Digitalisierung und andere Mammutaufgaben im Stadtarchiv Linz

Archivische Homestory der BezirksRundSchau.

Auf einen Besuch ins Gedächtnis der Stadt Linz in den Kellern des Neuen Rathauses von Linz begab sich das Online-Portal der Bezirksrundschau „MeinBezirk.at“. Bei den mehr als 10.000 lfd. Metern an Archivbeständen des Stadtarchivs Linz handelt es sich zum allergrößten Teil um Verwaltungsakten des 20. Jahrhunderts. Das liegt zum einen daran, dass das Archiv auch die Funktion eines „Zwischenarchivs“ für die Linzer Stadtverwaltung innehat, zum anderen an dem erheblichen Archivalienverlust durch die sog. „Archivkatastrophe“ von 1823: Aus Platzgründen hat man damals den Großteil der älteren Akten und Handschriften entsorgt.

Heute dreht sich im Archiv der Stadt Linz vieles um die Digitalisierung. Dadurch sollen die wertvollen Bestände nicht nur erhalten, sondern auch besser zugänglich gemacht werden. Derzeit gibt es 200.000 bis 300.000 Digitalisate im Archiv der Stadt Linz, allerdings nur zum Recherchieren.

Die 15 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie zwei Lehrlinge des Stadtarchivs Linz sind nicht nur mit Digitalisierungs- und Verzeichnungsaufgaben beschäftigt, sondern immer wieder auch mit größeren Projekten, wie Publikationen, Bildbände oder andere Forschungsarbeiten:

  • Ausstellungen und Publikationen zur Linzer Stadtgeschichte
  • Betreuung und Durchführung wissenschaftlicher Forschungen auf dem Gebiet der allgemeinen und vergleichenden Geschichte sowie der Linzer Stadtgeschichte
  • Bewertung, Verwahrung, Erhaltung, Erschließung und wissenschaftliche Bearbeitung der Unterlagen des Magistrates Linz
  • Erstellung der Richtlinien für die Archivierung von Unterlagen (inkl. digitaler Daten) im Bereich des Magistrates Linz und Verantwortung für die Durchführung der Archivierung
  • Verwahrung der rechtsverbindlichen Urkunden der Stadt Linz
  • Aufbewahren und Zugänglichmachen von Sammlungen allgemeinhistorischer und stadtgeschichtlicher Art sowie von Dokumentationsmaterial aus dem Bereich Linz
  • Sicherheits- und Ergänzungsverfilmung sowie Digitalisierung des Archivguts
  • Beantwortung von internen und externen Anfragen zu den Archivbeständen
  • Betreuung und Unterstützung von Familien- und HeimatforscherInnen

Besonders beliebt sind die Online-Angebote, wie etwa die Denkmaldatenbank oder das Straßenverzeichnis, wo man erfahren kann, warum und wonach die Linzer Straßen benannt sind.

Über den gesamten, reich bebilderten Beitrag aus der BezirksRundSchau-Serie hinaus findet man alte Aufnahmen aus dem Archiv der Stadt Linz online, zudem weitere Informationen zum Stadtarchiv Linz hier.

Kontakt:
Archiv der Stadt Linz
Hauptstr. 1-5
4041 Linz
Telefon:+43 732 7070 2973
Fax:+43 732 7070 2962
archiv.lesesaal@mag.linz.at
archiv@mag.linz.at
https://stadtgeschichte.linz.at/

Quelle: Christian Diabl: Zu Besuch im Gedächtnis der Stadt Linz, in: MeinBezirk.at, 13.7.2022; Stadt Linz: Aufgaben des Archivs der Stadt Linz

Stadtarchiv Bielefeld digitalisiert Bildarchiv Hermann Albrecht Insinger

Ein Digitalisierungs- und Crowdsourcing-Projekt.

Dank der Förderung im Rahmen von „WissensWandel. Digitalprogramm für Bibliotheken und Archive innerhalb von NEUSTART KULTUR des Deutschen Bibliotheksverbands e.V. (dbv)“ kann das Stadtarchiv Bielefeld seit Kurzem eine einzigartige Fotosammlung aus den eigenen Beständen digitalisieren und der Öffentlichkeit zugänglich machen: das Bildarchiv Hermann Albrecht Insinger.


Abb.: Aus dem Bildarchiv Hermann Albrecht Insinger (Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld)

Das Bildarchiv umfasst ca. 7.000 Negative, darunter mehr als 2.000 Stereofotografien, mit Motiven aus Paris und über 200 weiteren Orten in Frankreich, Italien, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland aus der Zeit von 1889 bis 1905.

Urheber der Fotos ist der Niederländer Hermann Albrecht Insinger (1827-1911), ein Kaufmann und Politiker aus Amsterdam, der von 1889 bis zu seinem Tod als Privatier in Paris lebte und von dort aus zahlreiche Reisen durch Süd- und Mitteleuropa unternahm, die er mit der Kamera dokumentierte.

Die Aufnahmen Insingers zeigen ein beeindruckendes Panorama des Lebens der sog. Belle Époque, ihrer Menschen, Arbeitswelten und Moden. Sie geben umfangreiche und persönliche Einblicke eines Zeitzeugen in so bedeutende historische Ereignisse wie etwa die Weltausstellung von 1900 und überliefern zugleich das – heute zum Teil verlorene – Erscheinungsbild diverser Städte zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende, darunter neben Paris u.a. Amsterdam, Lugano, Rom, Neapel, Zürich – und Bielefeld.

