Als „wichtigen Baustein auf dem Weg zukunftsgerichteter Versöhnungsarbeit“ bezeichnete Karl Kardinal Lehmann die wissenschaftliche Dokumentation „Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939-1945“, die am 8.4.2008 in Mainz vorgestellt wurde. Der 703-seitige Band dokumentiert das Schicksal von fast 6.000 Zwangsarbeitern, die während des Zweiten Weltkrieges zum Arbeitseinsatz in katholischen Einrichtungen verpflichtet waren. Neben einer historischen Einführung, einer Datendokumentation und Berichten aus den 27 Bistümern werden die Arbeit des Entschädigungsfonds der katholischen Kirche in Deutschland und die kirchlichen Versöhnungsinitiativen dargestellt.
Mit der Publikation werde ein „vergessenes Kapitel kirchlicher Zeitgeschichte wissenschaftlich aufgearbeitet“, die Erinnerung an „das Schicksal und die Leiden der aus ganz Europa zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppten Männer, Frauen, Jugendlichen und Kinder“. Zwischen 1939 und 1945 arbeiteten nachweislich insgesamt 4.829 Zivilarbeiter und 1.075 Kriegsgefangene in insgesamt 776 katholischen Einrichtungen, u. a. in Krankenhäusern, Heimen, auf Klosterhöfen und Pfarrökonomien. Die hauptsächlich aus Polen, der Ukraine und der Sowjetunion stammenden Zwangsarbeiter waren überwiegend in Land- und Forstwirtschaft sowie in der Haus- und Garten- bzw. Friedhofsarbeit tätig.
Gemessen an der Gesamtzahl von geschätzten 13 Millionen Zwangsarbeitern erreiche die vergleichsweise geringe Zahl nachgewiesener Arbeitskräfte in katholischen Einrichtungen nicht einmal die Promillegrenze. „Und dennoch bleiben sie eine historische Last, die unsere Kirche auch für die Zukunft herausfordert“, so der ehemalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Bis zum Abschluss der aktiven Suche nach ehemaligen Zwangsarbeitern am 31.12.2004 wurden 587 Fremdarbeiter mit insgesamt 1,5 Millionen Euro entschädigt. Aus dem Versöhnungsfonds wurden 206 Projekte mit 2,71 Millionen Euro gefördert. Die „Resultate der zeitgeschichtlichen Forschungen über den Fremdarbeiter-Einsatz bewahren uns davor, unter eine erfolgreiche Entschädigungs- und Versöhnungsarbeit einen geschichtlichen Schlussstrich zu ziehen“, so Lehmann.
Kardinal Lehmann erinnerte an die Versöhnungsarbeit der vor 60 Jahren gegründeten Pax-Christi-Bewegung, des Maximilian-Kolbe-Werks und der Aktion Sühnezeichen und wies auf die im letzten Jahr errichtete Maximilian-Kolbe-Stiftung für Wege der Versöhnung aus der Kraft der Erinnerung.
Unter dem Titel „Kooperativer Antagonismus“ skizzierte der Direktor der Kommission für Zeitgeschichte e.V., Dr. Karl-Joseph Hummel (Bonn), die Strategie der katholischen Kirche in der nationalsozialistischen Kriegsgesellschaft und stellte die Folgen der Suche nach Zwangsarbeitern für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung dar. Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in der katholischen Kirche sei nicht „flächendeckend“, ja nicht einmal die Regel gewesen, so Hummel. Die Verfolgung der katholischen Kirche habe auch in den Kriegsjahren zugenommen, einen Burgfrieden habe es nicht gegeben. Zwischen 1940 und 1942 ließ Heinrich Himmler mehr als 300 Klöster und katholische Einrichtungen entschädigungslos enteignen, weit über 10.000 Ordensleute wurden aus ihren Häusern ausgewiesen („Klostersturm“). 1943 waren mehr als 3.400 kirchliche und klösterliche Einrichtungen kriegsbedingt in Anspruch genommen. Die Kirche ihrerseits war mit der NS-Kriegsgesellschaft in vielfacher Weise verschränkt und hielt doch weltanschaulich einen klaren, christlich verwurzelten Abstand. Diese Gemengelage der Kriegsjahre beschreibe der Begriff „kooperativer Antagonismus“ besser als die einfache Alternative Kollaboration oder Widerstand. Die endgültige Auseinandersetzung mit der Kirche habe Hitler auf die Zeit nach dem „Endsieg“ vertagt.
Der stellvertretende Vorsitzende der Bundeskonferenz der kirchlichen Archive in Deutschland, Dr. Thomas Scharf-Wrede (Hildesheim), schilderte den Einsatz der Bistumsarchive bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Einsatzes von Zwangsarbeitern in Einrichtungen der katholischen Kirche. Dabei habe sich die Quellenrecherche von Hirtenworten und Amtsblättern über die Korrespondenzen der Bistumsleitungen, Visitationsberichte und Chroniken bis hin zu Protokollen, Zeitungsartikeln, Lohnbüchern und Zahlungsbelegen erstreckt. Die Bistumsarchive hätten dabei gezeigt, dass sie „Gedächtnis der Bistümer“ seien, so Scharf-Wrede.
Links:
- Inhaltsverzeichnis und Vorwort der Dokumentation
- Statement Karl Kardinal Lehmann
- Statement Dr. Karl-Joseph Hummel
- Statement Dr. Thomas Scharf-Wrede
- Daten
Info:
Zwangsarbeit und katholische Kirche 1939-1945, Geschichte und Erinnerung, Entschädigung und Versöhnung. Eine Dokumentation (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 110), hrsg. im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz von Karl-Joseph Hummel und Christoph Kösters, Paderborn, München, Wien, Zürich 2008, 703 S. (ISBN 978-3-506-75689-3), 48 EURO (Verlagsinformation).
Quelle: Deutsche Bischofskonferenz, Pressemitteilung 018, 8.4.2008