 15.1.2004

Meißen: Kein Geld mehr für Kultur

Die Meißener Stadträte diskutieren derzeit, ob die Gründung einer Kultur-GmbH beim Sparen hilft. Finanzbürgermeister Hartmut Gruner glaubt nicht daran. 2004 muss die Stadt für das Museum, die Bibliothek, das Archiv und das Theater rund 650.000 Euro ausgeben.

Etwa 360.000 Euro gab die Stadt Meißen für das Museum aus. 223 000 Euro wurden in die Bibliothek gebuttert. Ungefähr 31 000 Euro schluckte das Stadtarchiv, und knapp 36 000 Euro bekam das Theater aus der Haushaltskasse. In Summe sind das 650.000 Euro, die Meißen im vergangen Jahr für die Kultureinrichtungen ausgeben hat. Auch 2004 wird dieser Betrag gebraucht. So schätzt das Finanzbürgermeister Hartmut Gruner beim jetzigen Stand des Haushaltsplans ein. Angesichts der Meißner Finanzsituation – die Stadt hat ein Defizit von 6,5 Millionen, das sie in den nächsten Jahren abbauen muss – ist das eine große finanzielle Belastung.

„Wir haben dicke Köpfe“, sagt Gesine Augustin, die Fraktionsvorsitzende der CDU im Stadtrat. Die Räte wissen nicht, wie sie das Museum, die Bibliothek, das Archiv und das Theater in Zukunft finanzieren sollen. Ihr Plan ist es, die Einrichtungen in einer Kultur-GmbH zu vereinen, um damit Kosten zu sparen. „Ergeben sich bei dieser Umstrukturierung allerdings keine Sparmöglichkeiten, bin ich für gravierende Einschnitte“, sagt Gesine Augustin. Im Klartext hieße das: Einige städtischen Kultureinrichtungen müssten schließen.

Für Gruner steht das überhaupt nicht zur Diskussion. „Wir müssen die Häuser mit Leben füllen“, sagt er. Erst recht, weil die Gebäude umfangreich saniert wurden oder werden. Pessimistisch ist er allerdings, was den Nutzen der GmbH-Gründung betrifft. Gruner glaubt nicht an einen großen Spareffekt: „Es gibt keine rechtliche Sicherheit dafür, ob sich die tariflichen Bedingungen, unter denen die Mitarbeiter bisher angestellt sind, verändern lassen.“ Oberbürgermeister Thomas Pohlack hält aber an der Groß-GmbH fest: „Zehn bis 20 Prozent der Personalkosten würde das sparen.“ Die Vorbereitungen für den Superkulturbetrieb sind jedenfalls getroffen. „Der Gesellschaftervertrag der Theater-GmbH wurde dahingehend verändert, dass er wie ein Mantelvertrag aufgebaut ist, in den die anderen Kultureinrichtungen hineingesteckt werden können.“

Sparen hin, sparen her, SPD-Stadträtin Gundula Sell will weder die große Kultur-GmbH, noch auf eine der Einrichtungen verzichten. Sie plädiert dafür, die Theater-GmbH so zu lassen, wie sie ist und das Museum, die Bibliothek und das Archiv unter einen extra Hut zu bringen. „So könnten die Mitarbeiter flexibler eingesetzt und die Einrichtungen wirkungsvoller vermarktet werden.“ Nur das macht für die Stadträtin Sinn. Eines der Häuser zu schließen – „da müssten wir uns schämen.“ Für sie gehören die zur kulturellen Grundversorgung der Meißner. „Wir haben die Einrichtungen lange und mühsam bewahrt. Jetzt müssen wir sehen, dass wir sie durch optimale Strukturen am Leben erhalten.“ Das allein reicht Axel Sauer, dem Fraktionschef der PDS, nicht. Kultur ja, aber effektiv und sparsam arbeiten sollen die Einrichtungen, so die Haltung der PDS. Sauer ist für eine einheitliche Organisation der städtischen Kultur. „Wir haben von Anfang an den Vorschlag dafür gemacht. Beispiele in anderen Städten wie Riesa zeigen, dass es funktioniert“, sagt er. Die PDS jedenfalls würde nie ihre Zustimmung geben, wenn es hieße, Museum oder Bibliothek müssen schließen.