Bei der Erschließung der Motive setzt das Stadtarchiv Bielefeld erstmals auf die Methode des sog. Crowdsourcing, d.h. die Öffentlichkeit wird bewusst in den Erschließungsprozess mit einbezogen: Mit einem Spezialscanner werden die Negative zunächst einzeln von einem Experten in Bonn eingescannt. Bei der Sortierung helfen handschriftliche Kataloge und Notizen Insingers. Für weitere Hinweise setzt das Bielefelder Stadtarchiv erstmalig auf die Internet-Community, Crowdsourcing und die Foto-Plattform „Flickr“, wo die Aufnahmen veröffentlicht werden.

Dadurch erhofft sich das Stadtarchiv Rückmeldungen von Nutzerinnen und Nutzern, Institutionen und Vereinen aus den jeweiligen Städten. Erste Kontakte nach Amsterdam oder Neapel haben sich dabei zum Beispiel schon ergeben. Allenorten zeigt man sich begeistert über die „Qualität der Arbeit“, sagt die in dem Projekt tätige Kunsthistorikerin Vanessa Charlotte Heitland in einem Beitrag für die WDR-Lokalzeit OWL (abrufbar bis 18.7.2022).

Wer das Bildarchiv kennenlernen und dem Stadtarchiv Bielefeld bei der Erschließung der Fotos helfen möchte, der kann die Flickr-Seite des Bildarchivs (https://www.flickr.com/photos/195334926@N04) besuchen, die regelmäßig mit neuen Fotos „gefüttert“ wird. Das Stadtarchiv Bielefeld fragt die Öffentlichkeit: Können Sie nähere Angaben zu den Motiven machen? Erkennen Sie bestimmte Orte, Ereignisse, Bauwerke oder sogar Personen? Haben Sie Hinweise zur angewendeten Fototechnik? – Wer über einen Flickr-Account verfügt (Registrierung kostenlos), kann direkt auf der Seite Kommentare oder Geotags hinterlassen. Ansonsten kann man ganz einfach eine Mail eigene Hinweisen, Anmerkungen und Fragen an folgende Adresse senden:
bildarchiv-insinger@bielefeld.de

Kontakt:
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld
Postanschrift: 33597 Bielefeld
Lieferanschrift: Kavalleriestr. 17, 33602 Bielefeld
Besuchereingang : Neumarkt 1 (siehe Gebäudeplan)
Tel 0521 / 51 2471
Fax 0521 / 51 9150 2469
stadtarchiv@bielefeld.de
https://www.stadtarchiv-bielefeld.de/

Quelle: Stadtarchiv Bielefeld, Aktuelles; WDR Lokalzeit OWL, 11.7.2022

Uni Trier eröffnet Archiv mit mehr als 3.800 Bilderbüchern

Eine große Sammlung Bilderbücher ist von der Stadtbücherei Trier an die Universität Trier umgezogen, um hier für Forschung und Lehre eingesetzt zu werden. – „Das ist ja ein Traum!“ So beschreiben Prof. Dr. Eva Kristina Franz und Dr. Kirsten Kumschlies das Bilderbucharchiv, als sie es erstmals in seiner vollendeten Form sehen. Über 3.800 Bilderbücher mit teilweise historischem Wert stehen hier aneinandergereiht. Eine Leseecke am Ende des Raums lädt zum Durchstöbern der Bilderbücher ein, und kurz zuvor von Studierenden gebastelte Plakate geben dem Archiv seinen letzten Schliff.


Abb.: Mehr als 3.800 Bilderbücher wurden Dr. Kirsten Kumschlies und Prof. Dr. Eva Kristina Franz (von links) von der Stadtbücherei Trier für Lehre und Forschung zur Verfügung gestellt (Foto: Universität Trier). 

Durch die Zusammenarbeit mit der Stadtbücherei Trier in anderen Projekten seien sie auf diese über Jahrzehnte gepflegte Sammlung von Bilderbüchern gestoßen, erklärt Kirsten Kumschlies. Zur großen Freude von ihr und Eva Kristina Franz hat sich die Stadtbücherei Trier dazu bereit erklärt, die gesamte Sammlung den Arbeitsbereichen Grundschulforschung und Grundschuldidaktik Deutsch der Universität zur Verfügung zu stellen. „Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir so spontan an einen solchen Schatz gekommen sind“, betont Eva Kristina Franz und hebt insbesondere die Kooperation mit der Stadtbücherei Trier und ihrer Leiterin Andrea May lobend hervor. Auch Andrea May freut sich über die Zusammenarbeit: „Die Stadtbücherei Trier ist neben der Schule in Trier der zentrale öffentliche Ort der Leseförderung. Die Kooperation ermöglicht es, den Studierenden hier vor Ort einen theoretischen und praktischen Erfahrungsbereich als Semesterarbeit anzubieten und die Stadtbücherei Trier auch für die Arbeit in der Grundschule nutzen zu lernen.“

Seltene Exemplare
„In diesem Archiv befinden sich teilweise antiquarische Bücher, die es nicht mehr zu kaufen gibt und an die man kaum noch herankommt“, unterstreicht Kirsten Kumschlies den Wert der Sammlung. So reicht der Bestand des Archivs von Klassikern aus den 1970er-Jahren, wie etwa der „Jan und Julia“-Serie von Margret Rettich und Rolf Rettich oder den „Willi Wiberg“-Büchern der kürzlich verstorbenen Gunilla Bergström bis zu neueren populären Titeln, wie zum Beispiel „Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat“ von Wolf Erlbruch und umfasst auch vergessene, nicht mehr aufgelegte Titel, wie John Burninghams „Was ist dir lieber?“.

