Hamburgs jüdische Polizeibeamte im Nationalsozialismus

Sonderausstellung im Hamburger Polizeimuseum vom 24. Oktober bis 21. November 2021.

Sie wurden entlassen, gedemütigt, bedroht, verfolgt, deportiert oder ermordet. Auch die Polizei Hamburg duldete zur Zeit des Nationalsozialismus keine Juden in ihren Reihen. Erstmals erinnert eine Ausstellung im Hamburger Polizeimuseum an Hamburgs jüdische Polizeibeamte.


Abb.: Informationsflyer zur Sonderausstellung im Polizeimuseum Hamburg (Bild: Polizei Hamburg)

Die Lebenswege von mehr als 46 jüdischen oder mit Jüdinnen verheiratete Polizisten und Polizeimitarbeiter hat Martin Bähr, Kriminaldirektor a.D., drei Jahre lang erforscht. Sein Fazit: „Fast alle wurden nach der Machtergreifung aus der Polizei entlassen. Diejenigen, die nicht nach Südamerika oder Palästina emigrierten, oder vor Kriegsbeginn ausreisen durften, wurden deportiert und ermordet, mussten Zwangsarbeit leisten oder fielen der Euthanasie zum Opfer“.

Anlässlich des Gedenkjahres „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ zeigt das Polizeimuseum Hamburg vom 24. Oktober bis 21. November 34 dieser Biografien, um dieses dunkle Kapitel Hamburger Polizeigeschichte ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Im Staatsarchiv Hamburg ist Bähr umfassend fündig geworden: Personalakten der Polizei Hamburg und Wiedergutmachungsakten ermöglichten es, die Schicksale von jüdischen Polizeibeamten und ihren Familien detailliert nachzuzeichnen.


Abb.: Das Stadthaus (heute Stadthöfe) war bis 1943 Hamburgs Polizeipräsidium und seit 1933 Zentrale des nationalsozialistischen Regimes für Terror und Gewalt. (Bild: Fotograf/Urheber: Koppmann, Georg / Staatsarchiv Hamburg, 720-1/343-1 Landesbildstelle / Denkmalschutzamt Bildarchiv, Nr. 00085651)

Martin Bähr: „Es sind Schicksale von einfachen Ordnungs- und Wasserschutzpolizisten, Kriminalbeamten und Polizeioffizieren. Darunter auch sehr außergewöhnliche Karrieren, beispielsweise die von Hans Flatau, der den Erkennungsdienst leitete oder Oswald Lasally, der als Regierungsrat in der Polizeibehörde angestellt war und ganz offensichtlich hervorragende Arbeit geleistet hat“.


Abb.: Carl Riemann (geb. 1893) war Polizeileutnant und wurde 1941 im Zuge der Euthanasie ermordet. Seine Frau war Jüdin und überlebte die NS-Zeit (links). – Oswald Lassally (geb. 1897) wurde 1933 aus dem Polizeidienst entlassen, wegen „Rassenschande“inhaftiert und 1940 zur Ausreise gezwungen (Fotos: Polizei Hamburg)

Die Ausstellung im Polizeimuseum Hamburg beschränkt sich nicht allein auf die Darstellung der Biografien. Sie zeigt auch, wie die Polizei in der Weimarer Republik, während des Nationalsozialismus und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mit Mitarbeitern umgegangen ist. Ebenso gewährt sie Einblicke in den Polizeiapparat, den Arbeitsalltag und zeigt auf, welchen Einfluss die jeweilige Staatsform auf die Polizei Hamburg hatte.

Mit dem Ausruf „Juden brauchen wir hier nicht“ – dem Titel der Ausstellung – wurde der Hamburger Polizeihauptwachmeister Rudolf Cracauer  nachweislich gedemütigt.

Stolpersteine gaben Anstoß zur Erforschung
Was gab den Anstoß für die Erforschung? Kriminaldirektor Martin Bähr: „Ausschlaggebend war für mich ein Zeitungsartikel über Stolpersteine. Ich habe mich gefragt, ob es in Hamburg jüdische Polizeibeamten gegeben hat. Da niemand die Frage beantworten konnte, habe ich mich im Staatsarchiv Hamburg auf die Suche begeben. Letztlich konnte ich 20 Polizeimitarbeiter mit jüdischen Wurzeln, 21 mit Jüdinnen verheiratete Mitarbeiter und sechs Menschen, die auf andere Weise betroffen waren, ermitteln und die Biografien zusammenstellen.“

Kontakt:
Polizeimuseum Hamburg
Akademie der Polizei Hamburg
Carl-Cohn-Straße 39
22297 Hamburg
Tel.: 040/4286- 680 80
polizeimuseum@polizei.hamburg.de

Quelle: Merkur.de, 24.10.2021; Polizeimuseum Hamburg, Veranstaltungen, Okt. 2021

Stadtarchiv Schaffhausen kulturell heruntergestuft

Das Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat das Stadtarchiv Schaffhausen von seinem Rang als Objekt nationaler Bedeutung (A-Objekte) heruntergestuft auf den Rang eines Objektes von nur noch regionaler Bedeutung (B-Objekte). Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz begründet diese Entscheidung gegenüber TELE TOP mitunter damit, dass die meisten der bedeutenden städtischen Werke im kantonalen Staatsarchiv Schaffhausen liegen würden.

