Beidseitig dicht illustriert, detailreich und farbenfroh sind die rund acht Meter Pergament der „Jenaer Bilderrolle“. Dennoch ist diese mittelalterliche Handschrift aus dem Bestand der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) in Jena bislang ein gänzlich „unbeschriebenes“ Blatt. Denn fast niemand kennt sie. Öffentlich noch nie zu sehen und kaum dokumentiert, hat von der illustrierten Weltchronik aus dem 15. Jahrhundert auch die Fachwelt bisher kaum Notiz genommen. Jetzt haben Wissenschaftler der ThULB die Jenaer Bilderrolle aus ihrem mehr als fünf Jahrhunderte dauernden Dornröschenschlaf geweckt. In einem gerade veröffentlichten Katalog wird die Pergamentrolle erstmals wissenschaftlich beschrieben und gleichzeitig auch zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert: Die Jenaer Bilderrolle bildet das Herzstück der Ausstellung „Entdeckungen! Mittelalterliche Handschriften der ThULB – neu erforscht“, die am 6. Juli 2009 um 16.15 Uhr im Vortragsraum der ThULB (Bibliotheksplatz 2) eröffnet wird.
\“Die Jenaer Bilderrolle gibt uns nach wie vor viele Rätsel auf“, bekennt Dr. Joachim Ott. Der Leiter der Abteilung Handschriften und Sondersammlungen der ThULB hat gemeinsam mit Kollegen die Bilderchronik im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts untersucht. „Wir wissen nicht, wo sie entstanden ist oder wer sie benutzte. Es ist außerdem völlig unklar, wann und woher sie in die Jenaer Bibliothek gelangte.“ Bis Mitte des 20. Jahrhunderts trug die Pergamentrolle keinerlei Signatur und taucht – außer in einer Fußnote Ende des 19. Jahrhunderts – in der wissenschaftlichen Literatur nirgends auf.
Als einzige Quelle muss den Forschern bis auf weiteres die Handschrift selbst dienen. „Man erkennt, dass sie ursprünglich aus elf großformatigen, zu einer Rolle zusammengeklebten Pergamentstücken bestand, die irgendwann in vier Teile zerschnitten wurden“, so Dr. Ott. Stilistisch weisen die Zeichnungen Ähnlichkeiten mit Bilderchroniken dieser Zeit aus dem süddeutschen Raum auf. Im Gegensatz zu vielen anderen Buchrollen ist das Jenaer Exemplar allerdings beidseitig bemalt. Mit gekonntem Federstrich wurden nicht weniger als 370 Einzelzeichnungen auf das fast acht Meter lange und bis zu 70 cm breite Pergament gebracht. Die von ein und derselben Hand ausgeführten Zeichnungen erzählen detailreich und lebhaft die Genealogie Christi: angefangen von Adam schließt sich die Reihe der Päpste bis Urban V. (†1370) an. Daneben sind Personen, Szenen und Ereignisse der christlichen Glaubensgeschichte wie der weltlichen Historie zu finden.
Neben der Jenaer Bilderrolle präsentiert die aktuelle Ausstellung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek auch weitere Entdeckungen aus dem Handschriftenbestand der ThULB. So z. B. eine um 1300 vermutlich in Süditalien entstandene Handschrift, die weltweit einmalig sein dürfte: Es handelt sich um die wahrscheinlich früheste und einzige erhaltene mittelalterliche Handschrift, in der ein Text zur Leidensgeschichte der heiligen Katharina von Alexandrien mit einer Bilderzählung kombiniert ist. Die Handschrift gelangte kurz nach 1883 mit der Bibliothek und dem Nachlass Wolfgang Maximilians von Goethe, eines Enkels des Dichterfürsten, an die Jenaer Universitätsbibliothek. Auch die älteste Handschrift der ThULB – ein kostbar geschmücktes Evangeliar aus dem späteren 9.Jahrhundert – wird in der aktuellen Ausstellung gezeigt.
Die Ausstellung ist bis zum 27. August 2009 im Zimelienraum der ThULB zu sehen und jeweils dienstags von 10 bis 12 Uhr und donnerstags von 16 bis 18 Uhr geöffnet. Um Voranmeldung wird gebeten. Gruppenführungen sind ebenfalls nach vorheriger telefonischer Anmeldung auch zu anderen Zeiten möglich.
Kontakt:
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB)
Bibliotheksplatz 2
07743 Jena
Tel.: 03641 / 940 – 100
thulb_direktion@thulb.uni-jena.de
Quelle: Pressemitteilung Uni Jena, 3.7.2009