Zuvor konnte das Archiv bereits von Grundschullehrerinnen oder Erziehern zur Leseförderung genutzt werden, wurde aber immer seltener besucht. Die beiden Wissenschaftlerinnen der Universität Trier haben bereits vielfältige Ideen, wie dem Archiv nun ein neuer Stellenwert zugeordnet werden kann. So will Eva Kristina Franz beispielsweise untersuchen, wie in westdeutschen Kinderbüchern Natur, Macht und Herrschaft oder auch Familie sowie Eltern-Kind-Beziehung dargestellt wurden. Auch in die Lehre soll das Archiv integriert werden. Einige Exemplare hatte Kirsten Kumschlies bereits in Seminaren dabei, um den Studierenden theoretische Aspekte direkt am realen Beispiel erklären zu können. Doch die beiden geben zu, noch in der Planungsphase zu stecken: „Die Bücher müssen noch sortiert und katalogisiert werden. Feste Pläne gibt es noch keine, aber an Ideen mangelt es uns nicht.“

Beitrag zur Lesesozialisierung
Aber warum ist es so wichtig, zu Bilderbüchern zu forschen? „Das Bilderbuch ist die Textsorte, die schon lange vor dem Schuleintritt zur Lesesozialisierung am meisten beiträgt. Jemand der Grundschulkindern Lesen und Schreiben beibringen möchte, der muss sich fundiert mit dem Bilderbuch auseinandersetzen“, beantwortet Kirsten Kumschlies die Frage. Auch aus historischer Perspektive sei die Forschung im Archiv äußerst interessant, ergänzt Eva Kristina Franz. So lassen sich in historischen Bilderbüchern die Idealvorstellung dieser Zeit wie der Rolle der Frau oder des Mannes in der Erziehung analysieren. „Natürlich werden nicht völlig willkürlich Szenen aus dem Familienalltag in ein Bilderbuch gezeichnet. Man kann daraus ablesen, welche Werte man den Kindern damals transportiert hat“, erklärt sie.

Das Bilderbucharchiv befindet sich in Raum A 357 im Gebäude A der Universität Trier und gliedert sich an das Grundschulzentrum und die Grundschulwerkstatt Kinderliteratur an. Für Studierende und Mitarbeitende der Universität Trier sowie externe Interessierte werden in naher Zukunft Öffnungszeiten des Archivs eingerichtet.

Link: Professur für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe

Kontakt:
Prof. Dr. Eva Kristina Franz
Professur für Grundschulforschung und Pädagogik der Primarstufe
Universität Trier
Abt. Bildungswissenschaften IV
Fachbereich I
Universitätsring 15
D-Gebäude
54296 Trier
Tel. +49 651 201-1811
eva.franz@uni-trier.de

Dr. Kirsten Kumschlies
Germanistik – Grundschuldidaktik Deutsch
kumschlies@uni-trier.de
Tel. +49-651-201-2294

Andrea May
Leiterin Stadtbücherei Trier
andrea.May@trier.de
Tel. + 49 651 718-2422

Quelle: Universität Trier, Forschung, 08.07.2022

Bitterfeld-Wolfen bietet Patenschaften für Archivalien

Ob nun Schriftwechsel und Schriftstücke der Apotheke am Markt von 1686 bis 1925 oder Bauanträge und Genehmigungen der Aktienbrauerei von 1876 bis 1890 – das Stadtarchiv Bitterfeld-Wolfen (Sachsen-Anhalt) verwahrt viele lokal bedeutende Archivalien. Diese sind in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten in Bitterfeld und Wolfen sowie in den Orten Greppin, Thalheim, Holzweißig und Bobbau entstanden. Die ältesten historischen Akten, die sich im Archivbestand befinden, stammen aus dem Jahr 1391.

„Manche dieser Archivschätze sind in der Vergangenheit an Orten aufbewahrt worden, die nicht immer dafür geeignet waren, und haben Schaden genommen“, sagt Archivarin Dana Kubitschek und meint: „Daher weisen einige von ihnen Wurm- und Mäusefraß, Insektenschäden oder Wasserflecken auf. Aber auch das hohe Alter zeigt sich deutlich.“ Versucht man sich beispielsweise vorzustellen, wie oft die Akten in den letzten 600 Jahren in die Hand genommen oder umgelagert wurden, ist es nicht verwunderlich, dass bei einigen von ihnen der Einband beschädigt ist sowie einzelne Blätter porös und eingerissen sind. „Schwere Schäden an unserem Archivgut zeigen sich auch durch den stets gefürchteten Tintenfraß. Dabei brechen die Buchstaben durch die freigesetzte Schwefelsäure heraus, wodurch das Schriftbild unlesbar werden kann. Daher benötigen unsere Akten dringend Hilfe.“