Abb.: Stadtarchivar Landolt ist enttäuscht vom Bund, da dieser die kulturelle Bedeutung des Schaffhauser Stadtarchivs heruntergestuft hat. (Screenshot TELE TOP)

Das Schweizerische Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung ist das Verzeichnis der 3.200 Objekte von nationaler und rund 6.600 Objekte von regionaler Bedeutung, die zum Kulturerbe der Schweiz gerechnet werden. Neben dem Inhalt von Sammlungen und Archiven, sind der größte Teil der geschützten Objekte Baudenkmäler. Das Inventar erschien 1988 zum ersten Mal. In den Jahren 1995 und 2009 gab dann der Fachbereich Kulturgüterschutz im Bundesamt für Bevölkerungsschutz, der in der Schweiz Anlaufstelle für alle Fragen zum Kulturgüterschutz ist, die Editionen Nummer zwei und drei heraus.


Abb.: Revision KGS-Inventar 2021: Kantonsliste Kanton Schaffhausen (Auszug Stand: 13.10.2021)

In seiner Sitzung vom 13. Oktober 2021 hat der Bundesrat das Kulturgüterschutzinventar mit Objekten von nationaler und regionaler Bedeutung (KGS-Inventar) in seiner vierten Ausgabe genehmigt. Es listet weiterhin bedeutende Kulturgüter aus den Bereichen Denkmalpflege und Archäologie sowie Sammlungen in Museen, Archiven und Bibliotheken auf, für die es Schutzmaßnahmen vor Gefahren bei bewaffneten Konflikten, Katastrophen und Notlagen zu planen gilt.


Abb.: Stadtarchiv Schaffhausen, Eingang, Fronwagplatz 24 (Foto: Rudolf H. Boettcher)

Schaffhausens Stadtarchivar Oliver Landolt zeigte sich bei TELE TOP enttäuscht von der Entscheidung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz. Das Stadtarchiv besitze immerhin einige hundert Urkunden aus dem Spätmittelalter und aus der Frühen Neuzeit. Landolt befürchtet überdies finanzielle Einbußen in Folge der Herabstufung seines Archivs.

Das Stadtarchiv Schaffhausen verwaltet, erschließt und vermittelt das Schriftgut der Stadt Schaffhausen, wie es seit 1831 aus der amtlichen Tätigkeit ihrer Behörden und Verwaltung hervorgeht. Es verwaltet außerdem vom Schriftgut des alten Stadtstaates Schaffhausen jene Ämter, die 1831 ins Eigentum der Einwohnergemeinde Schaffhausen übergingen, sowie die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtrechnungen und Steuerbücher. Das Stadtarchiv Schaffhausen befindet sich seit 1958 im sogenannten „Großen Haus“ am Fronwagplatz 24. Im Mittelalter war das Haus im Besitz verschiedener adeliger Familien. 1685 erfolgte ein Umbau unter dem damaligen Eigentümer Hans Conrad Peyer im Hof. Prunkvolle Innenausstattung mit Stukkaturen von Samuel Höscheller und Hans Jacob Schärer. 1895/96 Umgestaltung des Erdgeschosses in Geschäftsräume und Errichtung eines öffentlichen Durchgangs. 1921 Ankauf der Liegenschaft durch die Stadt.

Kontakt:
Stadtarchiv Schaffhausen
Fronwagplatz 24
8200 Schaffhausen
Tel. +41 52 632 52 32
stadtarchiv@stsh.ch
http://www.stadtarchiv-schaffhausen.ch/

Quelle: TOP Online, 22.10.2021; Wikipedia, Art: Schweizerisches Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung, 21.10.2021; Stadtarchiv Schaffhausen: Über uns; Bundesamt für Bevölkerungsschutz, Medieninformation, 13.10.2021

41. Österreichischer Archivtag fand in Innsbruck statt

Weiterbildung und Netzwerken für mehr als 100 Archivarinnen und Archivare.

Der 41. Österreichische Archivtag wurde vom Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare (VÖA) in Kooperation mit dem Tiroler Landesarchiv und dem Stadtarchiv Innsbruck organisiert. Am 20.10.2021 begrüßte die für das Archivwesen zuständige Tiroler Kulturlandesrätin Beate Palfrader über 100 Archivarinnen und Archivare aus dem In- und Ausland, die anlässlich des Österreichischen Archivtages in Innsbruck zum Austausch zusammenkamen.


Abb.: In Innsbruck tagten die österreichischen Archivarinnen und Archivare: v. l.: Jörg Schwarz, Universität Innsbruck, Karin Sperl, Präsidentin des Verbandes Österreichischer ArchivarInnen, LRin Beate Palfrader, Christoph Haidacher,Tiroler Landesarchiv, Helmut Wohnout, Generaldirektor Österreichisches Staatsarchiv (Foto: Land Tirol/Dorfmann)

„Das Archivwesen blickt in Tirol auf eine sehr lange und bedeutungsvolle Geschichte zurück – der Blick ist aber nicht nur in die Vergangenheit gerichtet: Ganz wesentlich ist nämlich auch eine moderne Schriftgutverwaltung, die nicht nur den Erhalt der wertvollen alten Urkunden und Amtsbücher garantiert, sondern auch den Zugriff auf neuere Akten ermöglicht“, betonte LRin Palfrader in ihren Grußworten. „Damit die immer höher werdenden Standards und Anforderungen an den Archivarberuf erfüllt werden, ist die laufende Aus- und Weiterbildung im Archiv besonders wichtig.“

So sei der neu geschaffene Lehrberuf einer/s Archiv-, Bibliotheks- und Informationsassistentin/en eine echte Erfolgsgeschichte, so die Landesrätin. Bereits mehrere Lehrlinge haben diese Ausbildung im Tiroler Landesarchiv abgeschlossen. Der 41. Österreichische Archivtag stand unter dem Oberthema: „Keine Ahnung ist auch keine Lösung. Aus- und Weiterbildung im Archiv“.

