Vom analogen zum digitalen Stadtarchiv Würzburg

„Alle im Stadtbezirk Würzburg geschlachteten Bären aller Art, Hunde, Katzen, Füchse, Dächse, Iltisse, Igel und Flusspferde müssen, bevor sie zerlegt und zum Genusse für Menschen zubereitet oder feilgehalten oder verkauft werden, auf Trichinen untersucht werden.“ Diese Vorschriften zur Untersuchung von – selbst in der Weimarer Republik – sehr speziellem Schlachtvieh auf gefährliche Fadenwürmer fasste der Würzburger Stadtrat im Jahr 1930. Die Niederschrift der Sitzung, auf der dieser Beschluss gefasst wurde, befindet sich in einem von 163 Ratsprotokoll-Bänden aus den Jahren 1860 bis 1944, die das Stadtarchiv Würzburg aktuell und in den nächsten Monaten von einem externen Dienstleister digitalisieren lässt.


Abb.. Die Digitalisierung im Stadtarchiv Würzburg schreitet voran (Foto: Stadtarchiv Würzburg/R. Busse).

Das Gleiche geschieht mit den ca. 85.600 Würzburger Leichenschauscheinen der Jahre 1826 bis 1913. Gefördert wird dieses Digitalisierungsprojekt, dessen Kosten auf insgesamt rund 63.000 Euro geschätzt werden, durch Bundesmittel der Digitalisierungsoffensive „WissensWandel“ für Bibliotheken und Archive innerhalb des Programms „Neustart Kultur“.

Ratsprotokolle und Leichenschauscheine
Ausgewählt wurden die beiden Bestände unter folgenden Gesichtspunkten: Bei den Ratsprotokollen handelt es sich um die zentrale Überlieferung der politischen Gremien der Stadt, die wichtige Entscheidungswege und Weichenstellungen nachzeichnen – und dies in einer Zeit vielfältiger Umbrüche: vom souveränen Königreich Bayern innerhalb des Deutschen Bundes, über die Einigungskriege und die Integration Bayerns in das entstehende Deutsche Reich hin zu den Gründerjahren und dem Fin de Siècle und dann weiter über den Ersten Weltkrieg, die krisengeschüttelte Weimarer Republik und den NS-Unrechtsstaat bis hinein in die Endphase des Zweiten Weltkriegs. Diese Protokolle sind umso bedeutsamer und wichtiger, als viele andere Unterlagen der Stadtverwaltung aus dieser Zeit am 16. März 1945 untergingen.

Die Leichenschauscheine, die von dem Arzt ausgefertigt wurden, der den Tod festgestellt hatte, ergänzen nicht nur den durch Kriegsverluste lückenhaften Bestand der Sterberegister der Jahre 1876 bis 1913, sondern ermöglichen Personenforschung anhand originär kommunaler Unterlagen bereits 50 Jahre vor dem Einsetzen der Personenstandsunterlagen. Darüber hinaus enthalten die Leichenschauscheine Informationen, die über die Angaben in Sterbeurkunden und kirchlichen Sterberegistern hinausgehen, wie z.B. Todesursache, Dauer von Krankheiten, Bestattungsdatum, Wohnort und Wohnungsgröße, und stellen daher für die (lokale) Sozialgeschichtsforschung einen noch weitgehend ungehobenen Schatz dar.

Nach Abschluss der Digitalisierung werden diese wichtigen Quellen den Benutzerinnen und Benutzern an Bildschirmen im Lesesaal auf komfortable Weise und ohne Wartezeit zur Verfügung stehen. Zugleich werden die bereits angegriffenen Originale in Zukunft geschont, weil sie normalerweise nicht mehr vorgelegt werden müssen. Die letzten drei Ratsprotokoll-Bände (1936-1944) wurden – da im Original schreibmaschinenschriftlich abgefasst – überdies mittels OCR-Technik gescannt und sind somit besonders komfortabel recherchier- und durchsuchbar. Mittelfristig ist geplant, die Digitalisate der interessierten Öffentlichkeit auch über das Internet zugänglich zu machen. Und so wird es dann möglich sein, dass überall auf der Welt Menschen Zugriff auf diese Quellen haben und sich so aus erster Hand ein Bild von den Ereignissen der genannten Jahre machen können – auch dort, wo Flusspferde ein alltäglicherer Anblick sind als im Würzburg des Jahres 1930.

Kontakt:
Stadtarchiv Würzburg
Neubaustraße 12
97070 Würzburg
Tel: 0931 – 37 31 11
Fax: 0931 – 37 31 33
stadtarchiv@stadt.wuerzburg.de

Quelle: Stadt Würzburg, Pressemitteilung, 18.11.2021

300 Karikaturen von Gerald Manz im Stadtarchiv Pforzheim

Begonnen hat es 1984 mit einem gezeichneten Leserbrief an Pforzheimer Zeitung bezüglich der umstrittenen Gebühren für die Kinderrutsche im Wartbergbad. Seit den 1990er Jahren zeichnete Gerald Manz seine Karikaturen dann regelmäßig für den Pforzheimer Kurier und die Badischen Neuesten Nachrichten. Unlängst hat der Pforzheimer Karikaturist rund 300 seiner Karikaturen dem Stadtarchiv Pforzheim übergeben.


Abb.: Gerald Manz mit seinen Karikaturen, die nun als Archivgut allen Interessierten im Stadtarchiv Pforzheim zugänglich sind (Foto: Deecke, Stadtarchiv Pforzheim) 

„Beim Sortieren meiner Zeichnungen während des Corona-Lockdowns im vergangenen Winter staunte ich nicht schlecht, dass viele der Motive zum Pforzheimer Stadtgeschehen, von denen viele vor nahezu drei Jahrzehnten entstanden sind, auch das heutige Datum tragen könnten“, erklärt Gerald Manz die Entscheidung, dem Stadtarchiv seine Werke zu übergeben: „Die Pforzheimer Stadtgeschichte zeigt somit nicht nur eine fortschreitende Entwicklung, sondern dokumentiert in vielen Bereichen ebenso eine Wiederholung oder gar Konsolidierung von Strukturen. Die Zeichnungen an einem Ort zu wissen, zu dem sie ihren direkten Bezug haben, ist mir ein Anliegen gewesen.“

Kulturbürgermeisterin Sibylle Schüssler zeigt sich erfreut über den Neuzugang an Archivgut: „Diese einzigartige Sammlung, die der Pforzheimer Kommunalpolitik den Spiegel vorhält, steht nun im Stadtarchiv allen Interessierten offen“, freut sich Schüssler. Selbst mit spitzer Feder auf einer Karikatur verewigt, zollt sie dem Schaffen von Gerald Manz Anerkennung: „Die Karikaturen von Gerald Manz sind kritisch und treffend, zielen aber niemals unter die Gürtellinie. Diese Satire bereichert den politischen Diskurs und fordert dazu heraus, die eigenen Positionen zu hinterfragen.“ Dass die überspitzt-ironischen Kommentare zur Kommunalpolitik für künftige zeitgeschichtliche Fragestellungen aussagekräftige Quellen sein können, liegt auf der Hand und macht das Stadtarchiv zum passenden Verwalter der Sammlung.