Daher sucht das Stadtarchiv Bitterfeld-Wolfen nun Restaurierungspaten, um das Gedächtnis der Stadt zu schützen und für zukünftige Generationen zu bewahren. „Denn nur eine professionelle Restaurierung kann den Verfall aufhalten und dem Archivgut eine Zukunft schenken“, sagt die Archivarin und erklärt, wie man sich einbringen kann: „Wir suchen Sponsoren, die eine Patenschaft für einzelne Akten beziehungsweise Archivalien übernehmen oder durch Teilspenden zum Erhalt des Archivguts beitragen möchten.“ Bereits kleine Geldbeträge helfen und sind willkommen. Mit diesen könnten beispielsweise kleinere Schäden am Archivgut behoben werden. „Die Paten werden mit einer Urkunde geehrt, die als Kopie auch in der jeweils restaurierten Archivale eingelegt wird. So bleibt der Name des Restaurierungspaten dauerhaft mit der Archivale verbunden und auch nachfolgende Generationen erfahren von dessen Großzügigkeit. Mit dem Einverständnis der Restaurierungspaten erwähnen wir das Engagement auch gern namentlich auf unserer Homepage.“ Ab einer Spende von 50 Euro erhalten die Paten eine steuerlich absetzbare Spendenquittung.

Das Stadtarchiv hat einen Katalog mit sieben Restaurierungsobjekten samt Bild und Text fertiggestellt. Nach Eingang der Spende wird die Archivale fachgerecht restauriert. Danach erfolgt die ordnungsgemäße Rückführung in den Bestand des Stadtarchivs Bitterfeld-Wolfen. Bei Teilspenden wird das Geld angespart, bis eine Komplettrestaurierung einer Archivale ermöglicht werden kann. Der Katalog ist einzusehen unter: www.bitterfeld-wolfen.de/Restaurierungspaten

Auch ein Spendenkonto bei der Kreissparkasse Anhalt-Bitterfeld ist eingerichtet worden:
IBAN: DE 71 8005 3722 0034 0040 73
BIC: NOLADE21BTF
Verwendungszweck: Restaurierungspaten

Ansprechpartnerinnen für das Restaurierungspaten-Projekt im Stadtarchiv Bitterfeld sind: Dana Kubitschek (Tel.: 03494 666 0 243) und Carolin Matthey (Tel.: 03494 666 0 241).

Kontakt:
Stadt Bitterfeld-Wolfen
OT Stadt Wolfen
Rathausplatz 1
06766 Bitterfeld-Wolfen

Stadt Bitterfeld-Wolfen
OT Stadt Bitterfeld
Markt 7
06749 Bitterfeld-Wolfen

Telefon: 03494 6660 240
Telefax: 03494 66609 240
stadtarchiv@bitterfeld-wolfen.de

Quelle: Stadt Bitterfeld-Wolfen, News, Juli 2022; Mitteldeutsche Zeitung, 7.7.2022

Wappen der Amberger Tuchscherer wiederentdeckt

Bei Inventarisierungsarbeiten im Stadtarchiv Amberg ist kürzlich eine ungewöhnliche Federzeichnung ans Licht gekommen. Wie sich bei den Nachforschungen herausstellte, handelt es sich um ein Wappen der Tuchscherer, das ihnen angeblich sogar Kaiser Barbarossa verliehen haben soll. „Fest steht, dass ein Wappen dazugehörte, als man Mitte des 18. Jahrhunderts in Bayern eine kaiserliche Zunftordnung erwirkte. Dessen Gestaltung wurde dann auch in Amberg ventiliert“, erklärte der Leiter des Amberger Stadtarchivs Dr. Andreas Erb Oberbürgermeister Michael Cerny, als er ihm den Fund präsentierte.


Abb.: Ambergs Stadtarchivar PD Dr. Andreas Erb (rechts) präsentiert Oberbürgermeister Michael Cerny das bei Inventarisierungsarbeiten gefundene Wappen der Tuchscherer (Foto: Thomas Graml, Stadt Amberg)

„Ein wenig bedrohlich wirkt es schon“, meinte auch OB Michael Cerny, als er das Wappen genauer in Augenschein nahm. Der Greif, der den Wappenschild dominiert, trägt nicht nur das Jagd- und Baugerät als Doppelhaken, sondern in seiner rechten Klaue auch eine gezündete Granate. „Nicht nur der Heraldiker fragt sich, wie es zu einer derart explosiven Selbstdarstellung einer Handwerkszunft kommen konnte“, gab ihm auch der Stadtarchivar recht.

Andererseits habe das Gewerbe durchaus Konfliktstoff geboten, berichtete Dr. Erb. Die Aufgabe der Tuchscherer habe nämlich darin bestanden, mit großen Bügelscheren überstehende Wollfaserreste abzuschneiden und dem Stoff so zu einer glatten Oberfläche zu verhelfen. Diese textilveredelnde Tätigkeit erforderte Kooperation mit anderen Zünften des Textilgewerbes, mündete aber häufig auch in Abgrenzungskonflikten. Wer hier bestehen wollte, musste darum im doppelten Sinne des Wortes gewappnet sein.


