In der Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der Universität Bielefeld nahm Professor Wilfried Reininghaus, der Präsident des Landesarchivs Nordrhein-Westfalen (Link) im Rahmen eines Vortrags Anfang Mai Stellung zu den Aufgaben und Perspektiven der neuen Archivstruktur in der Wissensgesellschaft. Einführend erläuterte er die mit Jahresbeginn 2004 eingetretene Organisationsveränderung des nordrhein-westfälischen Staatsarchivwesens, in dem nun die vier staatlichen Archive (Düsseldorf, Münster, Detmold und Brühl) verbunden sind. Damit sei eine lange Zeit tragfähige Struktur, die im Prinzip seit der Begründung von Archivsammelstellen in Rheinland und Westfalen 1829 bestanden habe, reformiert worden.
Grund für die Veränderungen, die zur Einrichtungen mehrerer zentraler Abteilungen (Steuerung; Orga/Personal; Technik) unter einem Präsidenten geführt haben, waren mangelhafte Konzepte der Archive für das IT-Zeitalter, fehlende Bewertungskonzepte (bis hin zu Fragen der Archivtechnik), aber auch fehlendes Personal und unzureichende Bestandserhaltungskapazitäten. Dem neuen Landesarchiv stehen 195 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung, weniger als vorgesehen, die sich um die Aktenproduktion von 300.000 Mitarbeitern in Landesdiensten zu kümmern haben. Dabei lautet jedoch eine aus dem – selbst das Archivgesetz dominierenden – Budgetrecht des Landtags resultierende Vorgabe des Kabinetts, dass der jährliche Zuwachs an Schriftgut der Landesbehörden nur ein Prozent bzw. höchstens 2,2 lkm betragen dürfe.
Derartige Vorgaben, die teilweise mit der Fehleinschätzung der Politik und der öffentlichen Verwaltungen in die Möglichkeiten papierarmer oder digitaler Überlieferungsbildung einhergehen, werden durch den gleichzeitigen Ausbau der Informationstechnik noch forciert. Es fehlten aber noch, so Reininghaus in einem zweiten Teil seines Vortrags, der sich auf das Perspektivpapier „Die deutschen Archive in der Informationsgesellschaft“ der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe „Informationsmanagement der Archive“ stützte (vgl. die Veröffentlichung in: Der ARCHIVAR, Jg. 57, 2004, Heft 1, 28-36), ausreichende strategische Überlegungen dazu, wie das archivische „Gedächtnis“ der Informationsgesellschaft nach den durch den PC und das Internet eingetretenen Medienumbrüchen zu sichern sei. Von besonderer Wichtigkeit seien u.a. die Metadatenarbeit, die Entwicklung gescheiter Bewertungskriterien, wie auch die Herausforderungen der Langzeitarchivierung elektronischer Unterlagen, soll es nicht zu irreparablen Schäden an der authentischen historischen Überlieferung kommen.
Reininghaus hob noch einmal die Überlieferungsbildung als strategische Kernaufgabe hervor, betonte dabei im letzten Teil seiner Ausführungen u.a. die Wichtigkeit eines verbesserten Dialoges mit der Forschung, da sich die archivische Diskussion sehr speziell entwickelt habe. Quellenkritik und Quellenkunde seien stärker einzubinden, um bei Bewertungsfragen klären zu können, welche Teile der Überlieferung als historisch wertvoll zu erachten sind. Ein Problem einer intensiveren Kooperation mit den historischen Wissenschaften sei dabei der allgemeine Rückgang hilfswissenschaftlicher Seminare, was im Zuge der Neuorganisation der Studiengänge hin zum B.A./M.A.-System möglicherweise noch spürbarer werde. Es müsse aber darum gehen, die Interessen der Forschung zu kennen und zu erkennen, auch wenn diese häufig wechselten und nicht sämtliche Forscherfragen der Zukunft im Voraus erdacht und bei der Überlieferungsbildung berücksichtigt werden könnten – ein engagiertes Plädoyer für eine stärkere Diskussion zwischen Archiven der Forschung, sowie den Bibliotheken und Museen, darüber, was eine Gesellschaft von sich erinnert wissen will!