Wer Daten aufbewahren muss, sorgt sich nicht nur um die Dauerhaftigkeit der Träger und die Gewährleistung, dass diese auch in Zukunft gelesen werden können. Auch Fälschungen bereiten den Archivaren zunehmend Sorgen. Bei digitalen Daten, etwa Datenbanken, Internet-Seiten oder Dokumenten, Fälschungen zu entlarven, wäre nicht möglich. Warum erklärt Archivrat Dr. Christian Keitel vom Landesarchiv Baden-Württemberg im Deutschlandfunk:
Streng genommen gibt es gar keine digitalen Originale. Es gibt nur Kopien, die man für glaubwürdig hält. Bei Urkunden können wir gucken, was ist das Wasserzeichen, wann wurde das Wasserzeichen verwendet, wer hat das Siegel damals verwendet, wie ist die Schrift? Diese Merkmale dienen ja klassischer Weise dem Historiker zur Authentifizierung. Und die fallen alle weg. Das müssen wir anders herum lösen.
Der Historiker befasst sich im Staatsarchiv Ludwigsburg mit elektronischer Langzeitarchivierung. Was die Sache noch schwieriger macht, ist, dass es keinen Datenträger gibt, auf dem man die Daten einerseits sehr lang und andererseits jederzeit verfügbar halten kann. Deshalb müssen die Daten alle paar Jahre von einem Datenträger zum nächsten kopiert werden, also etwa von der Diskette auf CD, von der CD auf DVD und so weiter.
Wir müssen also einerseits die Daten verändern, aber andererseits doch glaubwürdig bleiben, für die Benutzer dann auch glaubwürdig sein, dass die wirklich unveränderte Informationen bekommen haben, obwohl die Formate sich geändert haben.
Damit Historiker in Zukunft heutigen elektronischen Daten in einem Archiv trauen können, müssen also Spielregeln für die Behandlung der Daten verabredet werden. Und ideal wäre dann eine Art Siegel oder Stempel, der das sicherstellt:
Digitales Wasserzeichen, digitale Signatur, elektronische Verschlüsselung, das alles gibt es ja schon, wurde vom Gesetzgeber zum Teil auch schon vorgeschrieben für bestimmte, rechtlich verbindliche Dokumente. Aber sie gelten jeweils nur für einen sehr kurzen Zeitraum von wenigen Jahren. Danach ist damit zu rechnen, dass die Computergenerationen, die dann auf dem Markt sind, die Schutzmechanismen knacken können und der Ausweis der Authentizität wieder weg ist.
Gelingt es nicht, die Daten vertrauenswürdig zu speichern, kann man sich die Archivierung sparen, weil die Glaubwürdigkeit dann das schwächste Glied in der Kette wäre. Deshalb wird im In- und Ausland an diesem Problem gearbeitet, das die Computer-Branche bisher nicht gelöst hat. Die weltweite Verfügbarkeit der Daten ist nur nützlich, wenn ihre Vertrauenswürdigkeit überall erkannt werden kann. In München trafen sich am Dienstag deshalb rund 70 Archivare, Bibliothekare und Museumsleute zu einem Workshop des Kompetenznetzwerkes Nestor, um zu klären, wie man elektronische Archive genau so verlässlich machen kann wie herkömmliche Archive. Und vor allem, wie man das durch ein Zertifikat belegen könnte. – Noch dieses Jahr will man eine Lösung finden, damit nächstes Jahr die ersten Archive als \“vertrauenswürdig\“ zertifiziert werden könnten. Weil es bisher noch recht wenige digitale Archive gibt, käme das gerade noch rechtzeitig. Diese Standards werden auch Klarheit über den Personalbedarf und die Kosten bringen. Da aber in vielen Archiven – trotz dieser zusätzlichen Arbeit – ein Personalabbau von 20 bis 30 Prozent geplant ist, könnten viele digitale Unterlagen verloren gehen, ehe sie überhaupt archiviert werden konnten.
Quelle: Carl-Josef Kutzbach, Deutschlandfunk (Forschung Aktuell), 21.6.2005