Die kleine Rechenaufgabe, die Marianne Birthler am Donnerstagabend in den Magdeburger Freien Kammerspielen an ihre Zuhörer stellte, verblüffte diese. Wie viel Prozent der DDR-Bevölkerung hatten Kontakt zur Stasi? Die Antworten aus dem Publikum im \“Nachtcafé diskursiv: Unschuld\“ schwankten zwischen 10 und 40 Prozent. Irrtum, so die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, es waren lediglich zwei Prozent. \“Die DDR war also kein Volk von Spitzeln und Verrätern\“, sagte sie. Das dürfe jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stasi im Verhältnis zur Einwohnerzahl der größte Geheimdienst gewesen sei, größer als der sowjetische KGB und auch größer als die Gestapo.
Mit der Hinterlassenschaft der 174000 inoffiziellen und 90000 hauptamtlichen Stasi-Mitarbeiter – mehr als 180 km Akten – beschäftigt sich die Bundesbehörde. Birthler verteidigte die Arbeit ihrer Behörde in der jetzigen Form und verwahrte sich gegen Bestrebungen, die Stasi-Akten zu verbrennen – wie einst vom Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer gefordert – oder sie in das Bundesarchiv zu verbannen. Die Stasi-Akten würden auch weiterhin für die Rehabilitierung von Opfern, zur Klärung von Schuldfragen und zur Aufarbeitung des Geheimdienstes in seiner Struktur und Wirkung gebraucht, erklärte sie. Das Stasi-Archiv habe darüber hinaus auch einen kulturellen Wert, weil es viel aus dem DDR-Alltag zeige, der so in den damaligen Medien keine Rolle gespielt habe.
Im Anschluss an ihren Vortrag beantwortete die Bundesbeauftragte zahlreiche Fragen. Dabei sprach sie sich gegen eine Veröffentlichung von IM-Listen aus. Das würde zu einer pauschalen Sicht auf die IM führen und den \“verführten Jugendlichen\“ in einen Topf mit hartnäckigen Spitzeln werfen, die noch im Herbst \’89 Berichte geschrieben haben.
Quelle: Wolfgang Schulz, Volksstimme Magdeburg, 21.1.2004