Kontakt:
Stadtarchiv Meißen,
Kleinmarkt 5,
01662 Meißen
http://www.stadt-meissen.de/

Quelle: Sächsische Zeitung, 16.1.2004

Interesse an Stasi-Akten ungebrochen

Auch mehr als ein Jahrzehnt nach der Öffnung der Stasi-Archive in Ostdeutschland ist das Interesse an den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ungebrochen. „Monatlich werden bei uns immer noch mehr als 400 Anträge auf Akteneinsicht gestellt“, sagte Rüdiger Sielaff, Leiter der Außenstelle der Behörde für die Stasi-Unterlagen in Frankfurt (Oder).

„Das hat niemand geahnt. Als die Akten zugänglich wurden, dachten alle, bis Ende der 1990er-Jahre ist das Thema durch. Inzwischen fragt schon die nächste Generation nach den Akten“, sagt Sielaff. Kinder und Enkel wollten wissen, was die Akten der Eltern und Großeltern enthalten. Zudem müsse aus der Zeit der Antragsflut vor gut zehn Jahren noch ein Rückstau von knapp 4.000 Anträgen abgearbeitet werden. „Die Wartezeiten verringern sich aber.“ Wer von der Stasi nicht erfasst war, kann das laut Sielaff innerhalb von zwölf Wochen erfahren.

Die Wartezeiten hingen davon ab, wie schnell eine Akte gefunden werde, wie umfangreich sie sei und wie viele Informationen darin geschwärzt werden müssten. Die Bearbeitungszeit könne bis zu zweieinhalb Jahren dauern. „Davon sind etwa 10 bis 15 Prozent der Antragsteller betroffen.“ In der Oderstadt sind die Akten der einstigen MfS-Bezirksstellen Frankfurt und Cottbus zusammengefasst. Die Außenstelle beherbergt rund 10.000 laufende Regalmeter Akten. Die Behörde verwaltet zudem rund 3.000 Meter Film sowie 1.460 Säcke mit von der Stasi vernichtetem Material. „Es harrt der Rekonstruktion“, sagt Sielaff. Ein erheblicher Teil der Akten müsse erst noch gesichtet werden.

Kontakt:
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Fürstenwalder Poststraße 87
15234 Frankfurt (Oder)
Tel.: (03 35) 60 68 – 0
Fax: (03 35) 60 68 – 24 19
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Quelle: Morgenpost (Berlin), 19.1.2004

Verdienstkreuz am Bande für Prof. Dascher

Das Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport teilt mit:
Im Namen von Bundespräsident Johannes Rau hat Manfred Morgenstern, Staatssekretär im Kulturministerium NRW, heute dem ehemaligen Leiter des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, Professor Dr. Ottfried Dascher, das Verdienstkreuz am Bande überreicht.

Der 1936 geborene Dascher hat sich vor allem um das Archivwesen der Wirtschaft in Forschung, Lehre und Praxis auf nationaler und internationaler Ebene verdient gemacht. Als Vorstandsmitglied im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare VdA (1977-1985) setzte er sich besonders für die Aus- und Weiterbildung junger Archivare in der Wirtschaft ein. „Sie haben sich durch Ihre langjährige Tätigkeit als Vorsitzender der Fachgruppe der Wirtschaftsarchive im VdA und im Vorstand der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare einen hervorragenden Ruf im In- und Ausland erworben“, würdigte Morgenstern den Ordensträger in seiner Laudatio. Von 1974 bis 1988 war Professor Dascher Sekretär und später Präsident des Ausschusses für Wirtschaftsarchivare im Internationalen Komitee für Wirtschaftsarchivwesen beim Internationalen Archivrat in Paris. Sein besonderes Anliegen dabei war, die deutschen Wirtschaftsarchivare mit dem Ausland zu vernetzen.