Zur Geschichte und Zukunft des Tiroler Archivwesens
Erste Hinweise auf ein in Schloss Tirol befindliches Archiv stammen aus dem späten 13. Jahrhundert, als Graf Meinhard II. das Land Tirol schuf. Das Tiroler Landesarchiv in seiner heutigen Form verwahrt die Zeugnisse der Vergangenheit in Gestalt von Urkunden, Handschriften und Akten des historischen Tirol, das bis zum Ersten Weltkrieg bis an den Gardasee reichte.

„Mit der Schaffung eines eigenen Tiroler Archivgesetzes im Jahr 2017 und dem Beschluss der Tiroler Landesregierung, das bestehende Archivgebäude klima- und sicherheitstechnisch zu sanieren sowie durch einen Speicherneubau zu erweitern, wurden entscheidende Weichen für die Zukunft gestellt“, erklärte LRin Palfrader. Die ersten Baumaßnahmen haben gerade begonnen. „Die Erweiterung und Sanierung der Depotkapazitäten stellen sicher, dass das archivwürdige Schriftgut auch in den kommenden Jahrhunderten adäquat aufbewahrt wird und künftigen Generationen zur Verfügung steht.“

Kontakt:
VÖA – Verband Österreichischer Archivarinnen und Archivare
p. A. Wiener Stadt- und Landesarchiv
Guglgasse 14, Gasometer D
1110 Wien
sekretariat@voea.at
http://www.voea.at

Tiroler Landesarchiv
Michael-Gaismair-Straße 1
6020 Innsbruck
+43 512 508 3502
landesarchiv@tirol.gv.at

Quelle: Land Tirol, Meldung, 21.10.2021

Stadtarchiv Bamberg präsentiert Jahreskalender 2022

»Bamberg – Stadt am Fluss« … unter dieser Überschrift steht der neue Kalender des Stadtarchivs Bamberg für das Jahr 2022, der jetzt erschienen ist. Auf dreizehn interessanten Fotografien aus den reichhaltigen Bildbeständen des Stadtarchivs dokumentiert dieser Kalender die Rolle, die die Regnitz für die Stadt Bamberg spielt.


Abb.: Bamberg – Stadt am Fluss. Stadtarchiv Bamberg stellt seinen Jahreskalender 2022 vor (Foto: Stadtarchiv Bamberg)

Es ist der Fluss selbst, der hier im Mittelpunkt steht, mit seinem Verlauf, seiner sicher nicht bestreitbaren Idylle, aber auch seinem Gefahrenpotenzial bei Hochwasser und seiner Bedeutung als Verkehrsweg und Wirtschaftsfaktor. Die Regnitz war und ist ein wesentlicher Verkehrsweg. Dies gilt für die Erholung suchenden Menschen Ende des 19. Jahrhunderts, bei denen ein Spaziergang im sonntäglichen Gewand sowie das Übersetzen in der Fähre bei Bug besondere Höhepunkte des Sonntagsausflugs waren. Ähnliches gilt aber auch heute entlang des Adenauerufers, das erst mit erheblichem Bauaufwand zu Beginn der 1960er Jahre seine heutige Gestalt erhielt und gerade in der Luftaufnahme nur wenige Jahre zuvor ein völlig anderes Aussehen hatte. Der Fluss als Teil des Main-Donau-Kanals unterlag erheblichen baulichen Eingriffen, wie die Aufnahme vom der Eröffnung des Bamberger Staatshafens zeigt, der 1962 eröffnet wurde.

Immer wieder belegen die Brücken – sei es nun das Kalenderbild der Unteren Brücke oder die beiden Aufnahmen der Löwenbrücke mit den von US-Militär nach 1945 durchgeführten Bauarbeiten oder die Arbeiten an der neuen Löwenbrücke 2008 – wie sehr Bamberg schon aus Versorgungsgründen auf diese Bauwerke angewiesen ist. Längst vergangene oder grundsätzlich andere Blickbeziehungen zu Bauwerken der vertrauten Altstadt runden diesen Kalender ab.

„Das Stadtarchiv birgt eine Schatzkiste historischer Ansichten Bambergs. Seit einigen Jahren lässt es alle Bürgerinnen und Bürger mit liebevoll gestalteten Kalendern noch stärker daran teilhaben. Diesmal steht das Leben am Fluss im Mittelpunkt. Wie sehr die Regnitz Bamberg geprägt hat und dies noch immer tut, das wird bei dieser Ausgabe des Stadtarchivkalenders besonders deutlich,“ betonte Kulturreferentin Ulrike Siebenhaar bei der Vorstellung des Kalenders.

Der Stadtarchiv-Kalender ist zum Preis von 14,95 € (ggf. plus Versandkosten) im Stadtarchiv Bamberg oder im Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-929341-68-3).

Kontakt:
Stadtarchiv Bamberg
Untere Sandstr. 34 a
96052 Bamberg
Tel.: 0951 8713713
stadtarchiv@stadt.bamberg.de
http://www.stadtarchiv-bamberg.de

Quelle: Stadt Bamberg, Pressemitteilung, 13.10.2021

Ausstellung über das Halbleiterwerk Frankfurt (Oder)

Wie das Halbleiterwerk in Frankfurt (Oder) die Stadt und die Region zwischen 1959 und 1990 prägte, ist Thema der Ausstellung „Menschen Maschinen Mikroelektronik. Industriekultur am Beispiel des Halbleiterwerks Frankfurt (Oder)“, die am 17.10.2021 im Stadtarchiv Frankfurt (Oder) eröffnet wurde. Die Ausstellung ist das Ergebnis einer Kooperation zwischen der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) und dem Frankfurter Stadtarchiv.

