Wunschtraum und Realität – 4. Berliner Archivtag 2021

Der 4. Berliner Archivtag konnte am 17.11.2021 zwar nicht in Präsenz, aber immerhin als Online-Veranstaltung mit bis zu 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden. Veranstaltet vom Landesverband Berlin im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. führte dessen Vorsitzender Dr. Torsten Musial (Archiv Film- und Medienkunst der Akademie der Künste) durch das Programm, das unter der Fragestellung „Digitalisierung – Wunschtraum oder Realität?“ stand.

Der Tagungsverlauf war sehr ansprechend, thematisch aufeinander aufbauend gegliedert, so dass man zunächst Praxisberichte aus verschiedenen Berliner Archiven erhielt, bevor am späten Vormittag zwei weitere Vorträge auch die allgemeinen fachlich-theoretischen Hintergründe behandelten, um – mit diesem Vorwissen ausgestattet – eigene Modelle, Strategien und Fachverfahren der Digitalen Langzeitarchivierung vorzustellen.

Dabei informierten Anke Spille und Marius Zierold über die Arbeit des Digitalen Deutschen Frauenarchivs, das eigentlich kein „Archiv“ sei, aber eine Digitalstrategie verfolge, zu der u.a. die Aggregation von Bestandsdaten aus über 30 Einrichtungen des i.d.a.-Dachverbands aus fünf europäischen Ländern gehört. Die DDF-Digitalisierungsparameter lehnen sich an die nestor-Empfehlungen an; die DDF-Beratungstätigkeit versucht im Alltag überdies, immer wieder deutlich zu machen, dass es aufgrund der enormen finanziellen Aufwände für die Digitalisierung nicht erst im Anschluss daran um die Sicherstellung der Langzeitarchivierung gehen darf. – Christoph Frank (Siemens Historical Institute) stellte die langbewährte Bilddigitalisierung in dem bereits 1907 eingerichteten Siemens-Archiv vor, zu der sich mittlerweile auch viele Aktendigitalisierungen gesellen. Dabei besteht für das SHI die Anforderung, insbesondere firmenintern schnell auskunftsfähig zu sein. Die Digitalisierung selbst muss aus Kapazitätsgründen, das dürfte das Auditorium erstaunt haben, durchaus auch extern erfolgen, insbesondere bei Massendrucksachen und Filmen. – Die erwartet geringen Ressourcen besitzt hingegen das Gerda-Schimpf-Fotoarchiv, das Christine Kahlau und Irja Krätke vorstellten. Im Jahr 2020 erhielt das von den Referentinnen nun als GbR geführte Fotoarchiv erstmals eine öffentliche Förderung (von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa in Berlin), um damit einen Teil des Archivbestandes der Fotografin Gerda Schimpf (1913-2014) zu digitalisieren.

Eine anschauliche allgemeine Einführung in die Digitale Langzeitarchivierung (gemäß DIN 31644) gab anschließend Anne Glock vom Universitätsarchiv der TU Berlin, die nach und nach das darauf basierende Vorgehen ihres Archivs, das eine Magazinpartnerschaft beim Landesarchiv Berlin anstrebt, in die Darstellung einflocht. Unter anderem über diese finanziell im Einzelfall zu bemessende digitale Magazinpartnerschaft im Rahmen des Verbunds Digitale Archivierung Nord mit DIMAG-Nutzung berichtete dann Carmen Schwietzer (Landesarchiv Berlin) in ihrem Vortrag über die Aspekte der Digitalisierung (1. Digitalisierungsprozess, 2. Speicherung und Verwaltung, 3. Access und Nutzung). Derzeit hat das Landesarchiv Berlin, das selbst erst seit Anfang 2021 Mitglied im DAN-Verbund ist, bereits 20 Millionen Images resp. 500 TByte Speicherplatz zu „verwalten“.

Inhaltlich hinzuzurechnen zu diesen Vorträgen des Berliner Archivtages sind auch die nachmittäglichen Beiträge von Stefan Rohde-Enslin (Institut für Museumsforschung) über das von ihm als „Werkzeug“ titulierte Portal museum-digital zur u.a. webbrowsergestützten Online-Publikation von musealen Objektinformationen sowie von Anja Müller (digiS) über Neuigkeiten und prinzipiell über die Arbeit der seit 2012 tätigen Koordinierungsstelle der Stadt Berlin zur Förderung von Digitalisierungsprojekten sowie zur Langzeitarchivierung von Digitalen Sammlungen und Forschungsdaten. Diese beiden Vorträge während der „Aktuellen Stunde“ ergänzte Torsten Musial um die Ankündigung des 11. Tages der Archive am 5./6. März 2022 zum Oberthema „Fakten, Geschichten, Kurioses“, für den in Berlin angesichts der unabsehbaren Pandemielage u.a. über ein digitales Format nachgedacht wird.

Den Abschluss des 4. Berliner Archivtages stellte eine ebenso muntere wie ernste Podiumsdiskussion unter der Leitung und mit einer inhaltlichen Einführung von Rebecca Hernandez Garcia (Archiv der DDR-Opposition) dar, in die Dr. Jürgen Bacia (Archiv für alternatives Schrifttum in Duisburg), Carmen Schwietzer (Landesarchiv Berlin) sowie Daniel Börner (Geschichtswerkstatt Jena und Redakteur „Gerbergasse 18“) verschiedene Perspektiven einbrachten – nämlich die eines immer um seine Ausstattung und Erhaltung ringenden freien Archivs (afas), die eines (vermeintlich) „großen Tankers“ in der Archivlandschaft (Landesarchiv Berlin) und die eines ausgiebigen Archivnutzers (Börner), der – wohl nicht nur im Wissen, sich trotz aller Virtualität irgendwie doch inmitten von Archivarinnen und Archivaren aufzuhalten, zunächst einmal konstatierte, dass das Selbstverständnis der Archive aus Nutzerperspektive mittlerweile deutlichen Dienstleistungscharakter offenbare. Der beste (Archiv-)Service ist jedoch nur dort zu gewährleisten, wo hinreichend Personal und Mittel zu Verfügung stehen. Und hieran mangelt es vor allem den freien Archiven, wenngleich auch das Landesarchiv nicht auf „Mittel ohne Grenzen“ zugreifen könne, so Carmen Schwietzer. Es gelte, in jedem konkreten Fall die Bedarfe zu analysieren, um das Bestmögliche zu leisten. Hierzu zählt insbesondere die archivfachliche Bewertung, um priorisieren zu können, was aus welchem Grund digitalisiert wird. Dabei stelle die Bestandserhaltung ein wichtiges Kriterium für die Priorisierung dar, aber auch die Nutzungsrate von Archivgut. Wichtig sei es, öffentliche Förderprogramme für Digitalisierungsprojekte im Blick zu behalten und zu beantragen.


