Ein entnazifiziertes Schild?

Fundstück des Monats Februar 2023 der Villa ten Hompel.

Am 26. Mai 1945, also 18 Tage nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, gab der damalige Bürgermeister der Stadt Münster, Fritz-Carl Peus (1871-1950), dem Polizeipräsidenten folgende Anweisung: „1. Alle Inschriften der NSDAP müssen entfernt werden. […] 3. Beauftragen Sie die Polizei, alle ansässigen Bürger aufzufordern, solche Inschriften an privaten oder Geschäftshäusern zu entfernen oder unkenntlich zu machen. […]“


Abb.: Bürgermeister an Polizeipräsident in Münster, 26.5.1945 (Foto: Stadtarchiv Münster)

Das „Objekt des Monats Februar 2023“ des Geschichtsorts Villa ten Hompel in Münster kann als Sinnbild dieser Entnazifizierung der öffentlichen Infrastruktur gesehen werden: Es handelt sich um ein Glasschild mit der Beschriftung „Verkehrslokal NSDAP“. Solche „Verkehrslokale“ waren Gaststätten, deren Wirtsleute und Stammpublikum in der Regel Parteimitglieder waren.


Abb.: Fundstück NSDAP-Schild (Foto: Karolin Baumann)

Die rechte Seite des Schildes ist vollständig erhalten, auf der linken Seite jedoch wurde das Hakenkreuz teilweise abgebrochen. Vermutlich hatten die damaligen Inhaber der Gaststätte „Dorfschenke“ in Wolbeck das Schild nach Kriegsende entfernt und zerbrochen, bevor es über Jahrzehnte auf dem Dachboden verschwand. 2013 wurde es dort wiederentdeckt. Seit 2015 ist es in der Ausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ zu sehen.

Auf die Entnazifizierung von Gebäuden und Straßen folgte die personelle Entnazifizierung der ehemaligen NSDAP-Parteimitglieder: Zunächst auf unterschiedliche Weise in den Besatzungszonen durchgeführt, erfolgte ab Januar 1946 durch den Alliierten Kontrollrat der Versuch einer Standardisierung der Richtlinien. Hohe Parteifunktionäre, aber auch Helferinnen und Helfer, Nutznießerinnen und Nutznießer wurden mithilfe eines Fragebogens in fünf Gruppen eingeteilt: 1. Hauptschuldige, 2. Belastete, 3. Minderbelastete, 4. Mitläufer und 5. Entlastete. Der Anspruch, die Besatzungszonen von Nationalismus und Militarismus zu befreien, konnte aber nur in Teilen umgesetzt werden. Zum Vergleich: In der amerikanischen Besatzungszone reichten zwar dreizehn Millionen Menschen einen Entnazifizierungsbogen ein, doch nur etwa zehn Prozent von ihnen wurden schließlich verurteilt. Weniger als 1 Prozent der zu Entnazifizierenden erhielt tatsächliche Strafen oder dauerhafte Nachteile.

Schilder und Inschriften konnten leicht zerbrochen oder abgetragen werden, aber das nationalsozialistische Gedankengut aus den Köpfen zu eliminieren, war sicher eine Herausforderung größeren Ausmaßes.

Kontakt:
Geschichtsort Villa ten Hompel
Kaiser-Wilhelm-Ring 28
48145 Münster
Tel. 02 51/4 92-71 01
Fax 02 51/4 92-79 18
tenhomp@stadt-muenster.de

https://www.stadt-muenster.de/villa-ten-hompel/startseite.html

Stadt Püttlingen erhält historische Akten vom Landesarchiv Saarland

Im Rahmen eines Pressetermins am 30.1.2023 stellte Dr. David Schnur, stellvertretender Leiter des Landesarchivs Saarland, gemeinsam mit Püttlingens Bürgermeisterin Denise Klein und Stadtarchivar Stefan Handfest den wissenschaftlichen Nachlass des Püttlinger Heimatforschers Willibald Meyer vor.


Abb.: (v.l.n.r.) Püttlingens Bürgermeisterin Denise Klein mit Archivar Stefan Handfest und Dr. David Schnur vom Saarländischen Landesarchiv (Foto: Stadt Püttlingen).

Bisher wurden die historischen Akten, insgesamt rund 3 laufende Meter, im Landesarchiv Saarland gelagert. Die Unterlagen befanden sich zunächst im Privatbesitz von Willibald Meyer. Im Jahr 2014 übergaben seine Erben die Unterlagen an das Landesarchiv. Nun wurden diese auf Initiative von Archivar Stefan Handfest an die Stadt Püttlingen übergeben.

Besonders interessant und wertvoll sind die beiden historischen Bannbücher aus dem Jahr 1790. Im Bestand des Püttlinger Stadtarchivs befanden sich bisher nämlich nur 6 der insgesamt 8 Bannbücher, in denen die Grenzverläufe der damaligen Gemeinde Püttlingen beschrieben wurden. Was heute digital im Geoinformationssystem beim Katasteramt geführt wird, wurde früher in den sogenannten Bannbüchern handschriftlich festgehalten. Damals nutzte man selbstangemischte Eisengallustinte und Papier aus Hadern (textile Fasern). Eine gute Kombination, denn besagte Tinte ist wasserunlöslich, lichtecht und lässt sich chemisch nicht vom Papier entfernen, das robuste Hadernpapier ist nahezu unbegrenzt lagerbar.