Abb.: Montage von Leiterplatten in der Konsumgüterproduktion im ehemaligen Halbleiterwerk Frankfurt (Oder) in einem Bildband aus den 70er Jahren (Foto: Stadtarchiv Frankfurt (Oder)).

In einem Seminar unter Leitung der Wirtschaftshistorikerin Prof. Dr. Rita Aldenhoff-Hübinger konzipierten Viadrina-Studierende die Schau gemeinsam mit Mitarbeitenden des Stadtarchivs und erarbeiteten diese mit Materialien aus der Sammlung des Archivs. „Wir wollen die Verflechtung zwischen Werk und Stadt zeigen und veranschaulichen, wie sich die Gesellschaft um den VEB herum organisierte“, so Prof. Dr. Rita Aldenhoff-Hübinger.

Die Ausstellung betrachtet dafür u. a. sportliche und kulturelle Aktivitäten um das Halbleiterwerk, internationale Einflüsse und das Wirken der SED im Arbeitsalltag. Sozialistische Gesellschaften waren um wirtschaftliche Betriebe herum organisiert. Diese spezifisch sozialistische Industriekultur (Stichwort: „betriebszentrierte Gesellschaft“) wird am Beispiel des VEB Halbleiterwerk in Frankfurt (Oder) erkundet und sichtbar gemacht.

Die Ausstellung wird begleitet durch Vorträge von Forschenden der Europa-Universität, jeweils mit Diskussion und anschließender Führung.

Termine:

Mittwoch, 10. November 2021, 17.00 Uhr
„Das Halbleiterwerk und seine Rolle in der Bezirksstadt Frankfurt (Oder)“. Vortrag mit Diskussion von Professorin Dr. Rita Aldenhoff-Hübinger

Mittwoch, 8. Dezember 2021, 17.00 Uhr
„Halbleiter, Automatisierung und neue Bruchlinien in der Arbeitswelt der DDR (1970er und 1980er Jahre)“. Vortrag mit Diskussion von Prof. Dr. Klaus Weber und Florian Schwabe

Mittwoch 19. Januar 2022, 17.00 Uhr
„Außenhandel als Innovationsbarriere. Technologieimporte in der DDR-Mikroelektronik“. Vortrag mit Diskussion von Dr. Falk Flade

Für alle Veranstaltungen gilt die Anmeldepflicht sowie die 3-G-Regel.

Die Ausstellung ist vom 19. Oktober 2021 bis 28. Februar 2022 regulär jeweils dienstags bis donnerstags 9.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.

Kontakt:
Stadtarchiv Frankfurt (Oder)
Rosa-Luxemburg-Straße 43
15230 Frankfurt (Oder)
Tel.: 0335 552-4300
stadtarchiv@frankfurt-oder.de
https://www.stadtarchiv-ffo.de/

Quelle: Stadt Frankfurt (Oder), Pressemitteilung, 13.10.2021

Preis für Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsgeschichte 2021

Preisverleihung im Rahmen des Industriekulturabends „Exil aus Berlin“.

Zum vierten Mal wird der Preis für Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsgeschichte verliehen. 2021 erhält Nathalie Scholl von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) den Preis, der unter der Schirmherrschaft von Christoph Stölzl, ehemaliger Berliner Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur und jetziger Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar sowie Gründungsdirektor des Berliner Exilmuseums, am 5.11.2021 übergeben wird. Den Rahmen bildet der 26. Industriekulturabend „Exil aus Berlin“.

Der vom Verein Berliner Kaufleute und Industrieller e.V. mit 1.000 Euro dotierte Preis für Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsgeschichte 2021 geht an Nathalie Scholl für die im Studiengang Museumskunde an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin vorgelegte Bachelor-Arbeit mit dem Titel „Erforschung und digitale Vermittlung der Geschichte der Argus-Motoren-Gesellschaft mbH am Standort Berlin-Reinickendorf“.

Stellvertretend für die Jury des BBWA-Beirates würdigt Prof. Dr. Dorothee Haffner, HTW Berlin, die eingereichten Arbeiten, die den Erkenntnis- und Wissenstand auf dem Gebiet der regionalen Wirtschaftsgeschichte Berlin-Brandenburgs vertiefen und bereichern. „Diesem Anspruch haben sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer an diesem Wettbewerb gestellt und mit ihren eingereichten Beiträgen einen spezifischen Teil der Vergangenheit erschlossen und damit auch einen Beitrag dafür geleistet, wie wir die Zukunft gestalten können.“

Industriekulturabend „Exil aus Berlin“
Das Warenhaus Wertheim am Leipziger Platz war einst das größte Europas. Dabei hatte sich diese Betriebsform in Deutschland erst spät entwickelt. Der Sohn der Familie Wertheim, Georg, führte im 19. Jahrhundert erstmals völlig neue Geschäftsprinzipien ein. Massenprodukte wurden zu günstigen Preisen in einem repräsentativen Rahmen angeboten, was den Kundinnen und Kunden gut gefiel und die Expansion  beförderte. Die Unternehmensgeschichte ist untrennbar mit der Familiengeschichte verbunden. So musste sich die jüdische Familie beständig mit antisemitischen Anwürfen auseinandersetzen. Doch das Unternehmen konnte seine starke Stellung, allen Anfeindungen zum Trotz, noch ausbauen. Der ohnehin schwierige Übergang zur nächsten Generation wurde durch den Machtantritt der Nationalsozialisten überschattet. Während die drei familienbezogenen Geschäftsführer in Deutschland starben, versuchten sich ihre Geschwister und deren Kinder in der Emigration zu behaupten.

