Theologe Magirius übergibt Vorlass ans Stadtarchiv Leipzig

Der evangelische Theologe und ehemalige Leipziger „StadtpräsidentFriedrich Magirius hat Anfang Juli 2021 Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung einen wichtigen Teil seiner persönlichen Unterlagen übergeben. Die Schenkung an die Stadt Leipzig – rund 1,5 laufende Meter Archivgut – dokumentiert sein politisches Wirken und bürgerschaftliches Engagement. Die Unterlagen sollen nun vom Stadtarchiv Leipzig verzeichnet, geordnet und erschlossen sowie später für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.


Abb.: Friedrich Magirius, ehemaliger Superintendent, 9.10.2014 in Leipzig (Foto: Matthias Sengewald, File: Friedensgebet Leipzig IMG 0184-Leipzig9.10.14-g-a-41 Friedrich Magirius cropped.jpg; CC BY-SA 3.0)

Oberbürgermeister Jung sagt: „Es ist ein ganz besonderer Moment für die Stadt Leipzig, diese Dokumente von Stadtpräsident Friedrich Magirius zu übernehmen – sein Engagement als Pfarrer und in zahlreichen bürgerschaftlichen Projekten ist für die Stadt von hohem Wert.“ Der Direktor des Stadtarchivs, Dr. Michael Ruprecht, betont: „Nach Annahme der Schenkung durch den Stadtrat könnten die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Dokumente, Briefe, Einladungen, Notizen und sonstigen Unterlagen archivfachlich im Stadtarchiv betreut werden. Ein besonders glücklicher Umstand ist bei dieser Übernahme, dass nicht nur historisch einmalige Unterlagen den Bestand des Archivs bereichern, sondern dass Friedrich Magirius selbst die Sichtung und Zuordnung noch unterstützen kann.“

Friedrich Magirius hat bereits angekündigt, dass er in den kommenden Jahren weitere Unterlagen an die Stadt übergeben möchte, so dass die Sammlung in nächster Zeit weiter anwachsen wird.

Der 1930 in Dresden geborene Magirius war unter anderem Pfarrer der Dresdner Kreuzkirche sowie der Leipziger Nikolaikirche, und er leitete zwischen 1974 und 1982 die Aktion Sühnezeichen der DDR. Als souveräner Moderator des Runden Tisches 1989/1990 ist Friedrich Magirius auch heute noch vielen Leipzigerinnen und Leipzigern bekannt, wenngleich seine politische Rolle vor und während der friedlichen Revolution 1989 unterschiedlich bewertet wird. 1990 wurde er zum Stadtpräsidenten gewählt und übte dieses Amt, das es nur damals gab, während der Übergangszeit bis 1994 aus. Bereits im Jahr 1991 übergab Magirius gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitssekretariats des Runden Tisches die Unterlagen der Sitzungen und Ausschüsse an das Stadtarchiv, wo diese für die allgemeine Nutzung zugänglich gemacht wurden.

Auch in den nachfolgenden Jahren war Friedrich Magirus in vielfältiger Weise gesellschaftlich aktiv. Seine Erfahrungen und sein Wissen sind nach wie vor in vielen Gremien gefragt. Dabei engagiert er sich besonders für die jüngere Generation, so gehört er etwa zu den Mitbegründern des Stadtschülerrats Leipzig. 2005 wurde er mit der Ehrenmedaille der Stadt Leipzig sowie der Ehrenbürgerwürde der polnischen Stadt Kraków ausgezeichnet.

Kontakt:
Stadtarchiv Leipzig
Straße des 18. Oktober 42
04103 Leipzig
Telefon: 0341 123-3800
Fax: 0341 123-3838
stadtarchiv@leipzig.de
https://stadtarchiv.leipzig.de

Quelle: Stadt Leipzig, Medieninformationen, 5.7.2021; Wikipedia, Art. Friedrich Magirius, Version 17.6.2021

Elise Überbacher-Minatti und die Bozener Guntschnabahn

Wer heute den oberen Abschnitt der Guntschnapromenade in Bozen entlangspaziert, muss schon genauer hinsehen, um am steilen Berghang die mittlerweile von der Vegetation weitgehend überwucherte Trasse der einst beliebten Guntschnabahn zu erkennen.

Abb.: Südtiroler Landesarchiv, Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 51.

Die Idee zu einer elektrischen Kleinbahn von Gries hinauf zum Reichrieglerhof hatte Elise Minatti-Überbacher (1848-1926), eine aus Baden bei Wien gebürtige und in Südtirol verehelichte Tourismusunternehmerin, die nicht nur den Reichrieglerhof und ein Hotel in Gries, sondern auch das Südbahn-Hotel in Toblach besaß und dieses nach der Jahrhundertwende zum größten Alpenhotel der Monarchie ausgebaut hatte. Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren die große Zeit der Touristenbahnen. In und um Bozen baute man die Mendelbahn, die Kohlererbahn, die Rittnerbahn und jene auf den Virgl, die sich bei den Gästen großer Beliebtheit erfreuten. Die Unternehmerin beschloss daher, auf eigene Kosten – 288.700 Kronen – eine elektrische Schmalspurbahn errichten zu lassen, die am 12. August 1912 den Betrieb aufnehmen sollte. In nur vier Minuten transportierte die Guntschnabahn die aussichtshungrigen Passagiere die 186 Meter hinauf zum Gastlokal und Hotel „Reichrieglerhof“, wo es zum herrlichen Rundblick über das Bozner Becken bis hin zum Rosengarten eine Erfrischung gab.