Abb.: Auch die Karten zu den Bannbüchern werden im Archiv der Stadt Püttlingen verwahrt. Hier zu sehen die Karte zum Tractus II. Diese zeigt u. a. den Flur „In den Mühlwiesen“, das heutige Wohngebiet „Am Schlehbach“ (Foto: Stadt Püttlingen)

Die Stadtverwaltung Püttlingen hat sich zum Ziel gesetzt, sukzessive historische Unterlagen, die nach Ablauf einer Schutzfrist veröffentlicht werden dürfen, zu digitalisieren und so der Öffentlichkeit über ein Archiv-Portal zugänglich zu machen. Mit der Umsetzung dieses Vorhabens wäre Püttlingen damit Vorreiter-Kommune im Saarland was die Digitalisierung und Veröffentlichung von historischem Archivgut betrifft. In einem ersten Schritt werden die Beschlussbücher ab dem Jahr 1869 der damaligen Gemeinde Püttlingen durch ein Unternehmen professionell digitalisiert. „Das Herzstück der kommunalen Archive“, so von Dr. David Schnur treffend beschrieben, denn die Beschlussbücher enthalten die Niederschriften mit sämtlichen wichtigen Entscheidungen in der Geschichte Püttlingens.

Mit Unterstützung von Dr. Schnur wird Stefan Handfest dann in einem nächsten Schritt die Veröffentlichung vorantreiben.

Kontakt:
Stadtarchiv Püttlingen (Saar)
Rathausplatz 1
66346 Püttlingen (Saar)

Quelle: Stadt Püttlingen, Pressemitteilung, 7.2.2023

Historisches Kreislexikon Mettmann ist online

Ein neues Angebot im Rahmen der Historischen Bildungsarbeit im Kreis Mettmann ist nach zwei Jahren Vorbereitung ab sofort für alle Interessierten im Internet zugänglich. Unter der Adresse www.kreislexikon-mettmann.de ist ein historisch-kulturelles Informationssystem entstanden, das in kompakter und übersichtlicher Form einen Zugang zu lokal- und kreisbezogenen historischen Informationen schaffen will.


Zum Start stehen rund 150 Beiträge bereit, die durch die Historikerin Dr. Andrea Niewerth als Projektbearbeiterin konzipiert und zusammengestellt wurden. Man kann das Historische Lexikon Kreis Mettmann über eine Volltextrecherche durchsuchen, oder sich über vorstrukturierte Zugänge (INSTITUTIONEN – ORTE – PERSONEN – ARTIKEL A-Z) gleichsam stöbernd durch das Online-Angebot bewegen. – Eine großzügige Förderung erhielt das Lexikon durch die Regionale Kulturförderung des Landschaftsverbands Rheinland.

Die Geschichte des Kreises Mettmann und seiner Vorgängerkreise reicht bis 1816 zurück, die Geschichte der Gemeinden und Städte teilweise bis ins Mittelalter. Historische Informationen darüber sind oft schwer auffindbar und nur auf komplizierten Wegen zu recherchieren. Hier soll das neue Lexikon, das vom Arbeitskreis der Archive im Kreis Mettmann unter Federführung von Kreisarchivar Joachim Schulz-Hönerlage herausgegeben wird, Abhilfe schaffen. Es bietet Informationen über geschichtlich bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten, Geschichten von Orten und Institutionen, Denkmälern oder Bauwerken sowie Beiträge aus den Bereichen Kultur, Sport, Politik, Wirtschaft und Brauchtum. Verlinkungen mit Geschichts- und Bibliotheksportalen sowie Quellen- und Literaturhinweise sorgen dafür, dass Benutzer auch weiterführende Informationen finden können.


Abb.: Mettmanns Kreisarchivar Joachim Schulz-Hönerlage und Historikerin Dr. Andrea Niewerth (Foto: Kreis Mettmann)

Für die Weiterentwicklung des Lexikons sucht das Kreisarchiv Mettmann Autorinnen und Autoren mit entsprechenden Fachkenntnissen, die selbstständig einen Beitrag für das Lexikon erarbeiten und schreiben wollen. Vorschläge sind herzlich willkommen. Für nähere Informationen können sich Interessierte gerne an das Kreisarchiv Mettmann wenden.

Kontakt:
Kreisarchiv Mettmann
Goethestr. 23
40822 Mettmann
Tel. 02104 992031
kreisarchiv@kreis-mettmann.de
https://archivekme.hypotheses.org/arbeitskreis-der-archive

Quelle: Kreis Mettmann, Pressemitteilung, 9.2.2023

Stadtarchiv Darmstadt umzugsbedingt bis Ende März 2023 geschlossen

In Darmstadt wird der Neubau des Kunstdepots in der Mainzer Straße 83 wird am 1.3.2023 in Betrieb genommen; im April 2023 wird das Kunstdepot offiziell eröffnet und seiner Bestimmung übergeben. Die Einlagerung von Kultur- und Kunstgegenständen erfolgt nach und nach. Als erstes wird das Stadtarchiv Darmstadt sein Archivgut einlagern. Es ist daher von Montag, 20.2.2023, bis einschließlich Freitag, 31.3.2023, für die Öffentlichkeit geschlossen.

„Das neue Kunstdepot der Wissenschaftsstadt Darmstadt dient dem Ver- und Bewahren der bedeutendsten Kultur- und Kunstgegenstände sowie Archivalien unserer Stadt. Daher erfüllt der Neubau die hohen Anforderungen, die bei der Einlagerung von Kultur- und Kunstgegenständen wie Plastiken, Gemälde, Grafiken, Papiersammlungen, Fotos, Filmmaterial und digitalen Medien heute gestellt werden. Mit dem für diesen Neubau gewählten Passivhausstandard, der Dachbegrünung und Photovoltaikanlage machen wir zugleich deutlich, dass wir dem Klimawandel auch hier Rechnung tragen und das neue Depot als weiteren Baustein zum Gelingen der Energiewende betrachten. Vor diesem Hintergrund freut es mich sehr, dass dieses wichtige Gebäude im April offiziell eröffnet werden kann“, so Darmstadts Oberbürgermeister Jochen Partsch.


