Die Führung der regierenden sozialistischen „Partei der Arbeiter“ (PT) hat in Brasilien eine Öffnung geheimer Archive der Militärdiktatur (1964-85) gefordert. „Wir Brasilianer müssen offen und ohne Vorurteile sagen, was wir gemacht haben“, sagte Parteichef Jose Genoino nach Medienberichten vom Freitag auf dem brasilianischen Sozialforum in Belo Horizonte, der Hauptstadt von Minas Gerais. Die Wahrheit diene auch dem Schutz der Demokratie, meinte der Ex-Guerillero, dem von mehreren Ministern applaudiert wurde. Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva hat sich hingegen bisher gegen die Öffnung der Archive ausgesprochen.
Der Druck der linken Parteien und der Menschenrechtsgruppen, die seit Jahren eine Öffnung der Militärarchive fordern, ist diese Woche nach der Herausgabe des Buches „Die geschlagene Diktatur“ gewachsen. In dem Buch enthüllt der Journalist Elio Gaspari Tonbandaufnahmen von Gesprächen des Diktators Ernesto Geisel aus den 70er Jahren, in denen sich der General für die Ermordung politischer Gegner ausspricht. Geisel galt in Brasilien bislang als „weicher Diktator“, der den Weg zur Rückkehr zur Demokratie zu ebnen begonnen habe. „Die Enthüllungen sind überraschend und sehr starker Tobak“, meinte Genoino.
Gegen die Öffnung stemmen sich nicht nur die Streitkräfte und rechte Parteien. Die Regierung Lulas legte jüngst Berufung gegen ein Justizurteil ein, das die Öffnung der Archive angeordnet hatte. Lula wurde deshalb von Menschenrechtsgruppen und von Angehörigen der Diktatur-Opfer scharf kritisiert. „Unsere Hoffnung schwindet immer mehr. Die einstigen Weggefährten sind heute unsere Feinde“, klagte Vitoria Grabois, die unter der Diktatur ihren Vater, ihren Ehemann und ihren Sohn verlor.
Bei der Polemik geht es vor allem um die blutige Niederschlagung der so genannten Guerilla von Araguaia, bei der 139 Rebellen nach Angaben von Menschenrechtsgruppen „regelrecht hingerichtet“ wurden, nachdem sie sich ergeben hatten und entwaffnet worden waren. Bislang wurden nur drei der Opfer identifiziert. Die „Guerilla von Araguaia“ war in den 70er Jahren die wichtigste bewaffnete Opposition gegen das Regime und operierte vor allem im Amazonasgebiet im Süden des Bundesstaates Para.
Quelle: Der Standard, 7.11.2003