Jüdische Urkunden im christlichen Archiv

Auf der Suche nach Akten über Kirchen-Baulasten machte Günther Maier im Kellerarchiv der Pfarrei in Vöhl einen Fund, mit dem er nie gerechnet hätte: 40 Dokumente aus dem Zivilstandsregister der Juden, die aus der Zeit zwischen 1823 und 1868 stammen, fielen ihm im Keller seiner evangelischen Pfarrei die Hände.

„Es ist phänomenal, ein wahrer Glücksfall, dass jüdische Dokumente in solch einer Fülle gefunden worden sind – und dann auch noch im Archiv der evangelischen Pfarrei“, schwärmt der Vöhler Pfarrer. Denn bis Standesämter um 1870 eingeführt wurden und für die Aufbewahrung von Lebensdokumenten zuständig waren, sammelte der Pfarrer Geburts-, Tauf-, Heirats- und Sterbedokumente der Glieder seiner christlichen Gemeinde.

Für die Aufbewahrung von Dokumenten der Juden aber war eigentlich das Bürgermeisteramt, also die politische Gemeinde, verantwortlich, erklärt Karl-Heinz Stadtler. Der Vöhler sammelt seit einigen Jahren aus verschiedenen Quellen – Staatsarchiv Marburg, Gemeindearchiv Vöhl, verschiedenen Fachbüchern aus der Region, und in Gesprächen mit Zeitzeugen – Daten und Fakten für ein Verzeichnis der Vöhler, Marienhagener, Basdorfer und Oberwerber Juden und stellt sie personenbezogen zusammen. Sie werden nach und nach ins Netz gestellt und, wo sie immer wieder ergänzt und korrigiert werden.

Wie aber kamen die 40 jüdischen Dokumenten in die evangelische Pfarrei? „Wir wissen es nicht“, sagt Pfarrer Günther Maier, der Mitglied im Förderkreis Synagoge ist und sich seit Ende der 1980er Jahre für einen christlich-jüdischen Dialog einsetzt, weil er „die Verbindung zur alttestamentlichen Wurzel stark sieht“. „Die Unterlagen müssen bereits im alten Pfarrhaus in der Basdorfer Straße aufbewahrt und beim Umzug unbesehen mit in das neue Pfarrhaus getragen worden sein“. Die Dokumente in alter Mischschrift, in Tinte geschrieben und teilweise besiegelt, umfassen Heirats- und Sterbeurkunden, auch so genannte Todeszeugnisse, die der Heildiener, den es damals noch gab, auszustellen hatte.

Die Urkunden sind bedeutend. „Wir erfahren darin viel über die Menschen jener Zeit, über freudige und lustige Ereignisse, aber auch Tragödien. Und wir haben dabei auch sechs Vöhler jüdischen Glaubens gefunden, die ich aus meinen Nachforschungen bis dahin noch gar nicht kannte“, freut sich Karl-Heinz Stadtler. Nachdem Maier die Unterlagen im Januar gefunden hatte, übernahm Stadtler die Aufgabe, sie zu transkribieren und in die bereits gesammelten Fakten einzuarbeiten.

Unter den DinA4-Großen Blättern sind etliche interessante Dokumente. So gibt es ein Zeugnis über den Tod von Ascher Rothschild, der im Alter von 78 Jahren am 30. Januar 1859 gestorben war. Er war einer der reichsten Juden in Vöhl und hatte der Kirche ein Darlehen über 18.000 Gulden zu einem damals üblichen Zinssatz von viereinhalb Prozent gegeben, so dass die Vöhler Kirche gebaut werden konnte.

Unter den Urkunden war auch ein Dokument über die jüdische Trauung zwischen Aron Stern und Bertha Speier-Offenburg in Höringhausen. Die hatte Salomon Baer vorgenommen, der von 1841 bis 1881 die jüdische Schule in Vöhl geführt hatte und die Vollmacht für Trauungen und andere rituelle Handlungen besaß. „In dem Dokument sind wunderbare liturgische Abschnitte aufgeschrieben“, ist Maier begeistert.

Pfarrer Maier hat außerdem im Keller des Pfarrhauses eine Baurechnung aus dem Jahr 1682 gefunden, aus der hervorgeht, dass Juden mindestens seit jenem Jahr in Vöhl gelebt haben müssen. Wenn das Datum auch bereits bekannt war, so wird es nun durch die Originalrechnung gestützt: „Éein Taler und 15 Albus für 60 Pfund Eisen den Juden zu Voehl, woraus lange Nägel (Schrauben) durch den Strich (Querbalken) und Balken gemacht sind“, ist auf diesem Dokument unter anderem zu entziffern.

Kontakt:
Ev. -luth. Kirchengemeinden Asel, Marienhagen und Vöhl
Pfarrer: Günter Maier, Vöhl (0 56 35) 84 39

Quelle: Waldeckische Landeszeitung, 12.3.2004

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.