Vom 19. bis 22. Oktober 2005 fand in Wien und im Stift Göttweig die Konferenz „Alte Archive – Neue Technologien“ statt, deren Themenschwerpunkte mit den Schlagworten Neue Medien, Digitalisierung und Vernetzung grob umrissen werden können. Dem Institut zur Erschließung und Erforschung kirchlicher Quellen (IEEkQ) ging es als Veranstalter der Tagung darum, den gegenwärtigen Stand der praktischen Umsetzung von grenzüberschreitenden Möglichkeiten, welche durch die Datendigitalisierung einer interessierten europäischen Öffentlichkeit im allgemeinen und der historischen Forschung im speziellen geboten werden, aufzuzeigen.
Über 170 gemeldete Teilnehmer sowie 25 Vortragende aus allen Teilen Europas boten ein umfassendes Bild über den jeweiligen Stand der Dinge in verschiedenen Staaten und Regionen Europas. Neben Vertretern aus den österreichischen Bundesländern (Wien, Niederösterreich, Salzburg, Steiermark) kamen Archivare, Bibliothekare und Historiker aus Deutschland, der Slowakei, Spanien, Tschechien, Ungarn, Slowenien, Kroatien, Spanien, Italien, Dänemark, Bulgarien und Litauen zusammen. Die Staats- bzw. Nationalarchive von Italien, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Österreich und Slowenien waren ebenso vertreten, wie die unterschiedlichsten kirchlichen und weltlichen Institutionen Mitteleuropas (vgl. das detaillierte Tagungsprogramm bzw. die angeschlossene Referentenliste).
Tagungsorte waren der Prälatensaal des Schottenstiftes in Wien und am 21. Oktober das Benediktinerstift Göttweig. Am Ende des Eröffnungstages (Mittwoch, 19. Oktober) lud das Institut für Österreichische Geschichtsforschung (IÖG) zu einem abendlichen Empfang in die Räumlichkeiten des Instituts im Universitätshauptgebäude. Die Tagung war in ihrem thematischen Ablauf in fünf Sektionen gegliedert, deren Inhalte und Grundaussagen im Folgenden zusammengefasst werden sollen.
1) Archive und Bibliotheken im Netz
Im Eröffnungsabschnitt der Tagung sollte ein Überblick über das in verschiedenen Teilen Europas bereits im Netz verfügbare Quellenangebot gegeben werden. Vorgestellt wurde das sehr ambitionierte AER- Projekt (Archivos Espanoles en Red; www.aer.es), das sich zum Ziel gesetzt hat, die Bestände der wichtigsten spanischen Archive in Wort und Bild online zur Verfügung zu stellen. Neben den Archiven in Europa sind als Zukunftsvision auch die Erfassung der Bestände in Lateinamerika im Fokus des Projektes.
Das stetig ansteigende Interesse am kulturellem Erbe einer Region führte zwangsläufig zu der Bestrebung, die Inhalte der unterschiedlichen bewahrenden Institutionen in einer gemeinsamen Datenbank zusammenzufassen. In diesem Zusammenhang bietet das NOKS-Projekt (Nordjyllands kulturhistoriske Sogebase; www.noks.dk) in Dänemark einen beeindruckenden Lösungsvorschlag, indem Bestände von Archiven, Bibliotheken und Museen einer dänischen Region zusammengeführt und erschließbar gemacht werden (ALM-Kooperationen). Die große Herausforderung besteht darin, die sehr unterschiedlichen Formate, in welchen Bücher, Flugblätter, Zeitungen, Tondokumente, Filme, Videos, Fotografien, Museumsgegenstände etc. vorliegen, zu vereinheitlichen. Zur Beschreibung der über 100.000 Einzelobjekte aus 9 verschiedenen Institutionen hat man sich projektintern entschlossen, die Syntax des Metadaten-Schema Dublin Core (http://dublincore.org) zu verwenden. Diese Auszeichnung sowie eine erweitertes Angebot durch die Integrierung der Bestände weiterer Regionen Dänemarks werden im Rahmen einer in Kürze neu aufgesetzten Version der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Wie heterogen die Situation der digitalen Aufarbeitung historischen Materials in den verschiedenen Teilen Europas sein kann, zeigte die Vorstellung der diesbezüglichen Bestrebungen in Bulgarien. Das Fehlen einer einheitlichen nationalen Strategie machen systematische Digitalisierungen unmöglich. So sind Digitalisierungen nur im Rahmen von Einzelprojekte beschränkt. In verschiedenen CD-ROM Ausgaben wurden u.a. zwei Handschriften der Nationalbibliothek digitalisiert sowie eine computeranimiertes 3D Modell der Boyana-Kirche erstellt. Größere Vorhaben können nur im Rahmen kooperativer Programme, wie dem „Knowledge Transfer for the Digitisation of Cultural and Scientific Heritage in Bulgaria“ (KT-DigiCULT-BG), welches von dem Marie Curie Programm des FP6 Programms der EU unterstützt wird, durchgeführt werden.
