Hitlers Rüstungsminister Albert Speer wird 60 Jahre nach Kriegsende nach Ansicht der Historikerin Susanne Willems durch Auschwitz-Bauakten schwer belastet. Willems fand nach eigenen Angaben Dokumente, in denen der Ausbau des Vernichtungslagers als \“Sonderprogramm Prof. Speer\“ aufgeführt wird. Andere Akten belegen nach Aussage von Willems, dass Auschwitz-Kommandant Rudolf Höß Abgesandte Speers im Mai 1943 über den Völkermord an den Juden informierte. Die ARD veröffentlichte die Dokumente und einen Aufsatz von Willems auf der Webseite zum Dreiteiler \“Speer und Er\“.
Es war bereits bekannt, dass Speer Mittel zum Ausbau von Auschwitz bewilligt hatte. Speer hatte aber stets bestritten, vom Holocaust gewusst zu haben. Er war beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg nicht zum Tode, sondern zu 20 Jahren Haft verurteilt worden. Auch bisher war schon klar, dass Speer Baueisen und Wasserrohre für Auschwitz zur Verfügung gestellt hatte. Speer stellte dies in seinen Erinnerungen aber als humanitäre Aktion zur Verbesserung der Hygiene dar.
In SS-Akten, die die Berliner Historikerin Willems nach eigener Aussage jetzt fand, heißt es, Höß habe Speers Mitarbeiter darüber informiert, dass zum Zweck des Lagers \“in letzter Zeit die Lösung der Judenfrage\“ gehört habe. Speers Leute seien durch das \“gesamte\“ Lager geführt worden. Sie nahmen eine Fotomappe für Speer mit und erstatteten ihm demzufolge Bericht. Es gebe keinen Grund anzunehmen, dass sie Speer etwas von dem verschwiegen, was sie sahen, meinen Willems und Heinrich Breloer, der Regisseur des Films \“Speer und Er\“.
Die Medienresonanz auf Heinrich Breloers Speer-Dreiteiler lenkt nicht nur das Interesse auf einen der bekanntesten NS-Größen, sondern macht auch deutlich, wie die Forschungsstände der Geschichtswissenschaft ignoriert werden. Schon über zwanzig Jahre lang ist bekannt, dass Albert Speer ein führender NS-Täter war. Im Gespräch mit der taz erinnert der Jenaer Historiker Norbert Frei daran, dass bereits 1982 das Buch von Matthias Schmidt (Albert Speer: Das Ende eines Mythos, Goldmann, München 1983) mit dem \“Mythos Speer\“ als eines verführten, eigentlich unschuldigen Intellektuellen und Technokraten ziemlich aufgeräumt habe. Die Fachwissenschaft habe daran ohnehin nie geglaubt.
Speer begann seinen Ausstieg aus dem NS-Reich und aus seiner Verantwortung schon deutlich vor Kriegsende. Bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen kam er damit durch – und hatte Glück, weil damals die Dokumentenlage schlechter war als heute. Und in seiner Spandauer Haftzeit konstruierte er an dem Mythos munter weiter, so Frei. "Bei seiner Freilassung hat er dann die richtigen Formulierungshelfer für diese Interpretation gefunden. Das hat auch mit Verlagsmarketing zu tun, für die vor allem zwei Namen stehen: Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest".
Quelle: Der Standard, 11.5.2005; Philipp Gessler, taz Nr. 7662, 12.5.2005, S. 17 (Interview)