Die seit 1992 bestehenden rechtlichen Beziehungen zwischen dem Kempowski Archiv Rostock e.V., der Kempowski-Stiftung „Haus Kreienhoop“, der Akademie der Künste in Berlin und der Hansestadt Rostock wurden jetzt neu geregelt. Rostocks Oberbürgermeister Roland Methling unterzeichnete jetzt eine entsprechende Vereinbarung. Ab sofort sind die Bestände des Rostocker Kempowski Archivs nicht mehr Eigentum seiner Nachkommen, sondern gehören jetzt der am 11. Oktober 2005 gegründeten Kempowski Stiftung "Haus Kreienhoop". Haus Kreienhoop, Anfang der 1970er Jahre nach den Vorstellungen von Walter Kempowski gebaut, liegt am Rand des Dorfes Nartum nordöstlich von Bremen inmitten von Feldern und Wiesen, am Horizont Birken, dahinter beginnt das Stellingsmoor. Hier lebte und arbeitete Walter Kempowski bis zu seinem Tode im Jahre 2007. Durch die neue Vereinbarung wird nun eine langfristige Absicherung des Archivs durch die Hansestadt Rostock und das Kempowski Archiv sichergestellt.
Walter Kempowski war ein Archivar aus Leidenschaft. Im Zusammenhang mit seinem schriftstellerischen Schaffen entstand eine Sammlung, die eine einmalige Dokumentation des Schreibprozesses einerseits und von Geschichte und Geschichten andererseits ist. Bereits 1992 hat er einen Teil seines Archivs nach Rostock gebracht. Darunter befinden sich zum Beispiel Entwürfe zu den Romanen, Anschauungstafeln zur Werkstruktur, durchschossene Exemplare mit Kempowskis Arbeitseintragungen und verschiedene Ausgaben aus dem In- und Ausland. Ferner besitzt das Archiv zahlreiche Gegenstände, die in den Romanen erwähnt werden: Das von Walter Kempowski gebastelte Modell des Frachters \“Konsul\“, die Bibliothek und das Spielzeug seiner Kindheit, Zigarrenkisten von \“Loeser und Wolff\“, eine Zellentür aus dem Rostocker Untersuchungsgefängnis, hinter der die Mutter gefangen gehalten wurde usw. Die Stadt Rostock verfügt damit über eine einmalige Sammlung, die Literaturfreunde und Geschichtsinteressierte gleichermaßen anspricht.
Der Seminarraum des Archivs ist im obersten Geschoss eingerichtet. Hier gibt es die Möglichkeit, Besuchergruppen in kleinerem Umfang zu empfangen und interessierte Besucher können nach Absprache Einsicht in die Archivalien nehmen.
Hier oben ist auch das Herzstück des Archivs untergebracht. Die grün eingebunden Bände beinhalten jene umfangreiche Materialsammlung, die Walter Kempowski besonders für die Rostocker Teile seiner Romane zusammengetragen hat. Die Lebenserinnerungen der Mutter, des Bruders, der Schwester, von Freunden und Bekannten aber auch von Fremden, die zur gleichen Zeit wie die Kempowskis in Rostock lebten, sind hier vereinigt. Walter Kempowski hat bereits Ende der 1950er Jahre mit dem begonnen, was man später \“Oral History\“ nennen wird. So bat er zum Beispiel seine Mutter, unter bestimmten Gesichtspunkten aus ihrem Leben zu erzählen. Kopien der Tonbänder dieses Interviews befinden sich ebenfalls im Archiv. Das Prinzip Zeitzeugen in das eigene Werk zu integrieren, durchzieht die Bücher Kempowskis. Besonders in den drei Materialienbänden der \“Deutschen Chronik\“ sind fremde Stimmen vereint. Die höchste Ausprägung erfährt dieses Prinzip jedoch im vielbändigen \“Echolot\“, dem kollektiven Tagebuch des Zweiten Weltkriegs.
Im Kempowski Archiv findet auch seit dem 24. Juni 2008 die Sonderausstellung "Walter Kempowski. Quellen zur Deutschen Chronik" statt. In dem literarischen Werk von Walter Kempowski nimmt \“Die Deutsche Chronik\“ einen zentralen Platz ein. In insgesamt sechs Romanen und drei Materialsammlungen hält der Sohn eines Rostocker Reeders und Schiffmaklers das Leben seiner Familie vom 19. bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein fest. Sie sind ein schriftstellerisches Zeugnis für das sich verändernde bürgerliche Leben in einer norddeutschen Hansestadt. Am Anfang und im Zentrum dieses Romanzyklus’ steht eine umfangreiche Materialsammlung (Briefe, Urkunden und Alltagsbelege), welche die Geschichte der Familie dokumentiert. In der Ausstellung zeigt das Kempowski Archiv Rostock die ausdrucksstärksten Dokumente dieser Sammlung: Feldpostbriefe des Vaters (1916), erhaltene Packzettel für Lebensmittelsendungen in das Gefängnis Bautzen, Walter Kempowskis Mitarbeiterkarte für die amerikanische Military Labour Company (1948) und zahlreiche weitere, bisher unveröffentlichte Detailbelege der Familiengeschichte. Die Ausstellung kann noch bis zum 24. August 2008 dienstags bis sonntags von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr und donnerstags von 9.30 Uhr – 12.00 Uhr besichtigt werden. Sonderführungen gibt es jeden Mittwoch um 17.00 Uhr.
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Klosterhof Haus 3
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Quelle: MVticker, 30.7.2008; Kempowski Archiv; Aktuelles Kempowski Archiv