Das sich in seinem Selbstverständnis seit je stark auf Europa, und hier speziell Frankreich und den deutschsprachigen Kulturraum beziehende Rumänien wird, wenn am 1. Mai 2004 die EU-Osterweiterung in Kraft tritt, draussen bleiben. Doch Frustration und realer Abstand zu Europa sind gleichermaßen groß. – Von den Nöten der kontinentalen Randlage Rumäniens in Europa handelt ein Essay des im Banat geborenen Berliner Schriftstellers und Publizisten Richard Wagner in der NZZ.
Der Frankreich-Kult in Rumänien war stets einer der Eliten. Das Land aber, das aus historisch recht unterschiedlich gewachsenen Regionen besteht, blieb gleichermassen an den deutschen Kulturraum angebunden. Das Banat, Siebenbürgen und die Bukowina waren bis 1918 Teil des habsburgischen Reiches. Die Monarchie Altrumäniens stammte aus dem Haus Hohenzollern-Sigmaringen. Zahlreiche Akademiker haben an deutschen Universitäten studiert. Von Nae Ionescu, dem Ideologen der orthodoxen Rechten der dreissiger Jahre, bis zu dem Heideggerianer Constantin Noica, der in der Ceausescu-Zeit eine wichtige kulturelle Folie für den Nationalkommunismus lieferte, aber auch einen dezidiert europäischen Kulturbegriff zu verteidigen wusste.
Über die Doppelmonarchie und das Kaiserreich verliefen die Handelswege, zu ihnen bildeten sich Nachbarschaften. Während das Französische sich, aus der Ferne betrachtet, vorzüglich zum Träumen eignete, verlangte die deutsch geprägte Nachbarschaft nach einem Pragmatismus für den alltäglichen Umgang miteinander. Von Frankreich, in dem man den Garanten gegen die mitteleuropäische Übermacht sah, hat man, im Überschwang der Anlehnung, den Zentralismus der Verwaltung übernommen, den rumänische Regionalisten heute wieder bekämpfen.
Die rumänische Nation hat sich in einer Randlage gebildet. In ihrem Geschichtsverständnis begreifen sich die Rumänen als ein doppeltes Bollwerk Europas. Im Mittelalter gegen die Türken, als sie sich, im Unterschied zu Serben und Bulgaren, der Hohen Pforte gegenüber den Status von tributpflichtigen Fürstentümern bewahren konnten. Im 20. Jahrhundert gegen den Bolschewismus: Hier galt Rumänien als Teil des antisowjetischen cordon sanitaire, der den Kommunismus von Europa fernhalten sollte.
Der rumänische Nationalstolz positioniert sich auf einem europäischen Fundament, hat aber auch Abgrenzungsbedürfnisse. Der reale Abstand Rumäniens zu Europa an, drücke sich in vielerlei gesellschaftlichen Pittoresken aus, beispielsweise in der verblüffenden Untätigkeit der Behörde zur Aufarbeitung der Securitate-Akten, deren Archiv sich, man höre und staune, beim heutigen Geheimdienst befindet.
Die meisten Rumänen machen sich keine Illusionen über den Zustand, sie möchten ihm bloss eine bessere Verfassung geben, als Garantie gegen den Zerfall. Für sie ist die EU die Inhaberin der ultima ratio, an der man teilhaben will, deren Autoritätsanspruch man aber auch gerne mit Beschimpfungen beantwortet.
Quelle: NZZ, 12.3.2004