Daschers Engagement kam nicht zuletzt dem Westfälischen Wirtschaftsarchiv in Dortmund zu Gute, das sich unter seiner nahezu zwanzigjährigen Leitung zu einem weit über die Landesgrenzen hinaus hoch angesehenen Institut mit Vorbildcharakter für Neugründungen in anderen Regionen der Bundesrepublik entwickelt hat. Seit 1974 nimmt Professor Dascher Lehraufträge zur Archiv- und Quellenkunde der Neuzeit sowie zu Themen der Landes- und Wirtschaftsgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum wahr. In Anerkennung seiner Verdienste in Forschung und Lehre wurde er 1980 zum Honorarprofessor ernannt.

Darüber hinaus wirkte er nahezu 25 Jahre als geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V. Dortmund. Der in Dortmund lebende Daschner hat sein Wissen stets engagiert den lokalen historischen Vereinen zur Verfügung gestellt, u.a. im „Historischen Verein für Dortmund und die Grafschaft Mark e.V.“ und in der Vereinigung von Freunden und Förderern der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund.

Quelle: Pressemitteilung Landesregierung NRW, 15.1.2004

NRW modernisiert seine Archiv-Landschaft

Die vier nordrhein-westfälischen Staatsarchive werden mit einer verbesserten Struktur und einem neuen Technischen Zentrum in Münster für die Zukunft gerüstet. Zum 1. Januar 2004 wurde das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen mit Sitz in Düsseldorf als zentrale Einrichtung gegründet. Die bisherigen Staats- und Personenstandsarchive an den Standorten Düsseldorf, Brühl, Detmold und Münster bilden künftig Abteilungen des von Prof. Wilfried Reininghaus geleiteten Landesarchivs.

In der historischen Speicherstadt Münster-Coerde entsteht das zentrale Technische Zentrum mit modernen Methoden und Geräten der Restaurierungstechnik. Rund 2,2 Mio. EUR investiert das Land in 2004/05 in das für einen Zeitraum von zunächst 15 Jahren angemietete Zentrum. „Archive sind keine staubigen Aktenkammern, sondern das Langzeitgedächtnis einer Gesellschaft. Die Modernisierung ist dringend nötig, um den Zerfall unersetzlicher Dokumente der Landesgeschichte zu verhindern“, erklärte NRW-Kulturminister Michael Vesper heute in Düsseldorf. Auch personell will er das Landesarchiv stärken.

Mit der Modernisierung der Archive folgt das Land den Empfehlungen von Unternehmensberatern: Sie hatten – gegen jeden Zeittrend – festgestellt, dass die NRW-Archive über deutlich zu wenig Personal- und Sachmittel verfügen. Beim Erschließen und Erhalt der Bestände (rund 162 Regal-Kilometer mit Dokumenten vom 7. bis zum 21. Jahrhundert) gibt es dramatische Rückstände. Auch die Arbeit zwischen den einzelnen Standorten soll besser koordiniert werden. „In Münster-Coerde wird auch die Informationstechnik angesiedelt sein, eine große Herausforderung für die Archive. Elektronische Unterlagen sind noch gefährdeter als konventionelles Schriftgut, weil die Software schnell veraltet“, so Vesper. Im IT-Bereich sei NRW gut aufgestellt und wolle diese Stärke weiter ausbauen.

Wie wichtig die Arbeit der Landesarchive ist, belegte Vesper am Beispiel der in den vergangenen zwei Jahren durchgeführten Recherchen zur Entschädigung von Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit. Knapp 30 Prozent aller Anfragen aus Osteuropa konnten die beiden Koordinierungsstellen in Düsseldorf und Münster positiv beantworten (Bundesgebiet: 7,8%). In absoluten Zahlen hat NRW bis Ende 2003 rund 18.000 Anfragen von bundesweit ca. 350.000 bearbeitet. „In die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus werden unsere Archive auch weiterhin einen großen Teil ihrer Kraft stecken, denn viele Akten zur Entschädigung oder zu den NS-Prozessen müssen erst noch erschlossen werden“, betonte der Minister.