Abb.: Blick ins afas (bzw. auf die Homepage des Archivs für alternatives Schrifttum)

Jürgen Bacia unterstrich die Relevanz der Bestandserhaltung mit einem Beispiel aus seiner langjährigen Praxis: Im afas, wo es 15.000 solcher Überformate gebe, habe man aus diesem Grunde mit der Digitalisierung von Plakaten (z.B. aus der Anti-AKW-Bewegung) begonnen. Hierfür benötigte man Fördermittel, und man helfe sich unter den freien Archiven auch gegenseitig, wenn es beispielsweise um die Einlagerung solch fragiler Unterlagen gehe. Professor Dr. Uwe Schaper, der Direktor des Landesarchivs Berlin, machte in Richtung Politik deutlich (wenngleich sich offenbar aufgrund der Koalitionsverhandlungen im Land Berlin keine Vertreter/innen des Senats oder des Abgeordnetenhauses auf dem Podium befanden), dass für die Finanzierung der freien Archive einfach ein anderer politischer Wille gefordert sei. Jürgen Bacia wies für die freien Archive zudem auf die latente Spannung von Professionalisierung und Ehrenamt hin. Die Kapazitäten seien in vielerlei Hinsicht beschränkt. Insofern unterstützte seine Argumentation die diskussionswürdige These von Rebecca Hernandez Garcia, dass es viel mehr geförderte Projekte geben müsse, die das Kriterium der Bestandserhaltung anstelle der Bedingung von Open Access und der Bereitstellung im Internet in den Vordergrund stellten. Open Access dürfe nicht zur Verhinderung wichtiger Projekte führen, sodass der Erhaltungszustand von Beständen letztlich Schaden nehme. Anja Müller (digiS) wies in der Diskussion darauf hin, dass dieses Junktim derart explizit nicht bestehe: Das Berliner Förderprogramm verlange zwar „öffentlichen Zugang“, aber nicht Open Access bzw. Open Data. Dies sei lediglich „erwünscht, aber nicht Pflicht“. Das digiS biete im Vorfeld von Antragstellungen für das Förderprogramm eine rechtliche Beratung dazu an, was kann und was darf auf welche Weise zugänglich gemacht werden. – Informationen und Diskussionen, Einblicke und Beratungsangebote kennzeichneten somit den 4. Berliner Archivtag, den Torsten Musial für die Veranstalter mit der Ankündigung einer Tagungsband-Publikation beendete.

(Jens Murken)

Kontakt:
Landesarchiv Berlin im VdA
Dr. Torsten Musial
Archiv der Akademie der Künste
Robert-Koch-Platz 10
10115 Berlin
Deutschland
musial@adk.de
www.berlinerarchive.de

Gegenwart und Zukunft am Deutschen Archiv für Theaterpädagogik (DATP)

Das Deutsche Archiv für Theaterpädagogik (DATP) ging aus einer internationalen Konferenz zur Geschichte der Theaterpädagogik im Jahr 2005 hervor und wurde 2007 an der Hochschule Osnabrück gegründet. Das DATP sichert als archivwürdig bewertete Dokumente aus der jüngeren und älteren Geschichte des Fachs als Schriftgut, Ton-, Bild- und Filmdokument sowie elektronisch gespeicherte Information und stellt sie für Forschung, Lehre, künstlerische Praxis und Öffentlichkeitsarbeit bereit. Es vereint aktuell auf fast 250 laufenden Metern einen 25 Sammlungen umfassenden Bestand und eine Archiv-Bibliothek, dessen Schwerpunkt die Geschichte der Theaterpädagogik in den deutschsprachigen Ländern von 1945 bis in die Gegenwart bildet.

Das DATP ist dem Institut für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück/ Campus Lingen angegliedert. Es hat damit den Vorzug, Teil der Lehre des Studiengangs Theaterpädagogik sein zu können. Als bundesweit einzige Einrichtung betreibt das Archiv seit seiner Gründung 2007 systematisch Forschung auf dem Gebiet der Geschichte der Theaterpädagogik. Grundlegende theaterpädagogische, historische Vorarbeiten gingen aus dem 2003 von Prof. Dr. Marianne Streisand initiierten Forschungsprogramm Archäologie der Theaterpädagogik hervor.

Der Erarbeitung an einer Forschungskonzeption gingen weitere Meilensteine der Gründungs- und Aufbauphase des DATP voraus: Dazu zählen – als erste Etappe – neben der Sicherung der Grundfinanzierung des Archivs (durch die Stiftung der Fachhochschule Osnabrück) der Aufbau, die Sammlungs-Übernahmen sowie die Erstellung, Grobverzeichnung und Pflege des Bestands. Zu den 25 Sammlungen zählen neben drei Schwerpunkt-Sammlungen (1. Lehrstückarchiv, 2. Texthefte und 3. Programmhefte) weitere 22 persönlich-gebundene Sammlungen (insbesondere Vor- bzw. Nachlässe renommierter Theaterpädagoginnen und Theaterpädagogen).

Bernd Oevermann arbeitet seit 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Archiv für Theaterpädagogik der Hochschule Osnabrück. Er hat das Archiv mit der Gründerin und ehemaligen Leiterin, Prof. Dr. Marianne Streisand bis 2019 und in der Nachfolge seit 2020 mit Prof. Dr. Andreas Wolfsteiner aufgebaut und wissenschaftlich begleitet. Nach 14 Jahren ist das DATP eine namhafte Forschungs- und Dokumentationseinrichtung für die Theaterpädagogik in der Fachwelt. Zum Ende des Jahres 2021 beendet Bernd Oevermann die beruflichen Aktivitäten mit Erreichen der Rentenaltersgrenze.

Bernd Oevermann vom Deutschen Archiv für Theaterpädagogik an der Hochschule Osnabrück (Foto: Miriam Kronen)

Anlässlich des bevorstehenden Abschieds sprach Miriam Kronen (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule Osnabrück) mit Bernd Oevermann:

Was macht Ihre Arbeit im DATP aus?

