Der deutsche Film "Sophie Scholl – Die letzten Tage" war am Sonntag der künstlerische und emotionale Höhepunkt im bisherigen Wettbewerb der 55. Berlinale. Regisseur Marc Rothemund und Drehbuchautor Fred Breinersdorfer schildern in der zweistündigen Kinotragödie das Ende der Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime im Februar 1943. Der kammerspielartige Film öffnet eine neue Sicht auf die damals erst 21-jährige Münchner Studentin, die in herausragender Weise von der jungen Hauptdarstellerin Julia Jentsch verkörpert wird.
Ermöglich wurde diese neue Sicht durch die Entdeckung der Verhörprotokolle, die bis zum Zusammenbruch der DDR im zentralen SED-Parteiarchiv gelagert waren. Offenbar hatte die SED-Machthaber keinerlei Interesse daran, Sophie Scholl als Persönlichkeit zu zeigen, die der NS-Herrschaft mit großem Mut die Stirn bot und in tiefbegründeter christlicher und patriotischer Überzeugung ihren Opfergang zum Schafott antrat. Rothemund und Breinersdorfer haben sich in ihrem Film sehr genau an diese nun im Berliner Bundesarchiv deponierten historischen Protokolle gehalten.
Im Gegensatz zu früheren Filmen um die Widerstandsgruppe der "Weißen Rose", der auch Sophie Scholl und ihr ebenfalls hingerichteter Bruder Hans angehörten, konzentriert sich die jetzige Kinoversion fast ausschließlich auf die Studentin. Das Psychoduell zwischen ihr und dem sie mehrere Tage verhörenden Gestapo-Mann Robert Mohr, den Alexander Held mit düsterer Brillanz darstellt, gehört in seiner Intensität und atmosphärischen Dichte zum Faszinierendsten, was der deutsche Film in den letzten Jahrzehnten zu bieten hatte. Ergreifend emotional sind die Schlussszenen nach der Aburteilung Sophie Scholls bis zur Hinrichtung am Nachmittag des 22. Februar 1943 unterm Fallbeil im Gefängnis Stadelheim.
"Sophie Scholl – Die letzten Tage" zeigt unter Berufung auf die Verhörprotokolle, dass der von Sophies Idealismus und Mut sichtlich beeindruckte Gestapo-Beamte Mohr der Studentin einen Weg gewiesen hatte, ihr eigenes Leben zu retten. Doch diesen Weg wollte die Tochter eines württembergischen Bürgermeisters, der seine Kinder zu Toleranz und Eigenständigkeit erzogen hatte, nicht gehen. Schon seit Jahrzehnten gilt Sophie Scholl, ebenso ihr Bruder Hans wie auch die anderen ermordeten Mitglieder der studentischen Gruppe "Weiße Rose", als Heldin und Märtyrerin des bürgerlichen Widerstands gegen Hitler.
Julia Jentsch, mit ihren 26 Jahren nur wenig älter als die von ihr dargestellte Sophia Scholl, findet in jeder Szene den richtigen Ton, agiert ohne große Gesten und erschüttert gerade deshalb in dem kurzen Ausbruch tiefer Verzweiflung nach der Verurteilung. Jentsch ist mit diesem Film zum Gesicht des deutschen Films der Gegenwart geworden. Aber was noch wichtiger ist: Sie verwandelt eine Heldin des zivilen Widerstands gegen die Nazi-Unrechtsherrschaft zu einer deutschen Heiligen. Über deren schreckliches Ende weinte am Sonntag das Publikum auf der Berlinale.
Quelle: APA/AP, dieStandard.at, 14.2.2005