Geschichte des österreichischen Lagers Glasenbach aufgearbeitet

„Das Buch über das ‘Lager Glasenbach‘ ist ein weiterer Baustein in der Aufarbeitung der Geschichte. Es schließt eine Lücke in der zeitgeschichtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit.“ Das betonte Landeshauptfrau Mag. Gabi Burgstaller heute, Dienstag, 14. Juli 2009, bei einem Informationsgespräch mit der Ersten Präsidentin des Oberösterreichischen Landtages, Angela Orthner, anlässlich der Präsentation des Buches „Camp Marcus W. Orr Glasenbach als Internierungslager nach 1945“ von Dr. Oskar Dohle und Mag. Peter Eigelsberger im Salzburger Landesarchiv. Landeshauptfrau Burgstaller formulierte ein klares Bekenntnis zur Aufarbeitung der Geschichte. Dies sei auch Antrieb des gemeinsamen Projekts des Salzburger und des Oberösterreichischen Landesarchivs gewesen. „Der zentrale Punkt ist die Öffentlichkeit und die Aufarbeitung der Geschehnisse“, so Burgstaller. Bis in die späten 1980er Jahre habe es in Österreich keine tiefgreifende öffentliche Auseinandersetzung über die Zeit des Nationalsozialismus gegeben, diese sei bedauerlicher Weise erst spät in Gang gekommen. Das sei mit ein Grund, warum Forschungsvorhaben wie etwa das vorliegende Buchprojekt erst im 21. Jahrhundert vorgelegt werden. „Es ist aber nicht zu spät, zu fragen, zu forschen und zu erinnern“, betonte Landeshauptfrau Burgstaller.

„Die Geschichte ist nicht teilbar und kann vor allem nicht verstanden werden, wenn man sie nicht als Ganzes annimmt. Die Jahre von 1938 bis 1945 stehen für einen Zeitraum, in dem unser Land schwerer geprüft wurde als jemals zuvor in seiner Geschichte. Auf den 12. März 1938 folgten Jahre des NS-Terrors und ab September 1939 des Krieges“, sagte Oberösterreichs Landtagspräsidentin Angela Orthner. „Diese Jahre stehen für die beispiellosen Verbrechen des Nationalsozialismus und für den blutigsten Krieg der Menschheitsgeschichte. Oberösterreicher waren Opfer, Oberösterreicher waren Täter, Oberösterreich war Tatort. Uns ist bewusst, dass auch Oberösterreicher Teil der NS-Verbrechensmaschinerie waren, zu Mittätern wurden und Schuld auf sich geladen haben.“ Diese Schuld nehme uns Lebenden noch heute in Haftung.

„Das Leid, das der Nationalsozialismus über dieses Land gebracht hat, lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Dennoch müssen Zahlen an dieser Stelle genannt werden, um die Dimension der Verbrechen zu verdeutlichen“, betonte Orthner. 200.000 Menschen wurden im Konzentrationslager Mauthausen und in seinen Nebenlagern gequält, mehr als die Hälfte davon ermordet. 30.000 weiteren Menschen wurde der Wert ihres Lebens abgesprochen, sie wurden in Hartheim ermordet. 40.000 Oberösterreicher fielen in Hitlers Angriffskrieg. Mehr als 3.000 am Krieg völlig unbeteiligte Zivilpersonen starben bei Bombenangriffen.

„Oberösterreich ist ein Land, das die dunkelsten Kapitel seiner Geschichte annimmt, wie sie wirklich waren. Wir bekennen uns zu unserer Verantwortung vor der Geschichte“, so Präsidentin Orthner. „Es gehört zu den vordringlichsten Aufgaben in unserem Land, das Wissen darüber zu vermitteln und das Bewusstsein für das ganze Ausmaß der geschichtlichen Last wach zu halten. Insbesondere müssen wir daran erinnern, dass hinter den Verbrechen der damaligen Zeit ein Ungeist stand; ein Ungeist, der die Verhöhnung und Zerstörung aller sichtlichen Normen vorsah, der systematisch Unmenschlichkeit nicht nur zuließ, sondern sogar förderte, ein Ungeist, der so allgegenwärtig war, wie die Diktatur totalitär. Das dürfen und wollen wir niemals vergessen.“ Landtagspräsidentin Orthner formulierte folgende Aufträge:

  • Kein schlampiger Umgang mit der Geschichte. Auch deren dunkelste Kapitel müssen in unser aller Bewusstsein bleiben, aufgeschlagen und aufgearbeitet werden.
  • Auch in einer Demokratie ist Politik Menschenwerk und damit nie fehlerlos. Dennoch darf es trotz aller Probleme und Unzulänglichkeiten keine Alternative zur Demokratie geben. Wir haben unmissverständlich zu ihr zu stehen.
  • Der politische Dialog darf nie abbrechen. Politik braucht Kultur, eine Kultur des Dialogs und eines vernünftigen Miteinanders trotz des notwendigen politischen Wettbewerbs. Politik braucht Anstand, auch in Zeiten harter politischer Auseinandersetzung.
  • Wir müssen alles tun, damit wir jene ökonomischen Fehlentwicklungen verhindern, die in den 1920er und 1930er Jahren den Aufstieg von Radikalen möglich machten. Die Massenarbeitslosigkeit dieser Zeit war ein fruchtbarer Nährboden für den Nationalsozialismus. Eine Politik, die Radikalen keine Chance geben will, darf sich daher nie mit Arbeitslosigkeit abfinden.
  • Wir dürfen nie wieder ein Regime zulassen, dessen Programm Hass, Intoleranz und Herrenmenschen-Wahn waren. Für den Nationalsozialismus zählte nur der Starke. Wir müssen dem eine Gesellschaft entgegensetzen, die alles tut, dass auch die Schwachen ihre Würde nie verlieren. Nie wieder darf zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden werden.
  • Wir müssen das Vereinte Europa weiterbauen, das dem ganzen Kontinent Frieden, Freiheit, politische Stabilität und starke Demokratie garantiert – ein Europa, in dem die Menschenrechte zum selbstverständlichen Teil der Verfassung gehören, in dem Fremdenhass und Rassismus keinen Platz haben und in dem nie mehr Menschen ihre Würde abgesprochen wird, weil sie anderen Religionen, Weltanschauungen oder Gesinnungsgemeinschaften angehören.

Das Land Oberösterreich habe in den vergangenen Jahren intensiv an der Aufarbeitung seiner jüngeren Geschichte gearbeitet und dabei auch die dunklen Kapitel der Vergangenheit nicht ausgespart, berichtete Landtagspräsidentin Orthner. So wurden durch das Landesarchiv außer dem Buch über das „Lager Glasenbach“ verschiedene Projekte durchgeführt. „Die Tatsache, dass rund zwei Jahre lang am Stadtrand von Salzburg ein Lager für tausende ehemalige Nationalsozialisten bestand, fand bislang kaum Niederschlag in der wissenschaftlichen Literatur. Von einigen wenigen Aufsätzen abgesehen, widmeten sich nur die gedruckten Erinnerungen ehemaliger Internierter von Camp Marcus W. Orr diesem Thema“, berichtete Dr. Oskar Dohle vom Landesarchiv, gemeinsam mit Mag. Peter Eigelsberger, Autor des Werkes. Selbst die genaue Situierung dieses Internierungslagers blieb in vielen Darstellungen unklar, denn entgegen einem bis heute weit verbreiteten Irrtum befand es sich nicht in Glasenbach (Gemeinde Elsbethen), sondern im Süden der Landeshauptstadt Salzburg, zwischen Alpenstraße und Salzach, im Bereich der heutigen Alpensiedlung, ungefähr zwischen Hans-Webersdorfer-Straße und Ginzkeyplatz.

In diesem Lager unter US-Verwaltung waren von Sommer 1945 bis zu seiner Übergabe an die österreichische Bundesregierung am 5. August 1947 tausende österreichische Nationalsozialisten und Sympathisanten des NS-Regimes (Höchststand im Januar 1947: 8.051) interniert. Bis Januar 1948 wurden dort auf einem Teil des Lagerareals von der US-Armee noch Nationalsozialisten, die während der NS-Zeit schwere strafrechtlich relevante Verbrechen begangen hatten, bei denen aus begründetem Verdacht noch weitere Untersuchungen liefen oder die an ausländische Gerichte ausgeliefert werden sollten, inhaftiert.

„Überlegungen, zu diesem Thema eine grundlegende Publikation zu erstellen, sind im Salzburger Landesarchiv seit Jahren vorhanden“, so Dr. Dohle weiter. Als im Oberösterreichischen Landesarchiv ein ähnliches Forschungsvorhaben bezüglich „Camp Marcus W. Orr“ begonnen wurde, entschlossen sich die beiden Landesarchive zu einem Gemeinschaftsprojekt. Die Forschungen stützten sich dabei zum Großteil auf die Schriftstücke der Landesverwaltungen von Salzburg und Oberösterreich sowie in geringerem Umfang auf Unterlagen österreichischer Bundesstellen, da fast keine schriftliche Überlieferung von US-Behörden zur Verfügung stand. Zusätzlich wurde versucht, durch Zeitzeugen-Befragungen und die Auswertung privater Aufzeichnungen Informationen über die Lebensbedingungen und den Alltag im „Lager Glasenbach“ zu erhalten. Es gelang, neben ehemaligen Lagerinsassen auch einen pensionierten österreichischen Gendarmen, der 1947 zur Bewachung des Lagers eingeteilt war, zu befragen.