Das Archiv stellt eine Brücke und Dialog zwischen Materialgeberinnen und -gebern, Studierenden und Interessierten aus der künstlerischen Öffentlichkeit dar. Persönliche Kontakte und Gespräche mit Theatermacherinnen und -machern aus dem Profi- und Amateurbereich oder mit Lehrenden der Theaterpädagogik etc. aus dem deutschsprachigen Raum sind Kennzeichen für dieses Archiv. Wir kennen die Personen, die hinter dem Material stehen. Eine Intensivierung bilden die „Erzählcafes“, wo das übergebene Archivgut durch persönliches Erscheinen der „Vorlassgeber“ der interessierten Zuhörerschaft näher gebracht wird. Beratende Gespräche für wissenschaftliche Arbeiten oder Einarbeitung von Archivmaterial für künstlerische Projekte sind weitere Inhalte der Archivarbeit. Das Hauptaugenmerk liegt auf der Sichtung, Ordnung und Verzeichnung vorliegender Schrift-, Bild- und Tondokumente, aber auch einer umfangreichen Maskensammlung bis zu Medaillen von Arbeiterfestspielen aus der ehemaligen DDR.

Woran werden Sie sich besonders erinnern?

Die Beteiligung und auch das Wagnis am Aufbau eines Archivs und seinem Alleinstellungsmerkmal, das es bis zum Jahre 2007 noch nicht gegeben hat.

Was ist Ihr Wunsch für das DATP in der Zukunft?

Ich freue mich über die bereits begonnene Komplettdigitalisierung der vorhandenen Sammlungen, die damit komfortabel von jedem Ort der Welt eingesehen und unter Berücksichtigung von Datenschutz und Archivverordnungen für Forschung, Lehre und künstlerische Praxis zur Verfügung stehen. Mit dem Vorstoß in die Digitalisierung ist das DATP für die Zukunft gerüstet und hat eine solide Basis für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.

Mit der aktuell laufenden Digitalisierung der Materialien, ihrer Zugänglichmachung sowie der potentiellen Einbindung der Meta-Daten in zentrale Archivportale sollen solche nicht unwesentlichen Fundstellen für aktuelle Diskurse sichtbar gemacht bzw. die Sichtbarkeit erhöht und v. a. eine ortsunabhängige Nutzung ermöglicht werden. Seit der Übernahme der wissenschaftlichen Leitung des Archivs durch Prof. Dr. Andreas Wolfsteiner im März 2020 wurden entsprechende Schritte eingeleitet. Das DATP bietet jedoch nicht nur ein Datenrepositorium, das es nun gänzlich digital verfügbar zu machen und zu halten gilt. Nach seiner Gründungsphase soll es durch weitere Maßnahmen zu einer Forschungsstelle von internationaler Bedeutung weiterentwickelt werden.

Kontakt:
Deutsches Archiv für Theaterpädagogik
Baccumer Str. 3
49808 Lingen/ Ems
Tel. 0591 80098-428
datp@hs-osnabrueck.de
www.archiv-datp.de

Quelle: Katharina Kolar/Bernd Oevermann: Das Deutsche Archiv für Theaterpädagogik (DATP), in: Andreas Wolfsteiner / Ekaterina Trachsel / Anselm Heinrich/Michael Bachmann (Hg.): Live Art Data. New Strategies in Theatre Archiving / Neue Strategien der Theaterarchivierung, Scotland / Niedersachsen, unter Mitarbeit von Anne Küper und Frida Stein, Universitätsverlag Hildesheim 2021, S. 26-30; Miriam Kronen: „Wir kennen die Personen, die hinter dem Material stehen“. DREI FRAGEN AN Bernd Oevermann hat das Deutsche Archiv für Theaterpädagogik mit aufgebaut, in: Lingener Tagespost, 28.10.2021, 11 (mit frdl. Genehmigung der Autorin).

11. Niederösterreichischer Archivtag in St. Pölten

Seit zwölf Jahren veranstaltet das Niederösterreichische Landesarchiv jährlich im November den Niederösterreichischen Archivtag als wichtiges Forum der archivfachlichen Weiterbildung und des Austausches. Der am 12.11.2021 in St. Pölten durchgeführte 11. NÖ Archivtag stand ganz im Zeichen der „Sammlungen im Archiv“.

In verschiedenen thematischen Vorträgen näherte man sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln der Thematik. Peter Wiesflecker aus dem Steiermärkischen Landesarchiv, Elisabeth Moll (Stadtarchiv Zwettl) und Martina Rödl (NÖ Landesarchiv) veranschaulichten die Heterogenität und Vielfalt von Sammlungsgut praxisnah. Diese Ausführungen wurden von Gerhard Geißl (Stadtarchiv Wiener Neustadt) ergänzt, der die Fotosammlung des Stadtarchivs Wiener Neustadt vorstellte. Es wurden Chancen eines Sammlungsbestands, der so gut wie in jedem Archiv vorhanden ist, aufgezeigt.

In einem zweiten thematischen Block wurden erste Antworten auf die Herausforderung der Digitalen Archivierung in Niederösterreichischen Archiven präsentiert. Günter Katzler (Niederösterreichisches Landesarchiv) berichtete dabei kurz über ein wegweisendes laufendes Projekt am Niederösterreichischen Landesarchiv bevor Christian Moser von der Firma docuteam ihre Lösung zur Digitalen Langzeitarchivierung für Städte und Gemeinden demonstrierte.

Archivdirektor Dr. Thomas Aigner (Foto: Diözesanarchiv St. Pölten)

Mit der Verleihung der „Medaille für Verdienste um das Archivwesen in Niederösterreich“ durch Landesrat Ludwig Schleritzko fand der Archivtag seinen Höhepunkt. Über die Verleihung freuen konnte sich der Direktor des Archivs der Diözese St. Pölten, Thomas Aigner, aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit im Diözesanarchiv sowie seines internationalen und europäischen Engagements zum Erhalt des Kulturerbes und Kulturguts. Aigner engagiert sich etwa als Präsident von ICARUS – International Centre for Archival Research – mit mehr als 160 Mitgliedsorganisationen aus 30 europäischen Staaten, den USA und Kanada oder als Vizepräsident der Time Machine Organisation zur Kooperation von Technologie, Wissenschaft und kulturellem Erbe.