Abb.: Südtiroler Landesarchiv, Sammlung Helene Oberleiter, Nr. 180

Der Reichrieglerhof, ein ehemaliger Bauernhof, den Überbacher-Minatti 1895 bei einer Versteigerung erworben und anschließend zum Hotel ausgebaut hatte, war anlässlich des Bahnbaus erweitert worden, sodass er nun bis zu 600 Gäste beherbergen konnte. Schnell entwickelte sich das Gastlokal mit Anschluss an die Erzherzog-Heinrich-Promenade (heute: Gutnschnapromenade) zum beliebten Ausflugsziel. Am 10. April 1913 berichten die „Innsbrucker Nachrichten“, dass die Guntschnabahn seit ihrer Eröffnung ein dreiviertel Jahr zuvor von 51.782 Personen benutzt worden sei. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ den Fremdenverkehr jäh erlöschen, der Bahnbetrieb wurde mit 1. August 1914 eingestellt. Erst 1921 konnte Überbacher-Minatti den Bahnbetrieb wieder aufnehmen. Die Bahn blieb auch nach dem Tod der Unternehmerin 1926 in Privatbesitz, doch da der Betrieb auf Grund der wachsenden Konkurrenz durch das Auto zunehmend unrentabel wurde, wurde die Bahn 1963 aufgegeben. Der Reichrieglerhof dagegen blieb bis in die 1990er Jahre ein beliebtes Gastlokal. Das Gebäude wurde vor einigen Jahren in ein Mehrparteienhaus umgewandelt.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
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39100 Bozen
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Fax +39 0471 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Archivale des Monats Juli 2021, 6.7.2021

Die erste Badeanstalt in Uetersen

Die Tonkuhle von Ziegeleibesitzer J.P. Baas.

Ziegeleibesitzer Johann Baas hat für die erste Badeanstalt in der schleswig-holsteinischen Stadt Uetersen gesorgt: durch eingeleitetes Wasser von der Pinnau wurde eine Tonkuhle auf seinem Gelände in den Sommermonaten zu einem öffentlichen Schwimmbassin. Seit wann diese sommerliche Bademöglichkeit bestand, ist der vorliegenden Akte im Stadtarchiv Uetersen nicht zu entnehmen. Ein von Baas verfasstes Schreiben an die Stadtverwaltung vom Mai 1903 ist das älteste Dokument, das sich zu diesem privat organisierten Badevergnügen erhalten hat. Er machte darin das weitere Bestehen der Badeanstalt davon abhängig, dass er alljährlich 600 Mark Zuschuss von der Stadt erhalte; im Gegenzug werde er jedes Jahr 200 Karten an die Stadtvertretung zur Verteilung an Kinder „unbemittelter Eltern“ geben.

Doch die Verhandlungen mit Johann Baas verliefen zunächst erfolglos, so dass das Stadtverordnetenkollegium auf einer Sitzung im Juni 1903 die Wahl einer „Kommission für die Errichtung einer städtischen Badeanstalt“ vornahm, in die die Stadtverordneten Behr, Cölln, Stark und Dr. Kirchberg gewählt wurden. Im September des gleichen Jahres beschloss die Kommission, eine Ortsbegehung am städtischen Lösch und Ladeplatz am Klosterdeich vorzunehmen einem Platz, der für das Vorhaben geeignet erschien. Das Ergebnis dieser Begehung war ein Bauantrag mit Zeichnung, der bei dem königlichen Wasserbauinspektor in Glückstadt 1904 eingereicht wurde. Doch dieser schickte die Unterlagen umgehend zurück und verwies auf mehrere Mängel: der eingereichte Lageplan sei nicht „maßstäblich“ und es fehle „die Unterschrift des Antragstellers“. „Außerdem bemerke ich, daß auf dem 20 m breiten Schutzstreifen, der parallel zum Deichfuß läuft, selbstverständlich auch keine Gebäude errichtet werden dürfen“.

Während dieses Projekt einer städtischen Badeanstalt erst einmal im Sande verlief, tagte im Juni 1904 eine Kommission, die einen Vertrag mit Baas zur Wiedereröffnung seiner Badeanstalt ausarbeitete: „Herr Baas verpflichtet sich, die Badeanstalt bis zum 1sten Juli dieses Jahres in Stand zu setzen und ordnungsgemäß während der Badesaison stets mit frischem, reinen Wasser zu versehen. Er erhält von der Stadt Uetersen 1000 M, wofür das Königliche. Seminar frei badet, ebenso die Knaben der Seminar Übungsschule und der Dispensirschule, wie es in früheren Jahren auch geschehen ist. Die Schüler der Präparandenanstalt zahlen für das Baden während des Sommers 4 Mark pro Person.“ Dieser Vertrag wurde am 22. Juni 1904 auf fünf Jahre abgeschlossen.

Bürgermeister Muus erreichten während der Badesaison 1904 diverse Beschwerden: Es wurde Klage darüber geführt, dass Baas keine Einzelkarten für seine Bad eanstalt verkaufe; andere Benutzer wurden vom Badewärter sogar massiv am Baden gehindert, da sie nicht im Besitz von Dauerkarten waren. Auch wurde auf die Ungerechtigkeit hingewiesen, dass nur einige Schulklassen frei baden durften und andere Kinder notgedrungen in die Pinnau baden gingen und dort Gefahr liefen, zu ertrinken.