Abb.: Ebbe in der Kasse (1993). Die Misere beim Unterhalt der Bäder in Pforzheim führt zu drastischen Maßnahmen (Zeichnung: Gerald Manz; Stadtarchiv Pforzheim S71-41 HO)

Recherchiert werden kann das Oeuvre online im Rechercheangebot des Stadtarchivs Pforzheim als Bestand S71. Die Themenvielfalt umfasst dabei mit Bildung, Sozialem, Kultur, Sport, Umwelt, Verkehr, Finanzen und vielem anderen mehr das ganze Spektrum der Pforzheimer Lokalpolitik und Stadtgesellschaft. Angesehen werden können die Karikaturen im Lesesaal des Stadtarchivs. Auf der Website des Pforzheimer Stadtarchivs steht außerdem eine kleine Auswahl von Karikaturen mit Erläuterungen online. Damit die Archivnutzerinnen und -nutzer mit den Karikaturen arbeiten können, hat Diplom-Archivarin Andrea Binz-Rudek den Bestand in den letzten Monaten bearbeitet und in der Datenbank des Stadtarchivs erfasst: „Das Verzeichnen war nicht nur amüsant, sondern auch deshalb besonders angenehm, weil die Unterlagen bereits vorbildlich geordnet waren.“

Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Daher erstaunt, wie viele der Karikaturen unabhängig vom Entstehungsjahr inhaltlich noch oder wieder hoch aktuell sind. Auch historisch gesehen standen manche Pforzheimer Themen immer wieder auf der Agenda. Aus dieser Beobachtung entstand die Idee, im kommenden Jahr eine „Archivführung in zehn Karikaturen“ anzubieten. Im Rahmen der Reihe Montagabend im Archiv und in Kooperation mit der Löblichen Singergesellschaft von 1501 Pforzheim zeigen Gerald Manz und Archivleiterin Klara Deecke an Karikaturen aus den Bereichen Verkehr, Kultur, Politik, Wirtschaft, Umwelt und Sport, welche historischen Quellen und Dokumente dazu im Stadtarchiv verwahrt werden und wie sie recherchiert und genutzt werden können. Die Kooperation zwischen Gerald Manz und dem Stadtarchiv Pforzheim ist mit der Übergabe der Karikaturen an die Öffentlichkeit also noch lange nicht beendet.

Kontakt:
Stadtarchiv Pforzheim – Institut für Stadtgeschichte
Kronprinzenstr. 28
75177 Pforzheim
Tel. 07231 39 2899

Quelle: Stadt Pforzheim, Pressemeldung, 25.11.2021

Die Gedächtnisinstitutionen Archive, Bibliotheken und Museen im Ampel-Koalitionsvertrag

Aufarbeitung, Erinnerung und Opferfürsorge im digitalen Aufbruch.

Ein Koalitionsvertrag bietet einen Überblick über das Regierungsprogramm und über die wichtigsten Vorhaben der künftigen Regierung. Gute Koalitionsverträge mit konkreten Politikversprechen zu verhandeln, das lohne sich für die Politikgestaltung der Koalitionäre wie für das öffentliche Vertrauen in die Regierung, urteilt die Bertelsmann-Stiftung. Die Umsetzung der Koalitionsverträge erhöhe die Glaubwürdigkeit; von daher seien sie ein wichtiges und chancenreiches Instrument für Verbindlichkeit und Rechenschaft auch gegenüber den Wählerinnen und Wählern.

Parteien und Regierungen seien überdies besser als ihr Ruf, was auch für die bisherige Große Koalition gelte, so die Bertelsmann-Stiftung in ihrer Schlussbilanz zum Koalitionsvertrag der GroKo 2018-2021 unter dem Titel „Versprechen gehalten“. Von den insgesamt 294 Versprechen des Koalitionsvertrages 2018 wurden, wie zuvor bereits, fast 80 Prozent ganz oder teilweise umgesetzt. Die Regierung habe weitgehend das getan, was sie zuvor versprochen hat. Die offenbar guten Vertrauenswerte zur Umsetzungstreue von Koalitionsverträgen seien daher auch eine „Chance für die neue Regierung“.

Nach rund einmonatigen Verhandlungen haben nunmehr SPD, Grüne und FDP ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Die Ampel-Parteien präsentierten das 177 Seiten starke Dokument mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ am 24.11.2021 der Öffentlichkeit. Die neue Regierung wird aus 17 Ministerien bestehen (neu ist ein Ressort für Bauen). Es wird kein eigenes Digitalministerium geben, das aber künftig zum Verkehrsressort gehört.

Im Ampel-Koalitionsvertrag für die Jahre 2021 bis 2025 werden verschiedene Ziele ausgegeben; das Inhaltsverzeichnis führt sieben Themenbereiche auf, neben Klimaschutz, Arbeitswelt, Bildung und Europa im Kapitel „Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie“ auch den Abschnitt „Kultur- und Medienpolitik“ (S. 121-127). Kultur solle in ihrer Vielfalt als Staatsziel verankert werden. Die Neustart-Programme werden zunächst fortgeführt, um den Übergang nach der Pandemie abzusichern. Die neue Regierung wird die Kulturstiftung des Bundes und den Bundeskulturfonds ausbauen. Man werde ein „Kompetenzzentrum für digitale Kultur“ schaffen, das Kulturakteurinnen und Akteure berät, vernetzt und qualifiziert. Die Koalition fördert den Aufbau eines „Datenraums Kultur“, der sparten- und länderübergreifend Zugang zu Kultur ermöglicht. Zur Kulturförderung gehöre zudem, öffentliche Bibliotheken „als dritte Orte“ zu stärken und Sonntagsöffnungen zu ermöglichen (S. 122). Bibliotheken sollen, wie Kultur und Sport insgesamt, zur „Stärkung des Zusammenhalts“ von unbürokratischen und ausgeweiteten Investitions- und Sanierungsprogrammen profitieren (S. 128). Museen werden in diesem Zusammenhang nicht erwähnt.

Ausführlicher wird der Koalitionsvertrag beim Thema „Filmerbe“: „Mit der Filmförderungsnovelle wollen wir die Filmförderinstrumente des Bundes und die Rahmenbedingungen des Filmmarktes neu ordnen, vereinfachen und transparenter machen, in enger Abstimmung mit der Filmbranche und den Ländern. Wir prüfen die Einführung von Investitionsverpflichtungen und steuerlichen Anreizmodellen und schaffen gesetzliche Rahmenbedingungen, um die steuerliche Behandlung von Filmkoproduktionen rechtssicher zu gestalten. Kinos und Festivals fördern wir verlässlich und bewahren unser nationales Filmerbe“ (S. 123). – Dass die Filmförderungsnovelle als vermeintliche „Spitzenförderung“ unter Filmemachern nicht unumstritten ist, wird den Koalitionären bewusst sein.

Hinsichtlich des Urheberrechts will sich die Regierung für „fairen Interessenausgleich“ einsetzen und die Vergütungssituation für kreative und journalistische Inhalte, auch in digitalen Märkten, verbessern. „Wir wollen Informations- und Meinungsfreiheit auch bei automatisierten Entscheidungsmechanismen sicherstellen. Die gerade in Kraft getretene Reform werden wir u. a. in Hinblick auf Praxistauglichkeit evaluieren. Wir wollen faire Rahmenbedingungen beim E-Lending in Bibliotheken. Analoge Spiele sollen im Sammelkatalog der Deutschen Nationalbibliothek benannt werden können“ (S. 123).