Abb.: Das Stadtarchiv Darmstadt ist vom 20. Februar bis einschließlich 31. März 2023 in Vorbereitung und zur Durchführung des Umzugs von Archivbeständen in das neue „Kunstdepot“ in der Mainzer Straße für die Öffentlichkeit geschlossen (Foto: Stadt Darmstadt).

In dem oben genannten Zeitraum findet keine Beratung durch das Personal des Stadtarchivs statt; es wird auch kein Archivgut bereitgestellt. In diesem Zeitraum eingehende Anfragen und Rechercheanträge können nur zeitlich verzögert beantwortet werden. Dringende Anliegen, die aufgrund von Fristen keinen Aufschub zulassen, können per Mail an das Stadtarchiv gerichtet werden (E-Mail: stadtarchiv@darmstadt.de).

Bereits bestelltes Archivgut kann aber während dieser Zeit im Lesesaal im Haus der Geschichte genutzt werden. Bestellungen zur Einsichtnahme während der beratungsfreien Wochen nimmt das Stadtarchiv per Mail oder über ihr Archivinformationssystem bis Donnerstag, 16. Februar 2023, entgegen. Der Lesesaal im Haus der Geschichte ist wie gewohnt geöffnet; der Dienstbetrieb der übrigen, im Haus der Geschichte ansässigen Archive ist von den oben genannten Einschränkungen nicht betroffen.

Vom Umzug betroffenes Archivgut steht voraussichtlich von Mitte Februar bis Ende Mai 2023 nicht für eine Nutzung zur Verfügung; dies betrifft vor allem einen Großteil der Bestände der Stadtverwaltung nach 1945, die Karten- und Plakatsammlung sowie Vereinsarchive. In Zweifelsfällen gibt das Stadtarchiv Darmstadt Auskunft.

Die Informationen zu den beratungsfreien Wochen und zum Umzug können auch über den Blog des Stadtarchivs Darmstadt nachgelesen werden: https://dablog.hypotheses.org/tag/neubau.

Auch nach der Inbetriebnahme des Depotneubaus verbleibt der Hauptsitz des Stadtarchivs im Haus der Geschichte am Karolinenplatz. Die analoge Nutzung von Archivgut des Stadtarchivs wird vorerst auch weiterhin im dortigen Lesesaal stattfinden.

Hauptnutzer des neuen städtischen Kultur- und Kunstdepots werden das Institut Mathildenhöhe und das Stadtarchiv Darmstadt sein. Hinzu kommen das Hessische Landesmuseum, das Internationale Musikinstitut und das Jazzinstitut Darmstadt.

Kontakt:
Stadtarchiv Darmstadt
Haus der Geschichte
Karolinenplatz 3
64289 Darmstadt
Telefon 06151/1621766
Telefax 06151/13-475566
stadtarchiv@darmstadt.de

Quelle: Stadt Darmstadt, Pressemitteilung, 7.2.2023

ZeitRaum Brentano

Der virtuelle Escape-Room ist im Aschaffenburger Digitalladen präsentiert worden.

Ein Sprung in die digitale Welt lohnt sich auch bei Angeboten, die auf die Vermittlung komplexerer Zusammenhänge ausgelegt sind und historische Objekte beinhalten. Das wurde am 9.2.2023 im Aschaffenburger Digitalladen bei der Vorstellung des Projekts „ZeitRaum Brentano“ mehr als deutlich.


Abb.: Am 9.2.2023 wurde im Digitalladen das Projekt „ZeitRaum Brentano“ vorgestellt – eine virtuelle Zeitreise in die Epoche der Romantik. Screenshot der Internetseite „ZeitRaum Brentano“ (Foto: Julia Kraus / Stadt Aschaffenburg).

„ZeitRaum Brentano“ lädt alle Interessierten zu einer virtuellen Zeitreise in die Epoche der Romantik ein. Die virtuellen Räume können ganz ähnlich einem analogen Escape-Room bespielt werden. Möglich ist dies durch die Anlage des Escape-Rooms als virtuellem Interaktionsraum: Die Teilnehmer*innen können sich als sogenannte „Videobubbles“ in der „romantischen Welt“ frei bewegen und sich über Mikrofon oder Headset direkt miteinander austauschen, wie Dr. Danica Brenner-Orthmann und Dr. Vaios Kalogrias für das Aschaffenburger Projektteam erläuterten. Neben zahlreichen historischen und phantastischen Objekten und multimedialen Angeboten erwarten die Spielenden auch ausgesuchte Vertreter*innen der Epoche der Romantik, darunter Angehörige der Aschaffenburger Brentano-Familie.

Carsten Köchel als Vertreter des beteiligten Dienstleisters bot den Teilnehmenden einen „Live“-Rundgang durch die virtuellen Räume von „ZeitRaum Brentano“. Interessierte können sich unter https://aschaffenburgzweinull.stadtarchiv-digital.de/projekt/zeitraum-brentano/ informieren und anmelden.

Dieses Vorzeige-Projekt der digitalen Vermittlung sei, so Aschaffenburgs Bürgermeister und Digitalreferent Eric Leiderer, „eines von vielen digitalen Vorhaben, die die Stadt Aschaffenburg gerade umsetzt. Sie alle passen zur Digitalstrategie Aschaffenburgs als ‚Dialog City‘. Der Name ist Programm und setzt sich zusammen aus ‚digital‘ und ‚analog‘ für unsere Stadt. Wir wollen eine dialogorientierte Digitalisierung, die Menschen abholen, und mit ihnen gemeinsam den Weg in die digitale Transformation gehen.“

Archivleiter Dr. Joachim Kemper wies ergänzend darauf hin, dass am Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg bereits Ende 2022 ein weiteres digitales Vermittlungsprojekt zur Epoche der Romantik gestartet war: Die virtuelle Archivausstellung „Dialog Romantik“, die sich vornehmlich an Schulklassen ab Klassenstufe 8 richtet.