Bei den Recherchen wurden in beiden Archiven hunderte Archivkartons durchgesehen, weil es einerseits zum „Camp Marcus W. Orr“ keine geschlossenen Archivbestände gibt, andererseits viele Abteilungen der Landesverwaltungen in den Jahren 1945 bis 1947 mit diesem Thema befasst waren. Diese aufwändigen Recherchen brachten zum Teil spektakuläre Funde, wie etwa einen amerikanischen Lagerplan im Maßstab 1:1.000. Er war eine vielfach unentbehrliche Unterstützung und „Erinnerungshilfe“ bei der Befragung von Zeitzeugen.

Erstmals standen den Historikern die bisher nicht zugänglichen Akten der Sicherheitsdirektion zur Verfügung. Der Schriftverkehr und die Lageberichte dieser Behörde sind für den Zeitraum ab November 1946 erhalten und lieferten viele neue Details, vor allem über die Spätphase des Lagers. In Oberösterreich brachte die Auswertung der Akten des Volksgerichtes Linz, vor dem sich „belastete“ Nationalsozialisten bis 1955 zu verantworten hatten, neue Erkenntnisse vor allem zum Umgang österreichischer Behörden mit dieser Personengruppe. Den beiden Autoren wurde erstmals aus dem Archiv des Internationalen Roten Kreuzes in Genf der schriftliche Bericht über den Besuch einer Rot-Kreuz-Delegation im „Camp Marcus W. Orr“ (Ende August bis Anfang September 1946) zur Verfügung gestellt. Diese überaus detaillierten Aufzeichnungen rundeten die Erkenntnisse zu den Lebensbedingungen im Lager ab.

Ein Schwerpunkt der Untersuchungen lag neben der Einbindung von Zeitzeugenberichten auf der Darstellung der Ernährungssituation sowie der hygienischen Bedingungen im Lager. Eingehend wurden die wöchentlichen „Hygiene-Berichte“, die „Medizinischen Wochenberichte“ sowie die Protokolle der „Compoundärztebesprechungen“ einer wissenschaftlichen Analyse unterzogen. Ein besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Lagerspital, wo prominente inhaftierte Ärzte eine medizinische Versorgung auf höchstem Niveau sicherstellten und auch erfolgreich chirurgische Eingriffe vornahmen. Die Geräteausstattung in diesem Hospital war durchaus mit jener in öffentlichen Krankenhäusern vergleichbar – in manchen Bereichen wahrscheinlich sogar besser.

Eine möglichst umfassende Untersuchung der Geschichte des Lagers Glasenbach gehört zweifellos seit Jahren zu den Desideraten der Geschichte der Nachkriegszeit in Österreich. Die Gründe für diese Lücke in der österreichischen Zeitgeschichtsforschung sind einerseits die unübersichtliche Quellenlage in den verschiedenen Archiven im In- und Ausland, andererseits setzte bei vielen ehemaligen „Glasenbachern“ erst jetzt die Bereitschaft ein, über dieses Kapitel in ihrem Leben mit Historikern zu sprechen. Die vorliegende Publikation kann daher als „Buch der letzten Chance“ bezeichnet werden, denn in vielen Fällen war es die unwiderruflich letzte Möglichkeit, mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen aus „Camp Marcus W. Orr“ Interviews zu führen. Ihre ganz persönlichen Erinnerungen stellen eine wichtige Ergänzung der vorhandenen archivalischen Quellen dar und tragen wesentlich zum Verständnis vieler Aspekte der Lebens- und Haftbedingungen bei.

Mit diesem Buch soll ein Beitrag zur Aufarbeitung dieses Kapitels der österreichischen Nachkriegsgeschichte geleistet werden. Gleichzeitig kann es Fundament und Ausgangspunkt für eine weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema bilden. Das Buch „Camp Marcus W. Orr Glasenbach als Internierungslager nach 1945“ von Oskar Dohle und Peter Eigelsberger kann zum Preis von 26 Euro beim Salzburger Landesarchiv oder beim Oberösterreichischen Landesarchiv bestellt werden.

Kontakt:
Salzburger Landesarchiv
Michael-Pacher-Str. 40
A-5020 Salzburg
Tel.: 0662 / 8042 – 4521 oder – 4527
Fax: 0662 / 8042 – 4661
landesarchiv@salzburg.gv.at

Oberösterreichisches Landesarchiv
Anzengruberstraße 19
4020 Linz,
Tel.: +43 732 / 7720 – 146 01
Fax: +43 732 / 7720 – 146 19
landesarchiv@ooe.gv.at

Quelle: Salzburger Landeskorrespondenz, 14.7.2009

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