Das in Klöstern verwahrte kulturelle Erbe war auch Gegenstand von Digitalisierungsbemühungen in Litauen, wo bis in das Jahr 2000 die Bestände von 75 litauischen Stiften und Klöstern in der Form von CD-ROMs der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Dabei war man bemüht, die Rolle der Klöster im kulturellen Leben des Landes umfassend darzustellen, indem neben Urkundenbeständen auch Themenkreise wie Architektur und monastische Musik Aufnahme gefunden haben.
2) Erfahrungen im Umgang mit dem digitalen Medium
Im Rahmen der Tagung zeigte sich der unterschiedliche Stand der Digitalisierung in den Staaten Mitteleuropas sehr deutlich, was nicht zuletzt auf die unterschiedliche Zugangsweise der Entscheidungsträger innerhalb der verschiedenen Institutionen zurückzuführen ist. Das Slowenische Nationalarchiv in Laibach zog im Zusammenhang mit der Digitalisierung des Franziszeischen Katasters sowohl in konservatorischer Hinsicht als auch bezüglich der Benutzbarkeit eine sehr positive Bilanz der online-Stellung. Ausgehend von diesen positiven Erfahrungen, wurde auch die Digitalisierung des Urkundenbestandes bereits in Angriff genommen, welche bis ins Jahr 2007 abgeschlossen sein sollte.
Vollkommen anders präsentiert sich das Bild zur Zeit im ungarischen Staatsarchiv, wo Digitalisierungen von Quellen und Quelleneditionen zwar vorgenommen worden aber über das Stadium von CD-Editionen nicht hinausgekommen sind.
Für Deutschland vermittelten exemplarische Fälle einen hohen Entwicklungsstand der digitalen Online-Bereitstellung mit einer sehr benutzerfreundlichen Oberfläche, wie es die Beispiele des Landesarchivs Baden-Württemberg für den archivarischen und das Konzept der Bayerischen Staatsbibliothek für den bibliothekarischen Bereich zeigten.
In Österreich gibt es von Seiten der Landesarchive von Salzburg und der Steiermark konkrete Digitalisierungsprojekte. Besonders im Fall Salzburg (virtuelles Urkundenarchiv) zeigte sich, bedingt durch den Umstand, dass die Salzburger Urkundenbestände bereits seit fast 200 Jahren in Wien gelagert werden (Haus- Hof- und Staatsarchiv), ganz deutlich die Notwendigkeit der institutionellen Zusammenarbeit. Die Salzburger Urkunden (ca. 13.000 Stück) werden zur Zeit in einem ersten Schritt in Wien mikroverfilmt und im selben Arbeitsgang im Rahmen des Monasterium-Projekts auch digitalisiert. Das Österreichische Staatsarchiv selbst hat nunmehr die Verzeichnung seiner Bestände abgeschlossen, was den Benutzern ein zeitsparendes Recherchieren innerhalb der sehr umfangreichen Beständen aller fünf Abteilungen des Staatsarchivs ermöglicht.
