Als „Doyen“ des Archivwesens der DDR wurde Prof. Dr. Botho Brachmann bei der feierlichen – wenn auch verspäteten – Übergabe der Festschrift[1] anläßlich seines 75. Geburtstag bezeichnet. Zu Recht.
Das Fest mit launigen Ansprachen, Musik und durchweg fröhlichen ehemaligen Lehrern, Schülern und Mitstreitern fand am 5. Dezember 2005 in Potsdam statt. „Alter Stadtwächter“ hieß das Restaurant und ums Alter – und natürlich um Archive und Archivare – drehten sich die Reden und Gespräche. Aber welche Unterschiede in der Herangehensweise: beklagte Prof. Dr. Volker Wahl, einst Vorsitzender des VdA – Verband deutscher Archivarinnen und Archivare e.V., das geringe Ansehen des Berufsstands in der Öffentlichkeit anhand eines Zitats von Giovanni Trapattoni, Noch-Trainer des VfB Stuttgart: Trapattoni hatte sich über Lokführer despektierlich geäußert, was zum postwendenden Protest der Lokführergewerkschaft führte. Bei Herabwürdigungen von Archivaren finde solches nicht statt (aber wer, wenn nicht der VdA müsste seine Stimme erheben?). Ungleich weniger larmoyant und vielmehr gewohnt grundoptimistisch der Jubilar selber: jeder PC-Nutzer sei quasi Archivar und die professionellen Archivare sollten die Chancen der neuen Technologie für ihren Berufsstand und die Hebung ihres Ansehens nutzen. Dabei flocht er Anekdoten ein, die u.a. sein Alter thematisierten. So habe eine ärztliche Untersuchung im Krankenhaus sehr lange gedauert, so dass seine Frau nach seiner Rückkehr sorgenvoll nach dem Grund fragte: „Da waren so viele alte Leute“ war die bezeichnende Replik des Recken, der sich deutlich jünger fühlt und zeigt, als sein Ausweis ausweist. „Teamgeist“ beschwor er in den „Ein paar Worten“, für die ihm von den Organisatoren zehn Minuten Redezeit eingeräumt worden waren. Diesen Teamgeist tatsächlich praktiziert zu haben, bestätigte ihm sein Lehrer und späterer Kollege an der Humboldt-Universität, Prof. Dr. Gerhard Schmid, einst Leiter des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar. Als „Trainer“ habe Brachmann sich verstanden und das seine väterliche, fördernde Art von seinen Schülern auch so empfunden wurde, unterstrich Dr. Susanne Paulukat, stellvertretend für die ca. 480 Archivarinnen und Archivare, die Brachmann ausgebildet hatte. Die Erinnerung an § 111, (1) der „Ordnungs- und Verzeichnisgrundsätze“ der DDR[2] und die Brachmannsche Interpretion, „der Archivar führt an die Akten heran, er wertet sie nicht aus“, durfte dabei nicht fehlen. Als „Kollegen“ hatte er seine Schüler von der ersten Stunde an stets bezeichnet und behandelt und er verriet, dass er dies von seinem Lehrer Heinrich Otto Meisner übernommen hatte.
Mit der Übergabe der beinahe 800 Seiten und 45 Beiträge umfassenden Festschrift wurde der Prototyp eines Professors in akademisch angemessener Weise geehrt; und für seine Studenten einst immer ansprechbar, fürsorglich fördernd und auch jetzt immer noch mit Interesse, offenem Ohr und guten Ratschlägen präsent. Möge er seinen alten Studenten, Kollegen und seiner Frau damit noch lange dienen können!
Um mit Trapattoni zu sprechen: da ist noch lange nicht „wie Flasche leer“. In diesem Sinne, alles Gute, Trainer!
O. Sander
Anmerkungen:
[1] Archive und Gedächtnis. Festschrift Botho Brachmann (Schriften des Wilhelm-Fraenger-Instituts, Bd. 8; Potsdamer Studien, Bd. 18). Potsdam 2005.
[2] §111 (1): „Der Aktentitel soll den Benutzer an die von ihm gesuchten Quellen heranführen. Er vermittelt eine Inhaltsangabe, keine Beurteilung oder Auswertung“, in: Ordnungs- und Verzeichnisgrundsätze für die staatlichen Archive der Deutschen Demokratischen Republik. Potsdam 1964, S.49
Info:
Archive und Gedächtnis – Festschrift für Botho Brachmann. – hrsg. von Friedrich Beck / Eckhart Henning / Joachim-Felix Leonhard / Susanne Paulukat / Olaf B. Rader. – Potsdam: Verlag für Berlin-Brandenburg GmbH, 2005, 738 S. (Potsdamer Studien, Bd. 18)
Preis: 40€, brosch. (ISBN 3-86650-480-2)
Inhaltsverzeichnis:
Tabula gratulatoria
I. Prolog
Friedrich Beck
\“Archive und Gedächtnis\“
II. Generalia
Wolfgang Ernst
Kybernetik des Archivs – An der Grenze zum Medium
Helmut Knüppel
Ökonomie und Gemeinwesen. Anmerkungen zur politischen Kultur in Deutschland
Joachim Felix Leonhard
Kultur als Faktor in der globalen Lerngemeinschaft
Edgar Lersch
,,Immer die gleichen Bilder.\“ Audiovisuelle Medienproduktion und Mediendokumentation und ihr Beitrag zur Formung eines kollektiven audiovisuellen Gedächtnisses
Michael Lindner
Vom Winde verweht. Das Reich und die Steppenvölker im hohen Mittelalter
Ina Prescher
Archive als Zeitmaschinen. Probleme der Überlieferung kreativer und transitorischer Prozesse
