Schon vor seiner offiziellen Eröffnung macht das neue Osloer Zentrum zur Erforschung des Holocausts und religiöser Minderheiten ("Senter for studier av Holocaust og livssynsminoriteters stilling i Norge") von sich reden: Die Villa Grande ragt weit über die hohen Kiefern und Birken auf der Südspitze der Osloer Museumsinsel Bygdøy hinaus. 1917 hatte ein reicher Reeder den burgähnlichen Bau errichten lassen; das Gebäude blieb allerdings unbewohnt, bis Vidkun Quisling, Chef der Nazipartei Nasjonal Samling und ab Februar 1942 norwegischer Ministerpräsident von Hitlers Gnaden, die Villa okkupierte und zu einer fürstlichen Residenz herrichten ließ. Hier fällte der Mann, dessen Namen weltweit zu einem Synonym für Nazi-Kollaborateure werden sollte, gemeinsam mit Hitlers Reichskommissar Terboven Todesurteile gegen norwegische Widerstandskämpfer. Hier rüstete er sich für seine Reisen nach Berlin – Quisling war derjenige auswärtige Politiker, der Hitler am häufigsten traf. Und: Bereits im Oktober 1942 gingen von hier die ersten Befehle zur Vernichtung der norwegischen Juden aus.
Der finden um die Villa Grande noch Bauarbeiten statt, in das Obergeschoss ist aber schon vor einigen Wochen ein neuartiges Forschungszentrum eingezogen, das sich nicht zuletzt mit der verbrecherischen Judenpolitik Quislings befasst. Professor Odd-Bjørn Fure (62) erklärt die Nutzung damit, dass die Verknüpfung der jüdischen Tragödie in Norwegen mit diesem Haus eine unglaublich symbolische Bedeutung habe. Nun wolle man Kultur und Geist der Villa Grande gleichsam um 180 Grad drehen, das einstige Haus des Bösen in ein Haus mit zivilisatorischer Ausstrahlung verwandeln.
Die Etablierung des Zentrums ist für Odd-Bjørn Fure "ein riesiger mentalitätsgeschichtlicher und zivilisatorischer Sprung nach vorn, weil der norwegische Holocaust eine lange Zeit außerhalb oder nur am Rande der kollektiven Erinnerung stand". Er sei tabuisiert worden, weil es für die Norweger lange unvorstellbar war, dass ihre um demokratische Kernwerte wie Eidsvoll-Verfassung, Storting und Menschenrechte zentrierte Gesellschaft "maßgeblich an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung des eigenen Landes beteiligt war".
Bei der Gründung des Zentrums zur Erforschung des Holocausts und religiöser Minderheiten im April 2001 hat die jüdische Gemeinde des Landes Pate gestanden. Als Norwegens Holocaust-Opfer 1997 von der Osloer Regierung 250 Millionen Kronen (rund 80 Millionen Euro) als Entschädigung erhielten, entschieden sie, davon 40 Millionen Kronen als Stiftungskapital für eine besondere aufklärerische Institution zur Verfügung zu stellen. Als dessen "Hauptpfeiler" bezeichnen die Stiftungsdokumente die Erforschung des Holocausts und des alten und neuen Antisemitismus. Daneben sollen Studien über die anderen religiösen Minoritäten in Norwegen entstehen. Die Forscher in der einstigen Quisling-Villa hoffen, "dass wir ein Kraftzentrum für die Menschenrechte, für die Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und jeglicher Diskriminierung werden", umreißt Professor Fure den eigenen Anspruch.
Kontakt:
Senter for studier av Holocaust og livssynsminoriteters stilling i Norge.
Adresse:
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telefaks: 22 84 21 01
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Quelle: Jochen Reinert (Oslo), Neues Deutschland, 29.4.2005