Wien 2004: Das bedrohte Gedächtnis der Welt

Alle vier Jahre, diesmal in der letzten Augustwoche, versammeln sich \“die Spitzenkräfte unter den professionellen Gedächtnishütern\“ (Tagesspiegel), also Archivarinnen und Archivare aus aller Welt, zum Internationalen Archivkongress. Mehr als 2.000 Archivarinnen und Archivare von China bis Kapstadt versammelten sich jetzt im „Austria Center Vienna“ am Stadtrand von Wien unter dem Motto \“Archive: Gedächtnis und Wissen\“.

Gerade Österreich habe den Archiven sein politisches Erwachen zu verdanken, erläuterte eingangs der Tagung der ehemalige Kabinettschef Bruno Kreiskys, Ferdinand Lacina, die Bedeutung der Archive, da nach und nach die Wahrheit über die NS-Geschichte aus dem Dunkel der Akten ans Licht gerückt werden konnte. Archive seien insofern \“hochpolitische Institutionen\“ (András Riedlmayer) und die Macht über das Archiv bedeute Verfügungsgewalt über die Vergangenheit und die Zukunft eines Landes. Der Harvarder Bibliothekar und Orientalist Riedlmayer benannte zahlreiche jüngere Beispiele, wie es Aggressoren mit Kalkül auf das Gesamtarchiv einer Gesellschaft, auf alte Bibliotheken, Moscheen, Kataster, Urkunden etc. abgesehen hätten.

Zu den großen und aktuellen Themen dieses Kongresses gehörte neben dem rapiden Wandel moderner Speichertechniken die zentrale Funktion der Archive bei der Bildung von Gruppenidentitäten – insbesondere der Staats- und Nationalarchive, in denen gelagert wird, was die „nationale Identität“ repräsentiert. In Deutschland reicht das vom Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar bis zum Bundesarchiv in Koblenz. Welches Material, das ist die entscheidende Frage, wird überhaupt aufbewahrt? Welche Dokumente bekommen die so genannte „Archivreife“ oder „Archivwürdigkeit“ zuerkannt? Wer entscheidet darüber und in wessen Namen? Und wer erhält Zugang?

Neben der Beantwortung dieser Fragen stellt sich den archivischen Fachleuten als eine besondere Herausforderung der natürliche Verfall des Materials dar, gegen den die Archivare von der Nordhalbkugel bis in die Tropen ankämpfen. Die Datenflut wachse schneller, als man speichern könne, klagte nicht nur ein südpazifischer Bibliothekar. Dabei erweise sich aber auch das Digitalisieren von Daten keineswegs als der Weg zu Ewigkeit.

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Quelle: Caroline Fetscher, Der Tagesspiegel, 31.8.2004

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