Auch in den darauffolgenden Jahren blieb der sommerliche Badebetrieb auf dem Ziegeleigelände nicht ohne Schwierigkeiten: Insbesondere wurde das schmutzige Wasser von Schwimmern beklagt, die darin nicht baden mochten; aber auch die von Baas tageweise vorgenommene Schließung der Badestelle sorgte für Unmut. Er rechtfertigte dies damit, dass die Wasserqualität als auch der Wasserstand der Badeanstalt von der Pinnau abhängig sei (60) und es so bei Ostwind zu Niedrigwasser komme und eine Schließung unausweichlich sei. Am 3. April 1909 wurde ein neuer Vertrag unterzeichnet, in dem feste Badezeiten geregelt wurden:

Abb.: Lageplan des Ziegeleigrundstücks des Herrn F.W. Schinkel Klosterkoppel, J.P. Baas Nachfolger. Als Quadrat rechts unten eingezeichnet die Badeanstalt, 1909 (aus: Stadtarchiv Uetersen, A II 218)

Die Firma J.P. Baas Nachf. verpflichtete sich vom 1. Juni – 30. Sept. die Badeanstalt in ordnungsgemäßem Zustand täglich zur allgemeinen Benutzung geöffnet zu halten (§1). Die tägliche Badezeit dauerte von morgens 6 Uhr bis abends 9 Uhr, und zwar für männliche Personen von morgens 6-8 Uhr, mittags von 11-12, nachmittags von 5-7 Uhr; für weibliche Personen von morgens 8-10 Uhr und nachmittags von 3-5 Uhr (§2). Außerdem mussten Einzel und Abonnementskarten ausgegeben werden, … für Schüler hiesiger Schulen Karten für Einzelbäder zum Preis von 10 Pfg. und Abonnementskarten für die gesamt Badesaison für 3 Mark. (§4). 100 Karten wurden an die Kommission zur Verteilung an schulpflichtige Kinder ausgegeben (§5). Für alle nicht eingehaltenen Verpflichtungen wurde eine Konventionalstrafe festgelegt (§ 8).

Auch nach verbesserter Vertragsregelung mit J.P. Baas wurde von Stadtseite die Einrichtung einer neuen städtischen Badeanstalt weiterhin verfolgt. Ein zentraler Diskussionspunkt war dabei der geeignete Standort. Mehrere Plätze wurden einer baulichen Prüfung unterzogen. 1909 wurde der Mühlenteich als der günstigste und vorteilhafteste Platz zur Anlage einer Badeanstalt ausgewählt. Dieses Vorhaben wurde erst in Form des Planschbeckens beim Bau des Rosariums 1933/34 realisiert.

Schließlich ging die Badeanstalt 1910 in städtische Verwaltung über: J.P. Baas Nachfolger, Ziegeleibesitzer C. Baas und Mühlenbesitzer W. Schinckel vermieteten die ihnen gehörenden Badeanstalt an die Stadt Uetersen auf die Dauer von fünf Jahren für einen jährlichen Mietpreis von 1500 Mark. Die Stadt übernahm „die bauliche In standhaltung des Gebäudes der Badeanstalt und ihrer im Innern vorhandenen Einrichtungen“ und der Fußwege. Außerdem wurden nun die für den Betrieb erforderlichen Wärter und Wärterinnen von der Stadt eingestellt. Die Vermieter verpflichteten sich, das erforderliche Wasser von 1. Juni – 1. Oktober zu liefern; die Pumpzeiten waren durch den Vertrag genau festgelegt. – Wie lange die Tonkuhle auf dem Ziegelei Gelände den Uetersenern als Bademöglichkeit zur Verfügung stand, geht aus der Akte nicht hervor.

Das Stadtarchiv Uetersen befindet sich im Aufbau. Historische Akten und Dokumente bis 1950 sind bereits aufgenommen und nach Voranmeldung einzusehen. Auch ein umfangreicher, allerdings noch nicht vollständig bearbeiteter Fotobestand, steht für die Bildersucher von Häusern, Straßen, Plätzen, Personen und Ereignissen zur Verfügung. Nunmehr zieht das erst im Jahr 2017 ins Leben gerufene Stadtarchiv in Uetersen um. Der zugewiesene Raum im ehemaligen, 1959 eingerichteten Jugendzentrum an der Berliner Straße wird verlassen. Das neue Domizil befindet sich am Kleinen Sand.

Kontakt:
Stadtarchiv Uetersen
Dr. Ute Harms
Berliner Str. 17
25436 Uetersen
Tel.: 0160/7090304 (Do./Fr.)

Quelle: Dr. Ute Harms, Die Tonkuhle von Ziegeleibesitzer J.P. Baas die erste Badeanstalt in Uetersen (Akte: AII 218) aus der Serie: Aus dem Stadtarchiv (IV), 2021; Uetersener Nachrichten (SHZ), Ute Harms: Uetersen: Stadtarchiv zieht um und verlässt Käthe-Kollwitz-Heim, 4.7.2021

50 Jahre Frauenstimmrecht im Kanton Zug und in der Schweiz

Im Frühling 2020 trafen sich unter Federführung des Stadtarchivs Zug und der Bibliothek Zug erstmals Vertreterinnen und Vertreter von Gedächtnisinstitutionen und Frauenorganisationen für einen Gedankenaustausch: Soll der „Meilenstein Frauenstimmrecht“ im Jubiläumsjahr 2021 im Kanton Zug gefeiert werden? Und wenn ja, wie? Erste Ideen wurden gemeinsam gesponnen. Im Sommer 2020 wurde der Verein „50 Jahre Frauenstimm- und -wahlrecht“ gegründet mit dem Zweck, die Festivitäten zu bündeln und zu koordinieren. Seither tauschen sich das Stadtarchiv und die Bibliothek, die Frauenzentrale, eine Vertreterin aus der Politik und weitere Vereinsmitglieder regelmässig aus.

