War Opa doch ein Nazi?

Der Großvater von Unionsfraktionsvize Friedrich Merz war weit tiefer in den Nationalismus verstrickt, als bisher angenommen. Dies geht aus einer dreiseitigen schriftlichen Erklärung hervor, die Merz gestern in Berlin veröffentlichte. Der CDU-Politiker räumte darin ein, sein Großvater sei „Oberscharführer“ der „Reserve-SA“ und Mitglied der NSDAP gewesen. Mit seiner Erklärung kam Merz einer Veröffentlichung der taz zuvor.

Dokumente, die die taz gestern vom Hauptstaatsarchiv Düsseldorf ausgehändigt bekam, belegen: Der Bürgermeister von Brilon Josef Paul Sauvigny war Mitglied mehrere NS-Organisationen, darunter der SA. Am Dienstag hatten Redakteure der taz im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf die Akten des Entnazifizierungsausschusses Brilon ausfindig gemacht. Der Bestand umfaßt zahlreiche Einzelfallakten, darunter die des Briloner Bürgermeister Josef Paul Sauvigny, Merz' Großvater. Auf einen schriftlichen Antrag hin händigte das Hauptstaatsarchiv gestern Vormittag um kurz nach 10 Uhr einem taz-Redakteur in Düsseldorf eine Kopie der 30-seitigen Akte aus.

Darunter sind Rechtfertigungsschreiben Sauvignys aus zwei Verfahren vor den Entnazifizierungsausschüssen in Brilon und in Arnsberg. In einem Schreiben vom 10. Dezember 1947 bezeichnet Sauvigny sich als „Oberscharführer der SA Res.“. Das Dokument ist handschriftlich unterzeichnet. Als gravierend schätzen Historiker das Beitrittsdatum in die SA ein, das aus dem handschriftlich von Sauvigny ausgefüllten und unterzeichneten Fragebogen mit dem Titel „Military Government of Germany“ von 1946 hervorgeht. Dort trug Sauvigny auf Seite 6 unter dem Punkt „Membership in Organisations“ ein: 1.7.1933. Hinter der Kategorie SA fügte er handschriftlich die Worte „-Reserve“ ein. Der Beitrittstermin lag weniger als sechs Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und mehrere Monate vor dem sogenannten Röhmputsch vom 30. Juni 1934. Erst damals wurde die SA nach Ansicht von Historikern weitgehend ausgeschaltet und auf dekorative Zwecke reduziert.

Angesichts der Bedeutung der neu aufgetauchten Informationen bemühte sich die taz zunächst um eine wissenschaftliche Prüfung, eine Veröffentlichung am folgenden Tag war nicht geplant. Außerdem war beim Berlin Document Center als Verwalter der NSDAP-Mitgliedskartei ein Antrag anhängig, um eine Überprüfung der Dokumente aus dem Hauptstaatsarchiv sicherzustellen.

Merz rechtfertigt in seinem Statement von gestern Nachmittag das Verhalten seines Großvaters in Bezug auf die Mitgliedschaft von SA der Reserve und NSDAP in unterschiedlicher Weise. Zum Verbleib im Amt nach dem Ende der Demokratie von Weimar am 30. Januar 1933 schreibt Merz: „Da mein Großvater mit den Nationalsozialisten zunächst die Hoffnung verband, dass sich an den katastrophalen Zuständen in Deutschland und auch in seiner Heimatstadt etwas ändern würde, blieb er im Amt. Nur so ist die Rede zu verstehen, die mein Großvater am 01. Mai 1933 gehalten hat, unterstellt, die zitierten Ausschnitte in der `taz' vom 21.01.2004 sind zutreffend, was ich nicht beurteilen kann.“ Merz fügt hinzu: „Es ist für mich selbstverständlich, dass ich aus heutiger Sicht solche Sätze niemals billigen würde.“

Zum Aufstieg des SA-Manns Sauvigny schreibt Merz, er sei „ohne sein Zutun“ zum Oberscharführer „befördert“ worden. Auch an der NSDAP-Mitgliedschaft sieht Merz seinen Großvater unbeteiligt. „Die Mitglieder der SA und der ,SA-Reserve' wurden später ebenfalls ohne eigenes Zutun in die NSDAP überführt, mein Großvater nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Bürgermeisters wohl im Jahr 1938. Erstmals ist damit belegt, dass die NSDAP Sauvigny nach seiner Versetzung in den Ruhestand zu ihren Mitgliedern zählte. Merz hatte in der Berliner Zeitung am Dienstag erklärt, sein Großvater habe sich 1937 frühzeitig pensionieren lassen, weil „die Nazis ihn angekotzt haben.“

Sauvigny amtierte von 1917 bis 1937, als er im Alter von 61 Jahren in den Ruhestand verabschiedet wurde. Merz schreibt, er sei von den Nationalsozialisten „gezwungen“ worden, aus gesundheitlichen Gründen die Versetzung in den Ruhestand zu beantragen. Obwohl etwa die Beförderung in der SA oder die Überführung in die NSDAP nach Merz' Ansicht „ohne Zutun“ Sauvignys erfolgte, bestreitet der Politiker nicht, dass der Bürgermeister von beiden Mitgliedschaften wußte. „Nach allem, was ich aus meiner Familie weiß, war mein Großvater eine beeindruckende Persönlichkeit und ein erfolgreicher Bürgermeister“, hatte der CDU-Politiker am Dienstag der Berliner Zeitung gesagt.

Mit dieser Beurteilung der Amtsführung und des Charakters von Josef Paul Sauvigny ging Merz über seine Äußerungen am 6. Januar hinaus, als er in Brilon eine Rede auf der Nominierungsversammlung für den CDU-Bürgermeisterkandidaten hielt. Dort hatte er lediglich anerkennend die Dauer der Amtszeit angeführt. Sein Großvater sei Bürgermeister in Brilon zwanzig Jahre gewesen. Die Berichterstattung der taz kommentiert Merz im letzten Satz: „Der journalistische Stil der taz ist widerlich.“

Ob die Stadtverwaltung Brilon angesichts der neuen Erkenntnisse aus dem überörtlichen Aktenstudium die eigene Verzögerungstaktik in Bezug auf etwaige Recherchen im „Opa-Streit“ aufgibt, bleibt offen.