Alle NRW-Archive im Landesarchiv zählen rund 6.400 Nutzer pro Jahr 19.000 Benutzertage). Der Online-Verbund „archive.nrw.de“ wurde in 2003 bereits von zwei Millionen Interessenten genutzt. Er soll in diesem Jahr weiter ausgebaut werden.

Quelle: Presseinformation des Ministeriums, „MSWKS-Newsservice“ <info@de-media-service.de>, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, 15.1.2004

Stadtarchiv und Kulturamt Wiesbaden über die Opfer des Holocaust

Mit einem vielseitigen Vortrags-Programm wird in Wiesbaden in den nächsten Wochen der Opfer des NS-Regimes gedacht. In diesem Jahr stehen die Sinti und Roma im Mittelpunkt. Am Montag, 19. Januar, wird im Foyer des Rathauses eine Ausstellung eröffnet. 

Anlass der Gedenkveranstaltungen ist der 27. Januar, den 1996 Bundespräsident Roman Herzog proklamiert hat. Am 27. Januar 1945 hatte die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz – Symbol für die Massenvernichtung – befreit. In Wiesbaden arbeiten seither mehrere Organisationen zusammen, diese Erinnerung zu gestalten. Die Federführung hat das Stadtarchiv.

In der Ausstellung „Hornhaut auf der Seele – die Geschichte zur Verfolgung der Sinti und Roma in Hessen“ werden auf 60 großformatigen Tafeln die Stationen der Diskriminierung und Verfolgung dieser Volksgruppe seit dem Mittelalter dokumentiert. Sie ist bis zum 14. Februar zu sehen. Oberbürgermeister Hildebrand Diehl (CDU) spricht um 19 Uhr zur Eröffnung, anschließend Adam Strauß vom Landesverband der Sinti und Roma. Das Romeo Franz Ensemble unterhält musikalisch.

In Wiesbaden lebten vor ihrer Deportation in die Konzentrationslager rund 100 Sinti und Roma. Mehr als die Hälfte, schätzt Axel Ulrich vom Wiesbadener Stadtarchiv, kamen in den Lagern ums Leben. An sie erinnert das Mahnmal in der Bahnhofstraße. Heute leben in Deutschland rund 80.000 Angehörige dieses Volkes, das in mehreren Schüben aus Indien nach Europa einwanderte.

„Auf dem rechten Auge blind – Die braunen Wurzeln des BKA“ heißt ein Vortrag von Dieter Schenk am Donnerstag, 22. Januar, 19.30 Uhr, im Stadtverordnetensitzungssaal des Rathauses. Schenk ist BKA-Kriminaldirektor a. D. und Honorarprofessor an der Universität Lodz. Für sein Buch „Die braunen Wurzeln des BKA“ erhielt er 2003 den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union.

Einen Vortrag über „Antiziganismus“ hält Udo Engbring-Romang am Dienstag, 27. Januar, um 18 Uhr ebenfalls im Stadtverordnetensitzungssaal. Er ist Autor eines Buches über die Verfolgung der Sinti in Wiesbaden. Um die literarische Konstruktion des „Zigeuners“ geht es am Donnerstag, 29. Januar, 19 Uhr. Es spricht Professor Wilhelm Solms (Marburg) im Rathaus, Raum 22. Am Dienstag, 3. Februar, erinnert Axel Ulrich an den früheren SPD-Oberbürgermeister Georg Buch, der in der Nazizeit Widerstand leistete: 17 Uhr im DGB-Haus am Bismarckring. Ulrich ist Autor einer Biografie über Georg Buch, der am 24. September vergangenen Jahres 100 Jahre alt geworden wäre.