3) Werkzeuge für die digitale Erschließung
Ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen einer gedruckten Urkundenedition und virtuellen Datenbanken ist die ständige Erweiterbarkeit des Datenmaterials sowie dessen sukzessive Verbesserung. Der Gedanke, Erweiterungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht von einer (ausgesuchten) Allgemeinheit, unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort vornehmen zu lassen, ist der Ausgangspunkt eines Redaktionssystems, das für das Monasterium-Projekt im Entstehen begriffen ist. Dass kollaboratives Arbeiten durchaus hochwertige Ergebnisse liefern kann, zeigt das Beispiel von online-Enzyklopädien, wie Wikipedia. Der Versuch der speziellen Umsetzung dieser Idee im Bereich der diplomatischen Erschließung ist ebenso zur Sprache gekommen, wie die Fortschritte bei den Standardisierungsbestrebungen durch die Entwicklung eines speziell auf die diplomatische Anforderungen abgestimmten, auf XML basierenden Auszeichnungssystems (CEI).
4) Geistliche Netzwerke in Mitteleuropa
Einen weiteren Schwerpunkt der Tagung stellte die im Raum stehende Wiederherstellung des im Mittelalter funktionierenden Netzwerkes geistlicher Institutionen im Rahmen des Monasterium-Projektes dar, als dessen Träger das IEEkQ fungiert, was durch die digitale Vernetzung möglichst vieler geistlicher Urkundenbestände Mitteleuropas bewerkstelligt werden soll. Die Vorträge dieser Sektion, die im Prälatensaal des Stiftes Göttweig abgehalten wurde, gaben einen guten Überblick über das bevorstehende Ausmaß der Arbeiten, indem die geistlichen Bestände in den Nationalarchiven in Pressburg und Prag sowie die sich noch an Ort und Stelle befindlichen Sammlungen der ungarischen Erzabtei Pannonhalma und des Erzbistums Esztergom (Gran) ausführlich und detailliert vorgestellt wurden. Die verantwortlichen Archivare bekannten sich bei dieser Gelegenheit einhellig zur Digitalisierung und stellten auch den jeweiligen Stand der einschlägigen Arbeiten vor.
Nach Abschluss dieser Sektion erfolgte – gleichsam der Tagung inkorporiert – am Nachmittag des 21. Oktobers die Präsentation des digitalisierten Urkundenbestandes von Stift Göttweig, welche den Abschluss der ersten Arbeitsphase des Monasterium-Projektes bildete. Unter großem Publikumsinteresse und in Anwesenheit politischer und institutioneller Entscheidungsträger und vieler Tagungsteilnehmer wurde gleichzeitig die nächste Projektphase vorgestellt, deren erklärtes Ziel die Schaffung eines allgemein zugänglichen, mitteleuropäischen Urkundennetzwerkes ist.
5) Archive im Zeitalter der Informationstechnologien
Die letzte Sektion befasste sich mit dem im Umbruch befindliche Berufsbild des Archivars und den neuen Aufgabenbereichen, denen sich die Archive angesichts der Herausforderungen des Informationszeitalters gegenüber sehen. Hohe Erwartungen der Benutzer stehen den immer knapper werdenden zeitlichen Ressourcen der Archivmitarbeiter gegenüber. Das Internet scheint hier eine Möglichkeit zu bieten, diesen Widerspruch aufzulösen. Konkret wurde dies im Deutschen Bundesarchiv umgesetzt, das seine Bilddatenbank (200.000 Bilder) in nächster Zukunft via Internet allgemein verfügbar machen wird.
Das Archiv des Bistums Passau zeigte eindrucksvoll, wie durch den Einsatz moderner Technologien vollkommen neue Aufgabenbereiche in den Archiven entwickelt werden können. Seit 1997 entstand eine auf den Einträgen in den diversen Matrikelbüchern (16.-Ende 19. Jahrhundert) basierende, demographische Datenbank des Bistums Passau, welche Informationen zu rund 750.000 Personen enthält. Dieses so aufbereitete Datenmaterial erleichtert nunmehr nicht nur klassische genealogische Recherchen, sondern wurde in jüngster Vergangenheit in ein Kooperationsprojekt mit medizinischen Forschungsstellen eingebracht, das die große Häufigkeit der Alzheimer-Erkrankung innerhalb einer bestimmten Region zu erklären ermöglichte.