Quelle: taz Nr. 7264 vom 22.1.2004, Seite 7

Nachlass von Rudi Schreiber wird archivarisch erschlossen

Der am 30. Mai 2002 verstorbene Rudi Schreiber hatte als freier Mitarbeiter der Nürtinger Zeitung das Unterensinger Gemeindeleben 38 Jahre lang begleitet. Zudem war er 32 Jahre lang als Gemeinderat an der Entwicklung der Gemeinde beteiligt.

Der Nachlass Schreibers wird konserviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diesen Beschluss fasste am Montag der Unterensinger Gemeinderat. Kreisarchivar Manfred Waßner stellte dem Gremium ein Sicherungs- und Erschließungskonzept vor.

Der Nachlass stellt eine einzigartige Dokumentation der Geschichte Unterensingens in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, wie Waßner ausführte: „Ich bin sehr glücklich mit dem Nachlass. Er ergänzt das doch recht einseitige Bild, das man durch die offiziellen Behördenakten bekommt“.

Im September 2003 kaufte die Gemeinde den umfangreichen Nachlass auf. Er besteht aus zirka 4000 Seiten Manuskripten, 4800 Artikeln und Zeitungsausschnitten und 20 300 Bildern in Negativen, Abzügen und Diapositiven. Nun geht es darum, den Schatz zu sichern und zu erschließen.

„Dass da Kosten auf uns zukommen, haben wir schon gewusst, als wir den Nachlass aufgekauft haben“, stimmte Bürgermeister Sieghart Friz den Gemeinderat auf den Kostenvoranschlag ein. Der Auftrag zur Grundsicherung sei bereits erteilt. In weiteren Arbeitsschritten würde dann die Erschließung des Materials und seine Digitalisierung erfolgen.

Alle drei Vorgänge in einem Arbeitsgang zu erledigen sieht der Kreisarchivar als Ideallösung an, es sei aber nicht zwingend notwendig, alles auf einmal zu machen. Zur Grundsicherung müssen die Zeitungsausschnitte entsäuert werden und alles in säure- und weichmacherfreies Verpackungsmaterial eingepackt werden. Dadurch wird es für die nächsten 100 bis 200 Jahre haltbar gemacht. Die Kosten dafür schätzt das ohne Gewinnabsichten arbeitende Kreisarchiv auf ungefähr 4500 Euro.

Die Kosten für die Erschließung des Materials sind sehr schwierig zu schätzen. Das liegt daran, so Waßner, dass man bei einer Serie von gleichen Motiven nur eines auswählt und katalogisiert, oder auch daran, ob die Abzüge zu den Negativen passen. Wie hoch der Anteil der gleichen Motive ist, vermag Waßner noch nicht abzuschätzen, so dass die Erfassung realistisch gerechnet etwa 16 600 Euro kostet, maximal aber 33 928 Euro kosten kann. Eine Digitalisierung der Bestände käme auf zirka 10 000 Euro. Dadurch werden die Dokumente für Interessierte leichter benutzbar. Als mögliche Nutzer sieht Manfred Waßner Schule, Vereine oder auch Privatpersonen.

Gemeinderat Wilhelm Holder regte an, die Kosten für die Nachlass-Sicherung aus dem Erbe der Philomena Bauer zu nehmen. Die Frau hatte der Gemeinde knapp 146 000 Euro hinterlassen, die in ihrem Sinne verwendet werden sollten.

Den Beschluss dazu fasste der Gemeinderat mit zwei Enthaltungen. Nun sollen im Laufe des Jahres alle drei Arbeitsgänge ausgeführt werden, so dass das Lebenswerk Schreibers bald allen Interessierten zugänglich sein wird.

Quelle: Nürtinger Zeitung, 22.1.2004

Neue Einblicke in das Schicksal der Juden Wesselings

Unzählige Stunden hat Wolfgang Drösser vom Verein für Orts- und Heimatkunde in verschiedenen Archiven verbracht, um zahllose Unterlagen zu sichten, die ein ebenso interessantes wie wichtiges Kapitel der Wesselinger Geschichte dokumentieren. Die Ergebnisse der intensiven Forschungsarbeit werden ab kommenden Sonntag in Form einer Ausstellung im Rathaus präsentiert.

„Vom Leben der Juden in Wesseling – eine Dokumentation über 600 Jahre Geschichte“ lautet der Titel der Präsentation, die Bürgermeister Günter Ditgens und die Vereinsvorsitzende Ilse Schellschmidt gemeinsam eröffneten. „Ich bin sehr froh, dass man sich dieses Themas fachkundig angenommen hat“, lobt Ditgens das Engagement der Lokalhistoriker.

Auf mehr als 40 Tafeln werden Briefe, Fotos und andere Dokumente einen Einblick in die Situation der Wesselinger Juden vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Holocaust im Dritten Reich dargestellt. „Ich lehne den Begriff der Kollektivschuld ab, aber wir haben eine besondere Verantwortung, die wir immer deutlich machen müssen“, begründete Drösser den Grundgedanken der Ausstellung. Bei der Vorbereitung hat der Historiker viele bislang unbekannte Quellen bearbeitet und eine ganze Reihe interessanter Aspekte zu Tage fördern können, denn immerhin war die jüdische Gemeinde Wesseling mit zeitweise bis zu 100 Mitgliedern eine der größten im heutigen Kreisgebiet.

So belegt ein Brief aus dem Jahr 1502, den Drösser im Kölner Stadtarchiv fand, dass bereits damals Juden in Wesseling lebten. Im 19. Jahrhundert gründeten die Juden eine Synagogengemeinde, die ihr Gotteshaus Am Markt errichtete. Drösser begab sich auch vor Ort auf Spurensuche, um herauszufinden, wo die jüdischen Mitbürger früher gewohnt haben. Vor allem in dem Bereich Nordstraße, Kölner Straße und den umliegenden Straßen waren jüdische Familien ansässig.