Das geplante Exilmuseum Berlin wird die Personen mit ihren individuellen Lebensgeschichten in den Mittelpunkt stellen, die ihr Heimatland wegen der NS-Herrschaft verlassen mussten. Sie sind die Akteure und Träger der Exilgeschichte. Das Museum wird die Erfahrung des Exils in bestimmten Motiven und Themen nachspüren und historische Hintergründe verständlich machen.

Kontakt:
Berlin-Brandenburgisches Wirtschaftsarchiv e.V.
Björn Berghausen, Geschäftsführer
Eichborndamm 167, Haus 42
13403 Berlin
Telefon 030 41190698
Telefax 030 41190699
mail@bb-wa.de
http://www.bb-wa.de

Quelle: BBWA, Pressemitteilung, 18.10.2021

Kulturpreisträgerin spendet Preisgeld ans Stadtarchiv Fürth

Die Trägerin des Fürther Kulturpreises 2020, Gisela Naomi Blume, spendet ihr Preisgeld in Höhe von 8.000 Euro dem Stadtarchiv Fürth, das damit zwei Bände mit Gemeindeverwaltungsakten aus dem 17. und 18. Jahrhundert restaurieren lässt.

Gisela Naomi Blume habe die Geschichte der jüdischen Bevölkerung Fürths, aber auch das Leben der „Namenlosen“ erforscht, so die Begründung des Kuratoriums zur Verleihung des Kulturpreises. Mit ihren Büchern habe sie an die Vergessenen, Vertriebenen und Ermordeten erinnert und gleichzeitig gezeigt, wie groß der Verlust für die Stadt gewesen ist.

Die 1938 geborene Historikerin und Autorin Blume begann ihr Fürther Engagement mit der Rekonstruktion des alten jüdischen Friedhofs. 2001 konvertierte sie zum Judentum und stand der Kultusgemeinde von 2004 bis 2008 vor. 2011 zeichnete die Stadt Fürth sie mit dem Goldenen Kleeblatt aus.


Abb.: Für ihr außergewöhnliches persönliches Engagement im Bereich der jüdischen Geschichte und des jüdischen Lebens in der „Kleeblattstadt“ Fürth erhielt Gisela Naomi Blume bereits 2011 aus den Händen von Oberbürgermeister Thomas Jung das Goldene Kleeblatt. (Foto: Claudia Wunder)

Die in Fürth lebende Historikerin Gisela Naomi Blume hat in jahrelanger Arbeit in Archiven in Fürth, Nürnberg, Israel und den USA, in ehemaligen Konzentrationslagern und Gedenkstätten die Namen und Schicksale vertriebener, ermordeter und vergessener Jüdinnen und Juden aus Fürth aufgespürt. Mit Hilfe der Israelin Nurit Kornblum entzifferte sie die hebräischen Inschriften aller Grabsteine auf dem Alten jüdischen Friedhof und legte zum 400. Jahrestag des Friedhofs ihr Buch „Der alte jüdische Friedhof in Fürth“ vor. Darin gibt sie Einblicke in die Geschichte des Friedhofs aber auch in die Entwicklung einer der größten jüdischen Gemeinden Süddeutschlands. In unermüdlicher Forschungsarbeit hat sie inzwischen rund 20.000 Datensätze zusammengetragen. Mit ihrem Engagement erinnert sie an das jüdische Erbe der Stadt und macht den großen Verlust erfahrbar.

Abb.: Gisela Naomi Blume: Der neue jüdische Friedhof in Fürth. Geschichte – Gräber – Schicksale, Nürnberg 2019, 736 S.

Der neue jüdische Friedhof in Fürth wurde 1906 eröffnet und umfasst heute nicht weniger als 875 Grabstätten, in denen rund 1075 Personen bestattet worden sind. Er ist für Fürth ein Kulturdenkmal ersten Ranges, das die bedeutsame Rolle jüdischer Bürger spiegelt, die in der Stadt nicht selten eine öffentliche Rolle gespielt haben und wirtschaftlich, kulturell oder karitativ von großer Bedeutung waren.

Das Buch von Gisela Naomi Blume („Der neue jüdische Friedhof in Fürth“) beschäftigt sich zunächst mit der Geschichte des Beerdigungsgeländes, dessen Einrichtung, Entwicklung und bauliche Ausstattung beleuchtet werden. Erläutert werden auch die religiösen Riten, die die Besonderheit jüdischer Begräbnis- und Friedhofskultur ausmachen. Im Hauptteil sind alle erhaltenen Grabstätten ausführlich dokumentiert: neben farbigen Fotos der Gräber werden die Inschriften transkribiert und ggf. übersetzt. Eingehend werden Lebensdaten, familiäre Zusammenhänge und sozialer Stand der Bestatteten sowie ihre früheren Wohnverhältnisse aus einer Vielzahl von Quellen und oft abgelegener Literatur rekonstruiert, dargestellt und nicht selten anhand historischer Aufnahmen verbildlicht. In detaillierten Lebensläufen lassen sich auch die bestürzenden Schicksale während der NS-Zeit und die Zerstreuung der einstigen Gemeinde in ganz Europa und Übersee nachvollziehen.

Ein umfangreicher Namensindex der Bestatteten und ihrer Ehepartner und ein Index der zeitweise in jüdischem Besitz befindlichen, oft heute noch bestehenden Häuser erschließen das materialreiche Buch.