Abb.: Wappen der Tuchscherer (Foto: Thomas Graml, Stadt Amberg)

Bei der in den Amberger Akten gefundenen Darstellung des Wappens handelt es sich um eine Federzeichnung, bei der sich der Künstler offenkundig einen älteren Lexikonartikel zum Vorbild nahm. Diesem bleib er in der Farbgebung treu, den Greifen aber gestaltete er mit bemerkenswerter Phantasie aus und verlieh ihm die waffenstarrenden Attribute. Man musste schon genauer hinsehen, um über dem Helm und dort auf dem Doppeladler auch die Tuchschere zu entdecken.

Ob die wesentlich größer gezeichnete Granate ein probates Mittel des Konfliktaustrags war, dürfte freilich auch innerhalb der Tuchschererzunft bezweifelt worden sein. Wie Dr. Erb dem Oberbürgermeister weiter schilderte, bezeugen zahlreiche im Stadtarchiv Amberg überlieferte Gerichtsprozesse im Bereich des Textilgewerbes, dass man sich in deren Reihen dann doch eher auf legale Mittel besann.

Kontakt:
Stadtarchiv Amberg
Paulanerplatz 17
92224 Amberg
Telefon: +49 (0)9621/10-1266 /10-1267
Fax: +49 (0)9621/10-7267
stadtarchiv@amberg.de

Quelle: Stadt Amberg, News, 1.7.2022

Österreichische Nationalbibliothek übernahm Archiv des Esperanto-Weltbundes

Die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) übernahm vor kurzem das 158 Kisten umfassende, komplette Archiv der Universala Esperanto-Asocio (UEA), eines der weltweit umfangreichsten und bedeutendsten Archive zur Sprache Esperanto und zur internationalen Esperantobewegung. Die bereits 1887 erstmals veröffentlichte, geplante Sprache Esperanto soll die weltweite Verständigung über alle kulturellen Unterschiede hinweg als Universalsprache ermöglichen.


Abb.: Foto-Geschenk an die KongressteilnehmerInnen anlässlich des Internationalen Esperantokongresses 1909 in Barcelona

Die Schenkung beinhaltet eine Fülle und Vielfalt an Exemplaren und Dokumenten sowie umfassende Manuskript-, Plakat-, Foto- und audiovisuelle Sammlungen. Damit werden umfangreiche historisch-kulturwissenschaftliche und historisch-philologische Forschungsprojekte zur Sprache Esperanto ermöglicht. Dieser reiche Schatz wird derzeit in der Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek für die Benützung erschlossen und für interessierte LeserInnen zugänglich gemacht.

Unter den Büchern befinden sich unter anderem auch Exemplare der ersten Lehrbücher für Esperanto in Arabisch (Kairo 1904), Griechisch (Samos 1907) und Kartwelisch (Tiflis 1909), die darauf verweisen, dass Esperanto ausgehend von Ost- und danach Westeuropa bereits vor dem Ersten Weltkrieg auch außerhalb der größeren europäischen Sprachgemeinschaften rezipiert wurde. Das Archiv enthält auch zahlreiche Dokumente zur Geschichte des Esperanto Weltbundes und des Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek sowie der Sammlung für Plansprachen.


Abb.: Kinderbücher in Esperanto, 20. Jahrhundert

Das 1927 gegründete Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ist weltweit eines der ältesten Sprachmuseen und eine der bedeutendsten Einrichtungen seiner Art. Das Museum, beziehungsweise die damit eng verbundene Sammlung für Plansprachen, dokumentiert rund 500 plansprachliche Projekte. Mit einem Bestand von mehr als 150.000 Objekten, darunter 75 Archive persönlicher und institutioneller Provenienz, bewahrt die Sammlung die weltweit größte Fachbibliothek für Esperanto, andere Plansprachen und Interlinguistik.

Die Universala Esperanto-Asocio mit Sitz in Rotterdam etablierte sich rasch als wichtigste Vertretung der internationalen Esperanto-Gemeinschaft. Heute hat sie Mitglieder in mehr als 100 Ländern und erfüllt verschiedene Aufgaben: von der Veröffentlichung der Zeitschrift „Revuo Esperanto“ seit 1908, zur Organisation von Konferenzen zu interlinguistischen Themen bis hin zur Veranstaltung von jährlich stattfindenden Esperanto-Weltkongressen.

Kontakt:
Österreichische Nationalbibliothek
Josefsplatz 1
Postfach 25
1015 Wien
Tel.: +43 1 534 10
Fax: +43 1 534 10-280
onb@onb.ac.at
Sammlung für Plansprachen: esperanto@onb.ac.at

Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek
Palais Mollard
Herrengasse 9
1010 Wien
Tel.: +43 1 534 10-730
esperanto@onb.ac.at

Quelle: Österreichische Nationalbibliothek, Pressemeldung, 5.7.2022

Stadtarchiv Halle (Saale) erhielt Nachlass der Malerin Hedwig Huschke

Das Stadtarchiv Halle (Saale) hat am 4.7.2022 den künstlerischen Nachlass der halleschen Malerin und Grafikerin Hedwig Huschke (1900-1987) erhalten. Ihr Neffe Georg Huschke (Neustrelitz) hat in den vergangenen Jahren insgesamt 2.310 Arbeiten aufgearbeitet und nun der Saalestadt überreicht. Die Beigeordnete für Kultur und Sport, Dr. Judith Marquardt, übernahm den Nachlass von Georg Huschke für das Archiv.

