Das Landeskirchliche Archiv Nürnberg (LKAN) der bayerischen Landeskirche wurde 1930 von der Landessynode gegründet und nahm ein Jahr später seine Arbeit auf. Die Archivbestände, insgesamt 12 Regalkilometer Material, gliedern sich in drei Gruppen: vor Gründung des Königreichs Bayern (bis 1806), bis zur Trennung von Kirche und Staat (1806-1920), selbständige evangelisch-lutherische Kirche in Bayern (ab 1920).
Das LKAN verwahrt Archivgut der kirchenleitenden Organe, kirchlicher Dienststellen und Nachlässe von Persönlichkeiten des kirchlichen Lebens sowie Sammlungen von Bildern, Filmen, Zeitungsausschnitten. Darüber hinaus pflegt es Archive und historische Buchbestände in den über 1300 bayerischen evangelischen Gemeinden.
Zum LKAN gehört eine 120.000 Bände starke Amts- und Spezialbibliothek für bayerische Kirchengeschichte, Landes- und Ortsgeschichte, Ökumene und Kirchenrecht und die Sondersammlungen »Deutschsprachige Gesangbücher« und »Kirchenkampfliteratur«.
Andrea Schwarz (48), bisher Archiv-Oberrätin am Staatsarchiv München und Vertrauensfrau in der Münchner Dekanskirche St. Markus, ist ab 1. September neue Direktorin des Landeskirchlichen Archivs in Nürnberg. – Im Sonntagsblatt wurde sie von Heinz Brockert befragt:
Nach welchen Kriterien werden heute Archive geführt?
Schwarz: Man muss ständig bewerten, was für die Zukunft interessant sein könnte. Es gibt das Schlagwort »Das Archiv ist das Gedächtnis eines Landes«. Und da hat der Archivar eine große Verantwortung. Den gesunden Menschenverstand und das historische Vorwissen muss man natürlich einfließen lassen, aber es gibt auch Kriterienkataloge dafür, was von Bedeutung sein könnte und was nicht.
Worüber sollen wir uns also unterhalten? Über die Vergangenheit oder die Gegenwart?
Schwarz: Der Archivar hat einen sehr modernen Beruf. Die Gegenwart ist die Vergangenheit der Zukunft, wenn man so will. Der Archivar muss seinen persönlichen Geschmack weit gehend aussperren. Bei meiner bisherigen Tätigkeit interessierten mich persönlich beispielsweise Dokumente über die Entwicklung des Kinos auf dem Lande mehr als Dokumente über heutige Altöl-Beseitigung, aber ich musste natürlich beides mit gleichem Ernst archivieren.
Geht das überhaupt, eine so komplexe Sache wie unsere Gegenwart in einem Archiv zu bewahren?
Schwarz: Man kann sie natürlich nicht eins zu eins abbilden. Trotzdem müssen wir eine große Breite archivieren, damit der Forscher von morgen der Wirklichkeit unserer Tage auf die Spur kommt.
Sammeln Sie privat gerne? Können Sie wegwerfen? Was heben Sie auf?
Schwarz: Ich hebe meine gesamte Korrespondenz auf. Jede Postkarte, jede Glückwunschkarte, die ich bekommen habe, besitze ich noch. Jedes Zettelchen von meinem Mann habe ich aufgehoben.
Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?
Schwarz: Nach dem Geschichtsstudium und der Promotion habe ich den Referendarkurs auf der bayerischen Archivschule besucht. 1987 habe ich das zweite Staatsexamen gemacht und war dann 14 Jahre im Bayerischen Hauptstaatsarchiv tätig, zehn Jahre in der so genannten »Alten Abteilung«, Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. Danach war ich in der Zeitgeschichtlichen Abteilung und habe viel Beratung gemacht, beispielsweise über Archivmaterialien aus der Weimarer Republik. Die letzten drei Jahre war ich im Staatsarchiv München mit Schwerpunkt Aktenaussonderung.
Kann eigentlich jeder ins Landeskirchliche Archiv kommen?
Schwarz: Ja, man muss dazu nicht Wissenschaft betreiben. Heimatforscher, Familienforscher, Journalisten sind willkommen, aber auch jeder evangelische Christ, der nach seinen Wurzeln sucht. Im Landeskirchlichen Archiv lagern Dokumente der Kirchengemeinden und Dekante, Bauakten, Papiere der Kirchenleitung. Man kann sich die Frage neu beantworten: Was war und ist eigentlich der Protestantismus in Bayern? Es gibt eine große Sammlung zur Geschichte der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus, aber auch Bestände, die weit in die Vergangenheit zurückreichen.
Sie haben als Kirchenvorsteherin die bayerische Landeskirche hautnah erlebt. Produziert die Kirche derzeit genug, was aufhebenswert ist?
Schwarz: Als Archivarin muss ich natürlich auch Zeiten des Übergangs und der Verunsicherung gut dokumentieren. Ich hoffe aber, dass die Protestanten in späteren Zeiten rückblickend sagen werden: »Durch die Verunsicherung sind wir durch, wir sind jetzt wieder selbstbewusster.«
Kontakt:
Landeskirchliches Archiv Nürnberg
Postfach 25 04 29, 90129 Nürnberg
Besuchsadresse: Veilhofstraße 28, 90489 Nürnberg
Telefon: +49 911 58869-0
Telefax:: +49 911 588 69 69
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Quelle: Sonntagsblatt (Fragen: Heinz Brockert), 22.8.2004