Einen eigenen Abschnitt stellt die „Erinnerungskultur“ dar, in dem es u.a. heißt: „Wir begreifen Erinnerungskultur als Einsatz für die Demokratie und Weg in eine gemeinsame Zukunft. Wir schützen unsere Gedenkstätten. Die Gedenkstättenkonzeption des Bundes werden wir unter Einbezug des Deutschen Bundestages, der SED-Opferbeauftragten und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas sowie im Zusammenwirken mit den in diesen Bereichen Aktiven aktualisieren und die Gedenkstättenarbeit auskömmlich finanzieren. Lokale Initiativen wollen wir fördern und Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen digital zugänglich machen. Wir treiben die Geschichtsvermittlung der und in die Einwanderungsgesellschaft voran. Das Förderprogramm „Jugend erinnert“ wird verstetigt und modernisiert. Wir fördern Forschung in Gedenkstätten“ (S. 124f.).

In Verantwortung für Holocaust-Überlebende wird Deutschland „die laufenden Entschädigungsleistungen wie auch die finanzielle Unterstützung für die Pflege der heute hoch betagten Holocaust-Überlebenden konsequent sicherstellen, um ihnen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Gleichzeitig sollen die Zukunftsaufgaben der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts besondere Sichtbarkeit erlangen. Hierzu gehören insbesondere der Aufbau einer zentralen digitalen Themenplattform zur Wiedergutmachung von NS-Unrecht und die Verstärkung und dauerhafte Förderung von Holocaust Education“ (S. 110).

Mit Blick auf die Opfer der SED-Diktatur heißt es im Koalitionsvertrag, dass die neue Regierung im Einvernehmen mit den Ländern die Beantragung und Bewilligung von Hilfen für die SED-Opfer, insbesondere für gesundheitliche Folgeschäden, erleichtern wird. Man werde die Definition der Opfergruppen an die Forschung anpassen und die SED-Opferrente dynamisieren. „Wir richten ergänzend einen bundesweiten Härtefallfonds für die Opfer ein und entwickeln hierfür die Stiftung für ehemalige politische Häftlinge weiter“ (S. 110f.).

Gestärkt werden soll die Bundesstiftung Aufarbeitung, indem die Standorte der Außenstellen des Stasi-Unterlagen-Archivs „qualitativ entwickelt“ werden. Auch werde die begleitende Forschungs- und Bildungsarbeit unterstützt, ebenso „die Einrichtung des Archivzentrums SED-Diktatur und die Weiterentwicklung der ehemaligen Stasi-Zentrale in Berlin zum Campus für Demokratie“ (S. 125).

So wie man sich weiterhin der Aufgabe stellen wird, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter gemäß dem Washingtoner Abkommen an die Eigentümerinnen und Eigentümer zurückzuführen (und die Verjährung des Herausgabeanspruchs von NS-Raubkunst ausschließen wird), so wird die neue Regierung mit Blick auf das „Koloniale Erbe“ Deutschlands insbesondere die „Rückgabe von Objekten aus kolonialem Kontext“ unterstützen (S. 125). Koloniale Kontinuitäten sollen überwunden werden. In der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik will die Bundesregierung die „Mittler“ stärken, insbesondere das Goethe Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst, die Alexander von Humboldt-Stiftung, das Deutsche Archäologische Institut und das Institut für Auslandsbeziehungen. Und in der „kulturellen Bildung“ soll es einerseits in Deutschland „neue Präsenzformate“ geben, wie auch gemeinsame Kulturinstitute der europäischen Partner in Drittländern und den „Aufbau einer digitalen europäischen Kulturplattform“ (S. 126).

Zum Themenfeld „Moderner Staat“: Zu ihrer Beschleunigung soll die Digitalisierung von Planungs- und Genehmigungsprozessen mit Priorität umgesetzt werden: Man werde „Behörden mit notwendiger Technik ausstatten, IT-Schnittstellen zwischen Bund und Ländern standardisieren und das digitale Portal für Umweltdaten zu einem öffentlich nutzbaren zentralen Archiv für Kartierungs- und Artendaten ausbauen. Bereits erhobene Daten sind, ggf. durch Plausibilisierungen, möglichst lange nutzbar zu machen“ (S. 12).

Der Abschnitt „Freiheit und Sicherheit“ behandelt u.a. die Eingriffe des Staates in die bürgerlichen Freiheitsrechte. Dort heißt es in Bezug auf die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung, dass man diese derart ausgestalten werde, dass „Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“ (S. 109). Und weiter: „Zum Schutz der Informations- und Meinungsfreiheit lehnen wir verpflichtende Uploadfilter ab“ (S. 110). Nachrichtendienste werden im Koalitionsvertrag als ein „wichtiger Teil der wehrhaften Demokratie“ bezeichnet: „Wir achten das verfassungsrechtliche Trennungsgebot von Polizei und Nachrichtendiensten. Wir stärken und bauen die Kontrolle, insbesondere die parlamentarische, aller nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes weiter aus. Das Sicherheitsrecht des Bundes, einschließlich der Übermittlungsvorschriften reformieren wir umfassend. Hilfsorgane der Parlamentarischen Kontrolle stärken wir. Die Wahrnehmung der Rechte Betroffener verbessern wir. Kontrolllücken schließen wir. Die Arbeit der Dienste wird durch eine fundierte wissenschaftliche Analyse gestärkt und differenziert. Wir schaffen eine unabhängige Kontrollinstanz für Streitfragen bei VS-Einstufungen und verkürzen die archivrechtlichen Schutzfristen auf maximal 30 Jahre“ (S. 110).

Im Kampf gegen den Rechtsextremismus will Bundesregierung die weitere Aufarbeitung des NSU-Komplexes energisch vorantreiben und ein „Archiv zu Rechtsterrorismus“ in Zusammenarbeit mit betroffenen Bundesländern auf den Weg bringen. Der 11. März, der ja bereits Europäischer Gedenktag für die Opfer des Terrorismus ist, wird auch nationaler Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt (S. 107). – Aufwertung erfahren soll auch der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar (S. 119).

Insgesamt ist der Koalitionsvertrag der Ampel aus SPD, Grünen und FDP in der Kulturpolitik, die prinzipiell Aufgabe der Bundesländer ist und für die es auch in der neuen Bundesregierung wiederum eine Staatsministerin für Kultur und Medien (Claudia Roth von Bündnis 90 / Die Grünen) geben wird, von Kontinuität gekennzeichnet, was ihm nicht zum Nachteil gereichen muss. Einige Großprojekte, wie der „Campus für Demokratie“ und die Rückgabe kolonialer Raubkunst, sind explizit benannt. Bei anderen Aufgabenfeldern mit Bezug auf das Historische Forschen und Lernen sucht man zwischen den Zeilen nach Anknüpfungspunkten und Zusagen. Daher scheint es u.a. von Bedeutung zu sein, dass der im Koalitionsvertrag mehrfach benannte und längst überfällige „umfassende digitale Aufbruch“ den „digitalen Staat“ und die „digitale Verwaltung“ nicht eng und gleichsam organisationstheoretisch interpretiert, sondern Archive, Bibliotheken und – die im Koalitionsvertrag beinahe gänzlich ausgesparten – Museen an den „digitalen Innovationen“ und an der „digitalen Infrastruktur“ teilhaben lässt, ja, sie diese mitentwickeln lässt. Die Erinnerungskultur ist in ihrer Breite und Tiefe, das kann man aus dem Ampel-Vertrag durchaus ersehen, eine generationsübergreifende Aufgabe zur lebendigen und wehrhaften Gestaltung der Demokratie. Investitionen in die Gedächtnisinstitutionen sind daher keine Investitionen in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft der Gesellschaft. – Nach der kommenden Legislaturperiode wird man sehen (und beurteilen), ob und inwieweit die Regierung das getan hat, was sie im jetzt vorgelegten Koalitionsvertrag versprochen hat.

