«Hier könnte man 200-jährig werden», hat Stadtarchivar Max Ambühl einmal gesagt. Mit «hier» meinte er das Stadtarchiv Stein am Rhein, das er nach seiner Pensionierung von 1981 bis 1989 liebevoll und gewissenhaft betreute, nachdem er 25 Jahre als Mittelstufenlehrer tätig gewesen war. Max Ambühl hat uns in der Woche vor dem 1. Adventssonntag für immer verlassen und wird nicht 200-jährig werden.
Was meinte Max Ambühl mit «200-jährig werden»? – Dazu gibt es zwei Antworten, schreibt der Stadtarchivar Michel Guisolan in seinem Nachruf: Die Ordnungs- und Erschliessungsarbeiten in einem Archiv sind nie abgeschlossen. Es kommen immer wieder neue Akten dazu, und es lassen sich immer bessere, feinere Findmittel erstellen. Zudem regen die Vielfalt und die Vielzahl der Archivdokumente sowie ihr verborgener Inhalt den Archivar und Geschichtsliebhaber zu stets neuen Forschungen und Arbeiten an. Ein Menschenleben genügt keinem Archivar, um sein Archiv in einen perfekten Zustand zu bringen, und schon gar nicht, um alle Schätze, die er pflegt, im Detail kennen zu lernen und in Form von Publikationen oder Dokumentationen auszuwerten und so dem interessierten Publikum zugänglich zu machen.
Die fehlenden Jahre zwischen seiner Amtsdauer und seinem Wunschalter von 200 Jahren hat Max Ambühl mit einem absolut bewundernswerten Einsatz wettzumachen versucht. Er hat nicht nur die reguläre Arbeitszeit in seinem Büro im Haus zum Steinbock verbracht, sondern viel, viel mehr Zeit: Das waren lange Abende – mitunter fast Nächte – und manches Wochenende. Pflichtbewusstsein – kann man aber bei einem Mann, der seine Arbeit als Hobby betrachtet, von Pflicht reden? – und Einsatz gingen bei Max Ambühl so weit, dass sogar der Stadtrat ihm einmal nahe legte, doch wenigstens am Wochenende zu ruhen, was er vehement verwarf. Als er 1981 sein Amt antrat, traf er einen riesigen Arbeitsberg an und hatte zahlreiche Projekte im Kopf.
Ich habe Max Ambühl nicht sehr gut gekannt. Doch in den sieben Jahren meiner Tätigkeit im Steiner Stadtarchiv bin ich ihm durch seine Arbeit fast täglich begegnet, sodass ich heute behaupten kann, ich kenne den Archivar Ambühl bestens. Meine Achtung vor seinen Leistungen ist ständig gestiegen. Ihn kennzeichneten ein äusserst hohes Mass an Einsatz, Arbeitsfreude, Präzision, Ausdauer, Begeisterungsfähigkeit und Liebe zur Geschichte aus. Nicht nur hat er als eine seiner ersten grossen Arbeiten den umfangreichen, von seinem Vorgänger verzeichneten Bestand verpackt und beschriftet, sondern er hat das notwendige Verpackungsmaterial – sprich Archivschachteln – selber angefertigt. Die von ihm, dem einstigen Handfertigkeitslehrer, aus ökonomischen und praktischen Gründen selber hergestellten Schachteln (es waren deren mehrere hundert) sind ein Muster an archivischer Durchdachtheit. Zudem hat er einen beachtlichen Teil der Verwaltungsakten des 19. und 20. Jahrhunderts geordnet, in seiner ihm eigenen perfekten Art verpackt und verzeichnet.
Doch gerade das jedem Perfektionismus anhaftende Sture war bei Max Ambühl wegen seiner Begeisterung für «sein» Archiv und seiner Offenheit für die Anliegen der Archivbenützer nicht vorhanden. Er war beileibe kein Elfenbeinturmgelehrter; vielmehr war er der Überzeugung, dass «Archive nur leben, wenn man sie öffnet», wie er 1986 anlässlich eines Interviews betonte. Max Ambühl indessen hat das Steiner Stadtarchiv nicht nur geöffnet. Er hat selber sehr intensiv an der Auswertung der darin befindlichen Dokumente teilgenommen. Daraus sind über fünfzig zum Teil umfangreiche unpublizierte Manuskripte, elf wissenschaftliche Publikationen und (für den Schulgebrauch) mehr als fünfzig Unterlagen zur Heimatkunde hervorgegangen, die uns auch heute noch sehr wertvolle Dienste leisten sowie viel Recherchierarbeit und damit das Verschwenden kostbarer Zeit ersparen.
Überragt werden diese Arbeiten noch von zwei sehr eindrücklichen Dokumentationen: Die erste betrifft die städtischen Ämter und die zweite die Häuser von Stein am Rhein. Erstere besteht in Form von umfangreichen Listen mit allen Ämtern und Amtsinhabern der Stadt aus der Zeit vom 15. bis 18. Jahrhundert. Die zweite Dokumentation ist noch eindrücklicher. Es ist die so genannte «Häuserdokumentation»; ihr kommt angesichts der historischen Häuserlandschaft von Stein am Rhein ein besonderer Stellenwert zu. Sie umfasst rund 15 000 Fichen, wo alle Besitzerwechsel und besondere Vorkommnisse minutiös aufgezeichnet sind. Diese Dokumentation ist einer der wertvollsten Schätze des Archivs.
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Internet: www.steinamrhein.ch
Quelle: Schaffhauser Nachrichten, 4.12.2003