Thomas Mann war nicht amüsiert. „Wie sieht es aus in diesen Menschen?“ notierte er unter dem Datum des 8. April 1933 in sein Tagebuch. In einem kargen Brief hatte ihm der Rotary Club München mitgeteilt, daß auf die Mitgliedschaft des Schriftstellers kein Wert mehr gelegt werde. Thomas Mann werde „die Entwicklung in Deutschland genügend verfolgt haben, um zu verstehen, daß wir es für unvermeidlich halten, Sie aus unserer Mitgliederliste zu streichen“. Der Tagebuchschreiber Mann quittierte den Rauswurf mit „Staunen über den Seelenzustand dieser Menschen, die mich, eben noch die ,Zierde' ihrer Vereinigung, ausstoßen ohne ein Wort des Bedauerns, des Dankes, als sei es ganz selbstverständlich“.
Der Ausschluß Manns ist Teil der Geschichte einer Kapitulation einer bürgerlichen Elite vor dem nationalsozialistischen Regime, die der Münchner Medizinhistoriker Paul U. Unschuld in einer Chronik des Rotary Clubs München untersucht. Gestützt auf die Akten des Clubs, die lange Zeit in der DDR lagerten und nach der deutschen Vereinigung in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin eingegliedert wurden, zeichnet er nach, wie Anpassung in einer Diktatur zu einem moralischen Bankrott führen kann.
Der Rotary Club München ist 1928 gegründet worden; das Mitgliedsverzeichnis der Anfangsjahre war ein Who's who der Münchner Gesellschaft. Die Nationalsozialisten standen den deutschen Rotary Clubs argwöhnisch gegenüber, schon wegen ihrer Verbindungen mit den ausländischen Partnervereinigungen. Auf den Druck, den die Nationalsozialisten nach der Machtübernahme auf die Rotary Clubs ausübten, wurde mit eilfertigen Ausschlüssen von Mitgliedern und Anbiederung an die neuen Herrscher reagiert. Der Sekretär des Münchner Clubs wies am 6. März 1934 in einem Brief den Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, hin auf „die ungeheuer wirksamen Propagandamöglichkeiten, die der Rotary Club durch seine weltumspannende Organisation besitzt“. Die Politik des rotarischen Appeasements scheiterte: Im Oktober 1937, nachdem die Nationalsozialisten beschlossen hatten, daß eine Zugehörigkeit zu Rotary nicht vereinbar mit einer Mitgliedschaft in der NSDAP sei, lösten sich die deutschen Clubs auf. Der Münchner Club entstand nach dem Krieg wieder; er ist der Herausgeber der Studie und setzt damit ein Zeichen für eine noch immer nicht selbstverständliche Erinnerungskultur.
Info:
Paul U. Unschuld: Chronik des Rotary Clubs München.
Cygnus Verlag, München 2003. 241 Seiten, 36,50 [Euro]
Quelle: FAZ, 26.11.2003