Wie sehr sie in das gesellschaftliche Leben integriert waren, zeigt eine kleine Anekdote, die Drösser zu berichten weiß. So hätten Juden früher anlässlich der katholischen Fronleichnamsprozession ebenfalls ein Altärchen am Wegesrand aufgebaut. Auch fand er Belege dafür, dass Juden aus Wesseling Mitglieder im Kölner Dombauverein waren.

Beendet wurde das freundschaftliche Miteinander durch die Nationalsozialisten. In der so genannten „Kristallnacht“, die in Wesseling nicht am 9., sondern am 10. November 1938 stattfand, wurden die Synagoge und die Häuser der Juden zerstört. Drössers Untersuchungen ergaben ferner, dass mindestens 21 jüdische Bürger, die 1938 in Wesseling lebten, von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Friedhof blieb

einziger Überrest

Gleichzeitig dokumentiert Drösser, dass es zur damaligen Zeit in Urfeld eine Schule gab, wo mindestens 270 Juden auf eine Auswanderung vorbereitet wurden. Etwa 50 von ihnen seien ins damalige Palästina übergesiedelt.

Die einzige Spur jüdischen Lebens, die geblieben ist, ist der jüdische Friedhof an der Römerstraße. „Doch die Grabsteine verfallen zusehens“, klagt Drösser. Daher hat er sich daran gemacht, die Namen der dort beigesetzten Bürger zu dokumentieren. Insgesamt stehen dort 80 Grabsteine; auf 62 davon sind die Namen noch leserlich.

Zu der Ausstellung, die bis zum 27. Februar im ersten Stock des Rathauses zu sehen sein wird, erscheint ein 100-seitiges Begleitheft im Rahmen der „Blätter zur Geschichte der Stadt Wesseling“. Darin hat Wolfgang Drösser die meisten der gezeigten Dokumente abgebildet und die insgesamt 13 Kapitel mit Einleitungen versehen.

Quelle: Kölnische Rundschau, 22.1.2004

Neubau für das Bundesarchiv in Berlin

Zehn Jahre nach der provisorischen Zusammenführung der Archivbestände der zentralen Institutionen der DDR und des Deutschen Reiches durch das Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde stellte Kulturstaatsministerin Weiss am 20. Januar die Planungen für die endgültige Unterbringung der Berliner Dienstelle des Bundesarchivs vor. 

Ziel der Baumaßnahmen ist es, die schwierigen Arbeitsbedingungen zu verbessern und optimale Lagerungsbedingungen für die in der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs verwahrten Archivalien herzustellen.

Neben der Sanierung und dem Umbau der denkmalgeschützten Gebäude auf dem ehemaligen Kasernengelände in Berlin-Lichterfelde sehen die Planungen deshalb den Neubau eines Magazins vor, in dem zukünftig rund 110.000 laufende Meter Akten und Bücher untergebracht werden können. In enger Verbindung zu den Öffentlichkeits- und Funktionsbereichen des Archivs, die in den ehemaligen Gebäuden der preußischen Hauptkadettenanstalt und der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“ untergebracht sind, wird das Magazin auch gestalterisch neue Akzente setzen. Architekt Stephan Braunfels, der mit der Neukonzeption beauftragt wurde, sieht für das Gebäude einen auskragenden, geschlossenen Kubus mit einem transparenten Eingangsbereich vor. Die Neubau- und Umbauarbeiten, für die rund 40,5 Millionen Euro veranschlagt werden, sollen bis 2009 abgeschlossen sein.

In der Berliner Dienststelle des Bundesarchivs wurden zahlreiche nach der Wiedervereinigung übernommene Archive und Bestände aus dem Berliner Raum zusammengeführt. Dazu gehören das Zentrale Staatsarchiv der DDR mit dem damaligen Filmarchiv, das frühere Institut für Marxismus-Leninismus der SED, das Berlin Document Center sowie die Zentralbibliothek der Gewerkschaften der DDR. Wie das Archivgut des Deutschen Reiches, das ebenfalls in Berlin-Lichterfelde untergebracht ist, sind dort auch diese Unterlagen ohne Sperrfristen, aber unter Berücksichtigung persönlicher Schutzrechte, öffentlich zugänglich.

Das Bundesarchiv, das 1952 gegründet wurde, ist heute eine obere Bundesbehörde im Geschäftsbereich der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Verteilt auf 12 Dienststellen an 9 Orten in Deutschland, widmet es sich der Aufgabe, die Überlieferung zentraler Organe der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik, des Deutschen Reiches und des Deutschen Bundes zu sichern und sie nicht nur für die wissenschaftliche Forschung und die Bundesverwaltung sondern auch für eine interessierte Öffentlichkeit sachgerecht zu erschließen. 

Kontakt:
Bundesarchiv
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Finckensteinallee 63
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Postadresse:
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fax: +49 (0) 18887770-111
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Quelle: RegierungOnline, 20.1.2004

Stadt Schwetzingen hat erstmals einen hauptamtlichen Archivar

„Nur derjenige kann die Zukunft meistern, der auch die Vergangenheit kennt“, meinte gestern Oberbürgermeister Bernd Kappenstein vor Journalisten im Rathaus von Schwetzingen. Das Stadtarchiv ist für die über 1230 Jahre alte Stadt Schwetzingen, ihre Kurfürstenzeit und ihre 200 Jahr als Amtsstadt von großer Bedeutung und so wurde im Januar im Kultur- und Sportamt Joachim Kresin als erster hauptamtlicher Archivar eingestellt.

Seit 1987 gibt es das Landesarchivgesetz, dass jede Stadt dazu verpflichtet, ein Archiv zu führen. Solch ein Archiv kann auch bei verwaltungstechnischen Dingen oder als denkmalrechtliche Grundlage dienen. „Das Archiv soll vor allem aber ein Dokumentationszentrum für die Stadtgeschichte sein“, betonte der OB. Und es solle auch für die Bevölkerung zur Verfügung stehen.