Die Aktivitäten im Jubiläumsjahr werden in der Agenda laufend aktualisiert und ergänzt. In der Webseitenrubrik „Wissenswertes“ des Vereins finden sich historische sowie aktuelle Informationen rund um das Frauenstimm- und -wahlrecht im Kanton Zug und in der Schweiz.

Das Stadtarchiv Zug leistet mit einem Kalender einen Beitrag zum Jubiläum. Seit Februar 2021 können die zum 50-Jahr-Jubiläum des Frauenstimmrechts erstellten Kalender beim Stadtarchiv bestellt werden. Das Stadtarchiv hat diesen Kalender mit Fotografien und Informationen zur Geschichte des Frauenstimmrechts gestaltet. Der erste Tag im Kalender ist der 7. Februar, da an diesem Tag das Frauenstimm- und -wahlrecht bei der Eidgenössischen Abstimmung angenommen wurde. Der Kalender leuchtet in knalligem Magenta und bietet Platz für persönliche Notizen und Geburtstagseinträge. Bestellt werden können die einzigartigen und informativen Kalender beim Stadtarchiv Zug.

Kontakt:
Stadtarchiv Zug
St.-Oswalds-Gasse 21
CH-6301 Zug
Tel. 058 728 90 20
stadtarchiv@stadtzug.ch

Quellewww.frauenstimmrecht-zug.ch

Freckenhorster Urkunden jetzt im Kreisarchiv Warendorf

Drei Urkunden der Freckenhorster Äbtissinnen aus dem 17. und 18. Jahrhundert fanden kürzlich ihren Weg in das Kreisarchiv Warendorf. Die Vorsitzende des Freckenhorster Heimatvereins, Wilma Richter, und der Archivbeauftragte des Vereins, Helmut Eismann, übergaben die historischen Dokumente persönlich. Sie waren von einer Freckenhorster Böttcherfamilie an den Verein gelangt.


Abb.: Die Urkunden der Freckenhorster Äbtissinnen zeigen (v.l.n.r.) Michael Ottmann (Leiter Haupt- und Personalamt Kreis Warendorf), Wilma Richter, Helmut Eismann (beide Heimatverein) und Dr. Knut Langewand (Leiter des Kreisarchivs) (Foto: Kreis Warendorf).

„Ich danke dem Heimatverein Freckenhorst und freue mich, dass historische Unterlagen von solcher Bedeutung ihren würdigen Platz im Kreisarchiv finden“, sagte Haupt- und Personalamtsleiter Michael Ottmann bei der Übergabe.

Kreisarchivar Dr. Knut Langewand lobte die vorbildliche Kooperation mit dem Verein: „Das Kreisarchiv hat naturgemäß ein großes Interesse am Erhalt historischer Unterlagen aus privater Hand, die nicht selten zuerst durch die Vereine oder Initiativen vor Ort vor der Vernichtung gerettet werden. Im Gegenzug unterstützen wir die Heimat- und Geschichtsvereine gerne bei ihrer Arbeit.“ Von den Urkunden wurden für den Heimatverein Scans und Abschriften erstellt.

Zwischen Heimatverein und Kreisarchiv besteht seit Jahren ein konstruktiver Austausch. Schon 2003 übergab der Verein dem Archiv Unterlagen aus seiner Vereinsgeschichte und zur kommunalen Neuordnung.

Interessierte, die Unterlagen aus der eigenen Familien-, Hof- oder Firmengeschichte (ggf. auch als Leihgabe) an das Kreisarchiv abgeben möchten, können sich telefonisch oder per E-Mail an das Archiv wenden.

Abb.: Eine der übergebenen „Schätze“: ein sog. Freibrief aus dem Jahre 1710, mit dem die Äbtissin des Freckenhorster Stifts, Hedwig Christina Gertrud von Korff zu Sutthausen, die Hedwig Heidtwinkel aus der Leibeigenschaft entließ. Ganz unten das Siegel und die eigenhändige Unterschrift der Äbtissin (Foto: Kreis Warendorf). 

Historischer Hintergrund zu den Urkunden:
Das freiweltliche Damenstift St. Bonifatius Freckenhorst war eine klosterähnliche Gemeinschaft adliger, unverheirateter Frauen (sog. Kanonissen oder Stiftsfräulein). Es wurde im Mittelalter (nach 850) begründet und bestand bis zu seiner Aufhebung 1811/12. Im Zentrum des Stifts befand sich die im 12. Jahrhundert erbaute Kirche, die daher bis heute Stiftskirche genannt wird. Das Stift wurde von einer Äbtissin geleitet und besaß zahlreiche Ländereien und Bauernhöfe in und außerhalb von Freckenhorst. Die auf den Höfen lebenden und arbeitenden Menschen waren häufig Leibeigene.

Kontakt:
Kreisarchiv Warendorf
Waldenburger Straße 2
48231 Warendorf
Tel.: 02581-531040
kreisarchiv@kreis-warendorf.de

Quelle: Kreis Warendorf, Aktuelle Meldungen, 3.6.2021

»Ich war ein Missale« – Ausstellung in der Deutschen Digitalen Bibliothek

Das Projekt „Digitale Erschließung von Einbandfragmenten in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck“ hat das Landeskirchliche Archiv Kassel zwischen 2003 und 2017 – mal mehr, mal weniger – beschäftigt. 736 hoch spannende Einbandfragmente konnten in dieser Zeitspanne gefunden und erschlossen werden. Viele waren daran beteiligt, allen voran Konrad Wiedemann.

