Das oft zitierte Bild von München als nördlichster Stadt Italiens bekommt zur Zeit eine völlig neue Bedeutung: Gleich drei Ausstellungen haben sich mit dem Sehnsuchtsziel jenseits der Alpen befasst. Aber eben nicht nur mit Klischees rund um gelato, Vespa und amore, sondern auch mit den dunklen Seiten des sonnigen Landes. So zeigt das Bayerische Staatsarchiv noch bis zum 15. April „Die Kinder der Villa Emma in Nonantola“, eine Dokumentation der Rettung von 73 jüdischen Kindern durch die Bewohner der norditalienischen Stadt Nonantola.
Und schon beginnt die nächste Schau: Im Marmorsaal der Bayerischen Staatsbibliothek läuft vom 3. bis zum 31. März die Ausstellung „Italien, ein einmaliges Land“ mit Fotografien von den Jahren 1900 bis 2000 aus dem Florentiner Archiv Alinari eröffnet.
Mit etwa 150 ausgesuchten Bildern will die Sammlung in Zusammenarbeit mit dem italienischen Generalkonsulat die Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert unter Berücksichtigung sozialer, wirtschaftlicher und kultureller Veränderungen illustrieren. Alinari ist eines der ältesten Fotoarchive der Welt. 1852 in Florenz gegründet, hat sich das heute in mehrere Bereiche verzweigte Unternehmen von Beginn an die Bewahrung der italienischen Lichtbildkunst zur Aufgabe gemacht. Das Alinari-Archiv enthält 120.000 Fotografien.
Die nun zum ersten Mal in Deutschland zu sehenden Fotografien sind mehreren Themen zugeordnet, wie Natur und Landarbeit, alte Dörfer, Mittelmeer, Krieg und „Neue Weltordnung“. Momentaufnahmen und Inszenierungen zeigen Alltagsszenen, Architektur- und Landschaftsbilder. Doch dabei folgt die Ausstellung ihrem Titel „Ein einmaliges Land“ vor allem insofern, als die meisten Aufnahmen Idyllen zeigen, in denen die unschönere Realität ausgespart bleibt. Gemessen am Anspruch, 100 Jahre Geschichte Italiens zeigen zu wollen, wirkt die präsentierte Auswahl der Bilder beliebig, stellenweise sogar wie aus einer Werbebroschüre entnommen, die Italien als interessantes Reiseland oder kompetenten Geschäftspartner darstellen soll.
Was dagegen weitgehend fehlt, sind Betrachtungen der heiklen Kapitel der italienischen Geschichte. Beim Kapitel „Neue Weltordnung“ etwa kommt nicht die Thematisierung des Terrors der Roten Brigaden, nicht die Entführung und Ermordung des Politikers Aldo Moro vor. Einige Bilder, die weniger schöne Seiten Italiens zeigen, finden sich dennoch in der Schau: unter „Spuren des Menschen“ etwa Umweltzerstörungen, unter „Fernen Ländern entgegen“ Aufnahmen von Flüchtlingsströmen aus Italien nach Amerika und aus Albanien nach Italien. Doch es scheint, als sei damit der Mut der Kuratoren, die Schau um Abbilder kontroverser Themen zu bereichern, bereits erschöpft.
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Quelle: Süddeutsche Zeitung, 1.3.2004