Der 4. Berliner Archivtag konnte am 17.11.2021 zwar nicht in Präsenz, aber immerhin als Online-Veranstaltung mit bis zu 130 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt werden. Veranstaltet vom Landesverband Berlin im VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. führte dessen Vorsitzender Dr. Torsten Musial (Archiv Film- und Medienkunst der Akademie der Künste) durch das Programm, das unter der Fragestellung „Digitalisierung – Wunschtraum oder Realität?“ stand.
Der Tagungsverlauf war sehr ansprechend, thematisch aufeinander aufbauend gegliedert, so dass man zunächst Praxisberichte aus verschiedenen Berliner Archiven erhielt, bevor am späten Vormittag zwei weitere Vorträge auch die allgemeinen fachlich-theoretischen Hintergründe behandelten, um – mit diesem Vorwissen ausgestattet – eigene Modelle, Strategien und Fachverfahren der Digitalen Langzeitarchivierung vorzustellen.
Dabei informierten Anke Spille und Marius Zierold über die Arbeit des Digitalen Deutschen Frauenarchivs, das eigentlich kein „Archiv“ sei, aber eine Digitalstrategie verfolge, zu der u.a. die Aggregation von Bestandsdaten aus über 30 Einrichtungen des i.d.a.-Dachverbands aus fünf europäischen Ländern gehört. Die DDF-Digitalisierungsparameter lehnen sich an die nestor-Empfehlungen an; die DDF-Beratungstätigkeit versucht im Alltag überdies, immer wieder deutlich zu machen, dass es aufgrund der enormen finanziellen Aufwände für die Digitalisierung nicht erst im Anschluss daran um die Sicherstellung der Langzeitarchivierung gehen darf. – Christoph Frank (Siemens Historical Institute) stellte die langbewährte Bilddigitalisierung in dem bereits 1907 eingerichteten Siemens-Archiv vor, zu der sich mittlerweile auch viele Aktendigitalisierungen gesellen. Dabei besteht für das SHI die Anforderung, insbesondere firmenintern schnell auskunftsfähig zu sein. Die Digitalisierung selbst muss aus Kapazitätsgründen, das dürfte das Auditorium erstaunt haben, durchaus auch extern erfolgen, insbesondere bei Massendrucksachen und Filmen. – Die erwartet geringen Ressourcen besitzt hingegen das Gerda-Schimpf-Fotoarchiv, das Christine Kahlau und Irja Krätke vorstellten. Im Jahr 2020 erhielt das von den Referentinnen nun als GbR geführte Fotoarchiv erstmals eine öffentliche Förderung (von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa in Berlin), um damit einen Teil des Archivbestandes der Fotografin Gerda Schimpf (1913-2014) zu digitalisieren.
Eine anschauliche allgemeine Einführung in die Digitale Langzeitarchivierung (gemäß DIN 31644) gab anschließend Anne Glock vom Universitätsarchiv der TU Berlin, die nach und nach das darauf basierende Vorgehen ihres Archivs, das eine Magazinpartnerschaft beim Landesarchiv Berlin anstrebt, in die Darstellung einflocht. Unter anderem über diese finanziell im Einzelfall zu bemessende digitale Magazinpartnerschaft im Rahmen des Verbunds Digitale Archivierung Nord mit DIMAG-Nutzung berichtete dann Carmen Schwietzer (Landesarchiv Berlin) in ihrem Vortrag über die Aspekte der Digitalisierung (1. Digitalisierungsprozess, 2. Speicherung und Verwaltung, 3. Access und Nutzung). Derzeit hat das Landesarchiv Berlin, das selbst erst seit Anfang 2021 Mitglied im DAN-Verbund ist, bereits 20 Millionen Images resp. 500 TByte Speicherplatz zu „verwalten“.
Inhaltlich hinzuzurechnen zu diesen Vorträgen des Berliner Archivtages sind auch die nachmittäglichen Beiträge von Stefan Rohde-Enslin (Institut für Museumsforschung) über das von ihm als „Werkzeug“ titulierte Portal museum-digital zur u.a. webbrowsergestützten Online-Publikation von musealen Objektinformationen sowie von Anja Müller (digiS) über Neuigkeiten und prinzipiell über die Arbeit der seit 2012 tätigen Koordinierungsstelle der Stadt Berlin zur Förderung von Digitalisierungsprojekten sowie zur Langzeitarchivierung von Digitalen Sammlungen und Forschungsdaten. Diese beiden Vorträge während der „Aktuellen Stunde“ ergänzte Torsten Musial um die Ankündigung des 11. Tages der Archive am 5./6. März 2022 zum Oberthema „Fakten, Geschichten, Kurioses“, für den in Berlin angesichts der unabsehbaren Pandemielage u.a. über ein digitales Format nachgedacht wird.
