Britischer Wissenschaftler erforscht im Kreisarchiv Enzkreis die Ursachen der Ölbronner Amerika-Auswanderung

Insgesamt acht Tage verbrachte der britische Wissenschaftler James Boyd im Kreisarchiv des Enzkreises, um sich für seine Dissertation durch mehrere laufende Regalmeter alter Akten aus Ölbronn zu wühlen. Der 27-jährige Engländer, der an der walisischen Universität Cardiff Geschichte studierte, erforscht, warum im 18. und 19. Jahrhundert so viele Menschen aus dem Gebiet des heutigen Enzkreises nach Amerika auswanderten.

Hauptursache der Auswanderung waren die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse der Dorfbewohner. Vor der um 1850 einsetzenden Industrialisierung war es für sie schwierig, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Fast alle Menschen lebten von der Landwirtschaft. Durch das Bevölkerungswachstum und die hier vorherrschende Erbform der Realteilung, bei der alle Kinder gleichermaßen erbten, waren die Bauernhöfe und das zu bewirtschaftende Land immer weiter geteilt worden. So konnten die vielen Familien mit Klein- und Kleinstbesitz kaum mehr von der Landwirtschaft leben und mussten im Nebenerwerb Geld durch Textilarbeit dazuverdienen. „Nach den Napoleonischen Kriegen versiegte diese Einnahmequelle zusehends durch die übermächtig werdende Konkurrenz aus England“, weiß James Boyd zu berichten. Für viele Familien war dies sozusagen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte und zum Entschluss führte, ihr Glück in der „Neuen Welt“ zu suchen.

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Abb.: Wagenweise Archivalien aus Ölbronn wertete der britische Doktorand James Boyd (links) im Kreisarchiv aus. Wertvolle Unterstützung erhielt er dabei von Archivleiter Konstantin Huber (rechts) und seinen Mitarbeiterinnen (von links) Sabine Keßler und Eveline Sommer-Turkalj. (enz)

Forschungen aus Amerika haben gezeigt, dass Kleinbauern in anderen Regionen Deutschlands, die in der Textilproduktion beschäftigt waren, die größte Zahl der Auswanderer stellten. Boyds eigene Forschung konzentriert sich nun auf zwei Dörfer im Enzkreis mit besonders hohen Auswanderquoten: Ölbronn und Diefenbach. Allein für das 19. Jahrhundert listet das Ölbronner Heimatbuch 923 Namen von Auswanderern auf. 1871, als die Emigrationszahlen bereits deutlich zurück gingen, lebten gerade noch 770 Menschen in Ölbronn. Seine Ergebnisse vergleicht Boyd mit eigenen Erhebungen in anderen Teilen Württembergs und stellt diese in einen gesamtdeutschen Zusammenhang.

Die spannende Frage hierbei ist, inwieweit sich zwischen häuslicher Textilproduktion und Auswanderung Verbindungen herstellen lassen. Doch woher weiß man heute noch, welche der damaligen Kleinbauern überhaupt Textilwaren produzierten? Diese Frage zu beantworten helfen die so genannten „Inventuren und Teilungen“, die sich in (fast) jedem württembergischen Gemeindearchiv finden lassen. Es sind detaillierte Vermögensbeschreibungen, die neben Grundbesitz, Geld und Hausrat auch die Werkzeuge überliefern, welche die Bauern besaßen. Darin findet man unter anderem Webstühle, Spul- und Spinnräder, mit denen die Kleinbauern Textilwaren herstellten. Ihre Frauen und Kinder leisteten dabei wesentliche Anteile an der Arbeit.

Im Falle Ölbronns umfassen diese Inventuren und Teilungen mehrere Laufmeter an Regalen im Dürrner Rathaus. Mit Einverständnis von Bürgermeister Norbert Holme brachte Archivleiter Konstantin Huber diese Unterlagen vorübergehend ins Kreisarchiv. Dort wertete sie Boyd Blatt für Blatt akribisch aus. Huber freut sich, dass James Boyd sich dieser Kärrnerarbeit unterzog: „Ich kann für unseren Bereich bestätigen, dass die Doktorarbeit sicher plagiatfrei erstellt wird“, schmunzelt er. Inzwischen ist James Boyd wieder in seiner Heimat und stellt seine Forschungsergebnisse zusammen. Im Enzkreis ist man schon sehr gespannt auf die Ergebnisse in Druckform, was aber freilich noch einige Zeit dauern wird. Über das Entgegenkommen und die reiche Quellenüberlieferung der hiesigen Archive äußerte sich Boyd ausgesprochen positiv und schrieb dem Kreisarchiv ein großes Lob ins Gästebuch.

Kontakt:
Kreisarchiv des Enzkreises
Zähringerallee 3
75177 Pforzheim
Telefon:07231 308-9423
Telefax:07231 308-9837
Kreisarchiv@enzkreis.de

Quelle: Enzkreis, Pressemitteilung, 229 / 2011, 5.8.2011

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