Die von 1535 bis 1771 bestehende katholische Markgrafschaft Baden-Baden stand als "Verlierer der Geschichte" lange Zeit im Schatten ihres erfolgreicheren evangelischen Nachbarn Baden-Durlach. Ging es doch den Landeshistorikern des 19. Jahrhunderts hauptsächlich darum, einen scheinbar ununterbrochenen ruhmreichen Aufstieg von Dynastie und Staat vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu konstruieren und zu legitimieren: Die fast 250 Jahre andauernde Teilung Badens konnte dabei als ein zu vernachlässigender Betriebsunfall der badischen Geschichte abgebucht werden. Schien das generative Versagen der katholischen Linie nicht gleichsam der gerechte historische Lohn für die aufklärerischen Reformen des Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach zu sein? In seiner Hand wurden die beiden Markgrafschaften 1771 wiedervereinigt und schwangen sich 1803/06 im Rahmen der napoleonischen Flurbereinigung als vierfach vergrößertes Großherzogtum Baden zum deutschen Mittelstaat empor – eine echte Erfolgsgeschichte. Der gerade in Baden zwischen liberalem Staat und katholischer Kirche bitter geführte Kulturkampf, in dem stellenweise durchaus an die konfessionellen Polemiken der Vergangenheit anknüpft wurde, hat eine vorurteilsfreie Bewertung der spezifisch katholischen Geschichte des Landes zusätzlich erschwert.
Eine gewisse Ausnahmestellung wurde bei dieser "Siegergeschichte" höchstens dem Markgrafen Ludwig Wilhelm, dem Türkenlouis, als glorreichen Streiter für das christliche Abendland und Verteidiger Deutschlands gegen den französischen Erbfeind zugestanden. Und es ist wohl kein Zufall, dass sich das katholische Baden zumindest bei den Kunsthistorikern des Barock einer gewissen Gunst erfreute, standen hier doch die Schloss- und Kirchenbauten in Rastatt und Umgebung, Baden-Baden und Ettlingen nebst musealen Kunstgegenständen aller Art als Anschauungsobjekte einer vermeintlich glänzenden Vergangenheit bereit. Bei der Suche der jüngsten Zeit nach großen Frauen, die Geschichte machten, kam schließlich verstärkt Franziska Sibylla Augusta ins Blickfeld. Sie versuchte, den Landesausbau ihres Mannes fortzuführen. Während das große Residenzschloss in Rastatt stets mit den maßlosen Ambitionen des Türkenlouis verbunden bleibt, sind das kleine Lustschloss Favorite und die Schlosskirche in Rastatt diejenigen Orte, die wohl am meisten von ihrer Person geprägt wurden. Ihre besondere Form der barocken Religiosität mag heutige Menschen möglicherweise irritieren. Dass es trotz des fehlenden männlichen Erbens gerade unter dem letzten Markgrafen August Georg in den 10 Jahren vor 1771 noch ernsthafte Versuche gab, das nur 35 Quadratmeilen große Land mit seinen 73.000 Einwohnern durch moderne Reformen voranzubringen, um wieder Anschluss an die allgemeine Entwicklung zu erlangen, wird leicht übersehen.
Das Ende der katholischen Linie des Hauses Baden und ihres Staates war also keine wie auch immer geartete historische Notwendigkeit, sondern blieb schlicht dem Zufall der Erbfolge überlassen. Die Wiederentdeckung der spezifischen Geschichte des Alten Reichs und der Aufschwung einer modernen Kulturgeschichte in den letzten Jahrzehnten lassen es heute geboten erscheinen, in der Markgrafschaft Baden-Baden mehr zu sehen, als nur die Geschichte einer verdämmernden Dynastie, die die Zeichen ihrer Zeit nicht erkannt hatte.
In der aufgrund der großen Nachfrage jetzt in der zweiten Auflage erschienenen Publikation "Ein badisches Intermezzo?" soll die Aufmerksamkeit auf weniger bekannte und unscheinbare Aspekte der Geschichte der Markgrafschaft Baden-Baden vornehmlich im 18. Jahrhundert gelenkt werden. Die aus den Beständen des Generallandesarchiv Karlsruhe ausgewählten Quellen – seien es Urkunden, Handschriften, Akten, Karten und Baupläne, Bilder und Wappen sowie Druckschriften – dokumentieren einerseits die Vielseitigkeit der archivischen Überlieferung und gestatten andererseits in all ihrer Vielfalt einen erhellenden Blick hinter die barocken Kulissen.
Die insgesamt 24 Beiträge sind auf in drei Themenbereiche verteilt: Herrschaft und Dynastie, Wirtschaft und Gesellschaft, Kirche und Kultur. Im ersten werden die genealogische Selbstdarstellung und einige Vertreter der katholischen Linie des Hauses Baden mit ihren jeweiligen – durchaus politischen – Besonderheiten vorgestellt. Er endet mit dem Erbvertrag von 1765, der die Grundlage für die Übernahme der katholischen Markgrafschaft durch Baden-Durlach bildet. Im zweiten Teil wird ein Einblick in den Bereich des zivilen und militärischen Straßen-, Städte- und Festungsbaus gegeben. Zudem werden Aspekte der ökonomischen Grundlagen in Landwirtschaft, Handel und Gewerbe sowie die Disziplinierung von Gesellschaft behandelt. Den Abschluss bilden Beiträge zur sinnstiftenden Rolle von Kirche und Religion. Sie werden ergänzt durch Beispiele kulturellen Strebens nicht nur aus der höfischen Sphäre von Schlosstheater und Gärten, sondern auch aus der Lebenswelt der einfachen Bevölkerung. – Die Auswahl soll Freude an historischen Dokumenten bereiten und auch zu einer vertieften Beschäftigung mit einem vernachlässigten Teil der badischen Landesgeschichte anregen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. HERRSCHAFT UND DYNASTIE
- Die Vorfahren
- Markgraf Ferdinand Maximilian
- Der Tod des Türkenlouis
- Das Allianzwappen an der St. Martinskirche in Ettlingen
- Der Erbprinz
- Das Jagdbuch Markgraf Ludwig Georgs
- Die Kaisertochter
- Die Wiedervereinigung der beiden Markgrafschaften
2. WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT
- Die Staatsachse des Türkenlouis
- Ein nicht gebautes Stadttor in Rastatt
- Die Festung an der Alb
- Die Ettlinger Linien
- Das Eisenwerk in Bühlertal
- Weinbau im Rebland
- Holzflößerei auf der Murg
- Jagd auf Bettler und Vaganten
3. KIRCHE UND KULTUR
- Streit um Kloster Frauenalb
- Umbau der Kirche in Ettlingenweier
- Jesuiten in Bickesheim
- Die Einweihung der Heiligen Stiege in Rastatt
- Schloss Schlackenwerth als Ausweichresidenz in Böhmen
- Spuren des verschwundenen Rastatter Hoftheaters
- Die Landschulordnung von 1770
- Ein Blick in das Baden-Badener Spital
Literaturhinweise
Mitarbeiterverzeichnis
Info:
Ein badisches Intermezzo? Die Markgrafschaft Baden-Baden im 18. Jahrhundert
Hg. von Rainer Brüning und Clemens Rehm
Karlsruhe: Verlag Förderverein des Generallandesarchivs Karlsruhe e.V. 2005
60 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
ISBN 3-930158-13-2
Preis 10,- Euro, für Fördervereinsmitglieder 8,- Euro
Quelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Pressemitteilung, 13.3.2006