Die ddbstudio-Ausstellung „Ich war ein Missale – Recycling mittelalterlicher Handschriften im 16. und 17. Jh.“ präsentiert seit dem 25.6.2021 online exemplarisch die ganze Bandbreite entdeckter Fragmente, die auf zahlreichen liturgischen, aber auch medizinisch-pharmazeutischen, juristischen, hebräischen und mittelhochdeutschen Texten gründen.


Abb.: Pergamenteinband ohne Trägerband, Graduale 2. Drittel 15. Jh. (lateinisch), aus der Sammlung von: Landeskirchliches Archiv Kassel (CC-BY-4.0-INT)

Der Handel mit Pergamenthandschriften als Material für Bindungen nahm seit den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts einen starken Aufschwung. Die Entwicklung des Buchdrucks steigerte den Bedarf enorm. Im Zuge der Reformation verloren viele liturgische Handschriften ihre Funktion. Klöster wurden aufgelöst und Kirchengemeinden traten zum evangelischen Glauben über.

Nach Auflösung der Klöster wurden die scheinbar wertlosen Pergamente, auch ganze Pergamentcodices, zweckentfremdet. Buchbinder lösten aus den Holzdecken Bogen für Bogen und verwendeten das Material zur Heftung von Kirchenrechnungen oder als schützenden Einband für Kirchenbücher.

Der wichtigste Einbandwerkstoff war das beschriebene Pergament. Papier als Werkstoff findet sich eher als Stärkung in Einbänden, selten als äußerer Einband.

Heute gelten die damals recycelten Handschriften als hohe Zeugnisse kultureller Tradition. Anders im 16. Jahrhundert, als sich der Buchdruck ausbreitete. Viele bisher nur als Handschrift vorliegende Texte waren nun in „modernen“ Ausgaben verfügbar. Wer die Mittel hatte, ersetzte das Manuskript durch einen Druck. Die nun häufig als Einband verwandten Schriften waren durch die Liturgiereformen des Konzils von Trient unzeitgemäß geworden. Die Festlegung auf ein Einheitsbrevier 1568 (Brevier = Gebetsbuch) und ein Einheitsmissale 1570 (Missale = Texte der Messe für das liturgische Jahr) führten dazu, dass die Handschriften ihre eigentliche Funktion verloren. Als Folge der Reformation wurde die Bedeutung des Lateinischen als Sprache der Kirche zudem zurückgedrängt.

Zur Ausstellung:
https://ausstellungen.deutsche-digitale-bibliothek.de/einbandfragmente/

Literatur:
Konrad Wiedemann, Bettina Wischhöfer, Einbandfragmente in kirchlichen Archiven aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien des Landeskirchlichen Archivs Kassel 21), Kassel 2007.

Konrad Wiedemann, Einbandfragmente kirchlicher Provenienz aus Kurhessen-Waldeck (Schriften und Medien des Landeskirchlichen Archivs Kassel 37), Kassel 2017.

(Bettina Wischhöfer)

Kontakt:
Landeskirchliches Archiv Kassel
Lessingstraße 15 A
34119 Kassel
Tel.: (0561) 78876 – 0
Fax: (0561) 78876 – 11
archiv@ekkw.de
http://www.archiv-ekkw.de

Lingners Wirken im Desinfektionswesen Dresdens

An Desinfektionsmittelspender, die gerade in der jetzigen Pandemie vor jeder Tür stehen, war vor gut 124 Jahren ebenso wenig zu denken wie an multiresistente Keime. Dabei wurde in Zeiten von Tuberkulose, Diphterie, Pocken und Cholera die Bedeutung und Wirkung einer gründlichen Desinfektion immer deutlicher. Seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde händeringend nach einer geeigneten Lösung zur Bekämpfung von Krankheitserregern gesucht. Denn im Zuge des wissenschaftlichen Fortschritts wurde der Zusammenhang zwischen Mikroorganismen und den ausbrechenden Seuchen und Krankheiten erkannt. Alle bisherigen Methoden zur Raumdesinfizierung brachten nicht den gewünschten Effekt.

Umso bedeutender war daher die Entwicklung des Lingner‘schen Desinfektionsapparates im Jahre 1897. Beworben wurde dieser Apparat, der in der Lage war Krankenhauszimmer, Wohnräume und sogar Ställe in nur drei Stunden tiefenwirksam keimfrei zu machen und gleichzeitig Oberflächen nicht anzugreifen, mittels umfangreicher Werbekampagnen. Ein Beispiel dafür bildet ein Werbefaltblatt aus dem Bestand der Gemeinde Torna – Archivale des Stadtarchivs Dresden für den Monat Juni 2021.


Abb.: Desinfektionsapparat von Karl August Lingner (Stadtarchiv Dresden, Repro, Bestand 8.53 Gemeindeverwaltung Torna, Sign. 49)

Die Grundlage für das Gerät bildete das von R. Walther und Dr. A. Schlossmann vom organisch-chemischen Laboratorium der Technischen Hochschule Dresden ebenfalls 1897 entwickelte Desinfektionsmittel Glycoformal. Die Mischung aus Formaldehyd, Glycerin und Wasser verdunstete nicht einfach, sondern drang in die mit Keimen bedeckten Oberflächen ein und vernichtete alle Erreger. Karl August Lingner (1861-1916), Erfinder und Namensgeber des Lingner‘schen Desinfektionsapparates sowie Vermarkter der bekannten Mundspülung „Odol“, ließ den Apparat in seinem Werk „Dresdner Chemisches Laboratorium Lingner“ herstellen.