Vom 2. Mai bis zum 30. Juni 2022 war im Stadtarchiv Halle (Saale) eine gut besuchte Personalausstellung mit Werken von Hedwig Huschke zu sehen.

HEDWIG HUSCHKE „Zum Wesen der Kunst“ (ein Auszug):

… Im Herbst 1921 sah ich im Landesmuseum zu Weimar eine umfassende Ausstellung der Werke des damals neu berufenen Malers Prof. Hugo Gugg. Der tiefe Eindruck dieser Werke bestimmte mich, zu diesem Meister in die Lehre zu gehen.

Es war der Weg zur wahren Kunst, die nicht um ihrer selbst willen da ist, die nicht vom Leben losgelöst ist, sondern im Dienste des Lebens steht, ohne jedoch diese Absicht irgendwie zur Schau zu tragen, die wahre Kunst, die wie Robert Saitschick (1868-1965) sagt: „durch ihre Reinheit und Tiefe des Erlebens erschütternd, veredelnd und erhebend auf den Menschen wirkt – die das Leben sinnvoll deutet, die in die Tiefe des Daseins dringt und zu den Höhen der Erlösung führt.“

Im Mittelpunkt aller Studien und Betrachtungen dieser Jahre stand das Kunstwerk in diesem erhabenen Sinne, denn ohne ständige Beziehung auf das Wesentliche bleibt alle Arbeit ein nur Äußerliches. Des Sichtbare in der Kunst ist nur die Hülle, hinter der das Geheimnis allen Lebens waltet.

In dieser Lehre ist die Malerei nicht nur Zeichnung, Farbe, Beobachtung und Erfindung, sondern Seele. Es war nicht das Erlernen einer Technik und Manier, sondern das Ringen um das sogenannte Technische in der Kunst als dem nie auszulernenden Mittel, dem Höchsten nahe und immer näher zu kommen.

Dieses Studium umfasste alle Techniken, es war das Erlernen des Handwerks von Grunde auf. Das Kunstwerk ist nicht das Ergebnis eines mehr oder weniger bedeutenden Könnens, sondern Form, Farbe, Sinne in ihrer stärksten Ausprägung sind nur Andeutungen eines unerschöpflichen Inhalts.

Kontakt:
Stadtarchiv Halle (Saale)
Rathausstraße 1
06108 Halle (Saale)
Auskunft/Lesesaal: 0345 221-3300
Fax: 0345 221-3330

Quelle: Stadt Halle, Nachrichten, 1.7.2022; Du bist Halle, Nachrichten, 6.7.2022

Archiv und Wirtschaft 2/2022

Die aktuelle Ausgabe 2/2022 der Zeitschrift „Archiv und Wirtschaft“ der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e.V. (VdW) erscheint in Kürze. Darin widmet sich u.a. Dr. Silvia Lolli Gallowsky, die Geschäftsführerin des vor 25 Jahren gegründeten Historischen Vereins bayerischer Genossenschaften e.V. den Archivbeständen der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften Bayerns.

Der Historische Verein bayerischer Genossenschaften e.V. pflegt das Historische Archiv des Genossenschaftsverbands Bayern e.V. und dessen Firmenbibliothek. Im Archiv des Genossenschaftsverbands Bayern werden die Unterlagen des Verbands sowie seiner Vorgängerinstitutionen und fusionierter Verbände, Verbundunternehmen und Mitgliedsgenossenschaften von den Gründungszeiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart bewahrt und gepflegt. Auch einige Bestände aus externen genossenschaftlichen Archiven sind in der Obhut des Historischen Vereins in München archiviert.

Inhaltsverzeichnis „Archiv und Wirtschaft“ 2/2022

AUFSÄTZE

Silvia Lolli Gallowsky: Dokumente aus der Rechnerstube: Archivbestände der landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften Bayerns (76–83)

Marie Laperdrix and Roger Nougaret: French Banking archives – history and perspectives (84–92)

Michael Bursian: Erfahrungen mit der Anwendung von 5S in Archiven (93–100)

BERICHTE

Michael Kamp, Lars Plettenberg und Ingo Welling: Mehr als 100 Jahre Betriebsratsgeschichte bei Dräger. Ein Ausstellungsprojekt während der Corona-Pandemie (101–105)

REZENSIONEN

Irmgard Ch. Becker u. a. (Hrsg.): E-Government und digitale Archivierung. Beiträge zum 23. Archivwissenschaftlichen Kolloquium der Archivschule Marburg (Marius Luszek) (106–107)

Walter Hochreiter, Juris Salaks, Christian Helm, Tobias Ehrenbold, Christine Hatzky und Michael Rothmann: Roche in der Welt 1896–2021. Eine globale Geschichte, 3 Bde., hrsg. v. Alexander Lukas Bieri (Michael Bursian) (108–110)

Arnd Kluge: Die deutsche Porzellanindustrie bis 1914 (Matthias Weber) (110–112)

Clemens Krauss: Geldpolitik im Umbruch. Die Zentralbanken Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland in den 1970er Jahren (Ralf Ahrens) (112–113)