Escape Rooms zählen zu einem bei allen Altersgruppen beliebten Unterhaltungsphänomen. Sie werden auch zunehmend von Kultureinrichtungen als Vermittlungsmedium eingesetzt, und das mit teils großem Erfolg. Auch digitale, also virtuelle Escape-Rooms erfreuen sich zunehmender Beliebtheit, unter anderem, weil sie ortsunabhängig erkundet werden können, ohne dabei auf den direkten Austausch mit den Mitspielenden verzichten zu müssen.

Das digitale Vermittlungsangebot „ZeitRaum Brentano“ wurde ermöglicht durch eine Förderung in Höhe von 174.600 Euro durch „dive in. Programm für digitale Interaktionen“ der Kulturstiftung des Bundes, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Programm NEUSTART KULTUR. Dive in unterstützt die Umsetzung von Vorhaben der digitalen und hybriden Vermittlung an Kulturinstitutionen. Dabei werden innovative digitale Anwendungen entwickelt und erprobt, die zur Ansprache eines breiten Publikums geeignet sind.

Kontakt:
Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg
Dr. Joachim Kemper
Tel. 06021 330-2420
joachim.kemper@aschaffenburg.de
https://aschaffenburgzweinull.stadtarchiv-digital.de/projekt/zeitraum-brentano/

Quelle: Stadt Aschaffenburg, Pressemitteilung, 10.2.2023

Neues Stadtarchiv Bonn entsteht im Einklang mit Denkmalschutz

Der Umbau der ehemaligen Pestalozzischule als künftiger Standort des neuen Stadtarchivs Bonn ist in vollem Gange und aktuell im Zeitplan. Zurzeit wird die Baugrube für den Neubau ausgehoben, der später das Magazin des Archivs beherbergen wird. Mit dem Rohbau soll ab Mai 2023 gestartet werden.


Abb.: Einen Einblick in die Arbeiten gaben bei einem Pressetermin am 8.2.2023 Margit Ventulett (1.v.l.) und Volker Assenmacher (1.v.r.) aus der Abteilung Neubau beim Städtischen Gebäudemanagement (SGB) zusammen mit Constanze Falke (Mitte), Denkmalberaterin SGB, Stadtarchiv-Leiterin Dr. Yvonne Leiverkus (2.v.l. und Dr. Philipp Hoffmann (2.v.r.), Leiter Zentrum für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen Bonn (Foto: Bundesstadt Bonn/Sascha Engst).

Verwaltung, der Bereich für die Nutzerinnen und Nutzer sowie die Werkstatt des Stadtarchivs Bonn sollen im denkmalgeschützten Altbau, in dem sich seit 1911/1912 die erste Berufsschule Bonns befand, untergebracht werden. Beim Umbau wird eng mit der Unteren Denkmalbehörde zusammengearbeitet, da viele Details zu beachten sind.

Erhalten bleiben etwa die glasierten braunen Fliesen im Eingangsbereich, die die Wände von unten bis etwa zur Hälfte bedecken. Die Treppenstufen des großzügigen Haupttreppenhauses, welches die vier Stockwerke miteinander verbindet, sind mit rotem, weißem und schwarzem Terrazzo-Boden belegt. Die geschwungenen Handläufe aus Gusseisen sind bis heute erhalten. Die markanten Stützen werden oben von Kapitellen abgeschlossen.

All diese typischen Gestaltungselemente des Historismus (Baustil des späten 19./ frühen 20. Jahrhunderts) werden erhalten und restauriert. Auch das Eichenholzparkett in den ehemaligen Klassenräumen bleibt und wird aufgearbeitet. Genauso wie die vielen Türen und Nischenschränke, von denen letztere zwar in den vorigen Jahrzehnten zum Großteil mit Farbe übermalt wurden, die jedoch davon befreit werden, um ihr eigentlich dunkles Holz wieder zum Vorschein zu bringen.

Die Außenfassaden werden ab Mai 2024 instandgesetzt, dabei bleiben die denkmalprägenden historischen Holzfenster zum Großteil erhalten. Da die Fenster noch eine Einfachverglasung aufweisen, werden auf der Innenseite sogenannte Kastenfenster ergänzt. Dabei handelt es sich um ein zweites Fenster, das gewährleistet, dass das historische Fenster auf der Außenseite erhalten bleibt und künftig die Anforderungen an heutige energetische Standards erfüllt.


Abb.: Drohnenaufnahme der Pestalozzischule Bonn. Hinter der Schule wird die Baugrube für den viergeschossigen Neubau ausgebhoben (Bundesstadt Bonn/ Giacomo Zucca)

Wiederentdeckte Elemente und Details aus der Bauzeit
Bei den vorbereitenden Arbeiten in dem mehr als 100 Jahre alten Gebäude kamen auch überraschende Baudetails wieder zum Vorschein: So etwa die „Oculi“, ovale Fenster, die sich über den Zugangstüren der Klassenräume befinden und über die Zeit zugemauert wurden. Viele dieser Fenster wurden freigelegt und tragen zu einer guten Lichtdurchflutung des gesamten Gebäudes bei.