„Archive sind das Gedächtnis des Landes. Sie sammeln die Gedanken und Erinnerungen von Ländern, Gemeinden oder auch Kirchen. Damit dieses Gedächtnis auch wirklich funktioniert, genügt es nämlich nicht, nur Schriften aufzubewahren und Nachlässe, Plakate, Fotos und dergleichen zu sammeln. Ein funktionierendes Archiv braucht vor allem engagierte Personen, die die Bestände und das Sammelgut erschließen und verzeichnen, die also bildlich gesprochen die Synapsen dieses Gedächtnisses miteinander verbinden“, betonte Landesrat Schleritzko, zuständiges Mitglied der NÖ Landesregierung für das Archivwesen, bei seiner Festrede.

Roman Zehetmayer, Archivdirektor und Leiter der Abteilung NÖ Landesarchiv und NÖ Landesbibliothek, ist überzeugt: „Der Archivtag zählt nicht zu den größten Veranstaltungen des Landes, hat aber für die Fachwelt große Bedeutung. – Das Niederösterreichische Landesarchiv als „Gedächtnis des Landes“ ist das größte öffentliche Archiv in Niederösterreich und bewahrt Originale und Unikate zur Geschichte des Landes aus 900 Jahren. Die Aufgaben des NÖ Landesarchives sind vielfältig – neben Übernahme und Bewertung, Erschließung und Aufbewahrung, Bereitstellung, Beratung und Unterstützung von Forschenden, Studierenden, Privatpersonen und Institutionen, Vermittlung, Forschung und Publikation, vermitteln die Experten ihre Fachkenntnisse durch Kurse zur Aus- und Weiterbildung für Gemeindearchivare und Heimat- und Familienforscher.

Programm des 11. Niederösterreichischen Archivtages 2021:

09.00 Uhr – Eröffnung und Einleitung, PD Dr. Roman Zehetmayer MAS, Leiter der Abteilung NÖ Landesarchiv und NÖ Landesbibliothek

09.15 Uhr – Das Archiv und seine Sammlungen. Überlegungen zu einem mitunter „herausfordernden“ Archivbestand, PD Mag. DDr. Peter Wiesflecker MAS, LL.M., MA (Steiermärkisches Landesarchiv)

10.40 Uhr – Bewusst, geplant und purer Zufall – Sammlungen im Stadtarchiv Zwettl, Elisabeth Moll (Stadtarchiv Zwettl)

11.20 Uhr – Die Fotosammlung des Stadtarchivs Wiener Neustadt. Bestand – Archivierung – Nutzung – Konservierung, Mag. Dr. Gerhard Geißl (Stadtarchiv Wiener Neustadt)

13.30 Uhr – Zeitenwende: Ein- und Ausblicke zur Einführung eines Digitalen Archivs im NÖ Landesarchiv, MMag. Günter Katzler (NÖ Landesarchiv)

13.40 Uhr – Zeitenwende: Einfache digitale Langzeitarchivierung für Städte und Gemeinden, Dr. Christian Moser (docuteam)

14.45 Uhr – Medaille für Verdienste um das Archivwesen in NÖ Verleihung an Mag. Dr. Thomas Aigner MAS (Diözesanarchiv St. Pölten/ICARUS), Laudatio Msgr. Dr. Gottfried Auer (Ordinariatskanzler i. R., Diözese St. Pölten)
Feierliche Verleihung Landesrat Ludwig Schleritzko in Vertretung von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner

15.15 Uhr – Arelape-Bechelarn-Pöchlarn – Ein Stadtarchiv und seine Sammlungen, Mag. Martina Rödl (NÖ Landesarchiv)

Veranstalter:
Abteilung K2 – NÖ Landesarchiv und NÖ Landesbibliothek
Kulturbezirk 4
3109 St. Pölten
Tel: 02742/9005-12059
Fax: 02742/9005-12052
post.k2archiv@noel.gv.at
www.noel.gv.at/Landesarchiv

Quelle: Amt der Niederösterreichischen Landesregierung, Presseaussendung, 13.11.2021; NÖ Landesarchiv, 11. NÖ Archivtag.

Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2021

Unter dem Titel „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“ informiert das Stadtarchiv Gera vierteljährlich die interessierte Öffentlichkeit über aktuelle Herausforderungen und historische Themen rund um seine Arbeit. Die letzte Ausgabe des Jahres (4/2021) thematisiert vier „Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera“.

Im Fokus steht zunächst der Künstler Peter Willmaser (1941-1989), der in seiner Heimatstadt Gera unter anderem durch die noch heute in der Schuhgasse über den Hauseingängen angebrachten Hauszeichen bleibende architekturbezogene Kunst geschaffen hat, an welcher sich noch viele Generationen hiesiger Einwohnerinnen und Einwohner sowie Besucherinnen und Besucher der Stadt erfreuen können.

Der zweite Beitrag ist dem in diesem Jahr erschienenen dritten Band der Reihe „Thüringer Mord-Pitaval“ gewidmet, in welchem auch zwei Mordfälle aus Gera thematisiert werden, die sich kurz nach dem Ersten beziehungsweise dem Zweiten Weltkrieg ereigneten.

Mit den Ausführungen über Margarete Kirchner, geborene Schilde, wird in der in diesem Jahr begonnenen Fortsetzungsreihe auf eine weitere Frauenpersönlichkeit aus der Stadtgeschichte Geras eingegangen, die sich unter anderem als Gründungsmitglied der Ortsgruppe Gera im „Allgemeinen Deutschen Frauenverein“ Verdienste erworben hat. Im vierten Artikel soll kurz an die Einführung der allgemeinen Asche- und Müllabfuhr in Gera als einer ökologischen Neuerung vor 120 Jahren erinnert werden.

Link: Nachrichten aus dem Stadtarchiv Gera 4/2021

Kontakt:
Stadtarchiv Gera
Gagarinstraße 99/101
07545 Gera
Tel. 0365/838-2140 bis 2143
stadtarchiv@gera.de
www.gera.de/stadtarchiv

Goldschätze des Hessischen Landesarchivs

Das Hessische Landesarchiv bietet auf seiner Webseite einen „Goldenen Herbst“ mit Hilfe einiger Urkunden aus den eigenen Beständen, die zur Hervorhebung ihres bedeutsamen Inhalts mit goldenen Akzenten versehen wurden. Eine Möglichkeit des „Vergoldens“ bestand darin, farbige Zeichnungen durch goldene Elemente zusätzlich zu verzieren.