Link: juedische-fuerther.de

Quelle: nordbayern.de, 15.10.2021; nordbayern.de, 4.7.2020; Gesellschaft für Familienforschung in Franken: PGS 12; Stadt Fürth, Pressemitteilung, 1.12.2011; Stadt Fürth: Film zeigt Kulturpreisträgerinnen und -träger, 18.11.2020; Fürthwiki: Art. Gisela Naomi Blume, 12.10.2021; Stadt Fürth, Pressemitteilung, 12.10.2021

Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln: BGH hebt Freisprüche auf

Der Prozess gegen zwei Bauleiter wegen des Einsturzes des Historischen Archiv der Stadt Köln muss in Teilen neu aufgerollt werden. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 13.10.2021 entschieden. Der BGH gab den Revisionen der Kölner Staatsanwaltschaft gegen die Urteile des Kölner Landgerichts vom Oktober 2018 statt. Laut Gericht weisen die Freisprüche für die beiden Angeklagten Rechtsfehler auf.


Abb.: Das Historische Archiv der Stadt Köln nach dem Einsturz am 3.3.2009 (Foto: Stadt Köln)

Das Landgericht Köln hatte festgestellt, dass die zwei Bauleiter der ausführenden Firmen gegen Sorgfaltspflichten bei der Betreuung einer Baugrube verstoßen hatten. Diese seien aber nicht die Ursache für den Einsturz gewesen. Deshalb hatte das Kölner Landgericht die zwei Männer in einem Prozess freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen jetzt Beschwerde ein.

Urteil vom 13. Oktober 2021 – 2 StR 418/19

Das Landgericht hat zwei Angeklagte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Nach den Feststellungen kam es am 3. März 2009 zu dem Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln sowie zweier Wohngebäude, bei dem zwei Menschen zu Tode kamen und ein Schaden – insbesondere an den Gebäuden und dem Archivgut – in Höhe eines dreistelligen Millionenbetrags entstanden ist. Ursache des Unglücks war zur Überzeugung der Strafkammer die Havarie einer rund 27 Meter tiefen Baugrube in unmittelbarer Nähe der Gebäude, die im Zuge eines Großprojekts zur Errichtung einer Stadtbahn ausgehoben worden war. Die Erstellung der seitlichen Schlitzwand der Baugrube, mit welcher das Eindringen von Grundwasser verhindert werden sollte, war nicht fachgerecht erfolgt. Infolgedessen hielt diese Wand am Unglückstag dem Wasserdruck nicht mehr stand, wodurch Wasser, Sand und Erdreich in die Baugrube einströmten und so unter den anliegenden Gebäuden ein Hohlraum entstand, der zu deren Einsturz führte.

Die beiden Angeklagten waren als Bauleiter in verantwortlicher Position jeweils für eine Abteilung der bauausführenden Arbeitsgemeinschaft tätig. Nachdem die Schlitzwand durch die Abteilung „Spezialtiefbau“ im Baugrund errichtet worden war, wurde anschließend die Grube durch die Abteilung „Ingenieurbau“ ausgehoben. Eine Übergabe der Baustelle zwischen den Abteilungen – die ohnehin nicht vorgesehen war – fand nicht statt. Bei der Errichtung der Schlitzwand kam es zu mehreren Zwischenfällen auf der Baustelle, bei der eingesetztes Baugerät ebenso beschädigt wurde wie Teile der bereits errichteten Abschnitte der Wand.

Das Landgericht hat zwar Sorgfaltspflichtverletzungen der Angeklagten festgestellt. Indes waren diese nach den Wertungen der Strafkammer für den Einsturz der Gebäude nicht ursächlich.

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Freisprüche aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nach Ansicht des Senats hat die Strafkammer bei der Bestimmung der die Angeklagten treffenden Sorgfaltspflichten maßgebende Umstände – insbesondere die gehäufte Zahl an Zwischenfällen auf der Baustelle sowie die fehlende Abstimmung der Abteilungen untereinander – außer Betracht gelassen. Über den Vorwurf der Anklage muss damit neu befunden werden.

Quelle: Bundesgerichtshof, Pressemitteilung 185/2021, 13.10.2021; WDR, Nachrichten, 13.10.2021

125 Jahre »Per Express nach Fallingbostel«

Auch wenn die Geschwindigkeit nicht unbedingt expressmäßig war, die Eröffnung der knapp 26 Kilometer langen Eisenbahnstrecke Walsrode-Fallingbostel-Dorfmark-Soltau – einem Teilstück der „Heidebahn“ – vor 125 Jahren am 1. Oktober 1896 brachte überaus wichtige Impulse für die Entwicklung des Ortes Fallingbostel. Ohne die Eisenbahn, wäre das „Paradies der Heide“ im Dornröschenschlaf verblieben und hätte keinen Aufschwung als beliebter Fremdenverkehrsort gefunden.


Abb.: Postkarte „Grüße per Express“, gelaufen im Jahr 1905 (Stadtarchiv Bad Fallingbostel)

Allerdings mussten die Fallingbosteler lange Jahre warten, bis aus den Plänen Wirklichkeit wurde. Als dann 1891 endlich die Regierung die von den Fallingbostelern favorisierte Streckenführung genehmigte, wurden Böllerschülle vom Tütberg abgefeuert. Im Juni 1891 fand nach einem Fackelzug durch den Ort im „Hotel zur Lieth“ ein Eisenbahnfest statt, bei dem 600 Liter Freibier ausgeschenkt wurden und das „Lied der Fallingbosteler“ zum ersten Mal erklang, das der Bürstenmacher D. Pröhl in recht holprigen Versen gedichtet hatte. Auch wenn es noch weitere fünf Jahre dauerte, bis die Eisenbahnstrecke eingeweiht werden konnte, die Eisenbahnbegeisterung der Fallingbosteler kann man sich kaum besser eingefangen vorstellen, als in diesem Lied der Fallingbosteler:

Nun endlich kommt nach langer Wahl,
Die Eisenbahn ins Böhmetal,
Die das wollten hintertreiben,
Mögen uns gewogen bleiben,
Die Eisenbahn kommt bald, ja, ja,
Jupp heidi, jupp heida,
Ins Böhmetal hurra!

