Der Dreißigjährige Krieg, einer der verheerendsten in der europäischen Geschichte, hat auch Wiesbaden schwer gebeutelt. Die Stadt hat Teile ihres Gedächtnissen lassen müssen: Das Archiv wurde geplündert – wie die Mitglieder und Freunde des Fördervereins Stadtmuseum erfuhren, die dem Stadtarchiv einen Besuch abstatteten.
Ein wichtiges Dokument aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg ist noch vorhanden: Die Urkunde, mit der 1351 Sonnenberg die Stadtrechte verliehen wurden. Ein großer Verlust ist der Stadtplan von 1547, unwiederbringlich dahin. Schließlich kamen auch 1717 viele Dokumente abhanden. In diesem Jahr packte die Wiesbadener die große Aufräumwut, vermeintlich Wertloses wurde in großen Mengen weggeworfen. So die Historikerin Dr. Brigitte Streich, Leiter des Stadtarchivs. Die Chancen, der dokumentarischen Wahrheit auf die Spur zu kommen, sanken auch in Zeiten, in denen manche Rathaus-Öfen mit alten Akten geheizt wurden.
Nach dem Uhrturm war das alte Rathaus lange Aufbewahrungsort für Karten, Pläne, Plakate, Karteien und Verzeichnisse aller Art, die Auskunft über das alltägliche Leben geben. Mit jedem Archiv-Umzug verschwand Archivgut. Es gab auch Zeiten, in denen nicht allzu viel aufzubewahren war. So kommt es, dass zahlreiche Städte von der Größe Wiesbadens stattlichere Archive besitzen. Immerhin kann das Wiesbadener Stadtarchiv heute auf 2.000 Meter benutzbares Schriftgut stolz sein, wohl geordnet und Blatt für Blatt leicht auffindbar. Aber etwa die gleiche Menge Material wartet darauf, dass sich jemand ihrer annimmt. Den insgesamt neun Stadtarchiv-Mitarbeitern stehen ehrenamtliche Helfer zur Seite. Dr. Streich ist aber auch dankbar, wenn Praktikanten der Universität Mainz mit anfassen. Gelegentlich ist auch Geld für kleinere Werkverträge übrig.
Eingeteilt wird in die Zeit bis 1866 – also den Beginn preußischer Zeit – es folgen Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimar und die NS-Zeit bis 1945, der Rest rangiert unter „moderne Zeit“. Die NS-Zeit ist nicht besonders gut dokumentiert, berichtet die Leiterin des Stadtarchivs. Bevor die Amerikaner im März 1945 in Wiesbaden einmarschierten, hatte sich Bürgermeister Felix Piékarski aus dem Staub gemacht. Er nahm lastwagenweise Akten mit, die er vernichten ließ.
Die Akten, die in der „modernen Zeit“ in den Ämtern der Stadtverwaltung erzeugt werden, landen im Stadtarchiv. Wenn es um die der Bauverwaltung oder des Friedhofsamts geht, werden sie sorgfältig aufbewahrt, so wie es das Hessische Archivgesetz aus dem Jahr 1989 vorschreibt. Insgesamt 30 Ämter liefern zu. „Unser größter Kunde ist das Sozialamt,“ so Dr. Streich. Mit den Produkten dieses Amts geht man in besonderer Weise um: „Wir übernehmen nur den Buchstaben `M` – weil die Akten so gleichförmig sind.“
Ein digitales Multi-Media-Archiv baut gerade Dr. Thomas Weichel auf, Historiker und ständiger Mitarbeiter des Stadtarchivs. Zu seinem Schätzen gehören Ausschnitte aus Streifen des Filmpioniers Edy Dengel, die ersten Mainzelmännchen, die aus Wiesbaden kamen, oder bewegte Bilder von Schlittschuhlaufenden auf dem zugefrorenen Rhein. Weichel, der oft Bilder in Kisten und Kartons angeliefert bekommt, bereitet die Bildsammlung auf. Sein Ziel ist es, die wichtigsten Archivmaterialien (Manuskripte, Briefe und ganz besonders Fotos) in digitalisierter Form zu speichern und zu verwalten. Es geht also einerseits um Sicherung und Erhalt, andererseits darum, Archivmaterial allen Interessierten zur Verfügung zu stellen: das sind Architekten, Denkmalpfleger oder Heimatforscher ebenso wie etwa die Mitarbeiter der Medien, die häufig über das Internet bedient werden.
Oft ist das Scannen der alten Fotos die geringste Arbeit. Weichel beschreibt am Beispiel einer alten Fotografie, die den Platz zwischen den Nassauer Hof und dem alten Vier-Jahreszeiten-Gebäude zeigt, dass die ursprüngliche Datierung falsch war. Auf dem Foto ist auch eine Pferdebahn zu sehen, die erst 1875 eingeweiht wurde. Aus dem Jahr 1872, als die Pferdebahn noch heftig im Stadtparlament diskutiert wurde, konnte die frühe Ablichtung also nicht stammen. Alle Bildtexte werden übrigens so eingegeben, dass sie untrennbar mit dem digitalisierten Bild verbunden sind.
Die vielen dekorativen Stücke des Stadtarchivs werden schon mal im Original ausgeliehen, sofern das ihren Erhaltungszustand nicht gefährdet. So besorgte sich das Projektbüro Stadtmuseum hier Exponate für die Ausstellung über die 1950er Jahre und eine preußische Akte, die während der Bauzeit des Museums angelegt wurde, tat gute Dienste, als es jetzt um den Umbau ging.
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Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 14.2.2004