Abb.: Verleihung eines Siegels an das Hospital Fulda, 1581 (HLA, HStAM Best. Urk. 78 Nr. 55)

Auf der Urkunde zur Verleihung eines Siegels an das Hospital Fulda aus dem Jahr 1581 wurde etwa die Darstellung des Siegels, das den Heiligen Veit im Kessel mit siedendem Öl und den Heiligen Johannes den Täufer zeigt, mit einem Blattgoldrahmen eingefasst (HStAM Best. Urk. 78 Nr. 55). Die Verwendung von goldener Tinte, die gewöhnlich aus einer Mischung von Goldpulver und Klebstoff hergestellt wurde, war bereits seit der Antike üblich. In dem unten abgebildeten Filiationsbrief des Karmeliterordens für Bischof Johann Philipp von Würzburg von 1702 wurde beispielsweise in großem Umfang Goldtinte genutzt, sowohl für die Textschrift als auch für den Zierrahmen der Urkunde (HHStAW Best. 128/1 Nr. 1240). Das Kunsthandwerk des Schreibens und Malens mit Goldtinte sowie des Verzierens von Handschriften mit Blattgold wird übrigens als Chrysographie bezeichnet.


Abb.: Filiationsbrief des Karmeliterordens für Bischof Johann Philipp von Würzburg, 1702 (HLA, HHStAW Best. 128/1 Nr. 1240)

Bei Libellen, also in Buchform gebundenen Urkunden, wurde häufig auch der Einband mit goldfarbenem Schmuck ausgestattet. Und bei der Besiegelung der Urkunden wurden mitunter sogar noch umfangreichere goldfarbene Akzente gesetzt. Gebräuchlich war die Verwendung von goldenen Schnüren zur Anbringung des Siegels, außerdem kamen zum Schutz der empfindlichen Wachssiegel vor allem bei Königs- und Kaiserurkunden vergoldete Siegelkapseln zum Einsatz (HHStAW Best. 128/1 Nr. 1318).


Abb.: Vergoldete Siegelkapsel für das kaiserliche Siegel an der Bestätigung des Familienfideikomisses der Freiherren von Greiffenclau zu Vollrads durch Kaiser Karl VI., 1719 (HLA, HHStAW Best. 128/1 Nr. 1318)

Weitere „Goldschätze“ aus Hessen findet man auf der genannten Webseite.

Kontakt:
Hessisches Landesarchiv
Friedrichsplatz 15
35037 Marburg
Tel.: +49 (0) 6421 92 50 0
Fax: +49 (0) 6421 16 11 25
www.landesarchiv.hessen.de

Staatsarchiv Darmstadt
darmstadt@hla.hessen.de

Staatsarchiv Marburg
marburg@hla.hessen.de

Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
wiesbaden@hla.hessen.de

Für allgemeine Rechercheanfragen oder archivübergreifende Anfragen:
auskunft@hla.hessen.de

Quelle: Hessisches Landesarchiv, Mixed Pixels – Digitalisiertes Archivgut online: Goldschätze des HLA, Oktober 2021

Eine Honoraraufstellung aus dem Jahr 1709 für den Barockmaler Glantschnigg

Mit den Worten „Entwurf vnd Specification, waß Herr Vlrich Glantschnigg wegen dem neuen Althar an paren Gelt empfangen“ beginnt eine Aufstellung der an den in Bozen ansässigen Maler Ulrich Glantschnigg (1661-1722) in den Jahren 1708 bis 1710 gezahlten Honorare. Auftraggeberin war höchstwahrscheinlich die St. Sebastians- und Rochus-Bruderschaft Gries.


Abb.: Honoraraufstellung für Ulrich Glantschnigg, 1709 (Südtiroler Landesarchiv, Archiv des Merkantilmagistrats Bozen, 3.21.3)

Bruderschaften verfügten im Regelfall über mehr oder weniger beträchtliche Einnahmen aus Beiträgen ihrer Mitglieder, aus Vermächtnissen oder Spenden, in günstigen Fällen konnte der Brudermeister oder Brudervater daher auch größere Ausgaben tätigen. Nach der Abrechnung für Glantschnigg vom November 1709 wurde er nicht nur mit einem Altarbild beauftragt, sondern auch mit der Gestaltung einer neuen Kanzel. Da die Bruderschaft an der Alten Grieser Pfarrkirche installiert war, dürfen wir davon ausgehen, dass die Kunstwerke für ebenjene Kirche entstanden. Insgesamt wurden dem Künstler zwischen Juli 1708 und November 1709 erkleckliche 1600 Gulden ausbezahlt; im März 1710 wies ihm der Brudermeister Andreas Mumelter weitere 40 Gulden an.

Da Glantschniggs Œuvre sehr reichhaltig war, die auf dem Rechnungsblatt genannten Werke aber nicht ausreichend spezifiziert werden, ist es nicht möglich, sie mit konkreten Objekten in Verbindung zu bringen, die zudem in späterer Zeit abgeräumt worden oder verlorengegangen sein könnten. In der Alten Grieser Pfarrkirche erhalten ist jedenfalls ein von Glantschnigg geschaffenes Bild der Heiligen Sippe, das im 19. Jahrhundert jedoch teilweise stark übermalt wurde.


Abb: Ruhe auf der Flucht von Ulrich Glantschnigg, 1700 (Scan aus Leo Andergassen: Diözesanmuseum Hofburg Brixen. Diözesanmuseum Hofburg Brixen, 1999. Buchhändler, 20130102, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23606697)

Der 1661 in Hall geborene, in Bozen aufgewachsene Maler war Ende des 17. und bis zu seinem Tod (1722) der dominierende bildende Künstler Bozens und schuf vornehmlich in der Stadt, aber auch an anderen Orten, Werke geistlicher wie profaner Natur. Er malte Räume im Palais des Merkantilmagistrats ebenso aus wie in Bozner Stadthäusern oder Ansitzen. Seinen Schaffensschwerpunkt bildeten aber Altar- und Tafelbilder, wovon er eine erhebliche Zahl für verschiedene Kirchen in Bozen und Gries schuf.

Kontakt:
Südtiroler Landesarchiv
Armando-Diaz-Straße 8/B
39100 Bozen
Italien
Tel. +39 0471 411940
Fax +39 0471 411959
landesarchiv@provinz.bz.it

Quelle: Südtiroler Landesarchiv, Archivale des Monats November 2021, 3.11.2021

Bundesförderung für Datenbank-Projekt in Kooperation mit dem Aschaffenburger Archiv

Der Verein „Jüdisches Leben in Unterfranken. Biographische Datenbank e.V.“ freut sich bereits zum zweiten Mal über eine Förderung durch die im Jahr 2020 gegründete Bundesstiftung „Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt“. Für das in Kooperation mit dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg konzipierte innovative Modell-Projekt „Erinnern. Immer“ erhielt der Verein aus dem Programm „100xdigital“ eine Fördersumme in Höhe von 32.000 Euro.