Stefan Wedrac: Die Brauerei Zipf im Nationalsozialismus. Ein österreichisches Brauunternehmen zwischen NS-Kriegswirtschaft, V2-Rüstungsbetrieb und KZ-Außenlager (Richard Winkler) (114–115)

Rezensionsliste (115–117)
Impressum (120)

Kontakt:
Dr. Martin Münzel
c/o F. Hoffmann-La Roche AG
Redaktion „Archiv und Wirtschaft“
Bau 52/111
CH-4070 Basel
Tel.: (0049) (0)159-06825241
martin.muenzel@wirtschaftsarchive.de
www.wirtschaftsarchive.de/publikationen/archiv-und-wirtschaft

NRW-Landesinitiative Substanzerhalt fördert Stadtarchiv Porta Westfalica

Im Jahr 2021 hat sich das Stadtarchiv Porta Westfalica um eine Förderung beim LWL-Archivamt für Westfalen beworben und für 2022 Fördermittel erhalten. Der Sachgebietsleiter der Inneren Verwaltung Porta Westfalicas, Carsten Dierks, betont: „Die Förderung durch das Land ist Unterstützung und Signal zugleich, für die Bewahrung der Vergangenheit in unseren Archiven zu sorgen. Ich bin sehr froh darüber, dass Abteilungsleiterin Susanne Sieker und Jörg Bambach sich so engagiert um unser historisches Stadtarchiv kümmern. Sie haben sehr viel in Bewegung gebracht.“


Abb.: Jörg Bambach, Restauratorin Sabrina Heumüller, Carsten Dierks und Susanne Sieker bei der Begutachtung der Akten im Stadtarchiv Porta Westfalica (Foto: Stadt Porta Westfalica)

Das LWL-Archivamt für Westfalen ist zuständig für die organisatorische Durchführung der vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 gestarteten Landesinitiative zum Substanzerhalt historischen Archivguts. Die Fachkräfte des Teams des Archivamtes beraten Archive in Entsäuerungsfragen, koordinieren die Aufträge zur Restaurierung des Archivguts und betreuen das gesamte Verfahren fachlich und organisatorisch. Gefördert werden Massenentsäuerung, Reinigung und Dekontamination, sachgerechte Verpackung und Restaurierungsmaßnahmen.

Zum Substanzerhalt des Stadtarchivs Porta Westfalica stellt Restauratorin Sabrina Heumüller fest: „Die Ortsbesichtigung im Mai 2021 hat ergeben, dass die Räumlichkeiten des Stadtarchivs der Stadt Porta Westfalica geeignet sind für die Lagerung des Archivguts. Das ist eine Voraussetzung für die Förderung. Wir planen im Zeitraum von etwa 5 Jahren ca. 800 Kartons mit Archivakten aus den Jahren 1850 bis 1970 durch Reinigung und Entsäuerung zu konservieren. Die Archivalien sind derzeit noch in einem guten Zustand, so dass die Entsäuerung nach der Reinigung problemlos möglich ist.“

Die Fördermittel können jährlich beantragt werden. Für 2022 erhält die Stadt Porta Westfalica insgesamt 1.900 Euro, die Stadt finanziert den Substanzerhalt in diesem Jahr mit 5.000 Euro, damit stehen 6.900 Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden 380 kg Akten bzw. rund 120 Aktenkartons entsäuert und neu verpackt. In der Förderung enthalten ist die Dekontaminierung, Reinigung und Neuverpackung von 5 schimmelverdächtigen Akten. Die ersten Kartons wurden am 1.6.2022 abgeholt, der Rest am 29.6.2022.

Susanne Sieker: „Wir haben mit einer wichtigen, unaufschiebbaren Arbeit begonnen. Wenn wir jetzt nicht handeln, besteht die Gefahr, dass sich die Archivakten aufzulösen beginnen durch den Säuregehalt und durch Verschmutzung.  Die fachliche und organisatorische Unterstützung aus dem LWL-Archivamt für Westfalen ist sehr umfassend, wofür ich sehr dankbar bin.“

Link: https://www.lwl-archivamt.de/de/bestandserhaltung_notfaelle/lise/

Kontakt:
Stadtarchiv Porta Westfalica
Kempstraße 1
32457 Porta Westfalica
Tel.: +49 571 791-341
stadtarchiv@portawestfalica.de

Quelle: Stadt Porta Westfalica, Pressemitteilung, 29.6.2022

Nachlass jüdischer Holocaust-Opfer fürs Stadtarchiv Regensburg

Das Stadtarchiv Regensburg wird um einen Schatz reicher. Als Schenkung erhält das Gedächtnis der Regensburger Stadtgesellschaft einen Koffer, der über sieben Jahrzehnte hinweg unbeachtet auf einem Dachboden im niederbayerischen Hauzenberg lag. Darin befinden sich persönliche Unterlagen der jüdischen Regensburger Familien Brandis und Holzinger, die während der NS-Zeit enteignet und 1942 ins jüdische Ghetto Piaski (Generalgouvernement, heute Polen) deportiert wurden. Die Familie Brandis besaß zuvor in der Regensburger Maximilianstraße ein großes Textilgeschäft.