Quelle: Bertelsmann-Stiftung: EINWURF 3/2021 Versprechen gehalten – Schlussbilanz zum Koalitionsvertrag der GroKo 2018-21, 22.10.2021; Tagesschau, Innenpolitik: Abschluss der Koalitionsverhandlungen, 24.11.2021; Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/Die GRÜNEN und FDP, Nov. 2021

Friedrichshafen präsentiert Opferlisten des Zweiten Weltkriegs

Das Stadtarchiv Friedrichshafen hat die bislang bestehenden Listen zu den Opfern des Zweiten Weltkriegs, die in Friedrichshafen oder als Militärangehörige oder als Opfer des nationalsozialistischen Regimes auswärts ums Leben kamen, überprüft und zusammengeführt. Die Listen zu den Opfern können nun von Interessierten in einem Schauraum im Stadtarchiv eingesehen werden.


Abb.: Die zerstörte Altstadt gilt als Symbol für die Schrecken des Luftkriegs über Friedrichshafen. Hier eine Aufnahme nach dem 28.4.1944, von der Wilhelmstraße Richtung Westen (Foto: Stadtarchiv Friedrichshafen, Sammlung Jakob Hättig).

Das Stadtarchiv Friedrichshafen hat die zur Verfügung stehenden Quellen nach vier Kategorien ausgewertet und in jeweils neuen Aufstellungen zusammengefasst: „Opfer des Widerstands und der Verfolgung durch das NS-Regime“, „Luftkriegstote“, „Ausländerinnen und Ausländer“ sowie „Soldaten“. – Bei den Opfern von Widerstand und Verfolgung wurden ums Leben gekommene jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, Widerstandskämpfer sowie in Friedrichshafen eingesetzte deutsche KZ-Häftlinge aufgenommen. Im Unterschied etwa zu KZ-Häftlingen aus Osteuropa war bei dieser Personengruppe in der Regel ein politischer Hintergrund für die Einweisung verantwortlich. Diese Liste umfasst derzeit 25 Personen.

Als Luftkriegstote sind mit Namen fassbar 734 Personen, darunter 233 Ausländerinnen und Ausländer, überwiegend in der Zwangsarbeit oder als KZ-Häftlinge eingesetzt, 437 deutsche Zivilisten und 64 Militärangehörige. Die Friedhofslisten verzeichnen zehn über Friedrichshafener Stadtgebiet gefallene alliierte Flieger.

Rund 380 Ausländerinnen und Ausländer sind im Zweiten Weltkrieg in Friedrichshafen gestorben. Zu den bereits erwähnten Opfern während der Luftangriffe kamen vor allem Todesfälle durch schwere Krankheiten, begünstigt durch Unterernährung und mangelnde Hygiene. Größte Einzelgruppe waren die russischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter mit 114 Toten, im Jahre 1950 auf dem Ehrenfeld 32 des Hauptfriedhofs Friedrichshafen beigesetzt. Größte Gruppe unter den „Westarbeitern“ bildeten die rund 90 auf dem Maybach-Betriebsgelände beim Luftangriff vom 20. Juli 1944 umgekommenen italienischen Militärinternierten. Hier sind dem Stadtarchiv bis heute nicht alle namentlich bekannt. Insgesamt waren Tote aus vielen europäischen Nationen zu beklagen.

Bei den Militärangehörigen überrascht die hohe Zahl von 1.211 Belegen, die die Recherche des Stadtarchivs ergeben hat. Allein in den Sterberegistern bis 1973 konnten 857 im Zweiten Weltkrieg gefallene Soldaten namhaft gemacht werden, zahlreiche weitere Listen vervollständigen das Bild.

Insgesamt kann man von rund 2.000 Kriegsopfern ausgehen, da es häufiger vorkommt, dass ein und dieselbe Person in mehreren Listen parallel geführt wird.

Betreut wurde das Projekt von Hartmut Semmler vom Stadtarchiv. Unterstützt und begleitet wurde die Recherche durch Dr. Christa Tholander aus Friedrichshafen. Carmen Dienel und Bryndis Kern, ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Stadtarchivs, haben bei der Erfassung des umfangreichen Datenmaterials unterstützt. Interessierte können die Listen sind nun in einem Schauraum des Stadtarchivs Friedrichshafen einsehen. Eine vorherige Kontaktaufnahme per E-Mail ist notwendig.

Bundesverdienstkreuz am Bande für Christa Tholander
Erst kürzlich hatte Friedrichshafens Oberbürgermeister Andreas Brand im Namen des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Christa Tholander überreichen können. Vorgeschlagen für die Ehrung wurde Christa Tholander von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.


Abb.: Oberbürgermeister Andreas Brand (rechts) überreichte im Namen des Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Christa Tholander (Foto: Stadt Friedrichshafen).

Ende der achtziger Jahre hatte Dr. Tholander mit 52 Jahren das Abitur nachgeholt, Geschichte und Anglistik in Konstanz studiert und ihr Magisterstudium 1996 mit der Magisterarbeit „Fremdarbeiter: Ausländische Arbeitskräfte in Friedrichshafen von 1939-1945“ abgeschlossen. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Fremdarbeiter 1939 bis 1945 – Ausländische Arbeitskräfte in der Zeppelin-Stadt Friedrichshafen“. Sie reiste dafür zu den Zeitzeugen bis nach Polen und Belarus und interviewte dort insgesamt mehrere Dutzend Personen.

Noch heute kümmert sich Dr. Christa Tholander um Anfragen von Nachkommen ehemaliger Zwangsarbeiter. „Mit ihrem Engagement wollen Sie Vorurteile abbauen und bemühen sich um Ausgleich und Versöhnung“, dankte OB Brand Christa Tholander. Auch das Stadtarchiv Friedrichshafen sei durch die Forschungen in der glücklichen Lage, auf fundierte Erkenntnisse über die nationalsozialistische Zeit in Friedrichshafen zurückgreifen zu können. Sie setzte sich u.a. für eine angemessene Gestaltung der beiden Ehrengräber 19 und 32 auf dem städtischen Friedhof ein. In diesen Ehrengräbern ruhen in Friedrichshafen ermordete, umgekommene und umgebettete Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge. Hier hat sie durch Nachforschungen und Erkundungen in höchstem Maße zur Klärung beigetragen.

Ein weiterer Erinnerungsort in Friedrichshafen ist die Präsentation „Zwangsarbeiter“ im Dornier-Museum. Zusammen mit ihrem Mann hat Dr. Tholander für das Museum die Geschichte der Zwangsarbeiter bei Dornier aufgearbeitet und Hördokumente von Zeitzeugen zusammengetragen.

„Sowohl für das Geschichtsgedächtnis unserer Stadt als auch für die Versöhnungsarbeit kann Ihr Engagement nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie haben in erheblichem Maße zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in unserer Stadt beigetragen. Darüber hinaus haben Sie sich für die Bewahrung dieser Erkenntnisse eingesetzt, die Schaffung von Erinnerungsorten mit Ihrer Arbeit unterstützt und nicht zuletzt Versöhnungsarbeit durch die Begegnung von Menschen aus einst verfeindeten Nationen geleistet“, so Oberbürgermeister Andreas Brand in seiner Laudatio. Dem Dank schlossen sich die Leiterin des Zeppelin Museums, Dr. Claudia Emmert, der Leiter des Stadtarchivs, Jürgen Oellers, und der frühere Oberbürgermeister Josef Büchelmeier an.

