1.4.1944: Tod bringender Irrtum für Pforzheim

Sie schrieben sich oft und waren wohl Schwestern, Mathilde in Pforzheim und Julie in Heilbronn. Rund 50 Jahre später tauchte eine Reihe ihrer Karten in einem Antiquariat auf. Eine trägt den Stempel vom 2. April 1944. Mathilde stand offensichtlich noch unter dem Eindruck der letzten Stunden: „Liebe Julie! Heute zwischen 11 und 12 Uhr warfen einige Flieger Bomben über Pforzheim. Nicht in meiner Gegend. Konnte aber brennende Häuser von Veranda und Wohnzimmer aus sehen. Es gab auch Tote und viel Leid. … Seid alle Gott befohlen und recht herzlich gegrüßt von Deiner Mathilde“, ist vermerkt und dann noch auf dem Weißrand der Vorderseite ergänzt: „Als ich heute in die Stadtkirche wollte, da sah es böse aus. Man konnte nicht in die Kirche. Das Schieferdach hat es sehr mitgenommen, aber hauptsächlich außen herum. Häuser ohne Fenster: Pflügerstraße, Holzgartenstraße, auch Dillstein. Es fahren jetzt Wagen mit Wasser herum, schreibe mir bald.“

Die Anflüge der Bomberverbände auf Stuttgart und München waren für die Pforzheimer zur Gewohnheit geworden. Manch einer wagte sich darum auch am 1. April 1944 noch vor der Entwarnung zurück in die Wohnung. Um 11.04 Uhr fielen die ersten Bomben. Vier Minuten dauerte der eigentliche Angriff, der an die 100 Menschen das Leben kostete. Die kleinformatigen Todesanzeigen im „Pforzheimer Anzeiger“ nennen die Namen, hier eine Mutter mit ihren drei Kindern, dort die Großeltern mit einem Enkel, die – wie die vorgeschriebene Sprachregelung hieß – bei einem „Terrorangriff“ ihr Leben lassen mussten.

Der Südteil der Stadt, die Holzgarten- und die Pflügerstraße sowie die Au, das Rodviertel und Dillweißenstein, aber auch das Wallberggebiet wurden getroffen. Das Stadtarchiv bewahrt seltene Aufnahmen eines Polizisten auf, die unmittelbar nach dem Angriff entstanden sind. Offiziell war es nicht erlaubt, Aufnahmen von den Folgen der Luftangriffe zu machen.

Was damals nicht bekannt war und erst durch die Forschung von Ursula Moessner-Heckner anhand alliierter Militärakten in dem Buch „Pforzheim. Code Yellowfin“ bekannt geworden ist: Der Angriff auf Pforzheim war ein Versehen und stand mit einem vom selben Tag auf Schaffhausen in direkter Verbindung. Die US Army Air Force wollte einen Routine-Präzisionsangriff auf ein Industrieziel in Deutschland ausführen, auf die IG-Farben-Werke in Ludwigshafen. Doch das Wetter über England und dem Kanal war schlecht, so dass ein größerer Verband bald umkehrte.

Nach verlorenem Funkkontakt innerhalb des restlichen Geschwaders und nach einem Navigationsfehler flogen die Bomber ungefähr 160 Kilometer südlich der vorgesehenen Stelle in deutsches Hoheitsgebiet ein und erreichte gegen 10.30 Uhr Straßburg, über dem ein Teil der Bomber seine todbringende Ladung abwarf und zurückkehrte. Zwei Verbände entdeckten unabhängig voneinander den Fehler. Der eine flog bei weiter schlechten Witterungsverhältnissen in Richtung Südost und suchte nach einem Gelegenheitsziel: es war Schaffhausen.

Der zweite Teilverband machte im Raum Freiburg kehrt und flog Richtung Norden. . . und so geradewegs auf Pforzheim zu. Der Leitoffizier entdeckte aus mehreren Kilometern Höhe eine durch Flüsse geteilte Stadt, glaubte Ludwigshafen gefunden zu haben und befahl den Flugzeugen, ihre Bomben auszuklinken. Wenige Minuten später wusste er, dass er einen Fehler gemacht hatte. Der vermeintliche Rhein entpuppte sich als ein schmaler Wasserlauf.

Am 6. November 1944 erschien Pforzheim zum ersten Mal auf einer britischen Liste, unter den weniger wichtigen Verkehrszielen, die alle Kriterien für einen Flächenangriff erfüllten. Das Ende dieser Geschichte ist bekannt. Nach mehreren Gelegenheits- oder „Not“-Abwürfen, so auch an Heiligabend 1944, wobei 90 Tote zu verzeichnen waren, ging die Stadt Pforzheim am 23. Februar 1945 und mit ihr rund 20.000 Menschen unter.

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Quelle: Pforzheimer Zeitung, 1.4.2004

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