„Aus Sicht des Denkmalschutzes ist die Pestalozzischule ein spannendes Projekt, weil wir vielfältige Erkenntnisse über die Gestaltung der Erbauungszeit erfahren haben. Dass ein Großteil der Oberflächen und der Ausstattung des Schulbaus, wie er 1912 aussah, bis heute erhalten sind, ist ein wahrer Glücksfall“, so Constanze Falke, Denkmalberaterin und Bauforscherin beim Städtischen Gebäudemanagement (SGB). „Durch den Erhalt und die Restaurierung dieser Originalteile können wir zeigen, mit welcher Wertigkeit die erste Berufsschule Bonns damals ausgestattet wurde. An den Stellen, an denen die Details bereits verloren sind oder aufgrund von Anforderungen der heutigen Zeit nicht erhalten werden können, achten wir darauf, zumindest Ausschnitte zu erhalten: Durch die Schadstoffsanierung musste der gesamte Putz an Wänden und Decken abgetragen werden, dadurch sind die Zeugnisse der früheren Farbgestaltung verloren gegangen. Vorab wurden daher sogenannte ‚Befundfenster‘ in den Räumen definiert – kleine Reste der Wandfassungen, die die verschiedenen Farbaufträge an den Wänden überliefern.“

Dr. Philipp Hoffmann, Leiter des im März 2022 gegründeten Zentrums für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen, sagt: „Den Instituten des Zentrums stehen allesamt Umzüge und Veränderungen bevor – ob der Gedenkstätte, dem Stadtmuseum oder natürlich dem Stadtarchiv. Bei ersteren sind wir noch am Anfang mit den Planungen oder Machbarkeitsstudien zu möglichen Gebäuden. Ich freue mich, dass es mit der alten Pestalozzischule bereits einen geschichtsträchtigen Bonner Ort für das Stadtarchiv gibt, den wir nach Fertigstellung mit neuem Leben füllen können.“

Dr. Yvonne Leiverkus, Leiterin des Stadtarchivs Bonn ergänzt: „Bis wir ins neue Stadtarchiv umziehen können, dauert es zwar noch etwas, trotzdem freut es mich, dass die Arbeiten an dem Projekt so gut laufen. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen beim SGB herzlich für ihren Einsatz beim Um- und Neubau. Das fertige Gebäude wird einen sicheren und modern ausgestatteten Ort für unser Archiv bieten.“

Neues Stadtarchiv Bonn in Zahlen
Der Neubau entsteht als Anbau an den Altbau der ehemaligen Schule. Dieser ist als viergeschossiges Gebäude geplant und bietet genug Platz für die Akten und Objekte des Archivs. Der nicht denkmalgeschützte Anbau aus den 50er Jahren wurde dafür abgerissen und wird mit angepassten Geschosshöhen wiederhergestellt. Hier sind die Anlieferung des Magazins, weitere Magazinräume und ein Treppenhaus mit Lastenaufzug geplant.

Die Nutzfläche des sanierten denkmalgeschützten Altbaus beträgt 3.350 Quadratmeter, die des Archivneubaus 3.750 Quadratmeter. Die Lauflänge der Regale im neuen Archivgebäude bemisst sich auf 30.500 Meter. Es werden 80 Kartenschränke sowie diverse Medienschränke eingebaut. Die Archivfläche ist auf einen Zuwachs von 25 Jahren ausgelegt.

Die denkmalpflegerischen Arbeiten im Altbau werden durch Fördermittel in Höhe von 408.000 Euro durch das Denkmalförderprogramm des Landes NRW unterstützt. Weitere Fördermittel wurden bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz beantragt. Die neue doppelgeschossige Rollregalanlage im Magazinneubau des Stadtarchivs wird mit Fördermitteln in Höhe von 220.000 Euro aus dem Programm der Regionalen Kulturförderung des LVR unterstützt.

Die Gesamtkosten für das Projekt Stadtarchiv betragen gemäß politischem Beschluss zur Entwurfsplanung (Rat vom 18. Juni 2020) rund 29 Millionen Euro. Darin eingerechnet ist eine Baukostensteigerung von vier Prozent pro Jahr und ein Risikozuschlag von 30 Prozent, da im Bestand gebaut wird und vor allem in Bezug auf die Baugrube mögliche Risiken einkalkuliert wurden.

Die bauliche Fertigstellung des Stadtarchivs Bonn ist für Ende 2024 geplant. Die Inbetriebnahme erfolgt voraussichtlich im Frühjahr 2025.

Kontakt:
Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn
Berliner Platz 2
53111 Bonn
Tel.: 0228 / 772410
stadtarchiv@bonn.de

Zentrum für Stadtgeschichte und Erinnerungskulturen
Adenauerallee 18-22
53113 Bonn

Quelle: Bundesstadt Bonn, Pressemitteilung, 8.2.2023

stern-Fotoarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek ist online

Das stern-Fotoarchiv-Portal der Bayerischen Staatsbibliothek ist online. Damit macht die Bibliothek eines der bedeutendsten visuellen Archive der Bundesrepublik der Öffentlichkeit zugänglich. Unter stern-fotoarchiv.de stehen die ersten 250.000 Bilder der insgesamt rund 15 Millionen Aufnahmen für Wissenschaft, Öffentlichkeit und kommerzielle Nutzung zur Verfügung. Das Portal befindet sich im Aufbau und wird laufend erweitert (Ausschnitt, Abb. unten).

Die herausragende Bedeutung des stern-Fotoarchivs für das visuelle Gedächtnis der Bundesrepublik wird bereits auf der Startseite deutlich. Nutzerinnen und Nutzer gelangen hier direkt zum Herzstück des Bildportals mit bereits mehr als 1.000 Reportagen, die zwischen 1972 und 2001 entstanden sind. Sie zeigen zentrale Ereignisse des damaligen Weltgeschehens wie den Nahost-Krieg, den Balkankrieg oder die Hungersnot in Äthiopien. Andere Reportagen porträtieren bekannte Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Sport wie Willy Brandt, Günter Grass oder Torwartlegende Toni Schumacher.

