Friedrich von Bodenstedt

Spaziert man rechter Hand vom Kriegerdenkmal ins Nerotal, lässt Bismarck mit Pickelhaube und Schwert links des Schwarzbachs liegen und nähert sich der Nerotalquelle, entdeckt man wenige Schritte vom Weg, halb im Grün versteckt, einen verwitterten marmornen Stein mit antikisierendem Relief. Es ist das 1953 hier aufgestellte, eher bescheiden und verlassen wirkende Denkmal für den 1892 in Wiesbaden gestorbenen, auf dem nahen Nordfriedhof begrabenen Dichter Friedrich von Bodenstedt.

Gedichtzyklus

Im Jahre 1851 war sein auf Goethes Spuren wandelnder und heute fast vergessener „orientalischer“ Gedichtzyklus „Die Lieder des Mirza Schaffy“ erschienen. Er hatte dem 1819 im hannoverschen Peine geborenen Schriftsteller und Übersetzer weit über die deutschen Landesgrenzen hinaus Ruhm und Erfolg eingebracht. