Verewigung der Sonderverwaltung für Stasi-Akten?

Ein düsteres Bild von den staatlichen Archiven malt Ilko-Sascha Kowalczuk in seinem Leserbrief (\“Was den Stasi-Unterlagen im Bundesarchiv droht\“, F.A.Z. vom 8. Januar). Im Bundesarchiv bestünden keinesfalls forschungsfreundlichere Bedingungen als bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU), für Personenakten gebe es dort lange Sperrfristen, \“wenn zum Beispiel Einwilligungen zur Akteneinsicht fehlen\“. Das stimmt, jedenfalls dann, wenn die Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange nicht ausgeschlossen werden kann. Bei der BStU ist die Einsicht in Personenakten Betroffener ebenso einwilligungspflichtig – und es gibt keine Sperrfristen. Das bedeutet, daß nach dem Tod der Betroffenen die Akten auf ewig gesperrt sind. Ist das \“forschungsfreundlicher\“?

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Insbesondere kritisiert Kowalczuk die Forderung, die Stasi-Bestände an ihren Entstehungsorten zu belassen. Das Ziel, perspektivisch die Überlieferungen der MfS-Zentrale dem Bundesarchiv (am Standort Berlin) und die der regionalen MfS-Bezirksverwaltungen den Landesarchiven zu unterstellen, sei \“von völliger Unkenntnis\“ gekennzeichnet. Bei einer Anhörung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 2. Dezember 2004 haben sich außer der Bundesbeauftragten selbst alle sechs anderen Sachverständigen einschließlich des Präsidenten des Bundesarchivs, Hartmut Weber, in diesem Sinne positioniert. Darüber hinaus schrieb unlängst der Vizepräsident des Bundesarchivs, Klaus Oldenhage: \“Niemand wird späteren Generationen erklären können, warum die Akten der geheimen Staatspolizei – im übrigen auch die Akten der Volkspolizei der DDR – dem föderalistischen Staatsaufbau entsprechend archiviert werden, die der Staatssicherheit aber nicht.\“

Kowalczuk hat recht, daß zentrale und regionale Stasi-Archive einen Gesamtbestand darstellen. Er hat aber nicht recht, wenn er meint, daß das MfS das einzige \“strikt und streng zentralistische Staatsgebilde\“ in der DDR war. Ein Argument für den institutionellen Status quo der Sonderverwaltung der Stasi-Akten ist das nicht. Konstruktiver wäre es, Möglichkeiten einer einheitlichen Recherche als Voraussetzung einer Überführung der regionalen Stasi-Unterlagen in die Obhut der Landesarchive zu formulieren, zum Beispiel eine elektronische Datenbank, die die Bestandsverzeichnisse in ihrer Gesamtheit abbildet. Es ist die BStU, die mit ihrem Regionalkonzept die regionalen Archive zentralisieren und damit die meisten Bestände der MfS-Bezirksverwaltungen von ihren Entstehungsorten wegbringen will. In Sachsen z. B. will die BStU die Archive aus Chemnitz und Dresden nach Leipzig überführen. Das Sächsische Staatsarchiv hat seine Standorte in Chemnitz, Dresden und Leipzig. Nach derzeitigem Stand würden hier die regionalen Stasi-Bestände nur dann an den Orten bleiben, wo sie heute sind, wenn sie dem Landesarchiv zugeordnet werden.

Dabei hat eine Integration der Stasi-Unterlagen in das Bundesarchiv und die ostdeutschen Landesarchive noch viel Zeit. Eine langfristige Herangehensweise setzt allerdings voraus, daß alle heutigen und künftigen Grundsatzentscheidungen der BStU mit einer langfristig sinnvollen Struktur im Kontext der staatlichen Archive kompatibel sind. Hier liegt das Problem: Die BStU hat sich einer Verständigung auf langfristige Ziele verweigert und ihr Regionalkonzept dezidiert nicht in ein mit den staatlichen Archiven abgestimmtes, langfristiges Gesamtkonzept eingebettet. Es trifft Vorentscheidungen, die den Entscheidungsspielraum für den späteren Umgang mit den Stasi-Unterlagen erheblich einengen. Dies ist möglicherweise der einzige Grund, weswegen heute eine deutlich schnellere Integration der Stasi-Unterlagen-Verwaltung in Bundes- und Landesarchive diskutiert wird.

Es steht außer Frage, daß der Umgang mit den Stasi-Unterlagen in Deutschland auch im internationalen Vergleich als Erfolgsgeschichte und als beispielgebend anerkannt ist. Insbesondere mit der Öffnung der Akten für Betroffene konnte vielen tausend Menschen ein gutes Stück der ihnen von der Stasi geraubten Würde zurückgegeben werden. Der oft schmerzhafte Blick in die eigene Akte brachte Klarheit in das Leben vieler Menschen mit beschädigten Biographien, er brachte ihnen wieder festen Boden unter den Füßen und damit die Möglichkeit zum aufrechten Gang. Bei allem, was in den kommenden Monaten im Zusammenhang mit der von der Bundesregierung initiierten neuen Konzeption zum \“Geschichtsverbund Aufarbeitung der SED-Diktatur\“ diskutiert wird, sollte man dies im Auge haben. An der Position des BStU-Historikers Kowalczuk wird aber etwas deutlich, das für die aktuelle Debatte symptomatisch ist: Im Gegensatz zu 1990 werden nicht Nutzungsrechte und die regionale Verankerung der Archive verteidigt, sondern die Institution der Aktenverwaltung als Symbol. Es geht quasi um eine Verewigung der Sonderverwaltung für Stasi-Unterlagen, man wehrt sich gegen jede Normalisierung, die die bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte eingetretene einseitige Fokussierung auf Stasi und Stasi-Unterlagen überwinden könnte.

Michael Beleites (Dresden)

Michael Beleites ist Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, Dresden. In der in Kürze erscheinenden Ausgabe 1/2005 der Zeitschrift Deutschland Archiv wird ein ausführlicher Aufsatz von Michael Beleites zum Thema zu finden sein.

Quelle: FAZ, 25.1.2005, 7, mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

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