Aus dem Buch „Mein verwundetes Herz. Das Leben der Lili Jahn 1900-1944“ liest Ilse Doerry am Mittwoch, 4. Februar, im Literaturhaus Villa Clementine. Ilse Doerry ist die älteste Tochter von Lilli Jahn, Mutter von Gerhard Jahn, Justizminister (1969 bis 1974) unter Willy Brandt. Lilli Jahns Mann Ernst ließ sich von seiner jüdischen Frau scheiden und lieferte sie schutzlos den Nazis aus. Ihre aufrüttelnde Korrespondenz mit ihren Kindern aus einem Arbeitslager fand man im Nachlass Gerhard Jahns, der 1998 starb.

Über „Ostarbeiter, Ostarbeiterinnen und ihre Kinder“ spricht die Mainzer Historikerin Hedwig Brüchert am Donnerstag, 5. Februar, 19 Uhr, im Rathaus, Raum 22. Sie ist Autorin des Buches „Zwangsarbeit in Wiesbaden“, das Kulturdezernentin Rita Thies (Grüne) in Auftrag gegeben hatte.

Der Film „Die Rollbahn“ wird am Samstag, 7. Februar, und Dienstag, 10. Februar, jeweils um 20 Uhr in der Caligari FilmBühne am Marktplatz 9 gezeigt. Es geht dabei um eine Dokumentation über die erste Rollbahn des Frankfurter Flughafens, die 1944 von jüdischen Zwangsarbeiterinnen gebaut werden musste. Am 7. Februar ist im Anschluss an den Film ein Gespräch mit den Filmemachern Malte Rauch und Eva Voosen vorgesehen.

Die einzige Veranstaltung, die etwas kostet, ist eine Fachtagung am Samstag, 14. Februar, im Wilhelm-Kempf-Haus in Naurod, für die man sich anmelden muss: „Holocaust – eine amerikanische Fernsehserie und ihre Auswirkungen in Deutschland“, die vor 25 Jahren lief. Veranstalter ist die Frankfurter Sozialschule. Anmeldung unter 06127/77290.

Das Programm liegt in den üblichen Verteilerstellen aus, im Rathaus, beim Tourismusbüro und in der Volkshochschule. Mitveranstalter sind unter anderen die Kirchen, die Landeszentrale für politische Bildung und das Aktive Museum Spiegelgasse.

Kontakt:
Stadtarchiv Wiesbaden
Im Rad 20
65197 Wiesbaden
Telefon:  0611 / 31-3329, 31-3747, 31-5429 
Fax:  0611 / 31-3977 
stadtarchiv@wiesbaden.de 

Quelle: Wiesbadener Kurier, 15.1.2004

Aufregendes zur Stadtteilgeschichte im Stadtarchiv Dresden

Historiker, Heimatforscher und Freunde der Geschichte und von Geschichten sind am 24. und 25. Januar 2004 in das Stadtarchiv Dresden auf der Elisabeth-Boer-Straße 1 eingeladen. Stadtarchiv und Stadtmuseum bereiten für dieses Wochenende das 9. Dresdner Kolloquium zur Dresdner Stadtgeschichte vor.

Das Kolloquium begleitet in diesem Jahr erstmals ein „Markt der Geschichte und der Geschichten“. Die Geschichte der ehemaligen Dörfer, der Vorstädte und Stadtteile, der Betriebe, Schulen und Institutionen stehen im Mittelpunkt. Vorgestellt werden Forschungen über Dresdner Persönlichkeiten, Familien, über Dresdner Lebensweise und Traditionen. Es gibt Dokumentationen, Chroniken und Sammlungen zu sehen.

Über 60 Anmeldungen von Heimatforschern, Bürgervereinen und Stadtteilinitiativen liegen zur Zeit vor, und noch immer gehen Anmeldungen ein. Interessenten melden sich im Dresdner Stadtarchiv unter Telefon 03 51/ 4 88 15 24.