Kontakt:
Stadtarchiv Friedrichshafen mit Bodenseebibliothek
(Max-Grünbeck-Haus)
Katharinenstraße 55
88045 Friedrichshafen
Tel. +49 7541 209-150 (Stadtarchiv) oder -153 (Bodenseebibliothek)
Fax +49 7541 203-88842 (Stadtarchiv)
stadtarchiv@friedrichshafen.de
https://stadtarchiv.friedrichshafen.de

Quelle: Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 8.5.2021; Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 10.11.2021; Stadt Friedrichshafen, Nachrichten, 24.11.2021

Erschließung der BLHA-Überlieferung zum Braunkohlenbergbau abgeschlossen

Das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam hat die Erschließung seiner Überlieferung zum Braunkohlenbergbau abgeschlossen. Die online veröffentlichten Daten ermöglichen einen Überblick über alle im Landeshauptarchiv verwahrten Aktenbestände von Bergbauunternehmen in der Lausitz vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ende des 20. Jahrhunderts.


Abb.: Gesamtansicht der Fabriken der „Eintrachtwerke“, 1906 (Quelle: BLHA, Rep. 75 Eintracht Braunkohlenwerke AG, Welzow Nr. 471)

Nachdem die Bestände der DDR-Braunkohlenwerke bereits seit einigen Jahren online durchsuchbar waren, schließen neue Erschließungsangaben die Lücke zu den Unterlagen aus der Zeit vor 1945. Zudem informieren inhaltliche Einleitungen über die Geschichte der jeweiligen Unternehmen, über deren Grubenbetriebe sowie über die Geschichte der Bestände.

Bearbeitete Bestände:
Rep. 75 Anhaltische Kohlenwerke AG (AKW), Halle (Saale)/Berlin
Rep. 75 Eintracht Braunkohlenwerke AG, Welzow
Rep. 75 F. C. Th. Heye Braunkohlenwerke GmbH, Annahütte
Rep. 75 Ilse Bergbau AG, Grube Ilse bei Senftenberg
Rep. 75 Matador Bergbaugesellschaft mbH, Reppist bei Senftenberg
Rep. 75 Niederlausitzer Kohlenwerke AG, Berlin
Rep. 75 Senftenberger Kohlenwerke AG, Senftenberg

In den Unterlagen findet sich eine Vielzahl an Unterlagen über Anlage und Ausbau von Grubenbetrieben. Sie betreffen unter anderem den Aufschluss von Tagebauen, Investitionen in Technologie der Förderung und Brikettierung. Die in den 1880er Jahren gegründeten Kapitalgesellschaften erwiesen sich als leistungs- und konkurrenzfähig für die technologischen und finanziellen Herausforderungen, die der Aufschluss tiefer liegender Kohlenschichten im Tagebau stellten. Sie modernisierten fortlaufend ihre Tagebaue durch Übergang auf die Großraumförderung, den Einsatz von Abraumförderbrücken und immer größeren Baggern sowie durch Anlegung eines verzweigten Systems von Kohlen- und Anschlussbahnen, das einen kostengünstigen und schnellen Transport von Kohlen zwischen Tagebauen und Brikettfabriken und auch zu den Abnehmern von Kohle als Brennstoff oder als Grundstoff für die Kohlenchemie sicherstellte.

Das Wirken von Leitungsgremien (Aufsichtsrat, Vorstand, Gesellschafterversammlung) ist in den Beständen in unterschiedlicher Breite dokumentiert. Nahezu alle Bestände enthalten Unterlagen über die Zusammenarbeit der Unternehmen mit dem Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein e.V. und vor allem mit der regionalen Interessenvertretung der Werke im Lausitzer Revier, dem Niederlausitzer Bergbauverein e.V. mit Sitz in Senftenberg, der auch als Arbeitgeberverband in Tarifverhandlungen fungierte und zur Abstimmung über verschiedene überbetriebliche Fragen des Bergbaus (Grubenrettungswesen, Rekultivierung) diente. Die in den Beständen vorhandenen Protokolle, Rundschreiben und statistische Erhebungen bieten einen Gesamtblick auf den Braunkohlenbergbau in der Niederlausitz vor 1945.

Besonders umfangreich vorhanden sind in den Beständen Akten über Erwerb und Verwaltung des Kohlenfelderbesitzes. – Mit dem Kohlenabbau veränderten die Unternehmen gewachsene Landschafts- und Siedlungsstrukturen. Diese Eingriffe spiegeln sich am auffälligsten in Akten über die Verlegung von Wasserläufen und bereits vorhandener Infrastruktur (Straßen, Wege) wider. Sie treten noch deutlicher in Unterlagen über Entschädigungen für Grundwasserabsenkungen, den Bau von Wasserversorgungsanlagen und die Beteiligung an der Niederlausitzer Wasserwerksgesellschaft zutage. Entstehung und Ausbau von Arbeiterkolonien und Werkssiedlungen zur Unterbringung von Arbeitern dokumentieren sich in Akten zum Siedlungs- und Wohnungsbau, zur Beteiligung an Siedlungsgesellschaften und zur Übernahme von Kommunal- und Patronatslasten (Kirchen- und Schulbau).

Alle Bestände enthalten schließlich auch eine thematische breite Überlieferung zu den Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten im Bergbau. Die Bandbreite der Überlieferungen weist auf zahlreiche Auswertungsmöglichkeiten hin – auch über die Geschichte des Bergbaus hinaus. Insbesondere für die Orts- und Regionalgeschichte der Niederlausitz können die Akten von Interesse sein.

Kontakt:
Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Am Mühlenberg 3
14476 Potsdam

Postanschrift:
Postfach 600449
14404 Potsdam

Telefon: +49 (0) 331 5674-0
Telefax: +49 (0) 331 5674-212
poststelle@blha.brandenburg.de
https://blha.brandenburg.de

Quelle: Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Aktuelles, 19.11.2021

Hannover und die Hanse zur Zeit des Stralsunder Friedens 1370

Das Stadtarchiv Hannover hatte 2020 das 650. Jubiläum des Stralsunder Friedens zum Anlass genommen, Hannovers Verhältnis zur Hanse zu untersuchen. Die entstandene Ausstellung „Hannover und die Hanse zur Zeit des Stralsunder Friedens 1370“ konnte pandemiebedingt nur online gezeigt werden. Jetzt wird die Ausstellung, nun erweitert um originale Dokumente aus dem späten 14. Jahrhundert, analog präsentiert.

Die Ausstellung stellt die politischen Akteure und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor, zeigt Urkunden und Bücher der Verwaltung und sucht nach Spuren der Hanse in Hannover. Mit welchen Themen haben sich die Ratsherren um 1370 beschäftigt? Wie engagierte sich Hannover im Krieg um die wirtschaftliche Vormachtstellung in der Ostsee? Welche Rolle spielte Hannover im Netzwerk der Hanse? Kannte und nutzte man die neuen Privilegien, die Lübeck und die Seestädte für das Hanse-Bündnis erkämpften?

Vor 650 Jahren schlossen die verbündeten Hansestädte mit König Waldemar IV. von Dänemark den Frieden von Stralsund. Die Hanse konnte ihre Vormachtstellung in der Ostsee behaupten und eine Bestätigung weitreichender Privilegien erkämpfen. Der Friedensschluss von Stralsund gilt als Höhepunkt der Hansegeschichte. Er ist auch deshalb bemerkenswert, weil hier eine kleine Städtegruppe einen Sieg erkämpfte, dessen Privilegien der ganzen Hanse-Gemeinschaft zugutekamen – und das fast 200 Jahre lang.