Die vorliegenden Reportagen stammen von 15 renommierten, beim stern festangestellten Fotografen, von denen die Bayerische Staatsbibliothek bereits die Nutzungsrechte erworben hat, darunter so prominente Namen wie Harald Schmitt, Jay Ullal und Jürgen Gebhardt. Im Portal wird jeder stern-Fotograf mit einem Kurzporträt präsentiert, zu den jeweiligen Reportagen wird direkt verlinkt.


Einen Blick hinter die Kulissen der Arbeit der stern-Bildredaktion erlauben die Kontaktbögen der einzelnen Reportagen, auf denen häufig handschriftliche Markierungen zu sehen sind. Mittels eines „best of”-Filters („Best of: Vorauswahl stern”) können gezielt nur die durch die stern-Bildredaktion oder den stern-Fotografen markierten Aufnahmen angezeigt werden. Die Kontaktbögen ordnen zudem jede Aufnahme in ihrem Entstehungskontext ein. Die vertiefenden Text-Informationen auf den Kontaktbogenrückseiten sind durchsuchbar (Abb.: stern-Fotoarchiv, Kontaktbogen mit handschriftlichen Markierungen der stern-Bildredaktion, Aufnahmen von Jürgen Gebhardt | © BSB/Hans-Rudolf Schulz).

Verschiedene Such- und Filtermöglichkeiten, wie z. B. die auf der Gemeinsamen Normdatei (GND) basierenden Suchbegriffe oder diverse Zeit- und Ortsfilter führen zum gewünschten Suchergebnis. Zudem sind alle Reportagen über eine Weltkarte geografisch verortet und von dort aus bequem aufrufbar.

Nutzerinnen und Nutzer können ihre Lizenzanfrage über eine Warenkorbfunktion direkt aus dem Portal heraus bestellen; die Bereitstellung der lizenzierten Bilder erfolgt via Download-Link. Damit können Nutzeranfragen aus Wissenschaft, Öffentlichkeit oder zu kommerziellen Zwecken effektiv und schnell bearbeitet werden.

Aktuell sind mehr als eine halbe Million Negative des analogen Archivs digitalisiert. Davon sind zum jetzigen Zeitpunkt bereits 250.000 Einzelbilder und 17.000 dazugehörige Kontaktbögen über das stern-Fotoarchiv online recherchierbar. 2019 hatte die Bayerische Staatsbibliothek das analoge Fotoarchiv des stern mit rund 15 Millionen Negativen, Abzügen und Dias übernommen. Bis Ende 2025 werden in einem ersten Digitalisierungsprojekt die ersten 3 Millionen Negative mit Aufnahmezeitpunkt ab etwa 1971 und die zugehörigen Kontaktbögen digitalisiert und über das stern-Fotoarchiv online zugänglich gemacht.

Dr. Klaus Ceynowa, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek: „Das Fotoarchiv des stern gilt als visuelles Gedächtnis nicht nur der Bundesrepublik Deutschland, sondern der Zeitgeschichte allgemein. Für Wissenschaft und Öffentlichkeit ist das stern-Fotoarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek eine einzigartige zeithistorische Quelle von nationaler und internationaler Bedeutung.“

Kontakt:
Bayerische Staatsbibliothek
Ludwigstr. 16
80539 München
Tel.: +49 89 28638-2322
https://www.bsb-muenchen.de/

Quelle: BSB München, Pressemitteilung, 6.2.2023; stern.de, 7.2.2023

Neuer E-Learning-Kurs »Notfallvorsorge« ist online

LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum nimmt Anmeldungen entgegen.

Ein Notfall kommt meist unangekündigt. Mitarbeitende in Kulturgut verwahrenden Institutionen können plötzlich mit einem Schadensereignis konfrontiert sein. Ein defektes Leitungsrohr oder ein Unwetter führen zu einem Wasserschaden im Magazin oder Depot. In kürzester Zeit entstehen dann große Beschädigungen an historischen Überlieferungen, die nur mit großem zeitlichen, finanziellen und personellen Aufwand bewältigt werden können.
Abb.: Screenshot der Übersichtsseite des E-Learning Kurses „Notfallvorsorge“ (Foto: LVR-AFZ)

Das Thema „Notfallvorsorge“ ist deshalb eine Kernaufgabe des Kulturgutschutzes und der Bestandserhaltung. Präventionsmaßnahmen, eine gezielte Notfallplanung und ein koordiniertes Vorgehen im Schadensfall minimieren Schäden und im schlimmsten Fall Totalverluste. Zudem ist eine durchdachte Prävention immer günstiger als die Bewältigung eines akuten Schadens sowie die anschließende Nachsorge.

Eine Projektgruppe aus den Archives nationales de Luxembourg, des Saarländischen Landesarchivs und des LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrums hat daher in Kooperation mit der Open Universiteit Heerlen den E-Learning-Kurs „Notfallvorsorge“ entwickelt. Er versteht sich als Baustein zum Aufbau einer erfolgreichen Notfallprävention und steht nun auf dem E-Learning-Portal www.bestandserhaltung.eu zur Verfügung. Das neue Modul ist kostenfrei und in deutscher Sprache abrufbar. Zielgruppe sind Mitarbeitende und Führungspersonal in Archiven, Bibliotheken und Museen, interessierte Laien in Kultur- und Gedächtniseinrichtungen, Auszubildende für Medien- und Informationsdienste (Archiv, Bibliothek) und Mitarbeitende in Behörden ohne archivfachliche Qualifikation.

