In ganz Westeuropa verübten deutsche Wehrmacht, SS- und Polizeitruppen Massaker an der Zivilbevölkerung. Ortsnamen wie Sant\’Anna di Stazzema, Marzabotto, Vallucciole (Italien), Oradour-sur-Glane (Frankreich), Kragujevac (Serbien), Distomo, Kommeno (Griechenland) stehen hier für diese Politik der verbrannten Erde.
Die wenigsten Täter wurden bis zum heutigen Tage zur Rechenschaft gezogen. In Italien wurden 700 italienische Ermittlungsakten während des Kalten Krieges aus dem Verkehr gezogen. Der Schrank mit den Ermittlungsakten, der sich in der Generalstaatsanwaltschaft in Rom befand, wurde einfach umgedreht, so dass sich die Schranktüren nicht mehr öffnen ließen. Über 30 Jahre gingen Bedienstete der Staatsanwaltschaft an diesem \“Schrank der Schande\“ vorbei. Erst 1994 wurde nachgeschaut, was sich in diesem Schrank befindet.
Dies erklärt die Zunahme von Prozessen in Italien, die auf Grund der alten, neu aufgetauchten Ermittlungsakten geführt werden konnten. So wurde Erich Priebke 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er an dem Massaker an 335 Menschen, darunter 75 Juden, 1944 in den Ardeatinischen Höhlen bei Rom beteiligt war. Der Prozess zu dem Massaker in Sant\’Anna, der im April 2004 eröffnet wurde, fand in Italien eine große öffentliche Anteilnahme, da die juristische Bewertung für die gesellschaftliche Ächtung des Verbrechens von hoher Bedeutung war. Am 22. Juni 2005 wurden die Urteile gesprochen. Zehn deutsche SS-Offiziere wurden zu lebenslanger Haft und Entschädigungszahlungen verurteilt, da ihnen die Verantwortung am Massaker von Sant\’Anna nachgewiesen werden konnte. Im Urteil wurde erstmals anerkannt, dass es sich um keine militärische Aktion oder eine Aktion gegen Partisanen, sondern um ein Massaker an der Zivilbevölkerung handelte, und es wurden die Täter beim Namen genannt.
Zwei der zehn verurteilten NS-Verbrecher wohnen in Hamburg. Während sich Werner Bruß verantwortlich für das Massaker fühlte und in Italien schriftlich ausgesagt hat, bestreitet der damalige Ranghöchste Gerhard Sommer bis zum heutigen Tage seine Schuld. Dem Fernsehmagazin Kontraste sagte er noch 2002, dass diese Zeit für ihn erledigt sei: \“Ich habe mir keinerlei Vorwürfe zu machen, ich habe ein absolut reines Gewissen\“. Die deutschen Mörder brauchen keine Angst zu haben, dass das Urteil vollstreckt wird, denn Deutschland liefert in der Regel Kriegsverbrecher nicht aus.
Quelle: Birgit Wulf, ak – analyse + kritik – Zeitung für linke Debatte und Praxis, Nr. 500, 18. November 2005