Rund 50 ehrenamtlich Engagierte im Umfeld des Vereins suchen in Archiven nach Quellen zu ehemaligen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in Unterfranken. Diese werden in die Datenbank „Jüdisches Leben in Unterfranken“ eingepflegt und Interessierten digital zugänglich gemacht

Mit „Erinnern. Immer“ werde ein zeitgemäßes digital-analoges Vermittlungsformat auf Grundlage der in der Datenbank hinterlegten Quellen und Fakten entwickelt, wie der für die städtische Digitalstrategie zuständige Aschaffenburger Bürgermeister Eric Leiderer ausführt: „Die Biographien der jüdischen Bevölkerung werden für Abonnent:innen von „Erinnern. Immer“ mittels Nachrichten über Messengerdienste wie WhatsApp oder Signal, anschaulich gemacht. Durch das Anklicken von Links in den Nachrichten wird man zu den in der Datenbank hinterlegten Quellen weitergeleitet, beispielsweise Fotografien, Briefen oder Dokumenten von offiziellen Stellen.“ Daneben wird auch auf heute noch zu findende Orte im Stadtbild verwiesen, etwa Wohn- und Geschäftshäuser, in denen die jüdischen Bürgerinnen und Bürger lebten und arbeiteten. So können die digitalen Inhalte des Messengers analog in der Stadt nachvollzogen und realer werden.

Oded Zingher, Vorsitzender des Vereins „Jüdisches Leben in Unterfranken. Biographische Datenbank e.V.“ führt aus: „Das Wissen um das frühere soziale Miteinander der Menschen in Aschaffenburg, unabhängig von der Religionszugehörigkeit ist heute kaum mehr vorhanden. „Erinnern. Immer” möchte diesen verlorenen Teil des kollektiven Gedächtnisses Aschaffenburgs wieder ins Bewusstsein der Bürger:innen rufen. Dabei ist das neue Vermittlungsformat nicht nur für Jüngere interessant. Jeder ist eingeladen, die Menschen kennenzulernen, die über Jahrhunderte hinweg mit dazu beigetragen haben, Aschaffenburg zu jener lebenswerten Stadt zu machen, wie ich sie heute erlebe. An sie möchten wir erinnern. Immer.“


Die Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE) hat im Juli 2020 ihre Arbeit in Neustrelitz aufgenommen. Damit gibt es erstmals eine bundesweit tätige Anlaufstelle zur Förderung ehrenamtlichen Engagements. Die Gründung der Bundesstiftung selbst ist ein zentrales Ergebnis der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ und ein gemeinsames Vorhaben des Bundesfamilienministeriums, des Bundesinnenministeriums und des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Im Programm „100xdigital“ werden 100 Vereine bundesweit aufgrund eines Bewerbungsverfahrens bei der digitalen Transformation unterstützt und gefördert.

Links:

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 11.11.2021

Würzburger Ausstellung über Synagogen in Unterfranken

Die Ausstellung „Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken“ in der Würzburger Residenz befasst sich vor allem mit der Geschichte des Judentums und dem reichen jüdischen Erbe in Unterfranken. Hier hat die Würzburger Gemeinde, in den Quellen seit 1147 fassbar, die längste Tradition. Sie war ein Ort großer jüdischer Gelehrsamkeit mit überregional bedeutenden Rabbinern, einer Talmudhochschule und mindestens zwei Synagogen.


Abb.: Ausstellungsplakat (Karin Hagendorn, Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns)

Die am 9.11.2021 eröffnete Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg entstand in Kooperation mit dem Team des Synagogen-Gedenkbands Bayern und dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. Sie wurde konzipiert und bearbeitet von Dipl.-Ing. Dr. Cornelia Berger-Dittscheid (Maxhütte-Haidhof).

Der vor 1803/1806 in zahlreiche Herrschaften zersplitterte spätere Regierungsbezirk Unterfranken war das am dichtesten mit jüdischen Gemeinden besiedelte Gebiet in Bayern. Im Jahr 1930 gab es im heutigen Unterfranken 112 Orte mit Synagogen. Nur wenige Synagogen Unterfrankens sind heute noch im Ortsbild erkennbar. Nach den Zerstörungen der Nationalsozialisten wurden viele Gebäude abgerissen oder zweckentfremdet.

Die hauptsächlich aus den Beständen des Staatsarchivs Würzburg stammenden Exponate der Ausstellung werden ergänzt durch Leihgaben und Reproduktionen aus dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv, dem Museum für Franken, dem Stadtarchiv Bad Kissingen, dem Stadtarchiv Gerolzhofen und dem Stadtarchiv Würzburg, dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, dem Landesarchiv Thüringen-Staatsarchiv Meiningen sowie aus Privatbesitz. Der farbig bebilderte Katalog enthält zusätzlich Fotografien aus den Beständen der Central Archives for the History of the Jewish People Jerusalem (CAHJP). Die Ausstellung und der begleitende Katalog sind ein Beitrag zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“.


Abb.: Synagoge von Mellrichstadt nach den Zerstörungen durch einheimische Nationalsozialisten und sudetendeutsche Flüchtlinge im September 1938, Staatsarchiv Würzburg, Staatsanwaltschaft Schweinfurt 639 (Foto: Staatliche Archive Bayerns)

Die Generaldirektorin der Staatlichen Archive Bayerns, Dr. Margit Ksoll-Marcon: „Wo Baudenkmäler fehlen oder nur mehr in Teilen erhalten sind, ist der Rückgriff auf schriftliche und bildliche Quellen in den Archiven zentral. Das Staatsarchiv Würzburg verwahrt einen reichen Quellenschatz an Bauakten, Bauplänen und Fotografien, auf den im Rahmen der langjährigen Forschungsarbeit an den Synagogen-Gedenkbänden intensiv zurückgegriffen wurde.“ Unterlagen der Staatsanwaltschaften Würzburg und Schweinfurt sowie der Gestapo-Leitstelle Würzburg dokumentieren die gezielte Zerstörung von Synagogen und jüdischem Eigentum sowie die Misshandlung und Erniedrigung von Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus.