In den zehn Jahren der Auseinandersetzung waren Hannover und die anderen sächsischen Städte mit dem Ausbau der eigenen politischen und wirtschaftlichen Stellung beschäftigt. So konnte in Hannover der Mauerring nach dem Abriss der herzoglichen Burg direkt vor den Toren der Stadt endlich geschlossen werden. Dies erlaubte der Stadt eine rechtliche Abgrenzung, die Demonstration ihrer politischen Stellung und den Schutz vor feindlichen Überfällen. Der geschlossene Mauerring mit 32 starken Türmen war so wichtig, dass die spätere Stadtgeschichtsschreibung deshalb meinte, die „Aufnahme“ in die Hanse auf das Jahr 1371 setzen zu müssen.


Abb.: Das „rote Stadtbuch“, Stadtprotokollbuch (Stadtarchiv Hannover, I.AA.3 Nr. 8232)

Die Quellen aus der Stadtschreiberei belegen die für zentral angesehenen Schwerpunkte des städtischen Lebens: Eigentums- und Erbschaftsfragen, Dotationen an Kirchen und Altäre, Schuldverträge, Privilegien, die Verzeichnung der Neueinwohner*innen und Rechtsbelehrungen galten für so wichtig und erhaltenswert, dass sie auf teurem Pergament geschrieben wurden. Die ältesten Aufzeichnungen der Stadtverwaltung, zum Beispiel Einnahmen aus den städtischen Mühlen, stammen erst aus dem Ende des 14. Jahrhunderts und wurden dann auf Papier verzeichnet.

„Echt hansische“ Spuren finden sich auch heute noch im Alltagsleben der Stadt. Wie im gesamten Hansekulturraum wurde in Hannover mit Backstein gebaut und in Niederdeutsch kommuniziert. Auch in Hannover trainierten die Einwohner ihre Wehrtüchtigkeit durch das „Papageienschießen“. Den eigenen Einwohnern und fremden Kaufleuten wurde die Möglichkeit des Gebetes am Altar von St. Olav, dem Schutzpatron der Seefahrer, geboten.

Die Archivausstellung „Hannover und die Hanse zur Zeit des Stralsunder Friedens 1370“ ist ein Projekt des Stadtarchivs Hannover mit Unterstützung des städtischen Büros für internationale Angelegenheiten und Teil der Veranstaltungsreihe „Frieden 2020+. Verantworten – Bewahren – Machen!“.

Die Öffnungszeiten sind Dienstag, Mittwoch, Donnerstag von 9 bis 13 Uhr. Anmeldungen sind per Telefon oder Mail möglich.

Kontakt:
Stadtarchiv Hannover
Am Bokemahle 14-16
30171 Hannover
Tel.: +49 511 168-42173
Fax: +49 511 168-46590
stadtarchiv@hannover-stadt.de
http://www.hannover.de/stadtarchiv

Quelle: Stadt Hannover, Pressemitteilung, 16.11.2020; Stadt Hannover, Pressemitteilung, 22.11.2021

Stadtarchiv Troisdorf sichert historische Kassenbücher

Unterstützung durch KEK-Fördergelder.

Im Anschluss an eine erste Fördermaßnahme im Jahr 2019 stellte das Stadtarchiv Troisdorf auch für das Haushaltsjahr 2020 erfolgreich einen Förderantrag unter dem Titel „Historische Kassenbücher vor dem Zerfall bewahrt – Stadtarchiv Troisdorf sichert originale Großformate“. Im Vordergrund stand die Trockenreinigung und Umverpackung von 150 großen und schwergewichtigen Kassenbüchern der städtischen Verwaltung aus den 1920er bis 1950er Jahren.


Abb.: Troisdorfs Bürgermeister Alexander Biber und Archivleiterin Antje Winter (Stadtarchiv Troisdorf) begutachteten die neuen Kartons für die Kassenbücher (Foto: Stadt Troisdorf).

Die Arbeiten zur Sicherung der Kassenbücher wurden durch die Modellprojektförderung der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) ermöglicht. Die Stadt Troisdorf erhielt 10.000 Euro Zuwendung, an Eigenmitteln kamen weitere 6.132 Euro hinzu. Die KEK als Einrichtung des Bundes koordiniert seit 2011 den Erhalt schriftlicher Originale und trägt damit wesentlich zur Sicherung des kulturellen Erbes und Gedächtnisses der Kommunen bei.

Die neuen Kartons sind Sonderanfertigungen – besonders wegen des ungewöhnlichen Formates der historischen Kassenbücher. Diese nach DIN-Norm hergestellten Kartonagen werden zukünftige Schäden am Archivgut verhindern. Der an den Kassenbüchern festgestellte Feuchtigkeitsschaden war durch eine nicht adäquate Unterbringung entstanden.

Es zeigte sich, wie wichtig geeignete Magazinräume für wertvolles Archivgut sind. Dachböden und feuchte Kellerräume sind dazu keinesfalls geeignet. Auch muss eine regelmäßige Kontrolle der Klimawerte und eine Begehung der Räume erfolgen, um Schäden vorbeugen zu können.

Antje Winter, die Leiterin des Troisdorfer Stadtarchivs, zeigte sich sehr dankbar dafür, auch im Jahr 2020 Bundesfördermittel von der KEK erhalten zu haben. Mit ihrer Hilfe konnten die Kassenbücher von einer Fachfirma für Bestandserhaltung in einem speziellen Verfahren trocken gereinigt werden. „Die neuen Kartons sichern die Überlieferung, schützen vor neuen möglichen Schäden und bilden eine Barriere gegen Staub und andere Schadensbilder“, so Antje Winter weiter.

Das Stadtarchiv Troisdorf setzt seit einigen Jahren einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Bestandserhaltung. Dabei geht es nicht nur um die Entsäuerung der Papiere. Wichtig ist zugleich die Anschaffung säurefreier Kartonagen und Mappen, die fortlaufende Optimierung der Magazinräume und auch die regelmäßige Reinigung der Magazine. Diese Maßnahmen wurden Schritt für Schritt umgesetzt. Auf diese Weise können die wertvollen und einmaligen Originale im Stadtarchiv Troisdorf – mit einem Bestand von inzwischen mehr als 2,5 Kilometer Archivgut – angemessen erhalten werden.

Kontakt:
Stadtarchiv Troisdorf
Rathaus
Kölner Straße 176
53840 Troisdorf
Tel.: 02241 900-135
Fax: 02241 900-8135
Stadtarchiv@Troisdorf.de

Quelle: Stadt Troisdorf, Pressemitteilung 514, 22.11.2021

Petition gegen die Auflösung von Memorial International

Am 11. November 2021 hat die Menschenrechtsorganisation MEMORIAL vom Obersten Gericht Russlands eine Vorladung zu einem Gerichtstermin am 25. November 2021 erhalten. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt die Auflösung von Memorial-International. Sie wirft der Organisation „wiederholte Verstöße“ gegen das Gesetz über „Ausländische-Agenten“ vor. Gleichzeitig wird ein Moskauer Gericht über die Auflösung des Menschenrechtszentrums Memorial entscheiden.

Die nun von Auflösung bedrohte Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschrechte und soziale Fürsorge MEMORIAL ist eine der letzten bedeutenden Organisationen der russischen Zivilgesellschaft, die sich seit ihrer Gründung 1989 mit ihren zahlreichen Organisationen in Russland, in anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion sowie im westlichen Ausland konsequent für die Aufarbeitung der stalinistischen Verbrechen, insbesondere des GULag, eine kritische Auseinandersetzung mit der sowjetischen Geschichte insgesamt sowie für die Einhaltung der Menschenrechte auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR einsetzt.