Zusammenfassung
Inhaltliches Ziel der Tagung war es, in den Vorträgen der einzelnen Sektionen die europäische Forschergemeinschaft über den jeweiligen Stand der Digitalisierungsbestrebungen in den verschiedenen Staaten Europas zu unterrichten und die breite Palette der Kooperations- und Vernetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dabei bildeten die Staaten Ostmitteleuropas einen besonderen Schwerpunkt, deren Repräsentanten auch ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Monasterium-Projektes zur Urkundendigitalisierung vorgestellt haben. Eines der Hauptdesiderata stellt im Zusammenhang mit den neuen Technologien die Entwicklung einheitlicher und allgemein anerkannter Erfassungsstandards dar, um die volle und komplikationslose Kompatibilität der digitalen Bestände zu gewährleisten. Daneben kam auch klar zum Ausdruck, dass mit der Anwendung der neuen Technologien den Archiven auch neue Aufgaben erwachsen werden, wodurch das Berufsbild und das Selbstverständnis des Archivars einer nachhaltigen Änderung unterzogen wird.
Referentenliste
Paolo Buonora, Römisches Stadtarchiv; buonora@asrm.archivi.beniculturali.it
Benjamin Burkard, benburkard@gmx.de
Tamás Dénesi, Erzabtei Pannonhalma; denesi@osb.hu
Milena Dobreva, Institut für Mathematik, Bulgarische Akademie der Wissenschaften; dobreva@ufal.ms.mff.cuni.cz
Géza Érszegi, Ungarisches Staatsarchiv; gerszegi@hotmail.com
Thomas Fricke, Landesarchiv Baden-Württemberg; thomas.fricke@la-bw.de
Ruth Hedegaard, Historisches Museum Vendsyssel; rhe@stofanet.dk
András Hegedüs, Primatialarchiv Esztergom; hegedus@primarch.hu
Nikola Ikonomov, Institut für die bulgarische Sprache, Bulgarische Akademie der Wissenschaften; nikonomov@ibl.bas.bg
Thomas Just, Haus- Hof- und Staatsarchiv, thomas.just@oesta.gv.at
Stephan Kellner, Bayerische Staatsbibliothek; kellner@bsb-muenchen.de
Nerute Kligiene, Institut für Mathematik und Informatik Vilnius; nerute@ktl.mii.lt
Jitka Køeèková, Nationalarchiv Prag; sua@mver.cz
Alfonso Sánches Mairena, Spanisches Staatsarchiv Madrid; alfonso.sanchez@dglab.mcu.es
Marta Melníková, Slowakisches Nationalarchiv, melnikova.marta@sna.vs.sk
Josef Riegler, Steiermärkisches Landesarchiv; josef.riegler@stmk.gv.at
Oliver Sander, Dt. Bundesarchiv; o.sander@historismus.net
Hubert Schopf, Salzburger Landesarchiv; hubert.schopf@salzburg.gv.at
Juraj Šedivy, Lehrstuhl für Archivwesen und Historische Hilfswissenschaften an der Phil. Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava; sedivy@fphil.uniba.sk
Miklós Sölch, Ungarisches Staatsarchiv; solch.miklos@mol.gov.hu
Manfred Thaller, Historisch-Kulturwissenschaftliche Informationsverarbeitung, Universität Köln; manfred.thaller@uni-koeln.de
Zdenĕk Uhlíø, Nationalbibliothek der Tschechischen Republik; Zdenek.Uhlir@nkp.cz
Georg Vogeler, Historisches Seminar – Abt. Geschichtliche Hilfswissenschaften; G.Vogeler@lrz.uni-muenchen.de
Jure Volèjak, Archiv der Republik Slowenien; Jure.Volcjak@gov.si
Herbert Wurster, Archiv des Bistums Passau; dr.herbert.wurster@bistum-passau.de
Karl Heinz (karl.heinz@monasterium.net)