Dr. Cornelia Berger-Dittscheid, Kuratorin der Ausstellung: „Viele Schriftstücke wurden für die Synagogen-Gedenkbände erstmals von der Forschung rezipiert. Die Ausstellung stellt die Bauformen von Synagogen in Unterfranken vor und ihre Entwicklung von unscheinbaren Hinterhof-Synagogen zu repräsentativen Bauwerken, deren Türme und Kuppeln die Stadtbilder prägten.“

Die Ausstellung ist ein weiterer Höhepunkt im bayerischen Kalender zum Festjahr 2021. Der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, Dr. Ludwig Spaenle: „Mit dem Festjahr richten wir die Aufmerksamkeit auf das jahrhundertelange Zusammenleben von Christen und Juden in Bayern, das häufig genug von Ausgrenzung und Verfolgung, aber auch von langen Phasen friedlichen Zusammenlebens geprägt war.“ Die Ausstellung zeigt dies beispielhaft an der unterfränkischen Geschichte jüdischer Gotteshäuser und schärft damit unsere Aufmerksamkeit für Spuren jüdischen Lebens, aber auch für jüdisches Leben heute in der Mitte unserer Gesellschaft.

Nur wenige Synagogen Unterfrankens sind heute noch im Ortsbild erkennbar. Nach den Zerstörungen der Nationalsozialisten wurden viele Gebäude abgerissen oder zweckentfremdet.

Info:
Die Ausstellung „Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken“ ist vom 9. November 2021 bis zum 28. Januar 2022 im Staatsarchiv Würzburg, Residenzplatz 2, Residenz-Nordflügel, 97070 Würzburg, zu sehen. Der Eintritt ist frei. Im Anschluss sind weitere Ausstellungsstationen in Franken geplant, eine Ausleihe der Roll Ups ist über die Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns möglich. Für den Ausstellungsbesuch gelten die jeweils aktuellen Hygieneregeln.

Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag 8.00–16.00 Uhr, Freitag 8.00–13.00 Uhr, geschlossen 24.12.2021, 31.12.2021, 6./7.1.2022.
Führungen für Gruppen (max. 20 Personen) werden zu festen Terminen angeboten.
Weitere Informationen unter Tel.: 0931/35529-34.

Quelle: GDA Bayern, Pressemitteilung, 8.11.2021

Von der Lehringer Lanze bis zur Adelsfamilie von Klencke

Jahrbuch für den Landkreis Verden 2022 erschienen.

Das Jahrbuch für den Landkreis Verden ist seit Ende der 1950er Jahre ein steter Begleiter durch die Geschichte der Region. Der neue Band für 2022 präsentiert wieder zahlreiche Beiträge aus der Geschichte des heutigen Landkreises Verden. Die Arbeiten spannen dabei einen weiten Bogen, sowohl räumlich, indem Geschichte zwischen Bollen, Thedinghausen, Verden und Dörverden erzählt wird, als auch zeitlich. Denn die Texte behandeln Zeiträume vom 16. bis in das 20./21. Jahrhundert.

Die bibliophile Schatzkammer der Historischen Bibliothek am Domgymnasium Verden hält so manche Erkenntnis auch über die Geschichte der Schule selbst bereit, wie Hartmut Bösche in seinem Beitrag über den Rektor Fuhrmann weiß. Zudem liefert Bösche einen kurzen Bericht über einen Zufallsfund in eben jener Bibliothek: Eine unscheinbare Pappbox über die Funde von Lehringen entpuppte sich als sehr interessanter Fall mit noch unbekannten Fotos der Fundstelle von 1948, denn die Lehringer Lanze lockte sogar den berühmten Fotografen Otto Maximilian Umbehr „Umbo“ aus Hannover in den Kreis Verden.

Der ehemalige Verdener Kreisarchivar Rolf Allerheiligen hatte bis zuletzt an einem Gedenkaufsatz für den an den Funden von Lehringen beteiligten Ausgräber – den ehrenamtlichen Kreisarchivpfleger, Lehrer und Heimatforscher Otto Voigt – gearbeitet. Dieser Text ist nun vom jetzigen Kreisarchivar Florian Dirks zu Ende bearbeitet worden und wird in diesem Band abgedruckt.

Hermann Deuter bewegt sich auf seinem bewährten Terrain und komplettiert im Jahrbuch seine Serie über die Geschichte der Arbeiterbewegung in Verden, deren jähes Ende in der NS-Zeit er untersucht. In diesem Kontext ist auch sein zweiter Aufsatz in diesem Band verortet. Darin befasst er sich mit der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Eigentums und jüdischer Geschäfte in Verden durch das NS-Regime – ein bisher, auch aufgrund der nun ausgelaufenen Datenschutzauflagen der Archive, eher unbearbeitetes Thema.

Reinhard Dietrich beschäftigt sich in seinem Beitrag mit den sich rasant ändernden Fährtarifen im Bollen der Inflationszeit. Eine Fähre ist auch das Thema von Helmut Lohmann, der die Geschichte des sogenannten Knoyl auf dem linken Weserufer gegenüber von Dörverden untersucht.

Aus dem Bereich Thedinghausen sind in diesem Jahr gleich drei Texte vorhanden. Während sich Kreisarchivar Dirks mit der bisher wenig beachteten Geschichte der niederadeligen Familie von Klencke beschäftigt, die unter anderem auch auf dem Gutshof Oenigstedt saß, berichtet Karl-Heinz Rengstorf über das Kriegsende im April 1945 in Oiste. Der ehrenamtliche Archivar der Samtgemeinde und Vorsitzende des Heimatvereins Thedinghausen Klaus-Dieter Schneider untersucht die Gründung der ersten Gesamtgemeinde.

Mit Joachim Woocks Aufsätzen zum Verdener Landgerichtspräsidenten sowie den Kriegsgefangenen-Arbeitskommandos 1939-1945 im Flecken Langwedel geht die Erforschung der Täter und Opfer dieses Zeitraums weiter. Außerdem ergaben sich weitere Erkenntnisse zu Fragen von bereits publizierten Aufsätzen, die hier ebenfalls präsentiert werden.

Mit der Geschichte Verdens setzen sich weitere Texte auseinander. So richtet Andrea Lutter ihren Blick auf die Busse der Firma Tangemann, während Wencke Hinz vom Stadtarchiv Verden die Geschichte der Impfpflicht im Verden des Kaiserreichs von 1871 beleuchtet. Bärbel Ebeling untersucht die Biographie des aus Verden stammenden möglichen Erfinders des Hot Dog. Axel Eggersglüß erzählt sehr persönlich aus seiner Kindheit mit seinem Großvater, dem DEFU-Inhaber Ferdinand Schmidt.