Für ihre Arbeit auf historisch-wissenschaftlichem Gebiet sowie auf dem Feld der Menschenrechte ist Memorial bzw. sind Aktivistinnen und Aktivisten der Organisation international mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Sacharow-Preis des EU-Parlaments (2009). Dem Putin-Regime ist die Organisation mit ihrem Engagement für Menschenrechte und ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der sowjetischen/russischen Vergangenheit bereits seit Jahren ein Dorn im Auge. Auf der Basis des 2012 erlassenen Gesetzes über „Ausländische Agenten“ betreibt die russische Staatsanwaltschaft auf Initiative des Putin-Regime die Schließung von Memorial, wie die zahlreicher anderer NGOs bereits zuvor.

Die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V. (DGO), der größte Verbund der Osteuropaforschung im deutschsprachigen Raum, protestiert gegen diesen nicht zu rechtfertigenden Angriff auf Memorial. Die DGO fordert die russische Generalstaatsanwaltschaft auf, den Antrag auf Auflösung von Memorial International sowie des Menschenrechtszentrums Memorial unverzüglich zurückzuziehen. Die DGO fordert zudem die Bundesregierung und die Europäische Union auf, alles in ihren Kräften Stehende zum Schutz von Memorial, seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und der russischen Zivilgesellschaft zu unternehmen.

In den vergangenen Tagen haben zahlreiche namhafte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Menschenrechtler, Journalistinnen und Journalisten, Wissenschaftler und Bürger in Russland und im Ausland ihre Solidarität mit Memorial zum Ausdruck gebracht und sich gegen eine Schließung von Memorial ausgesprochen.

Die Petition der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde gegen die Auflösung von Memorial International kann hier unterstützt werden.

Weitere Informationen sind auf der Homepage von Memorial Deutschland zu finden, darunter ein Podcast mit der russischen Historikerin und Memorial-Aktivistin Irina Scherbakowa.

Quelle: DGO: Protest gegen den Angriff auf Memorial, 12.11.2021; Prof. Dr. Frank Grüner (Universität Bielefeld, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie): Petition gegen Schließung von Memorial, 21.11.2021; Memorial Deutschland, Übersetzung und Stellungnahme zum Antrag der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft auf Auflösung von Memorial International vom 11.11.2021.

Das feministische Archiv FFBIZ ist in Gefahr

Einladung zur Unterzeichnung eines Offenen Briefes an die Berliner Politik.

Hunderte Frauen wollten 1978 in Berlin eine der wichtigsten Sammlungen der historischen Frauenbewegung retten. Sie gründeten dafür ein autonomes Bildungs- und Forschungszentrum, das Frauen jeden Alters und Bildungsgrads offenstand. Die turbulente Geschichte des feministischen Archivs FFBIZ dauert bis heute an und steht exemplarisch für ein feministisches Projekt zwischen Existenzkampf und Selbstermächtigung. – Nun wendet sich das FFBIZ mit einem Offenen Brief an die Vertreterinnen und Vertreter der Berliner Landespolitik, an den Senat und an die Bürgermeisterkandidatinnen – und bittet zugleich um dessen Unterzeichnung:

Das das feministische Archiv FFBIZ ist eines der ältesten und bedeutendsten Frauenbewegungsarchive in Deutschland und die bestandsgrößte Einrichtung ihrer Art. Es dokumentiert die Geschichte der Frauenbewegungen seit 1968 sowie die Entwicklungen, die von ihnen ausgingen. Gesammelt werden Dokumente, Bücher, Fotos, Audios und Videos sowie Objekte zu Frauenbewegungen, Feminismus und Queerfeminismus. Die Materialien stammen aus Berlin, der Bundesrepublik und der ganzen Welt. Das Archivgut, das in traditionellen Einrichtungen lange als nicht archivwürdig galt, wird kontinuierlich erschlossen, professionell archiviert und zur öffentlichen Nutzung bereitgestellt. Genutzt wird es von Forschenden, Kurator*innen, Studierenden, Schüler*innen, Journalist*innen oder Aktivist*innen. Sie kommen aus ganz Deutschland, Europa und auch aus dem außereuropäischen Ausland nach Berlin, um das feministische Archiv FFBIZ zu nutzen.

Bereits jetzt läuft unser Archivbetrieb am Limit. Mit drei Teilzeitstellen entsprechend einem Stellenvolumen von nicht einmal 2 Vollzeitstellen bewältigen wir ständig wachsende Nutzungszahlen, erschließen und archivieren. Unser Magazin platzt aus allen Nähten, es gibt kaum noch Platz für neue Materialzugänge, wir brauchen dringend neue Räume. Mitten in dieser ohnehin kritischen Lage hat der Senat im Juni 2021 einen Haushaltsentwurf verabschiedet, der vorsieht die Zuwendungen für das FFBIZ um 20% zu kürzen. Eine Teilzeitstelle müsste dann ganz wegfallen. Die beiden anderen Teilzeitstellen müssten weiter gekürzt werden. Das Archiv soll mit etwas mehr als einer Vollzeitstelle betrieben werden. Das ist im bisherigen Umfang schlicht nicht möglich. Die Kürzungen würden daher konkret bedeuten:
– stark reduzierte Öffnungszeiten
– eingeschränkte Erreichbarkeit
– nur noch vereinzelt Bearbeitung von neuen Beständen
– keine Veranstaltungen mehr
– Suche nach größeren Räumen würde unmöglich, daher perspektivisch keine Annahme von Materialspenden mehr.

Auch wenn dieser Haushaltsentwurf vom neuen Berliner Senat noch einmal nachverhandelt wird, steht fest: Kürzungen in diesem Ausmaß gefährden aktiv die Überlieferung von feministischer und Frauenbewegungsgeschichte in Berlin und dürfen so nicht umgesetzt werden. Die Bewahrung feministischer Geschichte hat ihren Preis. Wir sind ein essentielles Stück feministischer Bewegung und Berliner Geschichte, das eine stabile Arbeitsgrundlage braucht. Wir schließen uns den Forderungen des Berliner Frauennetzwerk bfn an und fordern für das FFBIZ eine verlässliche und bessere Finanzierung durch das Land Berlin, um endlich in angemessenere Räume umziehen sowie eine sichere Arbeitsgrundlage mit mindestens zwei Vollzeitstellen realisieren zu können.

Das FFBIZ bittet um das Unterschreiben und Teilen des offenen Briefes an die Berliner Bürgermeisterkandidat*innen, die gleichstellungs- und haushaltspolitischen Sprecher*innen und die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung: https://ffbiz.de/offenerbrief

Über die Geschichte des FFBIZ – das feministische Archiv schreibt Friederike Mehl auf dessen Homepage:

Im Laufe der 1980er Jahre entwickelte sich das FFBIZ zu einem festen Bestandteil der feministischen Infrastruktur West-Berlins und war in Bezirk und Stadt wie auch als Teil westdeutscher und internationaler Bündnisse vernetzt. Die FFBIZ-Frauen wirkten bei etlichen Kampagnen mit: Anti-AKW und für Frauenhäuser, gegen die Volkszählung 1987 und für feministische Medien, Anti-§ 218 und für Frauenmärsche, um nur einige Beispiele zu nennen.

Zentraler Bestandteil des Zentrums waren die Arbeitsgruppen: Lesben, Buchfrauen und VHS-Dozentinnen trafen sich zum Austausch, Frauen beschäftigten sich mit dem Archiv, der Bibliothek und Medien, mit Frauenarbeit, -erwerbslosigkeit und der sogenannten „Dritten Welt“, sie betrieben Zeitzeuginnenprojekte zu Frauen in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Neuen Frauenbewegung. Kurzum: die Themen der Bewegung fanden durch AGs ihren Platz im FFBIZ – und damit auch in dessen Archiv.

