Der orientalische Nachlass Friedrich Rückerts

Friedrich Rückert (1788-1866), Dichter der von Gustav Mahler 1911 in einer kleinen Auswahl vertonten \“Kindertodtenlieder\“, setzte sich als Gelehrter und Übersetzer mit über 40 Sprachen auseinander. Mit den Resultaten dieses Wirkens hinterließ er der Nachwelt einen wahren \“Thesaurus der Weltliteratur in deutscher Sprache\“ (Herman Kreyenborg). Rückerts vornehmliches Interesse als Philologe und Übersetzer galt der Dichtung in den klassischen orientalischen Literatursprachen: Indisch, Arabisch und Persisch. Bei größtmöglicher Textnähe gelang es ihm, die Originale in Klang und Metaphorik sprachschöpferisch dem Deutschen anzuverwandeln. Damit prägt Rückert die Vermittlung und Rezeption orientalischer Literatur in Deutschland, zum Beispiel durch seine Koranübersetzung, bis heute.

Trotz zahlreicher Editionen ist Rückerts übersetzerisches Werk aus diesen Sprachen noch längst nicht vollständig publiziert. Seinem wissenschaftlichen und dichterischen Nachlass kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Einen Großteil des orientalistischen Nachlasses beherbergt seit 1922 die Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Daneben befindet sich ein weiterer Teil des Rückert-Nachlasses im Stadtarchiv Schweinfurt. Dieser Bestand ist soeben als Mikrofiche Edition mit PDF-Downloadservice im Harald Fischer Verlag publiziert worden.

Die Rückertschen Orientalia der ULB Münster wurden im Rahmen eines von 2002 bis 2005 geförderten DFG-Projekts in indologisch-islamwissenschaftlicher Arbeitsteilung von Volker M. Tschannerl und Anke Osigus vollständig identifiziert und nach heute gültigen bibliothekarischen und fachspezifischen Kriterien katalogisiert und beschrieben. Der Katalog bietet ein ausführliches Verzeichnis des im engeren Sinne orientalistischen Bestandes mit Rückerts Arbeiten zur äthiopischen, arabischen, türkischen, hebräischen und persischen Sprache und Literatur. Das im Zuge der Erschließung ausdifferenzierte und neu geordnete Material umfasst 109 Dokumente, darunter 102 Autographen, mit rund 6 350 beschriebenen Seiten, die eine ununterbrochene Forschertätigkeit von mehr als 40 Jahren reflektieren. Mannigfaltige Sprachstudien und Vorlesungs-Manuskripte, Vorarbeiten zu Rezensionen und kongeniale poetische Übertragungen belegen Rückerts enormen Fleiß und stupende Gelehrsamkeit.

Besonderes Gewicht wurde auf eine detaillierte Erfassung des arabistischen Bestandes gelegt. Er repräsentiert mit 64 Dokumenten nicht nur den umfangreichsten Teil des Nachlasses, sondern enthält auch die weitaus meisten Übersetzungsarbeiten, die editionswürdig, aber zum erheblichen Teil noch unpubliziert sind. Dieser Tatsache trägt die Bearbeiterin mit ihrer akribischen Bestandsaufnahme Rechnung: Jede einzelne Gedicht-Übersetzung wird mit Nennung des Incipits, des Autors, der verwendeten Quelle, möglicher Dubletten und Veröffentlichungen verzeichnet. Um einen ersten Eindruck zu vermitteln, welche Schätze eine Edition der unpublizierten Texte zu Tage fördern könnte, ist der Beschreibung arabischer Übersetzungs-Manuskripte eine vollständige, in der Regel unbekannte Übersetzung eines Gedichts, seltener eines Prosastücks beigefügt. Eine ausführliche Bibliographie schließt den Band ab.

Friedrich Rückert hat sich seit Beginn seiner Sanskritstudien in den 1820er Jahren bis zu seinem Tod intensiv und kontinuierlich mit den Gegenständen altindischer Sprache und Dichtung auseinandergesetzt. Im Unterschied zu seinen akademischen Mitstreitern übersetzte er die ihm vorliegenden Originaltexte nicht in das damals übliche Lateinische, sondern entschied sich für eine konsequente Übertragung in die ihm eigene deutsche Volkssprache. Eigenwillig, aber immer im Austausch mit den maßgeblichen Philologen seiner Zeit, wagte er sich mit scharfem analytischem Verstand und außergewöhnlich dichterischer Begabung an die Übertragungen ihm fremder Literaturdenkmäler aus ferner Zeit, um sie der westlichen Welt anzueignen.

Einmaliges Zeugnis dieser über vier Jahrzehnte währenden philologischen und dichterischen Auseinandersetzung mit der altindischen Literatur und Gedankenwelt sind die etwa 9 000 Blätter Rückerts, die die Universitäts- und Landesbibliothek Münster seit 1922 beheimatet. Volker M. Tschannerl skizziert im Katalog einleitend den Forschungsstand zum Münsteraner Indica-Bestand und gibt anschließend eine genaue Beschreibung der Münsteraner Indica. Insbesondere richtete der Bearbeiter den Blick auf die bisher gänzlich unveröffentlichten und die – allerdings wenigen – fehlerhaft edierten Übertragungen Rückerts aus dem Münsteraner Nachlass und die dem Philologen und Dichter dafür zugänglichen Quellen beziehungsweise die von ihm herangezogene Sekundärliteratur. Den Abschluss des Bandes bilden eine ausführliche Bibliographie der Indica Friedrich Rückerts und der Sekundärliteratur bis zum Jahr 2007 und ein kurzer Ausblick auf wünschenswerte zukünftige Editionen ausgewählter Indica aus dem Münsteraner Nachlass in der Schweinfurter Historisch-Kritischen Edition der Werke Rückerts.

Info
Der orientalistische Nachlaß Friedrich Rückerts in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Katalog der Äthiopica, Arabica, Turcica, Hebraica und Persica. Bearbeitet von Anke Osigus. Harald Fischer Verlag, Erlangen, Januar 2009. ISBN 978-3-89131-514-9, 469 Seiten, Leinen, Fadenheftung, EUR 98,-

Der orientalistische Nachlaß Friedrich Rückerts in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster. Katalog der Indica. Bearbeitet von Volker M. Tschannerl. Harald Fischer Verlag, Erlangen, Januar 2009. ISBN 978-3-89131-515-6, 129 Seiten, Leinen, Fadenheftung, EUR 78,-

Kontakt
ULB Münster
Krummer Timpen 3-5
48143 Münster
Tel.: 0251 / 83 – 24040
Fax: 0251 / 83 – 28398 
info.ulb@uni-muenster.de 

Stadtarchiv und Stadtbibliothek Schweinfurt
Martin-Luther-Platz 20 
97421 Schweinfurt 
Tel.: 09721 / 51383 
Fax: 09721 / 51728 
stadtarchiv@schweinfurt.de 

Quelle: Pressemitteilung Westfälische Wilhelms-Universität Münster, 4.12.2008

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.