Das Jahrbuch für den Landkreis Verden ist eine heimatkundliche und regionalgeschichtliche Zeitschrift, die seit 1958 regelmäßig erscheint und vom Landkreis Verden herausgegeben wird. Bis zum 57. Jahrgang (bis 2014) lautete der Titel „Heimatkalender für den Landkreis Verden zur Orts- und Regionalgeschichte sowie Heimat- und Naturkunde“. – Das Jahrbuch vereint zahlreiche Beiträge verschiedener Autorinnen und Autoren. Einzelne Ausgaben widmen sich einem Schwerpunktthema, enthalten immer aber auch Beiträge zu ganz anderen Themen, zudem Erzählungen (teilweise in Plattdeutsch) und manchmal Sagen.

Link: Inhaltsübersicht und Verfügbarkeit der Heimatkalender/Jahrbücher 1958-2022

Stichwortverzeichnis/Schlagwortregister:
Detaillierte Stichwortverzeichnisse zum Inhalt der erschienenen Jahrbücher findet man

  • im Heimatkalender 1988: für die Jahrgänge 1958 – 1987
  • im Heimatkalender 2008: für die Jahrgänge 1988 – 2007 sowie
  • im Stichwortverzeichnis (pdf-Dokument): für alle bisher erschienenen Jahrgänge ab 1958.

Bezug und Preise:
Das Jahrbuch kann, soweit einzelne Jahrgänge nicht bereits vergriffen sind, direkt beim Kreisarchiv Verden bezogen werden. Das jeweils aktuelle Jahrbuch ist darüber hinaus auch im örtlichen Buchhandel sowie bei den regionalen Zeitungsgeschäftsstellen erhältlich.

Die Preise für den Heimatkalender / das Jahrbuch betragen:
5,00 Euro für Heimatkalender 1958 bis 1993
6,00 Euro für Heimatkalender 1994, 1995
7,00 Euro für Heimatkalender 1996, 1997
7,70 Euro für Heimatkalender 1998 bis 2004
8,20 Euro für Heimatkalender ab 2005 bis 2015
9,00 Euro für Jahrbuch ab 2016

Das neue Jahrbuch (Auflage: 2.300) wird ab sofort im Buch- und Zeitschriftenhandel, beim Landkreis Verden im Kreisarchiv sowie in den Geschäftsstellen der Tageszeitungen zum Preis von 9,00 Euro verkauft.

Kontakt:
Landkreis Verden
Fachdienst Kultur
Kreisarchiv Verden
Lindhooper Straße 67
27283 Verden (Aller)
Tel.: 04231 15-0 (Zentrale)
Fax: 04231 15-603 (Kreishaus)
kreisarchiv@landkreis-verden.de

Quelle: Landkreis Verden, Pressemitteilung, 4.11.2021

Berliner Gedenktafel für Literaturnobelpreisträger Imre Kertész

Kurz vor dessem 92. Geburtstag wurde für den verstorbenen ungarischen Schriftsteller Imre Kertész am Gebäude Meinekestraße 3 in Berlin-Charlottenburg am 4.11.2021 eine Berliner Gedenktafel angebracht. Sie erinnert an den Aufenthalt und Wohnort des Schriftstellers in den Jahren 2001 bis 2012 in Berlin, wo Kertész von 2001 bis 2003 Fellow des Wissenschaftskollegs Berlin war.

Der Schriftsteller Imre Kertész (1929-2016) im Jahr 2002 als Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin (Foto: WIKO Berlin).

Imre Kertész, geboren am 9. November 1929 in Budapest, wurde aufgrund antijüdischer Gesetze im Juli 1944 in Budapest verhaftet und zunächst in das Vernichtungslager Auschwitz, von dort in das Konzentrationslager Buchenwald und dessen Außenlager Tröglitz verschleppt. Nach der Befreiung kehrte er 1945 nach Budapest zurück und arbeitete als Journalist und Autor. In seinen Werken thematisierte er immer wieder diese KZ-Erfahrungen, so in seinem 1996 auf Deutsch publizierten Werk „Roman eines Schicksallosen“ und dem Werk „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“ (deutsch 1992).

Im Oktober 2002 erhielt Imre Kertész den Nobelpreis für Literatur. Im selben Jahr wählte ihn die Akademie der Künste in Berlin zum Mitglied. Im November 2012 wurde dort das Imre Kertész-Archiv öffentlich zugänglich gemacht.

In seinem Tagebuch jener Berliner Jahre finden sich zahlreiche Einträge zu seinem Leben in der Meinekestraße und ihrer Umgebung. So heißt es in seinem Eintrag vom 4. Januar 2002: „Vom 28. Dezember bis 3. Januar in Berlin. Die Wohnung in der Meineke-Straße. ‚Wir richten unser Berliner Zuhause ein.‘ Natürlich richtet Magda es ein. Wenn wir auf den Kurfürstendamm hinausgehen, nur wenige Schritte weit, genau an der Ecke Fasanenstraße, eine Gedenktafel: Hier arbeitete Musil an seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften. Eine Luxus-Emigration, sagte ich zu unseren deutschen Freunden, den E.s. In Wirklichkeit ein durchaus konsequenter Schritt, wenn auch ein verspäteter.“

Und am 18. Mai 2002 schreibt er in sein Tagebuch: „Auf dem Ludwigkirchplatz, wo ich neulich mit M. auf der Terrasse des Hamlet saß, ist mir auf einmal bewußt geworden, was dort mit mir geschieht. Ganz abgesehen von dieser Ruhe, den mächtigen Bäumen, den weißen Häusern an diesem Platz, von der Sicherheit und Gelassenheit, diesen äußeren Zeichen geistig-materiellen Wohnstands – sagte ich zu meiner Frau –, habe ich noch niemals in Frieden gelebt.“

Im November 2012 kehrte Imre Kertész wegen seiner Erkrankung an Parkinson nach Budapest zurück. Er starb dort am 31. März 2016. Das auf der Gedenktafel verwendete Zitat zu Auschwitz entstammt einem Interview mit Imre Kertész von 2015.

Die Berliner Gedenktafeln sind ein Programm des Landes Berlin, eingebunden in das Förderprogramm Historische Stadtmarkierungen des Senats. Die weißen Porzellantafeln werden von der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin hergestellt. Recherche und Organisation der Tafel erfolgte durch den Verein Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V., der sich seit 2013 bei der Umsetzung des Berliner Gedenktafelprogramms engagiert.

Quelle: Stadt Berlin, Senatsverwaltung für Kultur und Europa, Pressemitteilung, 5.11.2021