Vier Jahre nach der Debatte um die Zwangsarbeiter in der NS-Zeit und die Einrichtung des Entschädigungsfonds der deutschen Wirtschaft hat sich das Thema zu einem der größten Projekte der deutschen Zeitgeschichte gemausert. Das wurde bei einer ökumenischen Tagung in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart deutlich. Dort wurde der Versuch einer Bilanz unternommen. Dabei konzentrierten sich die Referenten auf den Bereich der Zwangsarbeit in der Kirche.
Mittlerweile liegen zahlreiche Einzeluntersuchungen für Landeskirchen und Diözesen sowie kirchliche und diakonische Einrichtungen vor.
In seinem Überblick für den evangelischen Bereich konstatierte der Marburger Kirchenhistoriker Jochen-Christoph Kaiser eine Konkurrenz zwischen der Aufklärung des Sachverhaltes und der „kirchenpolitischen Verwertbarkeit“ der Ergebnisse. Die kirchlichen Auftraggeber machten die Erfahrung, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Erregung über die vermeintlich ungenügende Aufarbeitung häufig größer sei als über die Zwangsarbeit selbst.
Trotz teilweise schwieriger Quellenlage – es gibt überhaupt nur Untersuchungen aus dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik – sollen mindestens 15.000 ausländische Zwangsarbeiter bei der evangelischen Kirche und der Diakonie eingesetzt worden sein, was einem Anteil von fünf Prozent aller Beschäftigten entspricht. Angesichts des Arbeitskräftemangels im Krieg bemühten sich viele Einrichtungen um die Zuteilung von Kriegsgefangenen und anderen Zwangsarbeitern.
Das konnte so weit gehen, dass kirchliche Mitarbeiter bereits am Bahnhof geeignete Gefangene aussuchten und mitnahmen. Selbst etliche evangelische Pfarrhaushalte beantragten beim Arbeitsamt die Zuteilung von „hauswirtschaftlichen Ostarbeiterinnen“, die sie bei politischer Zuverlässigkeit auch erhielten. So wie jetzt die Rolle der Kirchen im Krieg systematisch erforscht wird, entwickelten beide christlichen Konfessionen erst durch die Diskussion der vergangenen Jahre ein Unrechtsbewusstsein für die Lage der Zwangsarbeiter.
Dabei entschied sich die katholische Bischofskonferenz für einen Sonderweg, indem sie nicht der für die Entschädigungszahlungen gegründeten Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ beitrat, sondern in Eigenregie 2,5 Millionen Euro für Ausgleichsleistungen und 2,5 Millionen Euro für Versöhnungsarbeit bereitstellte. Evangelische Kirche und Diakonie beteiligten sich mit der gleichen Summe an der Entschädigung innerhalb der Stiftung.
Bisher konnten 4.519 Zwangsarbeiter in katholischen Diensten namhaft gemacht werden, von denen 533 Personen Entschädigungen in Höhe von durchschnittlich 2.500 Euro bewilligt wurden. Da zum Stichtag 30. Juni 2004 die Entschädigungszahlungen eingestellt werden sollen, wurde der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, aufgefordert, bei der Bischofskonferenz eine Verlängerung der Frist zu beantragen. Es wird mit der Ermittlung weiterer Zwangsarbeiter gerechnet, hieß es zur Begründung.
Der Alltag der Zwangsarbeiter, die überwiegend aus Polen und Frankreich, aber auch aus Russland oder der Ukraine kamen, war im Krieg sehr unterschiedlich. Weil die vornehmlich jungen Menschen der Jahrgänge 1920 und jünger bei den Kirchen und diakonischen Einrichtungen nicht in der Industrie, sondern hauptsächlich in der Landwirtschaft, in Haus- und Gartenwirtschaft oder Krankenhäusern arbeiteten, waren die Lebensbedingungen besser.
Gleichwohl fielen auch die kirchlichen Zwangsarbeiter unter die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, die etwa für Ostarbeiter Lager vorsahen. Und so wie die deutschen Kirchenbeschäftigten dieselben Vorurteile gegenüber den Fremden hatten wie ihre Landsleute, waren auch die kirchlichen Entscheidungsträger in das Netzwerk der örtlichen nationalsozialistischen Amtsträger eingebunden.
Links:
Quelle: Evangelische Pressedienst (epd), Südwest, 21.4.2004