Ja, dann auf dem Fahrplan steht,
Wann es nach Fallingbostel geht,
Von Hannover, Kaltenweide
Nach dem Paradies der Heide
usw.

Auch steht’s in Möllers Kursbuch dann,
Auf welcher Station man kann,
Von der Uelzen-Bremer Strecke
Nach hier biegen um die Ecke.
usw.

Bringt sie uns dann von nah und fern,
Viel Fremde, sehen wir so gern,
Aus Hannover, Hamburg, Bremen
Und woher sie sonst noch kämen.
usw.

Denn doch ein Fremder gerne sieht,
Bei Fallingbostel mal die Lieth,
Klettert gar bei größter Hitze
Auf die Klinter Liethbergspitze.
usw.

Und wär’s auch einer gar vom Rhein,
Labt er sich an dem Liter Wein,
In dem Tale, wo so helle,
sprudelt die Gesundheitsquelle.
usw.

Ist die Bahn nur sekundär,
Sind dennoch dankbar wir gar sehr,
Allen, die behülflich waren,
Daß wir hier mit Dampf bald fahren.
usw.

Dann geht es schnell von Dorf zu Dorf,
Wo wird verladen Holz und Torf,
Und wir dann fahren zum Besuch,
Stracks über Dorfmark, Jettebruch.
usw.

Und weiter auch nach Soltau dann,
Wo dann, wenn wir kommen an,
Die Freunde rufen: Je mi ne,
Fallingbosteler je juch he!
usw.

In Soltau geht’s dann hopp, hopp, hopp,
Da wird getanzt im Schottsch-Galopp.
Und damit wir bleiben munter,
Trinken wir auch mal mitunter.
usw.

Und zwar bis jeder hat genug,
Und nicht verpaßt den letzten Zug,
Sondern schon im Wagen krimmelt,
Wenn die Glock zur Abfahrt bimmelt.
usw.

Und wenn dann keiner bricht das Genick,
Sind wir bald von dort zurück.
Werden, eh‘ wir’s uns versehen,
Wieder auf dem Bahnhof stehen.
usw.

Drum schwingen wir heut wohlgemut,
Hoch unsere Mützen, hoch den Hut,
Singen, daß es laut erschalle
Und es weithin wiederhalle:
Die Eisenbahn kommt bald, ja, ja,
Jupp heidi, jupp heida,
Ins Böhmetal, hurra!

Kontakt:
Stadtarchiv Bad Fallingbostel
Dr. Wolfgang Brandes
Vogteistraße 1
29683 Bad Fallingbostel
Tel.: 05162 / 40118
stadtarchiv@badfallingbostel.de

Quelle: Stadtarchiv Bad Fallingbostel, Archivalie des Monats Oktober 2021

Der Emsländische Renn- und Pferdezuchtverein von 1920

Der Pferderennsport hat eine lange Tradition. Das erste Rennen wurde 1822 in Deutschland im mecklenburgischen Bad Doberan durchgeführt. Der Pferderennsport breitete sich im Land aus und fand viele Anhänger. In rascher Folge entstanden Rennbahnen, so in Münster, Castrop, Burgsteinfurt und in Quakenbrück. Auch in Lingen begann man sich für den Pferderennsport zu interessieren. Die Geschichte des Emsländischen Renn- und Pferdezuchtvereins beginnt am 4. Juli 1920. An diesem Tag fand in der Gastwirtschaft Tieding eine Versammlung von Freunden der Pferdezucht und des Rennsports statt.

Initiator der Versammlung war der Lingener Hoffschrör, der vorschlug, zur Veranstaltung von Pferderennen und zur Förderung der Pferdezucht einen Verein zu gründen. An einer Vereinsmitgliedschaft Interessierte konnten sich in einer bei Tieding ausliegenden Liste eintragen. Bald konstituierte sich ein vorbereitender Ausschuss, bestehend aus Landrat Albert Pantenburg und Emanuel Graf von Galen.


Abb.: Pferderennverein, o.D. (Foto: Heimatverein Lingen)

Wenige Tage nach dem ersten Treffen bat von Galen die Stadt um ein Grundstück zur Errichtung einer Pferderennbahn. Er dachte an ein mit Fichten bestandenes Gelände am Kleinbahnübergang der Haselünner Straße, also im Bereich der heutigen Schillerstraße. Die Stadt reagierte wohlwollend, sie hoffte auf steigenden Fremdenverkehr und entsprechende Steuereinnahmen. Nach einer Geländebesichtigung stimmten die städtischen Kollegien zu, am 10. Oktober erfolgte die offizielle Vereinsgründung, und am 25. Februar 1921 kam es zum gemeinsamen Vertragsschluss. Demnach stellte die Stadt das Grundstück kostenlos zur Verfügung, die Kosten für die Anlegung einer Rennbahn aber sowie die Errichtung einer Tribüne hatte der Verein selbst zu finanzieren. Die Bauarbeiten auf dem bereits mit einem Dampfpflug bearbeiteten Gelände begannen zügig, eine rund 1270 Meter lange und 25 Meter breite Rennbahn für Flach- und Hindernisrennen entstand ebenso wie eine überdachte Tribüne für 400 Personen mit Verwaltungs- und Restaurationsräumen und ein Totalisatorgebäude für die Annahme von Pferdewetten.