Den Abschluss des 4. Berliner Archivtages stellte eine ebenso muntere wie ernste Podiumsdiskussion unter der Leitung und mit einer inhaltlichen Einführung von Rebecca Hernandez Garcia (Archiv der DDR-Opposition) dar, in die Dr. Jürgen Bacia (Archiv für alternatives Schrifttum in Duisburg), Carmen Schwietzer (Landesarchiv Berlin) sowie Daniel Börner (Geschichtswerkstatt Jena und Redakteur „Gerbergasse 18“) verschiedene Perspektiven einbrachten – nämlich die eines immer um seine Ausstattung und Erhaltung ringenden freien Archivs (afas), die eines (vermeintlich) „großen Tankers“ in der Archivlandschaft (Landesarchiv Berlin) und die eines ausgiebigen Archivnutzers (Börner), der – wohl nicht nur im Wissen, sich trotz aller Virtualität irgendwie doch inmitten von Archivarinnen und Archivaren aufzuhalten, zunächst einmal konstatierte, dass das Selbstverständnis der Archive aus Nutzerperspektive mittlerweile deutlichen Dienstleistungscharakter offenbare. Der beste (Archiv-)Service ist jedoch nur dort zu gewährleisten, wo hinreichend Personal und Mittel zu Verfügung stehen. Und hieran mangelt es vor allem den freien Archiven, wenngleich auch das Landesarchiv nicht auf „Mittel ohne Grenzen“ zugreifen könne, so Carmen Schwietzer. Es gelte, in jedem konkreten Fall die Bedarfe zu analysieren, um das Bestmögliche zu leisten. Hierzu zählt insbesondere die archivfachliche Bewertung, um priorisieren zu können, was aus welchem Grund digitalisiert wird. Dabei stelle die Bestandserhaltung ein wichtiges Kriterium für die Priorisierung dar, aber auch die Nutzungsrate von Archivgut. Wichtig sei es, öffentliche Förderprogramme für Digitalisierungsprojekte im Blick zu behalten und zu beantragen.
Abb.: Blick ins afas (bzw. auf die Homepage des Archivs für alternatives Schrifttum)
Jürgen Bacia unterstrich die Relevanz der Bestandserhaltung mit einem Beispiel aus seiner langjährigen Praxis: Im afas, wo es 15.000 solcher Überformate gebe, habe man aus diesem Grunde mit der Digitalisierung von Plakaten (z.B. aus der Anti-AKW-Bewegung) begonnen. Hierfür benötigte man Fördermittel, und man helfe sich unter den freien Archiven auch gegenseitig, wenn es beispielsweise um die Einlagerung solch fragiler Unterlagen gehe. Professor Dr. Uwe Schaper, der Direktor des Landesarchivs Berlin, machte in Richtung Politik deutlich (wenngleich sich offenbar aufgrund der Koalitionsverhandlungen im Land Berlin keine Vertreter/innen des Senats oder des Abgeordnetenhauses auf dem Podium befanden), dass für die Finanzierung der freien Archive einfach ein anderer politischer Wille gefordert sei. Jürgen Bacia wies für die freien Archive zudem auf die latente Spannung von Professionalisierung und Ehrenamt hin. Die Kapazitäten seien in vielerlei Hinsicht beschränkt. Insofern unterstützte seine Argumentation die diskussionswürdige These von Rebecca Hernandez Garcia, dass es viel mehr geförderte Projekte geben müsse, die das Kriterium der Bestandserhaltung anstelle der Bedingung von Open Access und der Bereitstellung im Internet in den Vordergrund stellten. Open Access dürfe nicht zur Verhinderung wichtiger Projekte führen, sodass der Erhaltungszustand von Beständen letztlich Schaden nehme. Anja Müller (digiS) wies in der Diskussion darauf hin, dass dieses Junktim derart explizit nicht bestehe: Das Berliner Förderprogramm verlange zwar „öffentlichen Zugang“, aber nicht Open Access bzw. Open Data. Dies sei lediglich „erwünscht, aber nicht Pflicht“. Das digiS biete im Vorfeld von Antragstellungen für das Förderprogramm eine rechtliche Beratung dazu an, was kann und was darf auf welche Weise zugänglich gemacht werden. – Informationen und Diskussionen, Einblicke und Beratungsangebote kennzeichneten somit den 4. Berliner Archivtag, den Torsten Musial für die Veranstalter mit der Ankündigung einer Tagungsband-Publikation beendete.
(Jens Murken)
Kontakt:
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Dr. Torsten Musial
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