Der E-Learning-Kurs bietet die Möglichkeit, selbstständig sowie zeit- und ortsungebunden neues Wissen zu erlangen sowie bereits erworbene Kenntnisse zu vertiefen oder aufzufrischen. In drei Kapiteln werden die Lernenden durch die Themenfelder „Handeln im Schadensfall“, „Warum Notfallvorsorge – Vorsorge ist besser als Nachsorge“ und „Vorbereitet sein“ geleitet. Sie erfahren, wie im Schadensfall sachgerecht vorgegangen wird, weshalb Notfallvorsorge wichtig ist und wie sich Institutionen auf unterschiedliche Notfälle vorbereiten können. Fachtexte, Minispiele, Quizaufgaben, Videos sowie Zeitzeug*inneninterviews und Checklisten sind ebenso Bestandteile des Moduls wie Handlungsabläufe und Arbeitsmaterialien, die zum Download bereitstehen. Der Kurs bietet somit eine praxisnahe Hilfestellung für die eigene Notfallplanung.

Das Projekt wurde mit Fördergeldern der Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK), realisiert.

Am 01. März 2023 findet eine Online-Präsentation des neuen E-Learning-Angebots mit Diskussionsrunde statt. Nähere Informationen sind hier zu finden: Das E-Learning-Portal www.bestandserhaltung.eu – moderne Weiterbildung für Mitarbeitende in Archiven und anderen Kulturgut sichernden Institutionen.

  • Anmeldung (am Ende der Seite auf „Weiter“ klicken)
  • Anmeldeschluss: 24.02.2023
  • Termin: 01.03.2023, 10 bis 12 Uhr
  • Veranstaltungsort: Online
  • Entgelt: Es wird kein Entgelt erhoben.

Kontakt:
LVR-Archivberatungs- und Fortbildungszentrum
Ehrenfriedstraße 19
D-50259 Pulheim
Fon  00 49 (0) 22 34 / 98 54-468
Fax  00 49 (0) 22 34 / 98 54-349
afz.fortbildungszentrum@lvr.de
www.afz.lvr.de

Quelle: Anna Katharina Fahrenkamp (LVR-AFZ), Pressemitteilung, 23.1.2023

Kriminalfälle aus dem Kreisarchiv Stormarn

Der Trittauer Hexenprozess.

Im Kreisarchiv Stormarn schlummern interessante Kriminalfälle der Vergangenheit, die in Zeitungsartikeln und Fotos dokumentiert sind. Sie bilden die Grundlage für eine Artikelserie, die von Betrug bis Mord alles beinhaltet. Teil 1 von „Tatort Stormarn“ widmet sich dem „Trittauer Hexenprozess“.


Abb.: Prozess [„Hexenprozess“] gegen Martha Demuth wegen erwerbsmäßigen Besprechen von Krankheiten. Martha Demuth im Sitzungsraum vor Richterpodium mit Richter Gerhard Bluhm und Staatsanwalt (Name unbekannt) (Foto: Kreisarchiv Stormarn).

„Wenn man Böses dir getan, nagele es an der Eiche an“ – mit diesem Spruch, der nach altem Aberglauben Krankheiten bekämpft, schickte die Heilerin Martha Demuth Mitte der 1950er-Jahre eine schwer kranke Frau aus Kuddewörde nachts auf den Friedhof, wo sie einen Nagel in eine Eiche schlagen sollte. Damit sollte der Bann gebrochen werden, den angeblich ein Hexer über die kranke Frau gebracht hatte. Diese Praktiken sorgten dafür, dass die 62-jährige Martha Demuth im April 1956 vor dem Trittauer Amtsgericht erscheinen musste.

Dort wurde sie „wegen unerlaubter Ausübung des Heilgewerbes“ in sieben Fällen zu 35 DM Strafe an Stelle von sieben Tagen Haft verurteilt. Das Kreisarchiv Stormarn hat den „Trittauer Hexenprozess“ mit Texten und Fotos von Raimund Marfels archiviert. „Der Hexenprozeß … warf eine Anzahl von Fragen auf, die im Rahmen dieses Verfahrens nicht ausreichend geklärt werden konnten“, schrieb ein Berichterstatter der „Lübecker Nachrichten“ am 12. April 1956.

Fotos im Bestand des Kreisarchivs zeigen Martha Demuth mit Kopftuch und runder Brille vor Gericht, wo Richter Gerhard Bluhm das Urteil „wegen erwerbsmäßigen Besprechens von Krankheiten“ spricht. Zuvor hatte eine Reihe von Zeugen für die Frau ausgesagt, die vor Gericht angegeben hatte, das Besprechen im Alter von 40 Jahren von ihrer Mutter gelernt zu haben.

Bis heute gibt es im ländlichen Raum so genannte „weise Frauen“ oder auch Heiler, die bestimmte Krankheiten wie Gürtelrose, Furunkel oder Warzen durch Besprechen behandeln. Laut Tradition dürfen sie für ihre Heiltätigkeit kein Geld nehmen, ebenso ist es üblich, dass der Behandelte freiwillig eine Gabe oder auch etwas Geld zurücklässt.

So war es auch bei Martha Demuth. Vor Gericht sagten damals viele Zeugen für die Angeklagte aus. Laut Zeitungsartikel erklärte ein Tischlermeister aus Trittau, dass er wie seine Mutter an einer Gürtelrose gelitten habe, die kein Arzt habe heilen können. Erst als er die Krankheit von Martha Demuth habe besprechen lassen, sei sie verschwunden.