In dem Faltblatt vom Juli 1898 wird die Funktionsweise wie folgt beschrieben. „Dieser Apparat besteht aus einem Ringkessel (B), in welchem Wasser zum Sieden gebracht wird. Der Wasserdampf steigt alsdann in ein Reservoir (A), das mit Glycoformal angefüllt ist. Es wird nun durch vier Düsen (d), die nach verschiedenen Richtungen aus dem Reservoir herausführen, durch den Wasserdampf das Glycoformal intensiv vernebelt und hinausgeschleudert.“ Nach ausgiebigem Lüften sind die Räume sofort wieder uneingeschränkt benutzbar. Die leichte Handhabung ermöglicht eine unkomplizierte und schnelle Einsatzbereitschaft, die überall möglich ist. Nach ausführlichen Tests wurde der Desinfektionsapparat schließlich für den Handel freigegeben und kostete 80 Mark.

Am 10. März 1901 empfahl auch die Königliche Amtshauptmannschaft Dresden-Altstadt die Verwendung des Desinfektionsgerätes. Im gleichen Jahr unterbreitet Lingner den Vorschlag, eine Desinfektionsanstalt in Dresden zu errichten. Dabei bezog er sich auf die Choleraepidemie 1892 in Hamburg.

Die Gründung der dortigen Anstalt hatte unzähligen Bürgern das Leben gerettet und die Epidemie gestoppt. Die Kosten für die Errichtung einer Desinfektionszentrale in Dresden übernahm Lingner selbst. Bereits im Juli 1901 wurde die „Öffentliche Zentralstelle für Desinfektion“ eröffnet. Es handelte sich um ein hochmodernes Institut, dessen Konzept die Vorzüge sowie die festgestellten Mängel anderer Einrichtungen miteinander verband. Neben den Aufgaben zur Desinfektion von Wohnräumen, Kleidung und Gebrauchsgegenständen gehörte ab 1902 auch die Ausbildung von Desinfektoren aus allen Städten Sachsens dazu. Damit wurde eine der ersten deutschen Desinfektorenschulen gegründet, die bis heute fortbesteht, seit 1965 jedoch mit Sitz in Leipzig. Ab 1906 gehörte die Anstalt zur öffentlichen Verwaltung. Ihre Arbeit wird heute durch die Dresden Schädlingsbekämpfung und Kommunalhygiene GmbH fortgesetzt. So gilt damals wie heute: Vorsorge ist eben besser als Nachsorge.

Kontakt:
Stadtarchiv Dresden
Elisabeth-Boer-Straße 1
01099 Dresden
Tel.: 0351 / 4881-515
Fax: 0351 / 4881-503
stadtarchiv@dresden.de

Quelle: Susanne Koch, Stadtarchiv Dresden, Archivalie des Monats Juni 2021

Archiv und Wirtschaft 2/2021

Am 6. Juli 2021 erscheint die Ausgabe 2/2021 von „Archiv und Wirtschaft“, der Zeitschrift der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare e.V. (VdW).

Inhaltsverzeichnis 

AUFSÄTZE

Lysann Goldbach: Die KfW und ihr Archiv (56-61)
Stefan Tobler: Zur Geschichte des Schweizer Bankgeheimnisses. Mit einem Seitenblick auf die Quellen- und Archivlage (62-73)
Lukáš Nachtmann: Zur Situation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Archive in Tschechien (74-83)

BERICHTE

Friederike Sattler: Firmenjubiläen und Archivrecherchen: Meistens ein Abenteuer! Zur Entstehung der Studie „Die DZ HYP: Eine genossenschaftliche Hypothekenbank zwischen Tradition und Wandel (1921–2021)“ unter den Bedingungen der Corona-Pandemie (84-89)
Rolf Herget: 50 Jahre Historisches Archiv der Deutschen Bundesbank – ein Jubiläum unter besonderen Umständen (89-91)
Anna-Maria Frings, Nicolas Krocker, Hans-Christian Bresgott und Markus Trüeb: 1. und 3. VdW-Webinar „‚Von der analogen zur E-Akte‘: Von digitalem Aktenchaos, neuem Rollenverständnis und betriebswirtschaftlichem Archivmanagement“ am 4., 9. und 11. sowie am 25., 29. und 31. März 2021 (92-95)

REZENSIONEN

Paul Erker: Zulieferer für Hitlers Krieg. Der Continental-Konzern in der NS-Zeit (Claus W. Schäfer) (96-97)
Michael Farrenkopf, Andreas Ludwig und Achim Saupe (Hrsg.): Logik und Lücke. Die Konstruktion des Authentischen in Archiven und Sammlungen (Brigitta Hafiz) (97-98)

Nachrichten (99)
Rezensionsliste (99-101)
Impressum (104)

Kontakt:
Dr. Martin Münzel
c/o F. Hoffmann-La Roche AG
Redaktion „Archiv und Wirtschaft“
Bau 52/111
CH-4070 Basel
Tel.: (0049) (0)159-06825241
martin.muenzel@wirtschaftsarchive.de
www.wirtschaftsarchive.de/publikationen/archiv-und-wirtschaft

Wertheim auf Glasfaser

Findmittel zu den Stadtarchivalien der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts online.