Bereits in den 1950er Jahren hat der ehemalige Stadtkämmerer und spätere Beigeordnete Wilhelm Heuss als Nebenamt das Archiv geführt. Nach seinem Ruhestand in den 90ern hatte er diese Aufgabe bis 2002 weiterhin ehrenamtlich inne. „Als waschechter Schwetzinger Bub war er ein wandelndes Lexikon“, hob Kappenstein Heuss' Leistung hervor. Ein weiteres Lob bekam Iris Hartung, die das Stadtarchiv als Teilzeitkraft von 1990 bis 2003 ebenfalls vorbildlich geführt habe.

Nun steht der ehemalige Leiter des Mannheimer Stadtarchivs, Dr. Jörg Schadt, dem Archiv als ehrenamtlicher Berater. Er wählte auch gemeinsam mit der Stadt aus den insgesamt 35 Bewerbern für die ausgeschriebene Stelle Joachim Kresin aus. „Kresin hatte die besten Voraussetzungen und auch eine Bindung zur Stadt und der Umgebung“, erläuterte der OB. Kresin ist 37 Jahre alt, ledig und lernte ursprünglich Industriekaufmann. Nach zehn Jahren in diesem Beruf begann er das Studium der Archivwissenschaft. Seine erste Festanstellung hatte er im Zentralarchiv der evangelischen Kirchen der Pfalz in Speyer. Es folgten zwei Jahre im Stadtarchiv seiner Heimat in Herrenberg bei Böblingen. Neben Lesen und Arbeiten am Computer, fährt Kresin Inlineskates und liebt das Schwimmen. Seine große Leidenschaft gehört aber dem Tanzen.

„Ich bin ein Glückspilz, dass ich diese Stelle bekommen habe“, freute sich der 37-Jährige. Sein Ziel ist es, die Öffentlichkeitsarbeit zu intensivieren. Projekte wie Ausstellungen, Führungen und Vorträge sollen kommen und eine enge Zusammenarbeit mit den übrigen kulturellen Einrichtungen der Stadt und auch mit staatlichen Einrichtungen. Eine fruchtbare Kooperation soll es zudem mit Verbänden, Parteien und Kirchen geben. Die Archivierung der Zeitungsausschnitte will der neue Archivar verbessern, eine Archivbibliothek soll entstehen. „Die Archivregistratur muss neu geordnet und die inhaltliche Erschließung von Sammelgut vorangetrieben werden“, betonte Kresin, der auch die EDV dafür einsetzt. Der OB könne sich auf Dauer zudem vorstellen, dass Kresin mit seinem fachlichen Wissen auch die Archive in Ketsch und Brühl unterstützt, die sich keine Ganztageskraft leisten können.

„In der heutigen Zeit müsse man betriebswirtschaftlich denken“, meinte Schadt. Als gelernter Industriekaufmann könne Kresin das durchaus. Schwetzingen sei zwar kleiner als Mannheim und Heidelberg, doch gehörte es schon immer zum Kerngebiet der Kurpfalz, war schon im 18. Jahrhundert Nebenresidenz. Er freue sich bei der Pflege der lokalen Stadtgeschichte zu helfen und sieht es als Aufgabe, die vielen großen Persönlichkeiten der Stadt dadurch zu würdigen.

Das Archiv ist unterhalb des Sitzungssaals im westlichen Rathaus untergebracht. „Der Sitzungssaal und das Archiv sind einer Großen Kreisstadt nicht würdig“, so der OB. Im Moment sei es finanziell nicht möglich, doch in ein paar Jahren sollen die entsprechenden Umbauten in Angriff genommen werden. 

Kontakt:
Stadtarchiv Schwetzingen
Hebelstraße 1
D-68723 Schwetzingen
Tel: +49 (6202) 87 136
Fax: +49 (6202) 87 111

Quelle: RNZ Online, 20.1.2004

Zeitdokument schlummerte in der Schublade

„Am 11. kamen die Amerikaner nach Westick“, erzählt Erna Plaßwich in ihrem Tagebuch. Die Kladde mit den Aufzeichnungen der Westickerin über den April 1945 und die Nachkriegswirren der Jahre 1945 bis 1947 geriet durch Zufall in die Hände von Marc Woller, dem neuer Kaiserauer Ortsheimatpfleger.

Der Ehemann durch die Amerikaner verhaftet, ein Sohn lange vermisst und dann für Tod erklärt. Erna Plaßwich, geborene Heiner hat Krieg und Nachkriegszeit mit all ihren Schrecken erlebt. An der Mühlenstraße in Westick lebte sie und schrieb dort auf, was in diesen turbulenten Monaten passierte. 1969 starb sie, die Kladde mit ihren Aufzeichnungen schlummerte danach über viele Jahre vergessen in irgendeiner Schublade. Vor einiger Zeit dann fielen die Aufzeichnungen in die Hände von Marc Woller.

Den ehemaligen Dortmunder verschlug es inzwischen ebenfalls nach Westick, an die Mühlenstraße. Familienkontakte und nicht zuletzt Ortsheimatpfleger Ulrich Neumann weckten sein Interesse für die Methleraner und Kaiserauer Geschichte. Inzwischen hat er eigene Recherchen angestellt, manch Erinnerungsstück an örtliche Geschichte im Internet ersteigert, alte Fotos am Heim-PC gescannt und sich geschichtliche Kenntnisse angelesen. Künftig will er sich als Ortsheimatpfleger um die Kaiserauer Ortsgeschichte kümmern.

Faszinierend ist für ihn gerade hautnah erlebte Geschichte, Traditionen der Nachbarschaft, Erzählungen von Zeitzeugen. Das Tagebuch aus und über Westick ließ ihm daher keine Ruhe. Geschrieben aber war es in Sütterlin, auf den ersten Blick nicht zu enträtseln. Stadtarchivar Jürgen Kistner half mit einer Einführung in die heute ungewohnten Schriftzeichen, ältere Nachbarn und verwandte entzifferten schwierige Textstellen. Von Seite zu Seite wurde das Lesen einfacher. Inzwischen hat Marc Woller das gesamte Werk „übersetzt“.

Weiter schlummern lassen wollte er das ganz nicht. Die Kladde will er dem Stadtarchiv überlassen, den Inhalt aber Westickern und anderen Interessenten offen legen. Ab Februar wird die WR in einer Serie Auszüge drucken, zum Teil ergänzt um Informationen aus dem Stadtarchiv.

