Nicht nur namhafte Celler Betriebe wie ITAG, Rheinmetall, Spinnhütte, Berkefeld Filter, Luhmann & Harling, Hostmann-Steinberg, Osthannoversche Eisenbahn (OHE) oder die Baumschule Emmerich beuteten im Dritten Reich Arbeitssklaven aus: „Praktisch jeder kriegswichtige Betrieb im Landkreis Celle beschäftigte zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeiter”, berichtet der Historiker Nils Köhler. Seine Doktorarbeit, die jetzt als Buch erschienen ist, schildert detailliert, wie alltäglich die Ausbeutung der „Fremdarbeiter” im Landkreis Celle war: „Sie waren praktisch überall.”
„Allein im Landkreis und in der Stadt Celle arbeiteten zwischen 1939 und 1945 insgesamt über 22.000 Kriegsgefangene und Zivilarbeiter. Eine erstaunlich hohe Zahl ist dies, wenn man bedenkt, dass bei Kriegsbeginn in Stadt und Landkreis Celle rund 90.000 Einwohner lebten” so Köhler. Zu einer Zeit, da deutsche Arbeitskräfte in den Wahnsinn des Krieges geschickt wurden, war die „Heimatfront” von Arbeitskräften aus den eroberten Gebieten abhängig. Kaum einer kam freiwillig: „So fanden schon im Herbst 1939 erste Razzien in Polen statt. Straßenbahnen oder Kinos wurden von deutscher Polizei umstellt – und alle Frauen und Männer im arbeitsfähigen Alter zur Zwangsarbeit nach Deutschland verpflichtet.” Nach mehrtägiger Fahrt in Güterwaggons landeten die Menschen im Landkreis Celle – zuerst Polen, dann Franzosen, Belgier, Jugoslawen und schließlich Russen.Hungrig in Lumpen zur Arbeit getriebenZerrissen, zerlumpt, teilweise ohne Schuhe und Strümpfe, wohlweislich Hunger, Ungeziefer und Krankheiten ausgesetzt, wurden die Fremdarbeiter eingesetzt. „Im Rahmen meiner Recherchen ließen sich allein für den Landkreis Celle 180 Ausländerunterkünfte lokalisieren, davon rund 30 in Celle”, berichtet Köhler, der seit 1997 im Kreisarchiv geforscht hatte.
„Mehrere größere Firmen der Stadt Celle richteten eigene Lager für ihre ausländischen Arbeiter ein. Der größte Arbeitgeber der Stadt, das Seidenwerk Spinnhütte, verfügte allein über zwei Lager.” ITAG, Berkefeld Filter, Luhmann & Harling, Hostmann-Steinberg, Osthannoversche Eisenbahn (OHE) oder die Baumschule Emmerich sind weitere Firmen, deren Überleben im Krieg Zwangsarbeiter sicherten.Fiel einer der Sklavenarbeiter auf, wurde ihm mitunter das gemacht, was im NS-Jargon „kurzer Prozess” hieß, so Köhler: „Im Landkreis Celle hat es eine solche Aktion gegeben, die in der Umgebung einiges Aufsehen erregte. Ein Pastor aus Beedenbostel berichtete nach Kriegsende: Der Tierarzt hier aus dem Ort, sitzt noch, der war hier Ortsgruppenleiter, er hat einmal einen Polen aufhängen lassen, dazu mussten alle Polen frei kriegen, mussten in den Wald marschieren, bei Höfer, und zusehen wie das vollstreckt wurde. Der 18-jährige polnische Arbeiter Stanislaus Mikolayczyk wurde am 2. November 1942 wegen einer – Zitat: unerlaubten Beziehung – zu einer deutschen Frau an einem transportablen Galgen öffentlich erhängt.”
Die „komplette Celler Wirtschaft” habe vom braunen Zwangsarbeits-System profitiert, so Köhlers nüchterne Bilanz. „Vom kleinen Handwerksbetrieb bis zur Großfirma wie der ITAG – kein einziger Betrieb hat den Ausländereinsatz abgelehnt, und das, obwohl keine Firma dazu gezwungen wurde. Alle hatten Fremdarbeiter – deswegen ist fraglich, ob es Sinn macht, heute einzelne Betriebe herauszupicken und anzuprangern.”
Info:
Nils Köhler: „Zwangsarbeit in der Lüneburger Heide”, ISBN 3-9805636-7-7,
Verlag für Regionalgeschichte, 24 Euro.
Quelle: Cellesche Zeitung, 5.12.2003