Am 15. Mai 1817 ereignete sich am Rheinufer vor Assmannshausen ein spektakulärer Vorfall: Schultheiß Caspar Fischer, begleitet von zwei bewaffneten Rekruten, befahl dem Bacharacher Schiffsmann Adam Welcker, der zusammen mit einem Tagelöhner sein beladenes Schiff auf dem Leinpfad flussaufwärts schleppte, zu landen. Sofort zerschnitt der sich bedroht fühlende Welcker die Leinen seines Schiffes und setzte von der nassauischen Rheinseite aufs andere Ufer über, wo er nahe dem preußischen Dorf Trechtingshausen vor Anker ging. Fischer folgte ihm in Begleitung zweier Bewaffneter und verhaftete ihn gegen die Vorhaltungen einiger Dorfbewohner. Dann zwang er ihn, an das Assmannshäuser Ufer überzusetzen und brachte ihn nach Rüdesheim, wo der Amtmann die Warenladung beschlagnahmte. Erst dann ließ man Welcker frei, der sich mit seinem Kahn zurück in seine Heimatstadt begab.
Nachdem der im nassauischen Wiesbaden tätige preußische Gesandte („Minister-Resident“) von Mettlingh von der preußischen Regierungsbehörde in Koblenz am 8. Juni über den Vorfall informiert worden war, wandte er sich am 27. Juni an Marschall von Bieberstein und „ersuchte“ diesen, „geneigtest verfügen zu wollen, daß die Veranlassung dieses höchst auffallenden Vorganges mit möglichster Genauigkeit untersucht werde, damit es sich ergeht, mit welchem Rechte der Schiffer Welker in der Ausübung seines Gewerbes gestört, auf der freien Rheinseite angehalten und ihm der verdiente Gewinnst entzogen worden ist?“ und forderte in unmissverständlichem Tone die nassauische Regierung dazu auf, künftig die Souveränität der staatlichen Grenzen zu achten und somit die preußischen Bürger vor solchen Gewaltakten zu schützen.
Es begann nun, wie der im Geheimem Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem erhaltene amtliche Briefwechsel zwischen dem preußischen Innenminister und dem nassauischen dirigierenden Staatsminister Marschall von Bieberstein belegt, eine diplomatische Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten, die sogar von preußischer Seite zu einer „Crise“ im Verhältnis beider Staaten hochgespielt wurde.
Der Staatsminister beantwortete das Schreiben nahezu einen Monat später, am 23. Juli, nachdem er in diesem für den nassauischen Staat höchst unangenehmen „Fall“ umfassende Untersuchungen vorgenommen hatte. Er legte von Mettlingh den Stand der Ergebnisse dar: Der Schultheiß hatte demnach im Auftrage eines Rüdesheimer „Handelsjuden“ gehandelt, der nach einem Streit „über ihre gegenseitigen Ansprüche“ mit einem anderen ortsansässigen „Handelsjuden“ seine Güter in Bacharach gelagert hatte. Er beauftragte den Assmanshäuser Schultheißen, die „Waaren auf Gefahr und Kosten der Impetranten zu arretiren“. Fischer führte den Auftrag aus, ließ sich aber, wie von Bieberstein kritisch vermerkte, „verleiten, die Gränzen seiner Befugnis und den erhaltenen amtlichen Auftrag so weit zu überschreiten, daß er den Schiffer mit Reservisten auf die Jenseite verfolgte und von dort mit herüber brachte“.
Zur Beruhigung der empörten preußischen Regierung versicherte von Bieberstein, er bedauere, „daß die Territorial-Grenzen ordnungwidrig bei diesem unagenehmen, von diesseitigen Unterbehörden veranlaßten Vorgang überschritten worden sind“ und das Verhalten des Schultheißen „auf keine Weise zu rechtfertigen“ sei. Der Vorfall sei von der Landesregierung in der Weise geahndet worden, „das Benehmen des Schultheisen so wie des Beamten denselben um so mehr auf das Nachdrücklichste zu verweisen“ und Fischer sei angewiesen worden, „alle etwa durch diesen Excess den Betheiligten erwachsene Kosten und Schäden zu ersetzen“.
Welche Strafe die preußische Regierung für den Schultheiß vorsah, sprach sie in einem Gutachten aus: Gemäß dem Preußischen Landrecht II. Theil § 337 „müßte hiernach nach unseren Gesetzen durch Amtsentsetzung und außerdem durch verhältnißmäßige Gefängniß- oder Festungsstrafe gebüßt werden. Die letztere Strafe könnte nach den Grundsätzen unserer Praxis und des durch selbige geleiteten richterlichen arbitrii, nicht unter das Maas einer zweimonatigen Gefängnisstrafe fallen“.
Auf wiederholtes Drängen der preußischen Seite antwortete der nassauische Staatsminister, man solle „aus dem Exceß eines Ortsschultheißen“ nicht das gute nachbarliche Verhältnis beider Staaten in Zweifel ziehen. Die nassauische Regierung habe schließlich den Täter weitgehend bestraft. So endete die „Assmannshäuser-Schultheißen-Affäre“, die für einige Monate das Verhältnis zwischen den beiden Staaten nachhaltig beeinträchtigt hatte. „Bürgermeister“ Fischer blieb Dorfoberhaupt bis zum Jahre 1820.
Quelle: Wiesbadener Kurier, 1.11.2003