Abb.: Im Koffer befinden sich auch Reise-Pässe und Geburtsurkunden der deportierten Familie (Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg)

Vor ihrer Deportation hinterlegten die Familien einen großen Lederkoffer mit verschiedenen Familien- und Geschäftsdokumenten offenbar bei ihrer Angestellten Fanny Hartl, die die Unterlagen für sie verwahren sollte. Zu einer Rückgabe kam es aufgrund des Todes aller deportierten Familienmitglieder aber nicht mehr.

Der Koffer mit dem geschichtlich wertvollen Inhalt überdauerte den Krieg und verblieb auf einem Dachboden in Hauzenberg, wo ihn der BR-Journalist und Autor Thomas Muggenthaler schließlich nach längerer Recherche aufspürte (siehe seinen Bericht im BR).

Mit der heutigen Eigentümerin Jutta Koller, einer Nichte Fanny Hartls, war sich Muggenthaler schnell einig, dass der Koffer samt Inhalt als einmaliges Zeugnis der jüdischen Regensburger Geschichte an das Regensburger Stadtarchiv abgegeben werden sollte, damit die Dokumente für künftige Generationen erhalten und für die Öffentlichkeit aufgearbeitet werden können. Neben Geschäftsunterlagen, Briefen, Postkarten und privaten Familienfotos befinden sich unter anderem auch zwei Schreiben von Alice Brandis an Fanny Hartl aus Piaski im Koffer. In diesen bitte sie Fanny darum, ihnen Lebensmittel, Wäsche und Zahncreme ins Ghetto zu schicken.


Abb.: Zwei Schreiben von Alice Brandis an Fanny Hartl aus dem Ghetto mit der Bitte um Lebensmittel und Dinge für den täglichen Gebrauch (Foto: Bilddokumentation Stadt Regensburg)

„Solche Unterlagen aus privater Hand, die überraschend zu uns kommen, sind für das Stadtarchiv ein echter Glücksfall. Sie ergänzen auf geradezu ideale Weise das bereits digitalisierte Archiv der jüdischen Gemeinde“, so Archivleiter Lorenz Baibl.

Nach der Befreiung des Ghettos wurde das Unfassbare bald Gewissheit. Die Familie Brandis hatte, als es noch möglich gewesen wäre, zu lange gezögert auszuwandern. Offenbar versuchte Hedi Rossmann, eine Freundin von Alice Brandis, noch 1941 die Familie in die USA zu holen. In einem Brief, der ebenfalls in diesem Koffer liegt, schreibt Hedi Rossmann 1947 an Fanny Hartl:

Nach langen Mühen war es mir gelungen, eine Bürgschaft für alle Brandis aufzutreiben – man findet nicht leicht jemand, der für sechs Personen gutsteht, dass sie dem Staat nicht zur Last fallen werden. Es war aber leider zu spät – der Krieg kam, die Verbindung war abgeschnitten. Mir war es auch eine Hoffnung gewesen, dass man vielleicht durch irgendein Wunder wenigstens von diesen lieben, so herzensguten Menschen etwas hören würde – aber nun ist so viel Zeit verstrichen, dass man wohl die Hoffnung aufgeben muss.

Auch bei den Verwandten der Familie Brandis ist die Hoffnung auf ein Wiedersehern bald geschwunden. 1947 schrieb Neffe Ernst Holzinger, der mit seinen beiden Schwestern noch emigrieren konnte, aus Tel Aviv an Fanny Hartl nach Hauzenberg:

Über die Familie Brandis haben wir leider nie mehr wieder etwas gehört und die Hoffnungen sind geschwunden, denn jeder Gerettete hat einen Weg gefunden, sich irgendwo zu melden. Es ist eine sehr traurige Angelegenheit. Lotte wäre jetzt 21 Jahre alt, was für eine Pracht von einem Mädel. Wir dürfen alle nicht daran denken.

Ernst Holzinger hat Fanny Hartl nach dem Krieg ein paarmal in Niederbayern besucht, aber den Koffer, den Jutta Koller nun dem Regensburger Stadtarchiv übergeben hat, hatte er nie mitgenommen.

Geplant ist, den Koffer samt Inhalt im Stadtarchiv Regensburg aufzubereiten und künftig in der Archivpädagogik und historischen Bildungsarbeit einzusetzen. „Mit diesen Dokumenten lassen sich persönliche Schicksale während der NS-Zeit ganz plastisch vermitteln und so auch neue Zugänge für Schülerinnen und Schüler eröffnen“.

Kontakt:
Stadtarchiv Regensburg
Runtingerhaus
Keplerstraße 1
93047 Regensburg
Telefon (0941) 507-1452
Fax (0941) 507-4458
stadtarchiv@regensburg.de

Quelle: Lorenz Baibl und Claudia Biermann: Ein Koffer voller Erinnerungen, in: regensburg 507 – das Online-Magazin aus dem Rathaus, 30.6.2022; Thomas Muggenthaler: Koffer der jüdischen Familie Brandis an Stadtarchiv übergeben, in: „Hier ist Bayern“ BR24 Newsletter, 29.6.2022 (Sendung: Regionalnachrichten aus der Oberpfalz vom 29.06.2022 – 15:00 Uhr); Stolpersteine Regensburg: Familie Brandis – Maximilianstraße 16