Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur

Straßennamen erinnern und ehren. Aber wer darf auf´s Schild? Goethe, Schiller, Lessing – sie stehen außer Zweifel. Andere Personen lösen in etlichen Städten und Gemeinden seit vielen Jahren immer wieder heftige Kontroversen aus. Zumeist geht es um ihre Beziehung zu und ihre Rolle im Nationalsozialismus. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Westfälische Heimatbund haben die aktuellen Kontroversen zum Anlass für die Tagung "Fragwürdige Ehrungen" genommen. Rund 200 Vertreter westfälischer Städte und Gemeinden, der kommunalen Museen und Archive, der lokalen Heimatvereine, der Wissenschaft, der Schulen und anderer Bildungseinrichtungen haben am 12.7.2011 in Münster über ausgewählte "Grenzfälle" von Namensgebern, deren Leben und Wirken diskutiert.

"Die Tagung macht deutlich, nach welchen Kriterien Ehrungen in Form von Straßennamen erfolgten und wie nachfolgende Generationen mit der Zeit des Nationalsozialismus umgingen und umgehen", so LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch. "Der LWL gibt jedoch keine Empfehlungen zu einzelnen Namen und erstellt auch keine \’schwarze Liste‘. Entscheidungen über Umbenennungen müssen in den einzelnen Städten und Gemeinden von den gewählten Gremien und in enger Verbindung mit den Bürgern getroffen werden." Der LWL wolle mit seinen organisatorischen Möglichkeiten und mit den Experten aus seinen Kultureinrichtungen historisches Wissen bereitstellen und vertiefen und damit die Entscheidungen vor Ort erleichtern, so Kirsch weiter.

Etliche Personen – wie etwa die Schriftstellerin Agnes Miegel, der Heimatschützer Karl Wagenfeld, der Psychiater Hermann Simon oder der Sportfunktionär Carl Diem – wurden erst nach 1945, manche sogar erst während der 1970er Jahre auf Straßennamen geehrt. Allein Wagenfeld kommt heute in Westfalen rund 70 Mal auf Straßenschildern vor. "Neue, veränderte Sichtweisen auf den Nationalsozialismus stellen diese Straßenbenennungen in Frage. Geplante Umbenennungen werden wiederum als Eingriffe in die Erinnerung und das kollektive Gedächtnis einer Stadt kritisiert", so Dr. Matthias Frese vom LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte.

Kirsch, der auch Vorsitzender des Westfälischen Heimatbundes ist und in dieser Position in der Nachfolge von Wagenfeld steht, machte am Beispiel des Heimatschützers deutlich, wie schwierig die Einordnung von Namensgebern sein kann: "Respekt verdienen Wagenfelds Anstrengungen um die Organisation der Heimatbewegung in Westfalen ebenso wie sein ungeheurer Arbeitseifer. Doch wird man sich bei aller Würdigung seiner Originalität und seiner Leistungen von bestimmten Anschauungen und Äußerungen distanzieren müssen. Wagenfeld hat in vielen Äußerungen in Sprachformen seiner Zeit und im völkischen Zeitgeist argumentiert. An vielen Stellen hat er aber die Grenzen überschritten und eine deutliche Nähe zur nationalsozialistischen Ideologie gezeigt. Eine fundierte Analyse seiner Schriften und insbesondere seiner Vorträge ist noch zu leisten."

Hintergrund
Mit dieser geschichtspolitischen Tagung hat der LWL Anregungen und Anfragen aus den westfälischen Städten und Gemeinden aufgegriffen. Für die Tagung kooperiert das LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte mit der LWL-Literaturkommission für Westfalen und dem Westfälischen Heimatbund. Alle Einrichtungen haben ihre Spezialkenntnisse zu einigen der diskutierten Personen beigetragen und haben ihre Unterlagen der Forschung geöffnet. Der LWL verfügt mit seinen Kultureinrichtungen über ein weit gefächertes Netz an Kompetenzen auf dem Feld der Erinnerungskultur mit seinen Museen, der Denkmalpflege, dem Archivwesen, dem Medienzentrum, den wissenschaftlichen Kommissionen und dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte.

Kontakt:
LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte
Karlstr. 33
48147 Münster

Quelle: LWL, Presse-Infos | Kultur, 12.7.2011

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