Auf der Homepage des Archivverbundes Main-Tauber findet sich seit kurzer Zeit das Findmittel zum Bestand „Städtische Akten III“. Der Kern der Überlieferung umfasst die Jahre 1953-1984, vereinzelt beginnen Akten bereits im 19. Jahrhundert oder reichen bis ins 21. Jahrhundert. Zur Erforschung und Sichtung bereit liegen 2.131 Akten, die hintereinander aufgereiht eine Länge von 27 Metern erreichen.

In die Laufzeit des Bestandes fallen unter anderem die Kreisreform mit den Eingemeindungen der heutigen Wertheimer Ortschaften und die Sanierung der Wertheimer Altstadt. Beides schlägt sich in den enthaltenen Akten nieder.

Mithilfe des Bestandes lassen sich auch die Anfänge der Städtepartnerschaft mit Salon-de-Provence und der von Karl-Josef Scheuermann initiierte deutsch-jüdische Austausch nachvollziehen. Daneben können größere Bauprojekte wie der Bau der Main-Tauber-Halle, das Bundesdemonstrativbauvorhaben „Wohnanlage am Wartberg“ und der Bau des Mainhafens erforscht werden.

Auch der Aufschwung der Wirtschaft in Wertheim, die Ansiedlung vieler Firmen in Wertheim und insbesondere der Zuzug glaserzeugender und -verarbeitender Firmen nach dem Zweiten Weltkrieg lassen sich anhand der Akten nachvollziehen. Beispielsweise gibt es Unterlagen über die Erschließung des Firmengeländes für die Glaswerke Schuller GmbH und seine nachfolgenden Erweiterungen. Aus den Werbeunterlagen der Firma stammt auch die Zeichnung auf Glasfaservlies.


Abb.: Die Rathausgasse auf Glasfaservlies – Werbung nicht nur für die Glaswerke Schuller GmbH, sondern auch für Wertheims Altstadt. (Vorlage: Staatsarchiv Wertheim S-III Nr. 1785)

Die aufkeimende Naturschutzbewegung hat ebenfalls ihren Niederschlag in den Akten gefunden, wie etwa der eindringliche Appell auf der Rückseite einer Broschüre zum Waldlehrpfad Wertheim zeigt: „Denkt an die Natur! Schützt die Landschaft!“, erstellt „Im Naturschutzjahr 1970“.

Über diese Internetadresse gelangt man direkt zum Findmittel und kann dort nach Akten suchen. Die Akten selbst werden im Archivverbund Main-Tauber in Bronnbach verwahrt und können im dortigen Lesesaal während der Öffnungszeiten eingesehen werden. Die Bestellung der Archivalien für den Lesesaal erfolgt ebenfalls über das Findmittel, oder es können dort Reproduktionen bestellt werden. Für Fragen steht die Stadtarchivarin telefonisch oder per E-Mail zur Verfügung.

Kontakt:
Landesarchiv Baden-Württemberg
Staatsarchiv Wertheim / Archivverbund Main-Tauber
Anna Berger
Bronnbach 19
97877 Wertheim
Tel.: 09342 / 91592–16
anna.berger@la-bw.de
stawertheim@la-bw.de

Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Aktuelles / Nachrichten, 09.06.2021

Der Bundeswehrstandort Lingen

Ein in den 1950er Jahren sehr kontrovers diskutiertes Thema war die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Sollte sich das Land nur wenige Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur wieder militarisieren und damit womöglich den Kalten Krieg verschärfen? Oder waren Remilitarisierung und Nato-Beitritt ein geeignetes Mittel der Abschreckung? Auch im niedersächsischen Landtagswahlkampf 1955 spielte das Thema eine Rolle. Mitte April besuchte Bundeskanzler Adenauer Lingen und warb für den Beitritt zur Nato (vgl. Archivalie des Monats April 2015).

Keine vier Wochen später trat die Bundesrepublik tatsächlich der Nato bei. Parallel wurde die Gründung der Bundeswehr vorangetrieben. Der im September 1955 bekanntgegebene Aufstellungsplan der Streitkräfte sah vor, dass auch Lingen wieder Garnisonsstadt werden sollte. In Lingen hatten Stadtverwaltung und Öffentlichkeit aber schon im Juni von den Plänen erfahren.


Abb.: Mit diesem Telegramm des Bundestagsabgeordneten Heinrich Eckstein erfuhr die Stadtverwaltung im Juni 1955 von der geplanten Wiederbelegung der Lingener Kasernen. Die ursprüngliche Zeitplanung ließ sich allerdings nicht einhalten (Stadtarchiv Lingen (Ems))

Bürgermeister Koop war daraufhin zusammen mit seinem Stadtkämmerer und seinem Stadtbaumeister ins Bundesverteidigungsministerium nach Bonn gereist, um Details zu erfahren. Die Soldaten sollten in der ehemaligen Doppelkaserne untergebracht werden, die die Nationalsozialisten 1935 in Reuschberge errichtet hatten (vgl. Archivalie des Monats Februar 2021).

Dazu musste das Staatshochbauamt die Kasernen erst einmal wieder in Stand setzen. Außerdem mussten nun Überlegungen angestellt werden, wie die letzten Displaced Persons, die noch immer in der Walter-Flex-Kaserne wohnten, anderweitig untergebracht werden könnten (vgl. Archivalie des Monats April 2021).