Und so konnte vor nunmehr hundert Jahren – am 11. September 1921 – das erstes Pferderennen stattfinden. In gewisser Hinsicht war die Veranstaltung auch ein Erfolg: sie wurde bemerkenswert gut besucht. Genaugenommen wurde sie zu gut besucht. Denn wegen des enormen Andrangs gelang es nicht, die öffentliche Ordnung am Rennplatz und auf den Zufahrtswegen aufrechtzuerhalten. Die Lingener Polizei war schlichtweg überfordert. Die Kassen waren völlig überlaufen, und angesichts fehlender Ordner strömten die Zuschauer schon vor Rennbeginn ins Innere der Rennbahn. „Ein Wunder, daß kein Unglück passiert ist“, kommentierte später der Lingener Volksbote. Für das zweite Rennen am 21. Mai 1922 mussten zwanzig Beamte der Schutzpolizei Osnabrück angefordert werden, und Feuerwehrleute sollten verhindern, dass niemand mit Zigarette im Wald herumlief. Der zusätzliche Aufwand kostete, und so befand sich der Verein von Anbeginn in einer finanziell schwierigen Lage. Die immer stärker anziehende Inflation tat ihr Übriges. Entsprechend finanzierte der Verein auch die vergebenen Preise nicht selbst, jedes Mal musste die Stadt erneut um Beihilfe gebeten werden. Die gewährte anfangs großzügig 1500 Mark, doch von Rennen zu Rennen sank der Betrag.


Abb.: Auf der Lingener Rennbahn um 1924 (Foto: Stadtarchiv Lingen)

Faktisch war der Fortbestand des Vereins wesentlich vom Erfolg der nächsten Rennveranstaltung abhängig. So konzentrierte man sich auf die Frühlingsrennen, die Herbstrennen 1922 und 1923 fielen aus. Nach einem finanziell unbefriedigenden Rennen stand man Mitte 1924 schließlich mit 26.000 Mark Schulden da. Einige Gläubiger zogen gar vor Gericht. Man fürchtete das Ende des Vereins und versuchte, die Tribüne auf Abbruch zu verkaufen, obwohl das ohne Zustimmung des Magistrats verboten war. Schließlich fand sich doch noch eine Lösung. Im Januar 1925 übernahm die Sparkasse des Kreises Lingen die Schulden des Vereins – inklusive der Schulden, die der Verein bei der Sparkasse selbst hatte – und wurde damit Eigentümerin sämtlicher Bauwerke auf dem Rennbahngelände. Der Verein durfte die Rennbahn jedoch weiterhin nutzen, und so fanden auch weiterhin Pferderennen statt. Mit dem Pferdezuchtverband Osnabrück holte man sich einen Partner ins Boot. Fortan stand auch eine Reichsverbandsstutenschau auf dem Programm. 1929 fanden noch einmal ein Frühjahrs- und Herbstrennen statt, 1930 noch eine Stutenschau, doch die finanzielle Situation des Vereins blieb prekär.

Im März 1931 beschloss die Sparkasse den Verkauf der Gebäude. Doch die Tribüne war reparaturbedürftig, der Verkauf des Abbruchmaterials hätte vielleicht noch 500 Mark eingebracht. Und der Abbruchwert des Totalisatorhäuschens hätte gerade ausgereicht, seinen Abbruch zu bezahlen. Die Stadt gab ein entsprechend niedriges Angebot ab, und so fiel der Verkauf aus. Was blieb, war eine Pferderennbahn, auf der keine regulären Pferderennen mehr stattfanden. Im Oktober 1931 veranstaltete der Reiterverein für Lingen und Umgebung noch ein einzelnes Rennturnier, und im September 1935 überließ man die Anlage der inzwischen in Lingen stationierten Garnison für ein Jagdreiten. Das letzte Rennen auf der dafür extra wieder hergerichteten Rennbahn, veranstaltet vom Lingener NS-Reiterkorps und der Lingener SA-Reiterschar, fand im Mai 1939 statt.

Bereits 1933 hatte der Landwirt Hermann Bojer, ohnehin längst Pächter dortiger Grünflächen, Interesse an dem Gelände angemeldet. Er wollte hier ein Bauernwohnhaus mit Stallung errichten. Aber die städtischen Kollegien lehnten das zunächst ab. 1936 erwarb er es dann doch – offenbar ohne jeden Vertrag. 1938 baute er einen Teil der Tribüne zu einem Bauernhaus um, 1940 den anderen Teil zu einem Wirtschaftstrakt. 1966 wurde das ganze Gebäude nach einem Blitzeinschlag abgerissen. Der Rennverein lässt sich 1934 zum letzten Mal belegen. Er dürfte wenig später in Konkurs gegangen sein.

Quellen und Literatur:

  • Stadtarchiv Lingen (StadtA LIN), Altes Archiv, Nr. 6630.
  • StadtA LIN, Fotosammlung.
  • StadtA LIN, Haus Beversundern (Dep.), Nr. 121.
  • StadtA LIN, Lingener Volksbote vom 28.8., 14.9. und 2.10.1920.
  • StadtA LIN, Lingensches Wochenblatt vom 6.7. sowie 12., 17. und 28.8.1920.
  • StadtA LIN, Stadt Lingen, Nr. 597.
  • Stephan Schwenke: Der Emsländische Renn- und Pferdezuchtverein aus Lingen, in: Jahrbuch des Emsländischen Heimatbundes 56 (2010), S. 115-133.

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Tel.: 0591 / 91671-11
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Quelle: Stadtarchiv Lingen, Archivalie des Monats Oktober 2021; Heimatverein Lingen / Dr. Stephan Schwenke, Archivalie des Monats Juni 2009