Ordnung im Archiv der jungle-world

Sollten Sie derzeit verzweifelt versuchen, unseren Geschäftsführer zu erreichen, dann können wir Sie beruhigen: Es geht ihm gut. Er kann nur nicht ans Telefon gehen. Denn er ist mit einer wichtigeren Sache beschäftigt als mit Bilanzen und Abobestellungen. Er ordnet unser Archiv.

»Das Archiv der Jungle World hat die Aufgabe, als ›Gedächtnis des Dschungels‹ die schriftlichen Zeugnisse der Zeitungsgeschichte zu verwahren und für die historische Forschung sowie für heimatkundliche und politgeschichtliche Recherchen zur Verfügung zu stellen«, heißt es im imaginären Redaktionsstatut. Das heißt, einfach gesagt: Hier werden die übrig gebliebenen Ausgaben der Jungle World aufbewahrt.

Seit ihrem Erscheinen lagern all diese wertvollen Dokumente des deutschen Zeitungswesens ungeschützt in unseren von Zigarettenqualm und Pizzaduft erfüllten Redaktionsräumen. Nur unser Geschäftsführer erkannte die Gefahr. Sollten die kostbaren Exemplare nicht bald vor dem Verfall geschützt werden, droht der Welt ein ähnlicher Verlust wie bei dem Brand der Bibliothek von Alexandria im Jahre 269 u.Z., dachte er sich.

Also machte er sich an die Arbeit, mit einer Akribie und Ordnungssucht, die ihresgleichen sucht. Er versank in die alte Zeit, blätterte längst vergilbte Ausgaben durch, in denen es noch ein Inhaltsverzeichnis gab oder Fil den Comic »Lilli & Poldi« zeichnete. Einzelne Ausgaben rührten ihn zutiefst, eine aus der Zeit des Kosovo-Krieges etwa mit der Sonderbeilage »Deutsche Fliegerwoche«. Oder eine mit Willy Millowitsch als Slobodan Milosevic auf der Titelseite unter der Schlagzeile: »Hoppla, der Salat geht auf.« Ein Dossier zum Deutschen Herbst auf vier Seiten mit Fotos herbstlicher Bäume auf.

In Ehrfurcht erstarrte er jedoch vor den ersten Ausgaben der Jungle World, die noch im kleineren Format erschienen. Ja, so war das damals. Eine linke Zeitung, die aus dem Nichts entstand. Und als er sich umsah, war es 2.30 Uhr. Nachts. Über dem Archivieren hatte er wieder mal die Zeit vergessen.

Rechnungen, Mahnschreiben und Steuerbescheide blieben unbearbeitet liegen. Unser Archiv aber ist vorerst gerettet. Eingepackt in castorähnliche Behälter lagern die papierenen Juwelen nun in den Regalen. Jetzt sei Platz »bis Ende 2006«, sagt der GF. Wenn das mal kein gutes Omen ist!

Quelle: jungle-world.com, 2.3.2005

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