Hertha BSC Berlin öffnet ein bisher unbekanntes Kapitel seiner Geschichte. Welche Rolle der Verein, einer der ältesten Clubs der Liga, im Dritten Reich spielte, hat der Berliner Historiker Professor Dr. Daniel Koerfer von der Freien Universität erforscht. Sein Fazit: "Hertha BSC war kein nationalsozialistisch infizierter Verein.\“
Die große Mehrheit der Spieler sei der NSDAP ferngeblieben, auch die meisten der rund 400 Mitglieder des Vereins hätten nicht mit den Nazis sympathisiert, schreibt Koerfer, ein gebürtiger Schweizer. Die Vereinsführer hingegen waren oder wurden Parteimitglieder.
Entscheidend für den Verein war in dieser Zeit seine Verwurzelung im Berliner Arbeiterbezirk Wedding. Hier stimmten 1932 noch drei Viertel der Wähler für KPD und SPD. Über 30 Jahre bis zu Hitlers Machtergreifung führte ein Sozialdemokrat und Gewerkschafter die Vereinsgeschäfte und arbeitete selbst unter den Nazis an verantwortlicher Stelle bei Hertha. Im Mittelpunkt standen Fussball und Kegeln, der Zusammenhalt untereinander war eng, zu fast allen der 300 Herthaner an den Fronten hielt der Verein im Krieg weiter Kontakt. Koerfer: \“Hertha BSC war der Verein der kleinen Leute\“.
Hertha-Präsident Bernd Schiphorst, der die Studie in Auftrag gegeben hatte, sagte bei der Vorstellung: \“Viele Fans nennen uns heute in einem Atemzug mit dem Olympiastadion, weil wir dort seit Beginn der Bundesliga 1963 unsere neue Heimat gefunden haben. Aber unsere Wiege stand an der ‚Plumpe’ im Wedding, und das hat Hertha möglicherweise vor mancher Einvernahme durch die Nazis bewahrt.\“
Ohne braune Flecken sei die blau-weiße Vereinsweste jedoch nicht, hieß es am 5.12.2007 bei der Vorstellung der Studie. Der Verein stellte sich früh in den Propagandadienst des Regimes. Die Bewunderung für den \“Führer\“ Adolf Hitler (nicht für die NSDAP) wuchs mit seinen wirtschaftlichen und außenpolitischen Erfolgen und führte zu Glückwunsch- und Ergebenheitsadressen. Auch um eine bedrohliche Schieflage der Vereinsfinanzen Mitte der 30er Jahre zu beheben, wurde mit den Machthabern kooperiert. Ein besonders tragisches Schicksal erlitt der jüdische Mannschaftsarzt von Hertha BSC; er wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Der bekannteste Herthaner der aller Zeiten, der Nationalspieler Hanne Sobek, der 1930 und 1931 mit Hertha Deutscher Meister wurde, trat zwar 1940 der NSDAP bei, hielt aber vor- und nachher Distanz zu den Nazis. \“Als im Zuge der immer weiter verschärften antisemitischen Ausgrenzungspolitik die Tribünen für jüdische Vereinsmitglieder gesperrt werden sollen, protestiert Sobek dagegen. Er hat auch weiter Kontakt zu jüdischen Vereinsmitgliedern\“, schreibt der Historiker Koerfer.
Insgesamt unterschied sich, resümiert Koerfer, das Verhalten des Vereins nicht wesentlich vom Verhalten der meisten Deutschen im Dritten Reich: Anpassungsbereitschaft war auch hier verbreitet. \“Es gab keinen Widerstand gegen das Regime, aber auch keinen tief verankerten, fanatischen Enthusiasmus für die Partei und ihre Führung, von der Bewunderung für Hitler bis weit in den 2. Weltkrieg hinein einmal abgesehen. Es gab auch keinen ausgeprägten Antisemitismus – aber eben auch keine Versuche, sich wirklich dem staatlich verordneten Rassenwahn entgegenzustemmen. Führerprinzip und Fußballsport – das war im Dritten Reich kein Gegensatz\“, so der Historiker.
Link: Die komplette Studie zum Download (pdf)
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Quelle: Hertha BSC, Pressemitteilung, 5.12.2007