Kleine und große Geschichte(n) tauchen darin auf, Weltereignisse und ganz persönliches Hoffen und Leiden. Die Potsdamer Nachkriegskonferenz aus Westicker Sicht wird hier erzählt, der Hunger bei 100 g Fleisch die Woche und einem Pfund Butter pro Pro Person. Es geht um Hamsterfahrten, um Entnazifizierung, aber auch um das ganz persönliche Leben in Westick am Ende eines Weltkrieges wird geschildert. Vom Kampf gegen Kartoffelkäfer und die Beseitigung von Bombentrichtern und Hausschäden berichtet Erna Plaßwich.

Ein seltenes Dokument hat er dort entdeckt, so weiß Marc Woller. Die Berichte der Westickerin liefern Momentaufnahmen aus dem Stadtteil, Blicke nach Kamen und Empfindungen, die in Stadt und Region wohl ähnlich empfunden wurden.

Kontakt:
Stadtarchiv Kamen
Bahnhofstr. 21
D-59174 Kamen
Telefon: 02307-5534-12 /-13
Telefax: 02307-553414
E-mail: rathaus@stadt-kamen.de

Quelle: Westfälische Rundschau, 20.1.2004

Neuer Leiter des Archivs der Brüder-Unität

Der promovierte Germanist und Historiker Rüdiger Kröger hat im „Archivum Unitatis Fratrum“, dem zentralen Archiv der Herrnhuter Brüder-Unität, die Nachfolge von Dr. Paul Peuker angetreten.

Als er zum ersten Mal die Stellenausschreibung las, sei es ihm wie vielen Kollegen gegangen, die erst einmal misstrauisch fragten: „Herrnhut – ja wo ist das denn?“ Doch im Gegensatz zu denen, die nach einem Blick auf die Landkarte wussten, dass sie hier auf keinen Fall hingehen würden, entschied sich der 37-jährige gebürtige Hannoveraner Rüdiger Kröger anders.

„Ich sah darin eine echte Herausforderung“, sagt er. Er habe noch nie ein Archiv kennen gelernt, in dem Güter und Exponate aus so unterschiedlichen Regionen der Erde und zu so unterschiedlichen Themenbereichen – natürlich alles aus historischer Sicht – aufbewahrt und aufgearbeitet werden. Vor allem freue er sich auf die Besucher aus aller Herren Länder, die hier zu den verschiedensten Wissenschaftszweigen ihre Studien und Forschungen betreiben. Mit seinem neuen Amt hat Rüdiger Kröger als bisheriger Wissenschaftler praktisch die Fronten gewechselt. Bisher beschäftigte er sich mehr mit der Auswertung, nun mit der Verwaltung von Büchern, Dokumenten, Karten, Gemälden usw.

Und Rüdiger Kröger erklärt den Anspruch an seine Arbeit: „Früher haben die Archivare eifersüchtig über ihrem Zeug gehockt wie die Glucke auf dem Nest. Besucher störten da nur. Doch in Wirklichkeit müssen diese Dinge doch unter die Menschen und von diesen genutzt werden. In Herrnhut habe ich bereits in den ersten Tagen gemerkt, dass man hier im Umgang mit Gästen sehr offen ist. Das gefällt mir.“

Bereits mit 13, 14 Jahren hatte der junge Rüdiger Kröger begonnen, sich etwas intensiver mit der Geschichte seiner eigenen Familie zu beschäftigen. Dabei war er sehr schnell an die Grenzen der Kirchenbücher als zuverlässige Quellen gestoßen. So besuchte er mit 15 zum ersten Mal das Staatsarchiv Hannover. Das zog ihn so magisch an, dass er hier anschließend gleich ein Schulpraktikum absolvierte. Nach dem Studium arbeitete er bereits in verschiedenen Archiven und Sammlungen in kirchlicher Trägerschaft. Lehraufträgen in seiner Heimatstadt und in Oldenburg folgten verschiedene Forschungsprojekte, so zur Geschichte der Juden in Niedersachsen, ein zweijähriges Referendariat für den Archivdienst in Hessen sowie Erschließungsprojekte in Stuttgart und Ludwigsburg.

„Weit reichende Konsequenzen brachte meine Entscheidung für Herrnhut auch für die Familie“, stellt Dr. Kröger fest. Die wohnt zurzeit noch in Springe bei Hannover. Die älteste Tochter wird auf Grund ihrer Ausbildung auch da bleiben. Mit den anderen drei Sprösslingen zieht seine Frau in den Sommerferien her.

Kontakt:
Archiv der Brüder-Unität
Zittauer Str. 24
D – 02747 Herrnhut
Tel.: 035873 / 487-31
Fax: 035873 / 487-66
email: archiv@ebu.de
Dr. Rüdiger Kröger (035873 / 487-31)

Quelle: SZ Online, 20.1.2004

Internet-Archiv des Zweiten Weltkriegs

Brennende Leichen im KZ, Kampfszenen in der Normandie, zerbombte deutsche Städte: Das britische Nationalarchiv veröffentlicht fünf Millionen Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg im Internet – Dokumente des Schreckens, in ihrer Schärfe von beklemmender Wirkung.

Es war der 23. August 1944, als der Pilot an Bord der britischen Aufklärungsmaschine die deutschen Baracken in Polen überflog und der Auslöser seiner Kamera wie ein Maschinengewehr zu rattern begann. Es sollte fast 60 Jahre dauern, ehe die Bedeutung der Bilder erkannt wurde.
Eines der Fotos zeigt das Konzentrationslager von Auschwitz auf dem Höhepunkt des Vernichtungswahns. Auf dem Bild wälzt sich eine weiße Wolke über das Land. Sie stammt nach Angaben des Nationalarchivs aus einem Massengrab und nicht aus dem Schornstein eines Krematoriums. 1943 und 1944 wurden rund 430.000 ungarische Juden in Auschwitz ermordet – zu viele, um in den Verbrennungsöfen des Vernichtungslagers eingeäschert zu werden. Auf dem gestochen scharfen Foto sind sogar Häftlinge beim Zählappell zu erkennen.