Mit Erlass des Verteidigungsministers vom 20. Juni 1956 vor nunmehr 65 Jahren wurde in Lingen eine Standortverwaltung errichtet. Am 15. Juli bezog ein zahlenmäßig begrenztes Vorkommando der Bundeswehr die bereits fertiggestellten Unterkünfte an der Gelgöskenstiege. Die Reparaturarbeiten liefen noch, als Anfang September die ersten 180 Soldaten des Panzeraufklärungsbataillons 3 anrückten.

Am 19. September 1956 wurden die Soldaten der Lingener Garnison offiziell empfangen. Um acht Uhr morgens wurde zunächst vor dem Ehrenmal am Alten Friedhof ein Kranz niedergelegt, um den Toten der beiden Weltkriege zu gedenken. Um 10:30 Uhr wurde die Kaserne offiziell übergeben. Dann marschierten die Soldaten mit einem Musikkorps Richtung Marktplatz, vorbei an geflaggten Häusern und der versammelten Bevölkerung, die den Soldaten Blumen an die Uniform hefteten.

Von der Treppe des Alten Rathauses aus wurden sie von Bürgermeister Koop begrüßt. „Der unglückliche Ausgang zweier Weltkriege und die nachfolgenden Notjahre“, so Koop, habe „das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Deutschen nicht zerstören können.“ Er habe das Vertrauen, dass Soldaten und Bevölkerung sich „unter dem Vorzeichen der Toleranz und gegenseitigen Achtung verstehen werden“. Kaplan Westholt äußerte den Wunsch „Möge die Wehrmacht nur dem Frieden dienen“. General Müller schließlich bat in seiner Rede um Nachsicht, denn die Jahre seit Kriegsende seien „nicht spurlos vorübergegangen“. Durch die „Diffamierung der Soldaten nach 1945“ herrsche in der Bevölkerung noch immer Misstrauen. Und den eigenen Soldaten empfahl er, sich zwei preußische Feldherren zum Vorbild zu nehmen: „Seien Sie klug und feinfühlig, verschlagen wie Zieten und mutig wie Seydlitz“. Die Kundgebung endete mit der dritten Strophe des Deutschlandliedes und dem Rückmarsch der Soldaten in die Kaserne.


Abb.: Abschiedsgeschenk des scheidenden Panzeraufklärungsbataillons 3 vom 30. Januar 1959 (Stadtarchiv Lingen (Ems))

Zum 1. Februar 1959 wurde das Panzeraufklärungsbataillon 3 nach Lüneburg verlegt, und so wurde Lingen im Mai Sitz der Panzerbrigade 33. Dessen Kern bildete das Panzerbataillon 333 mit rund 500 Soldaten und über 50 Kampfpanzern. Am 3. Juni 1959 stellte sich die Brigade der Lingener Bevölkerung auf dem Marktplatz vor.


Abb.: Bürgermeister Koop begrüßt im Juni 1959 die ersten Soldaten der Panzerbrigade 33 in Lingen. An seiner Seite geht Brigadekommandeur Oberst Lüder, dahinter der Kommandeur des Panzerbataillons 333 Oberstleutnant Deichen (Stadtarchiv Lingen (Ems))

Erneut wurde sie von Bürgermeister Koop begrüßt, der wünschte, dass sich die 33er in Lingen genauso wohl fühlen mögen wie zuvor die Aufklärer. 1976 wurde auch die Panzerbrigade abgezogen und nach Celle verlegt. Nun zog das Heimatschutzkommando 14 in Lingen ein und übernahm auch das Kommando über das weiterhin in Lingen stationierte Panzerbataillon.

Da sich der Truppenübungsplatz in Schepsdorf als zu klein erwies, fanden Übungen auch im freien Feld statt, was mitunter zu Schäden und Störungen führen konnte. Allerdings betrieb die Bundeswehr auch eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Man veranstaltete Waffenschauen und Tage der offenen Tür, beteiligte sich an der Emslandschau 1972 und der Lingener Tausendjahrfeier 1975.

Gelöbnisse und Zapfenstreiche fanden in der Öffentlichkeit statt, und zum 25. Jahrestag der NATO trat man zum Appell auf dem Marktplatz an. Auch zur Stadtverwaltung pflegte man gute Beziehungen. Viele Soldaten stammten ohnehin aus der Region und waren in Vereinen oder Parteien aktiv. Nicht zuletzt stellte die Kaserne mit ihren rund 1200 Soldaten und 700 zivilen Mitarbeitern einen entscheidenden Wirtschaftsfaktor der Stadt dar. Ende des Jahres 2007 wurde der Bundeswehrstandort Lingen geschlossen.

Quellen und Literatur (Auswahl):

  • Stadtarchiv Lingen (StadtA LIN), Allg. Slg., Nr. 1175
  • StadtA LIN, Allg. Verw., Nr. 389
  • StadtA LIN, Emsländische Rundschau vom 20.9.56 sowie vom 28.5.1959
  • StadtA LIN, Fotoserien (Großformate).
  • StadtA LIN, Lingener Tagespost vom 2.1.2008
  • StadtA LIN, Lingener Volksbote vom 6.7., 4.9., 18.9. und 20.09.1956 sowie vom 4.6.1959.
  • Dein Standort Lingen/Ems. Informationen für Gäste und Soldaten, Koblenz/Bonn 1977

Kontakt:
Stadtarchiv Lingen (Ems)
Baccumer Straße 22
49808 Lingen (Ems)
Tel.: 0591 / 91671-11
stadtarchiv@lingen.de

Quelle: Stadtarchiv Lingen, Archivalie des Monats Juni 2021