Seit 1996 wurden jährlich Arbeitskolloquien zur Dresdner Stadtgeschichte und zur Dresdner Stadtteilgeschichte organisiert. Ein Betrag der Historiker und Dresdner Bürger, das 800-jährige Stadtjubiläum 2006 vorzubereiten.

Kontakt:
Stadtarchiv Dresden
Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
www.dresden.de

Quelle: Bautzener Bote.de, 15.1.2004

Viele Nagolder Dokumente restauriert

Ein Viertel der historischen Dokumente im Nagolder Stadtarchiv mussten vergangenes Jahr restauriert werden, nachdem Schimmel die papiernen Zeitzeugen angegriffen hatte. Ursache für den Schimmelbefall ist nach Einschätzung von Herma Klar, die für das Archiv verantwortlich zeichnet, der feuchte Sommer im Jahr 2002. Die Klimaanlage habe es wohl nicht mehr geschafft, die Raumfeuchtigkeit und -temperatur nach Vorgabe zu regeln.

Kontakt:
Stadtarchiv Nagold
Badgasse 3
72202 Nagold
Tel.: (07452) 681282
Fax: (07452) 681122

Quelle: Pforzheimer Zeitung, 15.1.2004.

Ausstellung in HH-Altona erinnert an jüdische Fotografen

Als der Hamburger Fotograf Emil Bieber im Januar 1938 an Bord eines Schiffes nach England geht, hinterläßt er in Hamburg unter anderem eine Kundenkartei mit achttausend Einträgen sowie sein Archiv mit fünfzigtausend Glasnegativen. Darunter Portraits des Polarforschers Roald Amundsen, des Erfinders Thomas Alva Edison oder der Tänzerin Josephine Baker. Von London aus versucht er, wenigstens einen Teil seiner Geschäftsgrundlage zu retten. Vergeblich. Der neue Besitzer der nun „arisierten“ so genannten Lichtbildwerkstätte stellt sich seinen Kunden mit Deutschem Gruß vor. Ein – wie es immer heißt – Schicksal, das Bieber mit seinen Hamburger Kollegen Max Halberstadt, Erich Kastan und Kurt Schallenberg teilt. Auch sie werden zwischen 1935 und 1938 zur Emigration und damit zur Aufgabe ihrer jeweiligen Fotoateliers gezwungen. Nun sind einige ihrer Werke zurück an die Elbe gekehrt – von der ambitionierten Portraitfotografie über die gebrauchsorientierte Zeitungsreportage; von der engagierten Dokumentationen jüdischen Lebens bis hin zur schnöden Werbefotografie –, versammelt in einer Ausstellung im Altonaer Museum im Westen Hamburgs.

Alles begann Anfang der neunziger Jahre mit der Recherche nach einzelnen Fotos und deren Urheber. Der Historiker Wilfried Weinke hatte in einer Publikation zu jüdischem Leben im Hamburger Grindelviertel Fotos abgedruckt, deren Legenden fehlten. Weinke machte sich auf die Suche. Auf seinem Aufruf an ehemalige Hamburger Bürger jüdischer Herkunft antworteten weltweit rund einhundertzwanzig der Angeschriebenen, gaben Tips, erwähnten weitere Namen oder schickten gar persönliche Bilder aus ihren Familienalben nach Hamburg. Unter anderem kam ein Brief aus Südafrika, in dem eine Frau etwas süffisant fragte, ob Weinke eigentlich die Fotoarbeiten ihres Vaters kenne, der einst auch in Hamburg ein Fotostudio unterhalten und etwa seinen Schwiegervater Sigmund Freud portraitiert hatte: Max Halberstadt.

