Es war eigentlich ein unmögliches Vorhaben, als die Stadt Kassel 1978 beschlossen hat, ein stadtgeschichtliches Museum zu gründen. Sie hatte weder ein Haus als Sammlungsort zur Verfügung noch nennenswerte Geldmittel, um Erwerbungen finanzieren zu können. Außerdem fragten viele, was denn in einer Stadt, die im Kriege total zerstört wurde, gefunden und gesammelt werden solle?
Doch mit zwei Faktoren hatten die Skeptiker nicht gerechnet: Mit der spontanen Bereitschaft vieler Bürger, sich für den Aufbau eines solchen Museums zu engagieren, Freizeit zu opfern und Zeugnisse zu stiften, und mit der Umtriebigkeit und Hartnäckigkeit des zum Museumsleiter berufenen Historikers und Lehrers Karl-Hermann Wegner. Der hatte das Interesse für die Geschichte seiner Vaterstadt mit der Muttermilch eingesogen.
In seinem Kinderzimmer in der Rhön, wohin die Familie nach der Bombardierung Kassels evakuiert worden war, hatte ein Foto des Kulturhauses am Ständeplatz gehangen. Dort war nämlich sein Onkel zur Vorschule gegangen. Dass dieses Haus einmal der Sitz des von ihm aufgebauten Museums werden würde, erscheint im Nachhinein geradezu schicksalhaft.
Noch ein zweites Bild hat ihn in der Jugend geprägt − das Gemälde „Kassel vom Ballon aus“, das Wilhelm Lüttebrandt 1898 geschaffen hatte. Es vermittelt auf großartige Weise die Idee von der ehemaligen Residenzstadt, die sich im Zeichen der Industrialisierung in alle Richtungen ausbreitete. Es ist Wegners ganzer Stolz, dass heute das Bild zum Museumsbestand gehört.
Bereits als Lehrer hatte sich Wegner für die Stadtgeschichte eingesetzt. Unter seinem Vorsitz wuchs der Geschichtsverein von 160 auf 450 Mitglieder, und es wurden erste historische Stadtspaziergänge organisiert. Im Gegensatz zu vielen anderen war Wegner überzeugt, dass es noch zahlreiche Spuren der alten Stadt gebe. Nur mit dieser Überzeugung konnte er auch den Museumsaufbau wagen, denn als er in einem Hinterzimmer im Stadtarchiv seine Arbeit begonnen hatte, war der Bestand nicht größer als der Inhalt einer Vitrine.
Heute ist der Bestand kaum überschaubar, denn das, was im Stadtmuseum gezeigt wird, ist nur ein Bruchteil. Vier prall gefüllte Depots sind für das Museum und die Stadtverwaltung eine ständige Mahnung, mehr Raum für das Gedächtnis der Stadt zu schaffen. Wegner: „Hinter dem Gebäude ist genügend Platz für einen großzügigen Anbau.“ Aber unvergessen ist für ihn, dass eigentlich für das Museum der Wiederaufbau des Karlshospitals zugesagt worden war.
Mit einem Anfangs-Ankaufetat von 5.000 D-Mark (heute stehen für Anschaffungen aller Art 16 .000 Euro zur Verfügung) wäre das Stadtmuseum nie über eine Keimzelle hinausgekommen. Aber die Idee ergriff viele Menschen. Der Verein der Freunde des Stadtmuseums hat mit seinen jetzt 1.600 Mitgliedern nicht nur wesentliche Erwerbungen und Stiftungen ermöglicht, sondern hat durch ehrenamtliche Mitarbeit überhaupt erst einen ordentlichen Museumsbetrieb gewährleistet. Heute gehören zum Stab neben dem Direktor als zweiter Wissenschaftler Dr. Alexander Link und Magazinverwalter Manfred Söder.
Im Laufe der Jahre fanden sich doch viele historische Zeugnisse in der Stadt. Den größten Teil allerdings spürten Wegner und seine Mitarbeiter außerhalb auf. Und wo viel Geld verlangt wurde, setzte man auf Überredungskunst. In den meisten Fällen konnte Wegner überzeugen, auch wenn er manchmal in die Rolle des Seelsorgers gedrängt wurde. So konnte er wohl die Kassel-Sammlung von Elisabeth Fenge (Bad Arolsen) übernehmen. Doch bevor das Stadtmuseum das Erbe antreten durfte, musste der Direktor sich um die Gestaltung der Trauerfeier kümmern.
In den jetzigen Räumen kann die Sammlung nur lückenhaft sein. Aber dank zweier großer Modelle gewinnt man eine Vorstellung von der Stadt. Das eine Modell zeigt Kassel, bevor im 18. Jahrhundert die Festungsmauern fielen, das andere erinnert an die ausgebrannte Stadt.
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Quelle: Hessische Allgemeine, 30.1.2004