Einzelne Menschen auf Luftbildern zu erkennen

„Die Bilder haben mich sehr bewegt“, sagt Allan Williams von den britischen Aerial Reconnaissance Archives an der Keele University. „Meines Wissens gibt es sonst keine Aufklärungsfotos von Auschwitz aus dieser Zeit.“ Warum das Foto erst jetzt entdeckt wurde, kann Williams nur vermuten. „Die Analysten achteten damals vielleicht zu einseitig auf militärisch Verwertbares.“

Williams führt ein Projekt an, das weltweit seinesgleichen sucht: Das britische Nationalarchiv stellt ab dem heutigen Montag auf einer eigens eingerichteten Internetseite fünf Millionen Luftaufnahmen vom Europa unter deutscher Besetzung bereit. Die Bilder zeigen neben Nazi-Gräueln auch die Landung der US-Truppen an der französischen Atlantikküste im Juni 1944 – so detailreich, dass im Wasser treibende Leichen zu erkennen sind.

Ein weiteres Bild zeigt das deutsche Schlachtschiff „Bismarck“, wie es sich im Mai 1941 in einem norwegischen Fjord versteckt – sieben Tage vor seiner Versenkung durch britische Streitkräfte. Auch die Zerstörung deutscher Städte wurde ausführlich dokumentiert, wie ein Foto von Köln zeigt, auf dem die durch alliierte Bomben völlig zerstörte Stadt am 18. Juni 1945 zu sehen ist.
Der Andrang auf die Webseite war so groß, dass sie auch am zweiten Tag nach dem Start praktisch nicht zu erreichen war. „Die Bilder erlauben uns, den wirklichen Krieg aus erster Hand zu begreifen“, sagt Williams. Die Fotos erzählen dramatische Geschichten und sind nicht selten auf ebenso dramatische Weise entstanden. Die Piloten überflogen in meist unbewaffneten Maschinen ihre Ziele allein und in geringer Höhe, um möglichst scharfe Bilder zu bekommen. Der britische Pilot Michael Suckling etwa überlebte sein für die Versenkung der „Bismarck“ entscheidendes Foto nur um einen Monat.

Schlüsselrolle für Spionagepiloten

Historiker Williams und seine Kollegen räumen den Aufklärungspiloten und den Foto-Analysten für den Ausgang des Kriegs eine ähnliche Bedeutung zu wie den Codeknackern von Bletchley Park, denen Anfang 1943 die Entschlüsselung der deutschen „Enigma“-Kodiermaschine und damit das Abhören des deutschen Funkverkehrs gelang. „Keine Offensive, weder ein Luftangriff, die Landung einiger Soldaten an einem Strand oder die Invasion einer ganzen Armee“ seien ohne die Auswertung des Bildmaterials möglich gewesen.

Ob das Auschwitz-Foto, wie die britische Zeitung „The Guardian“ schreibt, durch seine Veröffentlichung Hunderttausende von Leben hätte retten können, dürfte indes fraglich sein. London und Washington wussten nicht nur durch die entschlüsselte „Enigma“-Maschine schon seit Anfang 1943, was in Auschwitz geschah. Die Alliierten waren, wie der Freiburger Historiker Gerd Ueberschär 1999 belegen konnte, spätestens seit Februar 1943 durch den Ex-Diplomaten Jan Karski über den Massenmord an den Juden informiert.

In fünf Jahren 40 Millionen Bilder

Dennoch dürfte die Datenbank für Historiker allein wegen ihrer schieren Größe von unschätzbarem Wert sein. Auch für die Suche nach Blindgängern in Deutschland werden noch heute die Luftbilder der Alliierten benutzt, die kurz nach Bombenangriffen entstanden sind. „Die Bilder wurden schon vor Jahren freigegeben“, erklärt Williams. „Aber es dauerte Tage, um ein einzelnes Bild zu finden. Jetzt braucht man nur noch Sekunden.“

Künftig soll das Internet-Archiv weit mehr als die derzeit verfügbaren fünf Millionen Bilder enthalten. „Nach den Fotos des besetzten Westeuropas werden wir über zweieinhalb Millionen Bilder katalogisieren, die die deutsche Luftwaffe über Osteuropa geschossen hat“, betont Williams. In den nächsten fünf Jahren soll die Webseite Zugang zu mehr als 40 Millionen Luftbildern aus aller Welt seit 1938 bieten. „Am Ende werden Luftaufnahmen aller britischen Feldzüge von der Suezkrise über den Korea- und den Falklandkrieg bis hin zu den Golfkriegen der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.“

Link: http://www.evidenceincamera.co.uk/

Kontakt:
The National Archives (PRO)
Kew, Richmond, Surrey,
TW9 4DU
United Kingdom
telephone: 020 8876 3444
enquiry@nationalarchives.gov.uk
www.nationalarchives.gov.uk 
 
Quelle: SPIEGEL Online, 19.1.2004

LWL-Medienzentrum erschliest historische Bildersammlung

So sah es aus zu Großvaters Zeiten in Brakel und Bad Driburg, in Steinheim und Hoexter, in Warburg und Willebadessen oder anderenorts in der Region zwischen Egge und Weser. Ueber 3.000 historische Fotos, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) jetzt digitalisiert in das Bildarchiv seines Westfaelischen Landesmedienzentrum eingestellt hat, dokumentieren, wie die Orte der Region Hoexter/Warburg vor 30, 40 oder 50 Jahren aussahen. 'Viele Aufnahmen stammen sogar aus der Zeit vor dem 2. Weltkrieg', erklaert Kerstin Burg, die die Fotos in zweijaehriger Arbeit inhaltlich erschlossen, per Computer betextet und mit Schlagworten versehen hat, damit beispielsweise interessierte Heimatforscher und Buchautoren ein gesuchtes Motiv schneller finden koennen.