Jahrelang forderten die FFBIZ-Frauen finanzielle Unterstützung vom Berliner Senat. Dies bedurfte politischen Taktierens, starken Rückhalts in der Community und viel Geduld. Die Miete zahlten sie zunächst aus Mitglieds- und Kursgebühren, Raummieten von Gruppen und Spenden. Schließlich revidierten die Frauen ihre Ablehnungshaltung gegenüber dem sogenannten ‚Fink-Topf‘, einem in der Alternativszene umstrittenen Förderinstrument für Selbsthilfeprojekte des Berliner Senats (benannt nach Senator Ulf Fink). Ab 1985 erhielten sie daraus Mietzuschüsse, Sachmittel und eine Stelle „mit untertariflicher Bezahlung“. Die Gelder standen jedoch in keinem Verhältnis zum Bedarf. Zum zehnten FFBIZ-Geburtstag resümierte Mitfrau Gisela Vollradt: „der größte Teil unserer Arbeit […] ist pure Selbstausbeutung“.

Bis Ende der 1990er konnte sich das FFBIZ trotz finanzieller und interner Turbulenzen gut halten. Im Jahr 2003 drohte der Berliner Senat schließlich seine ohnehin geringen Zuschüsse substanziell zu kürzen. Die FFBIZ-Frauen warteten nicht auf Gewissheit und suchten neue Räume. Schließlich gingen sie eine Kooperation mit dem Archiv Grünes Gedächtnis der Heinrich-Böll-Stiftung ein, das ihnen einen Büroplatz und ein professionelles Archivmagazin anbot. Die Charlottenburger Instanz konnte damit als unabhängige Einrichtung fortbestehen, musste aber die Heimatgefilde verlassen.

Mit dem Umzug in den Osten Berlins verlor das FFBIZ eine entscheidende Ressource: den Anschluss an die Frauen, die die Frauenbewegung getragen hatten (die sich ihrerseits in den 1990er Jahren stark gewandelt hatte). Der Verlust der Basis bedeutete einen Bruch mit dem Selbstverständnis des Zentrums, das sich nun vollkommen auf die Archiv- und Bibliotheksarbeit konzentrierte. Auf den örtlichen folgte 2011 der Generationenwechsel, als die Mitgründerin und langjährige Leiterin, Ursula Nienhaus, in den Ruhestand ging.

Orts- und Generationenwechsel stellten das FFBIZ vor eine – für Bewegungsarchive typische – Herausforderung: „Archivarbeit [lebt] doch davon, Teil einer oder mehrerer ‚Bewegungen‘ zu sein“, schrieb Roman Klarfeld, nachdem er die Leitung des FFBIZ übernommen hatte. In Anbetracht der jüngeren Umbrüche gelte es, das Archiv als ein Zentrum weiterzuentwickeln, das „zur Vermittlung zwischen feministischen Generationen und feministischen Strömungen beiträgt.“ Um diese Rolle auszufüllen, hat das FFBIZ-Team begonnen im Kontext der Debatten um einen intersektionalen Feminismus die eigene Sammlungspraxis offensiver als politisches Projekt einer mehrheitlich weißen Frauenbewegung zu problematisieren. Außerdem werden Kontakte zu ehemaligen und gegenwärtigen feministischen Aktivist*innen und Interessierten gestärkt, etwa durch Lesekreise, Filmreihen und Zeitzeug*innen-Interviews. Um aktuelle Bewegungen im Archiv abzubilden, sind neben neuen Begegnungen auch neue Ansätze in der Archivarbeit notwendig. Es bedarf technischer (und rechtlicher) Lösungen, etwa um Netzdebatten abzubilden, die aktuelle Diskurse maßgeblich prägen.

Auch jenseits analoger und digitaler Archivarbeit bleibt das FFBIZ ein politisches Projekt – mit offenen Forderungen. Die Förderung des Senats ist bis heute nicht gesichert, sondern wird jährlich neu entschieden. Zudem stößt das Magazin aufgrund des massiv wachsenden Bestands an seine Grenzen. Aus diesen Gründen ist das FFBIZ eins der Projekte, die sich für ein Elberskirchen-Hirschfeld-Haus in Berlin – einen Ort der Dokumentation und Erforschung queerer und feministischer Geschichte – einsetzen. 40 Jahre nach dem ersten Aufruf bleibt die Vision eines lebendigen und autonomen FFBIZ damit so aktuell wie am ersten Tag.

Kontakt:
Das feministische Archiv FFBIZ
Eldenaer Straße 35
10247 Berlin
+49 30 95 61 26 78
info@ffbiz.de
www.ffbiz.de

Mit Kinderbuchreihe Kinder (und Eltern) fürs Archiv begeistern

Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg schließt mit dreibändiger Kinderbuch-Reihe eine Lücke im deutschen Sprachraum.

Mit dem neuen Kinderbuch „Die Maus Mitza und ihre ägyptischen Vorfahren aus dem Schloss Kaltenbrunn“ kann das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg jetzt den dritten Band einer erfolgreichen Kinderbuchreihe präsentieren. Das Kinderbuch ist in den letzten Monaten aus dem Slowenischen ins Deutsche übertragen worden. Wie die beiden bisherigen Bände enthält es zahlreiche Illustrationen der slowenischen Künstlerin Tina Brinovar. Die jetzt komplett ins Deutsche übertragenen Archiv-Kinderbücher zu den Abenteuern der Maus Mitza und des Archiv-Gespenstes Ferdi schließen dabei für den deutschen Sprachraum eine Lücke: Solche „archivpädagogisch“ nutzbaren, im Buchhandel erhältlichen Publikationen gab es bislang nicht.

Im neuen Kinderbuch erfährt die Maus Mitza mithilfe des Gespenstes Ferdi vieles über ihre Vorfahren und letztlich auch, wie Archive den Menschen bei der Familienforschung helfen können.

Das Kinderbuch ist in Kooperation mit dem Verlag Schmidt (Neustadt an der Aisch) erschienen. Die Publikation ist, wie bereits bei Band 2 (Die Maus Mitza und der Brief von Leopold an Rosalia), durch das Generalkonsulat der Republik Slowenien (München) unterstützt worden.

Alle Bände der Kinderbuchserie im Überblick:

  1. Barbara Pešak Mikec / Nataša Budna Kodrič, Die Maus Mitza im Archiv, 2. Auflage, Neustadt an der Aisch 2018 (Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Sonderpublikationen), ISBN 978-3-87707-138-0, 14,90 Euro
  2. Barbara Pešak Mikec / Nataša Budna Kodrič, Die Maus Mitza und der Brief von Leopold an Rosalia, Neustadt an der Aisch 2019 (Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Sonderpublikationen), ISBN 978-3-87707-160-1, 17,90 Euro
  3. Barbara Pešak Mikec / Nataša Budna Kodrič, Die Maus Mitza und ihre ägyptischen Vorfahren aus dem Schloss Kaltenbrunn, Neustadt an der Aisch 2021 (Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Sonderpublikationen), ISBN 978-3-87707-227-1, 19,90 Euro.

Alle drei Bände können über den Buchhandel sowie den Webshop des Stadt- und Stiftsarchivs Aschaffenburg bestellt werden.

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv
der Stadt Aschaffenburg
Wermbachstraße 15
63739 Aschaffenburg
Telefon: +49 6021 4561050
stadtarchiv@aschaffenburg.de
https://stadtarchiv-aschaffenburg.de

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 17.11.2021