Archiv des Oral-History-Projekts «Archimob»

Das Projekt «Appenzeller Dorfgeschichte» befasst sich vorwiegend mit Sozial-, Wirtschafts- und Alltagsgeschichte. Es sind schon Männer und Frauen interviewt worden, die die bewegten Zeiten der 1920er- bis 1940er-Jahre miterlebt haben. Vor allem geht es in erster Linie darum, die Erinnerungen von Zeitzeugen für die Nachwelt festzuhalten. Es werden weitere Zeitzeugen gesucht.

Der in Appenzell lebende Joseph Fritsche ist Initiator und Gestalter des Projekts. Er hat in Zürich an der Universität allgemeine Geschichte studiert, befasst sich heute beruflich aber mit etwas ganz Anderem, der Vermögensverwaltung. Doch er weiss zu berichten, dass sich Erfahrungen der Geschichte auch hier gut anwenden lassen. Vor einigen Jahren konnte er sich aus Familienbesitz im Ried ein Haus erwerben. In seiner Freizeit betätigt er sich auch mit der Befragung von aufmerksamen, älteren Zeitzeugen aus dem Dorf und vor allem auch dem Ried-Quartier. Er hält somit persönliche Erinnerungen fest, die mit kollektiv geteilten Verstellungen über die Vergangenheit verschmelzen können. Es geht ihm weniger darum herauszufinden, was genau früher passiert ist, als vielmehr darum, welche Aspekte der Vergangenheit von einer bestimmten Vergangenheit hervorgehoben und welche verdrängt werden.

In seinen Forschungen bedient sich Fritsche der Methode der so genannten Oral History. Als Zweig der Geschichtswissenschaft beruht sie auf der Befragung von Zeitzeuginnen oder Zeitzeugen. Das Verfahren ist so alt wie Homer und hat sich heute international durchgesetzt. In der Schweiz ist die Methode hingegen bis vor einigen Jahren noch kaum verwendet worden. Die Holocaust-Debatte hat vieles bewegt, aber auch viele Gemüter erregt. Mit dem umfangreichen Oral-History-Projekt «Archimob» gibt es nun auch ein Archiv, wo die Erinnerungen der Aktivdienst-Generation aufgehoben sind. Auch andere inte-ressante Aspekte gehen der Geschichtswissenschaft unwiederbringlich verloren, die für Zweige wie Kultur- und Alltagsgeschichte wertvoll sein können. Ausserdem lassen sich durch die Beschäftigung mit Erinnerungen neue Einsichten gewinnen in die Prozesse, mittels deren Geschichtsbilder konstruiert werden. Eines zeigt sich dabei rasch. Wahrheit ist ein Plural, tatsächliches Geschehen und persönliches Erleben sind zwei Währungen.

Durch Interviews mit Beteiligten, Betroffenen und zeitnahen Beobachtern historischer Prozesse wird Erlebtes und Berichtetes aufgearbeitet. Auf die Zuhilfenahme eines Tonbandgerätes wird verzichtet, es werden nur in Stichworten Notizen gemacht. Im Unterschied zu anderen Bereichen der Geschichte sind hier die Quellen nicht unmittelbar zugänglich, da sie durch das lebensgeschichtliche Interview erst erstellt werden und sie sich der Historiker somit erst im persönlichen Gespräch erarbeiten muss. An einem detaillierten Fragebogen wird nicht festgehalten; es handelt sich demnach nicht um ein strukturiertes Interview. Joseph Fritsche geht davon aus, dass durch einen unbefangenen wechselseitigen Dialog die Vergangenheit lebendiger und zuverlässiger erinnert und aufgearbeitet wird als bei formal ausgearbeiteten Detailfragen.

Zeitmaschinen sind heute zum Leidwesen vieler Leute noch nicht erfunden worden. Um dennoch Interessantes aus dem Appenzeller Dorfleben der 1920er- bis 1940er-Jahre in Erfahrung zu bringen, ist mittels Homepage ein Aufruf erlassen worden. Die Adresse der Homepage lautet http://www.ainet.ch/appenzellergeschichte (E-Mail: appenzellergeschichte@ainet.ch). Wer mit einem interessanten Beitrag aufwarten kann, soll sich an folgende Adresse wenden: Joseph Fritsche, Wührestrasse 3, 9050 Appenzell. […]

Quelle: Achilles Weishaupt, Appenzeller Zeitung, 6.4.2005

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