Der Hauptteil der Sammlung entstand in den 1950er bis 1970er Jahren. In den zwei Jahrzehnten nach 1949 vollzogen sich rasante Veraenderungen in den Doerfern und Staedten. 'Die Fotografen des LWL haben den Wandel vieler Ortsbilder und Landstriche ueber die Jahre mit der Kamera festgehalten. Und so koennen die Historiker und Geographen von heute, Heimatvereine, Schulen oder interessierte Buerger Einblick nehmen in die Gegenwart' von damals', so Burg. Die Bildersammlung Hoexter/Warburg ist nur eine von vielen Sammlungen, die das Archiv des LWL-Landesmedienzentrums seit seiner Gruendung 1986 erhalten hat – aus oeffentlichen und privaten Quellen und aus dem Schaffen vieler Fotografen: Ueber 300.000 historische und aktuelle Bilder darunter auch Luftaufnahmen aus allen Regionen Westfalens lagern im Archivsaal des Westfaelischen Landesmedienzentrums in Muenster. 'Und jaehrlich waechst der Bestand', so die Dokumentarin: 'Denn haeufig muessen Kommunen ihre Bildarchive aufgeben oder Fotografen hinterlassen ein Lebenswerk mit ungesichertem Verbleib – in solchen Faellen sind wir Ansprechpartner und Auffangstation.'

Und was geschieht mit diesen Bilderbergen? 'Zunaechst sichern wir die Bilder archivarisch, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Anschließend digitalisieren wir die Sammlungen Bild fuer Bild,  analysieren und dokumentieren jedes einzelne Foto und stellen das wertvolle Kulturgut so schnell wie moeglich zur oeffentlichen Nutzung bereit', erklaert Burg. Inzwischen koennen Interessierte mehr als 33.000 Bilder am Bildschirm sichten und auf Wunsch per Mail uebermittelt oder digital reproduziert bekommen. Im LWL-Bildarchiv finden sich Fotos zu den Themen Siedlung und Landschaft, Kunst, Kultur, Architektur, Wirtschaft, Landesgeschichte und Alltagsleben in Westfalen. 'Es war wichtig, zunaechst einen repraesentativen Querschnitt durch saemtliche Lebensraeume und Wirtschaftsregionen Westfalens zu archivieren – in allen Facetten zwischen Kaisers Zeiten und Solarkraftwerk', erlaeutert die Geographin und Soziologin. 'Die Nachfrage sowohl nach aktuellen wie nach historischen Fotos wird immer groeßer: fuer Publikationen, Ausstellungen oder andere Anschauungszwecke.

Als zusaetzlichen Service stellen wir das Bildarchiv im Laufe dieses Jahres ins Internet. Dann kann man bei der Recherche und Bildsichtung am Schreibtisch virtuell von Rahden bis Siegen, von Bocholt bis Blomberg – durch 150 Jahre westfaelische Geschichte reisen', so Burg. Schon jetzt erhalten Interessierte erste Einblicke in das Bildangebot des LWL-Bildarchivs unter:
www.westfaelisches-landesmedienzentrum.de.

Kontakt:
Westfälisches Landesmedienzentrum
Warendorfer Straße 24
48145 Münster
Briefadresse: 48133 Münster
Tel.: 0251 / 591-3902
Fax: 0251 / 591-3982
medienzentrum@lwl.org

Quelle: „LWL-Pressestelle“, <presse@lwl.org>, 20.1.2004

Neuerscheinung: Zwangsarbeit in der Kirche

Zwei Jahre lang haben die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) und die Diakonischen Werke (DWHN und DWKW) beider Regionen nach Spuren von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in ihren Einrichtungen während des Dritten Reiches suchen lassen. Das Ergebnis steht nun fest: 261 Personen konnten namentlich nachgewiesen werden. Der Marburger Historiker Dirk Richhardt, der im Auftrag von Kirche und Diakonie geforscht hat, stellte heute in Frankfurt das Buch mit den Ergebnissen der Untersuchungen vor. Bei der Präsentation wurden viele Zahlen, aber keine konkreten Orte – etwa in unserer Region – genannt. Wer sich dafür interessiert, sollte sich das Buch – mit 6 Euro durchaus erschwinglich – kaufen (Angaben am Ende des Artikels)

Der Autor sagte – nach Angaben der Evangelischen Kirchen und Diakonie heute -, er habe zwar „mit dem feinst möglichen Sieb nach Spuren gesucht“. Es sei aber nicht auszuschließen, dass es noch mehr Betroffene gegeben habe. Das jetzt veröffentlichte Ergebnis basiere auf allen heute zugänglichen Akten in den etwa 30 Archiven und 10 Dokumentationsstellen in ganz Deutschland, insbesondere in den beiden Kirchengebieten, das Hessen und Teile von Rheinland-Pfalz und Thüringen umfasse, sowie auf Berichten von Augenzeugen und Unterlagen in den Einrichtungen selbst.

Demnach haben neun Menschen zwangsweise Hausarbeit in evangelischen Pfarrhaushalten geleistet. Von den insgesamt 313 Diakonischen Einrichtungen haben 26 Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter beschäftigt, insgesamt 252 Menschen. Bei 39 Prozent von ihnen konnte nachgewiesen werden, dass sie in der Garten- und Feldbewirtschaftung eingesetzt waren, 21 Prozent in der Hauswirtschaft, wenige auch in der Pflege von Kranken oder Behinderten selbst. Die 261 Personen in diesem Bereich hätten 0,4 Prozent aller Zwangsarbeiter im Gebiet von Hessen ausgemacht. Dort wurden für das Jahr 1944, dem Jahr mit der höchsten Anzahl, 170.000 Personen nachgewiesen, die Zwangsarbeit verrichten mussten.

Mit 44 Prozent kamen fast die Hälfte der Betroffenen aus Polen, 34 Prozent stammten aus der damaligen Sowjetunion, 12 Prozent aus West- und Nordeuropa gekommen. Der Frauenanteil betrug 54 Prozent. Das Alter der Frauen lag zwischen 15 und 68 Jahren und das der Männer zwischen 14 und 67, wobei die Mehrzahl, etwa 33% der zur Arbeit Gezwungenen, Anfang Zwanzig war. Der Altersdurchschnitt lag mit 28,6 Jahren etwa sechs Jahre über dem Durchschnitt der Zwangsarbeiter im damaligen Reichsgebiet.