„Ich bin nur durch die Kunst dieser Frau geheilt“, zitiert ihn der Reporter. „Nach ihm beschwor ein 66jähriger Bauer, daß seine „Schweinsbeulen“ am Kopf durch „Abraten“ entfernt wurden. Am offenen Herdfeuer habe die Angeklagte den Zauberspruch gesagt: „Hier nehme ich sie weg und werfe sie hin, wo keine Sonne und kein Mond hinkommt“, zitiert das „Stormarner Tageblatt“ einen anderen Zeugen. Ein weiterer Mann sagte aus, dass die Heilerin ihn von seinen Koliken geheilt habe, derentwegen er gerade zu einer Kur geschickt werden sollte.

Vor Gericht gab Martha Demuth laut Archivmaterial an, nur Rosen, Koliken und andere leichte Krankheiten behandelt zu haben, bei deren Besprechung auch schon andere Heiler Erfolg gehabt hätten. „An dem Hokuspokus der Besprechung störten sich die meisten nicht“, hält der LN-Berichterstatter fest. Das habe man als notwendiges Beiwerk gesehen, „ebenso wie den leise gemurmelten Spruch, der einem alten Hexenbuch entnommen sein könnte.“

Aber einen Zeugen hatte es doch gestört: Ihn hatte die Angeklagte ihrerseits als „Hexer“ identifiziert und ihm deshalb eine Reihe von Tees verschrieben. Misstrauisch geworden hatte der solchermaßen Verunglimpfte die Tees in einer Apotheke untersuchen lassen – „mit dem Ergebnis, dass es sich um durchaus gesundheitsfördernde Kräutertees handele.“ In der Urteilsbegründung betonte der Richter laut „Stormarner Tageblatt“ die Gefahr des Besprechens von Krankheiten, weil dadurch die ärztliche Behandlung schwerer Krankheiten verzögert werden könnte, bis es zu spät sei.

„Zuhörer bei dem Trittauer Prozeß war auch der Leiter des Hamburger Archivs zur Bekämpfung des neuzeitlichen Hexenwahns, Johann Kruse“, berichteten die „Lübecker Nachrichten“ zehn Tage später noch einmal über den Prozess. Der Hexenforscher Kruse, der in den 1950er-Jahren viele Hexenprozesse verfolgte und als „Anwalt der Hexen“ in die Geschichte einging, hat sein Archiv 1978 als „Johann-Kruse-Archiv zur Erforschung des neuzeitlichen Hexenglaubens“ dem Hamburger Museum für Völkerkunde übergeben. Ein Foto von Marfels zeigt ihn in Trittau, wo er den Prozess gegen die Heilerin verfolgte.

Anlass der erneuten Berichterstattung war, dass die Lübecker Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Trittau Berufung eingelegt hatte. Sie kritisierte das Strafmaß von 35 DM Geldbuße. „Diese Strafe wurde von verschiedenen Seiten als zu milde angesehen“, so die Begründung. – In der Bevölkerung wurde das offenbar anders gesehen. Der Journalist berichtet, dass mehrere Leser sich zu dem Fall gemeldet hätten, die in der Tätigkeit der „weisen Frauen“ nichts Verwerfliches sähen. Auch Martha Demuth hatte vor Gericht angegeben, dass ihr kein Fall bekannt sei, bei dem ihre Heilkunst versagt habe. Ob es tatsächlich zu einem Berufungsverfahren kam, ist nicht dokumentiert.

Kontakt:
Kreisarchiv Stormarn
Mommsenstraße 14
23843 Bad Oldesloe
kreisarchiv@kreis-stormarn.de

Quelle: Kreis Stormarn, Pressemeldung, 24.1.2023

Neue Leitung im Kreisarchiv Osterholz

Seit dem 1.1.2023 hat das Kreisarchiv Osterholz in Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen) eine neue Leitung. Mit der Historikerin Alice Rath konnte eine Nachfolgerin für Gabriele Jannowitz-Heumann, die mit Ende des Jahres 2022 in den Ruhestand verabschiedet wurde, gefunden werden.


Abb.: Die neue Leiterin des Kreisarchivs Osterholz, Alice Rath, an ihrem neuen Arbeitsplatz (Foto: Landkreis Osterholz).

Die 36jährige Alice Rath hat Geschichte sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte in Wien studiert. Spezialisiert auf die deutsche Zeitgeschichte und mit Leidenschaft für die Geschichtsvermittlung war sie seit 2016 als freiberufliche Historikerin überwiegend im Museumsbereich tätig. Die wissenschaftliche Erfassung von Sammlungsbeständen, die Arbeit in Museumsarchiven, Konzeption von Sonder- und Dauerausstellungen sowie die regelmäßige Organisation und Durchführung von Veranstaltungen zur Geschichtsvermittlung gehören seit Jahren zu Alice Raths‘ Berufsalltag.

Nun freut sich die gebürtige Niederbayerin auf die vielfältigen neuen Aufgaben im Landkreis Osterholz. „Das Kreisarchiv im Landkreis Osterholz sehe ich als einen besonderen außerschulischen Lernort der Forschung, Beratung und Begegnung. Durch die umfangreichen Sammlungen und die tolle Ausstattung ermöglicht das Kreisarchiv verschiedene Arten der Geschichtsvermittlung“, ist Alice Rath von ihrer neuen Stelle überzeugt.

Nach der durch die Corona-Pandemie resultierenden Einschränkung kann Alice Rath zudem verkünden, dass das Kreisarchiv seit Anfang des Jahres erweiterte Öffnungszeiten anbietet:

Montag: 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr
Dienstag: 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr
Mittwoch: nach Vereinbarung
Donnerstag: 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Freitag: geschlossen

Kontakt:
Kreisarchiv Osterholz
Am Barkhof 10a
27711 Osterholz-Scharmbeck
Telefon: 04791 930-2260
Telefax: 04791 930-112260
kreisarchiv@landkreis-osterholz.de

Quelle: Landkreis Osterholz, Pressemeldung, 2.2.2023