Wilfried Weinke hat nun mit Verdrängt, vertrieben, aber nicht vergessen alles andere als eine gefällige und leichtgängige Fotoausstellung abgeliefert, bei dem man mit auf dem Rücken verschränkten Händen die Bilder abschreitet und sich allein an den gehobenen Schätzen erfreut. Vielmehr setzt er sein Unternehmen der Würdigung des fotografischen Werkes Biebers, Halberstadts, Kastans und Schallenbergs in einen Kontext mit der Geschichte ihrer Ausgrenzung und ihres Vergessens, die sich in ihrer Heimatstadt Hamburg auch nach 1945 fortsetzte. Das Hamburger Abendblatt etwa druckte Ende der fünfziger Fotografien von Emil Biebers – ohne die Geschichte dieser Bilder zu erzählen. Von Biebers „Wahlheimat“ Südafrika ist die Rede, so als sei der Fotograf seinerzeit freiwillig aus Hamburg ausgewandert, um anderswo sein Glück zu machen. Dokumente dieser Zeitungsausgaben finden sich daher neben Auskünften zu Biebers weiterem Lebensweg. Ein Prinzip des Gegeneinanderstellens, dem die Ausstellung verpflichtet bleibt. Neben Auftragsarbeiten für das gehobene Bürgertum finden sich gleichberechtigt die biographischen Daten zu den vier Fotografen. Zeitungsdrucke haben ebenso ihren Platz wie herausragende Exponate, die von den beruflichen Erfolgen und dem sozialen Status der vier erzählen. Da finden sich von Bieber gestaltete Titelblätter der Theaterzeitung der Hamburger Kammerspiele. Und da ist das Faksimile des Telegramms Kaiser Wilhelms II. an Bieber, sich doch bitte die Tage vom 7. bis 9. August 1908 bereitzuhalten, um seine Majestät abzulichten – womit ansatzweise die persönliche Tragik eines Menschen deutlich wird, der im Alter von sechzig Jahren und auf die Unterstützung seiner Söhne angewiesen, noch einmal im fernen Südafrika von vorne anfangen mußte. Das Schreiben der Hamburger Handwerkskammer, das Kurt Schallenberg im Dezember 1938 unmißverständlich auffordert, seinen Betrieb zu schließen, wird kontrastiert durch Schallenbergs Portraitreihe Hamburger Bürgermeister.

Ermöglicht wurde die Ausstellung durch Mittel der Hamburger Bürgerschaft, der Senatskanzlei sowie der Herbert und Elsbeth Weichmann Stiftung. Möglich wurde sie aber vor allem durch das Engagement des Ausstellungsmachers Wilfried Weinke, der sich durch Archive und Antiquariate wühlte und der die Ausstellung als eine Art Zwischenbilanz, als Diskussionsangebot verstanden wissen will, sich mit der bis heute weitgehend verschütteten Geschichte (nicht nur) Hamburger Fotografen und Fotografinnen zu beschäftigen. Durchaus pikant das Schweigen eines anderen einflußreichen Hamburger Fotografen, auf das Weinke hinweist: Fritz Kempe. Zunächst tätig als Fotograf einer Propagandakompanie, leitete er später die Staatliche Landesbildstelle Hamburg und war zuletzt ehrenamtlicher Kustos beim Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Kempe prägte so die Sammlungs- und Ausstellungspolitik beider Häuser – in denen die Werke der einstigen jüdischen Kollegen verschwiegen wurden.

Die Tatsache, daß in Altona, das so lange versuchte, sich als eigenständiger Ort gegenüber der Hansestadt Hamburg zu behaupten, nun Bieber, Halberstadt, Kastan und Schallenberg in dieser Breite und Ausführlichkeit vorgestellt und gewürdigt werden, entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Keiner der vier Fotografen hat je in Altona gelebt.

Info:
Die Ausstellung im Altonaer Museum endet am 12. April.
WILFRIED WEINKE: VERDRÄNGT, VERTRIEBEN ABER NICHT VERGESSEN
Kunstverlag Weingarten 2003.
304 Seiten, 29 €

Kontakt:
Altonaer Museum
Museumstraße 23
22765 Hamburg

Quelle: Jüdische Allgemeine, 15.1.2004