Richhardt wies weiter darauf hin, dass der Begriff Zwangsarbeit erst nachträglich geprägt worden sei. In der NS-Zeit habe es ihn noch nicht gegeben. Die betroffenen Personen seien in der Tradition der „Fremdarbeiter“ gesehen worden, wie sie bereits vor dem „Dritten Reich“ als Wander- oder Saisonarbeiter auch freiwillig gekommen waren. Die zwangsweise Verschleppung, die dann im Laufe des Krieges einsetzte, sei offenbar nur wenigen bekannt gewesen. In den kirchlichen Einrichtungen waren die Betroffenen meist in den normalen Arbeitsalltag integriert gewesen. Allerdings wurden sie entsprechend der rigiden staatlichen Vorschriften separat und schlechter untergebracht und sehr viel schlechter bezahlt als andere Arbeiter.

Richhardt: „Die Recherche, insbesondere die subjektiven Quellen wie Briefe und Gespräche mit den Zeitzeugen legen den Schluss nahe, dass sich viele Mitarbeitende in den kirchlichen Einrichtungen in hohem Maß an die Normalität des Unrechtes in diesen Jahren gewöhnt hatten und – ähnlich wie die Mehrheit der Gesellschaft – versucht habe, ihr persönliches Leben darin „so normal wie möglich“ zu gestalten. Viele kirchliche und diakonische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich im persönlichen Umgang durchaus human verhalten, sich gegenüber der politischen Dimension des Unrechts aber dennoch gleichgültig gezeigt.“

Der Autor erinnert in seiner Publikation außerdem daran, dass viele der größeren Einrichtungen unter staatlicher Verwaltung gestanden hätten. So sei etwa der Leiter der Nieder-Ramstädter Diakonie bei Darmstadt, Pfarrer Schneider, inhaftiert gewesen. Unter der Leitung eines Kommissars sei auf dem Gelände der Nieder-Ramstädter Heime dann ein Auffang- und Durchgangslager für Zwangsarbeiter eingerichtet worden, in dem auch die kirchlichen Beschäftigten arbeiten mussten. Richhardts Forschung förderte auch „Widerständigkeiten“ zu Tage. So gelang es dem Pfarrer von Oberweimar bei Marburg, einer vorbeiziehenden Wehrmachtseinheit zwei Frauen „abzunehmen“, die dann im Pfarrhaus arbeiteten. Dies offenbare durchaus persönlichen Mut und Verantwortungsgefühl. Ob durch solche Aktionen das System Zwangsarbeit gemildert werden konnte, sei allerdings zweifelhaft, weil „der Bedarf dann durch neue Verschleppte gedeckt“ worden sei.

Der Historiker warnte vor kurzschlüssigen Bewertungen. Es sei schwer, die komplexe Lebenswirklichkeit dieser Jahre von heute aus gesehen zu durchdringen und zu bewerten: „Zu unterschiedlich waren die Einzelschicksale, zu spröde oft das Quellenmaterial.“ Besonders tragisch sei, dass viele der 1945 heimkehrenden Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter zuhause als „Kollaborateure“ eingestuft und in Lagern inhaftiert worden waren. Aus diesem Grund hätten viele bis heute diesen Teil ihrer Biografie verschwiegen. In dem Buch habe man deshalb auch keine Namen veröffentlicht und habe sehr sorgsam auf den Persönlichkeitsschutz geachtet, um die Rechte dieser Menschen nicht noch einmal zu verletzen.

Der nordhessische Bischof Dr. Martin Hein (EKKW) nannte das Forschungsergebnis ob der methodisch soliden Arbeit und der ans Licht gebrachten Erkenntnisse „beeindrucken und bedrückend zugleich“. Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck fühle gegenüber den in ihren Einrichtungen beschäftigten Zwangsarbeitern Schuld und Verpflichtung. Die Kirche sei dankbar für Begegnung mit den Betroffenen und sehe es als ihre Aufgabe an, „auch hier den Weg der Versöhnung zu beschreiten.“

Die Kirchen und ihre Diakonischen Werke sind über die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) beteiligt in der bundesweiten Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Um ihre gesamtgesellschaftliche Mitverantwortung auch an diesem Punkt deutlich zu machen, hat die EKD im Herbst 2000 einen Betrag von zehn Millionen Mark an die Bundesstiftung gezahlt, der anteilig von den Gliedkirchen der EKD und deren Diakonischen Werken aufgebracht wurde..

Nach Auskunft der Pressesprecherin des Diakonischen Werkes von Hessen und Nassau, Kathleen Niepmann, versuchen die Evangelischen Kirchen und die Diakonischen Werke nun, mit den Betroffenen in Kontakt zu kommen. Entsprechende Anfragen seien bereits vor Monaten an die Partnerorganisationen in den fraglichen Herkunftsländern gestellt worden. Vereinzelt seien auch schon Ergebnisse zu verzeichnen. Gerne wolle man die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter einladen. Viele seien interessiert, noch einmal an ihre ehemaligen Arbeitsstätten zu kommen und ehemalige „Kolleginnen“ zu treffen. Das helfe ihnen, mit den Erfahrungen und dem Leiden von damals heute besser fertig zu werden. Diese Erfahrung sei bei über 20 Begegnungstreffen, die die Evangelische Kirche in den vergangenen Jahren mit Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern aus Weißrussland organisiert habe, immer wieder gemacht worden.

Info:
Das Buch ist unter dem Titel „Zwangsarbeit im Bereich von evangelischer Kirche und Diakonie in Hessen“ als Band 8 in der Schriftenreihe „Quellen und Studien zur hessischen Kirchengeschichte“ erschienen. Es kostet sechs Euro und kann über den Buchhandel, die evangelischen Kirchen oder die diakonischen Werke bestellt werden. (Bestelladresse bei der EKHN per Email: info@ekhn.de oder FAX: 06151 / 405-441.)

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Kontakt:
Öffentlichkeitsarbeit der EKHN
Paulusplatz 1
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Tel.: 06151 / 405-504
E-Mail: info@ekhn.de

Quelle: Osthessen News, 19.1.2004