Der Mülheimer Pfarrer i.R. Gerhard Bennertz (69) kam Anfang der 1970er Jahre als junger Lehrer in die Stadt am Fluss. In über dreißig Jahren hat der evangelische Theologe in unzähligen Zeitzeugengesprächen die Lebensgeschichten von rund 600 jüdischen Mitbürgern recherchiert. Allein über dreißig Mal reiste er nach Israel, um von dorthin emigrierten jüdischen Mitbürgern möglichst viel über die Mülheimer Ereignisse vor und nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 zu erfahren. Bennertz\‘ Veröffentlichungen gaben jenen Mülheimern ein Gesicht, die nach 1933 wegen ihres Glaubens verfolgt und ermordet wurden oder ihre Heimatstadt verlassen mussten.
Als die Mülheimer Historikerin Barbara Kaufhold für das Salomon Ludwig Steinheim-Institut in den Jahren 2004 und 2006 zwei Bücher über jüdisches Leben in Mülheim und über Glauben im Nationalsozialismus publizierte, hatte auch sie sich auf die umfangreiche Materialsammlung von Gerhard Bennertz stützen können. Jetzt übergab Bennertz seine Sammlung, die aus zahlreiche Aktenordnern und Zettelkästen mit Zeitzeugenberichten, Briefen, Reden und Fotos besteht, an das Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr.
Stadtarchivar Jens Roepstorff empfindet den Neuzugang als eine enorme Bereicherung und als eine bedeutsame Quelle von Wissen für das Archiv. Roepstorff und seine Kollegin Eva Kniese gehen davon aus, dass die Sammlung Bennertz nach ihrer vollständigen Ordnung und Verzeichnung spätestens gegen Ende des Jahres 2007 für die interessierte Öffentlichkeit vollständig nutzbar sein wird.
Info:
Barbara Kaufhold: \“Jüdisches Leben in Mülheim an der Ruhr". Hg. v. Salomon Ludwig Steinheim-Institut für deutsch-jüdische Geschichte, Duisburg. Mit einem Beitrag von Gerhard Bennertz. Essen, Klartext-Verlag 2004. 350 Seiten, geb., zahlreiche Abb., aktualisierte Namensliste:
Seit fast 500 Jahren leben Juden in Mülheim an der Ruhr, als geduldete Minderheit, als freie oder ihrer Rechte beraubte Bürger. Dieses Buch führt durch die Jahrhunderte – von den ersten Ansiedlungen bis zur Emanzipation und der Blüte der Gemeinde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In der Moderne bis 1945 interessieren besonders Themen wie: Bauliche Spuren heute; Diskriminierung und Verfolgung; Persönlichkeiten; Zeitzeugen hier und in aller Welt. Ein packender Überblick mit zahlreichen Dokumenten und Abbildungen sowie einer erweiterten Namensliste.
Barbara Kaufhold: Glauben unter dem Nationalsozialismus in Mülheim an der Ruhr, hrsg. vom Salomon Ludwig Steinheim-Institut. Essen: Klartext Verlag 2006. ISBN 3-89861-626-6. 384 Seiten. 19.90 Euro:
Nach der Reformation evangelisch geprägt, entwickelte sich in Mülheim ein reges religiöses Leben, bereichert durch eine jüdische Gemeinde und ungewöhnlich zahlreiche Freikirchen und freie Werke. Nach der Machtübernahme 1933 begann der NS-Staat massiven Druck auf die Kirchen auszuüben. Christen jüdischer Herkunft wurden durch die Nürnberger Gesetze zu Juden erklärt; die Kirchen sollten von allem \“Jüdischen befreit\“ werden. In den evangelischen Mülheimer Gemeinden entbrannte ein erbittert geführter Kirchenkampf: NS-konforme Deutsche Christen kämpften gegen Vertreter der Bekennenden Kirche. Selbst nach dem Krieg nahm der Kirchenkampf in Mülheim kein Ende. Zeitzeugenberichte und Dokumente bereichern die bewegende Darstellung der evangelischen Kirche unter dem Nationalsozialismus. Der Band beschreibt auch die Situation der übrigen religiösen Gemeinschaften von den Zeugen Jehovas bis zur katholischen Kirche unter dem Nationalsozialismus.
Aktueller Vortrag:
Mittwoch, 28. Februar 2007, 19.00 Uhr, Kunstmuseum Alte Post, Mülheim/Ruhr, Foyer, Eintritt frei
Vortrag mit Lichtbildern von Dr. Barbara Kaufhold: \“Herausforderung der Christen in Mülheim durch die nationalsozialistischen Machthaber\“
Kontakt:
Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr
Aktienstr. 85
D-45473 Mülheim an der Ruhr
Telefon: 0208-455-4260
Telefax: 0208-455-4279
stadtarchiv@stadt-mh.de
Quelle: Thomas Emons, NRZ, 5.2.2007