Olaf Rader
\“Knochenarchiv\“ und Gemeinschaftsgedächtnis. Zur Rolle der Gräber bei der Konstruktion kollektiver Erinnerungen
III. Spezialia
Archivgeschichte
Dirk Alvermann
Archivare im Nebel. Zur schwedisch-pommerschen Archivtheorie im 18. Jahrhundert
Jörg Brückner
\“… übertrifft dieses Ortenbergische Archiv wohl alle in der Welt an Unordnung und Unreinlichkeit.\“ Zur Geschichte eines Gemeinschaftsarchivs des Hauses Stolberg
Peter Dusek
Die ,,Schatzgräber\“ vom Küniglberg. Anmerkungen über die Geschichte der größten audiovisuellen Sammlung Osterreichs im ORF
Waldemar Schupp
Die Anfänge und das Ende der Fachschule für Archivwesen in Potsdam (1955/1993)
Volker Wahl
\“… es konnte nunmehr wieder die geordnete Arbeit im Staatsarchiv beginnen.\“ Archivarbeit unter Besatzungshoheit 1945 in Weimar. Eine Dokumentation
Simone Walther
Zum Umgang mit der NS-Vergangenheit beim personellen Neubeginn im zentralen Archivwesen der SBZ/DDR (1945 -1952). Versuch einer Bestandsaufnahme
Archivwissenschaft und Historische Hilfswissenschaften
Lorenz Friedrich Beck
Die Historischen Hilfswissenschaften im Informationszeitalter. Vom zeitlosen wie zeitgemäßen Nutzen des quellenkundlichen Instrumentariums für Archivar und Historiker
Frank M Bischoff
Maßstäblichkeit historischen Erinnerns. Anmerkungen zur Verbindlichkeit archivarischer Auslesetätigkeit, gestuften Archivwürdigkeit und Bewertungsdokumentation
Eckart Henning
Eigenhändig. Grundzüge einer Autographenkunde
Brigitta Nimz
,,Die geteilte Erinnerung\“. Erschließung im Archiv- und Bibliothekswesen
Lutz Schilling
Vorfeldarbeit und Bewertung – die archivrechtliche Stellung des Archivars gegenüber Registraturbildnern in Thüringen
Volker Schockenhoff
Archivwissenschaft in der Wende – Rückblicke und Perspektiven
Hermann Sehreyer
Verwaltungsreform und Archivgesetz. Aktuelle Probleme des Archivwesens der Russischen Föderation
Archive und Bestände
Johanna Aherle
Der Erschließungszustand des Bestandes Forschungsgemeinschaft der naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Institute der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
Matthias Buchholz
Archivarbeit (manchmal) mehr als nur Amnesieprävention. Das Beispiel \“Archiv unterdrückter Literatur in der DDR\“
Vera Enke
Zur Überlieferungslage und Erschließung der Forschungsbereiche der Akademie der Wissenschaften der DDR
Ute Essegern
Das \“Häschen-Prinzip\“. Von Gedächtnisverlust und Neuanfang eines Medienarchivs
Wolfgang Klaue
\“Aber ein richtiges Archiv ist das eigentlich nicht\“
Matthias Lienert
Gedanken zu Tradition und Moderne im Universitätsarchiv
Norbert Moczarski
Archivdepot Suhl – Problematischer Neubeginn in einem alten Gefängnisbau
Klaus Oldenhage
Vom Missbrauch des Wortes ,,Koblenz\“ beim politischen Kampf um die Stasi-Unterlagen
Susanne Paulukat
Von Westaufzeichnung, Ostaufzeichnung und Medienarchiven. Überlieferungslinien des DDR-Fernsehprogramms
Norbert Reimann
Privates Archivgut und öffentliches Interesse. Westfälische Adelsarchive – Pflege, Nutzung, Bedeutung für die Forschung
Regina Rousavy
Gießen oder Fügen? Zur Neufassung der Tektonik im Landesarchiv Berlin
Heike Schroll
Provenienzforschung am Landesarchiv Berlin. Ergebnisse und Möglichkeiten
Auswertung
Reiner Groß
König Friedrich August II. von Sachsen. Betrachtungen anlässlich seines 150. Todestages
Matthias Hermann
Die Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz
Stefi Jersch-Wenzel u. Thomas Jersch
Jacob Jacobson – deutscher Jude und Archivar (1888-1968)
Reinhard Kluge
Goethe als Behördenchef in seinem ersten Weimarer Jahrzehnt
Wolfgang Knohloch
Die Mitgliedsdiplome Alexander von Humboldts. Eine Überlieferungsodyssee von nahezu 140 Jahren
Manfred Kobuch
Der beschwerliche Weg von Thomas Müntzers Briefwechsel aus Dresden nach Moskau
Ingo Materna
\“Die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie\“. Zur Edition der Berichte der Regierungspräsidenten über die sozialdemokratische Bewegung in den Regierungsbezirken Frankfurt/Oder und Potsdam während des Sozialistengesetzes 1878-1890
Maria Rüger
Der Bildhauer Fritz Cremer und seine Wortgefechte. Zur Edition seiner Schriften, Reden, Interviews
Oliver Sander
Die Bauverwaltung der ,,Regierung Berlin\“ 1816-1821. Zur Vorgeschichte der Ministerial-, Militär- und Baukommission in Berlin
Gerhard Schmid
Goethes persönliches Archiv
Gerald Wiemers
Der Nachlass des Erziehungswissenschaftlers und Philosophen Theodor Litt in seiner öffentlichen Wirkung
IV. Epilog
Wolfgang Hempel
Erinnerst Du Dich? Ein persönlicher Rückblick
V. Anhang
Botho Brachmann – Curriculum vitae
Schriftenverzeichnis Botho Brachmann
Autorenverzeichnis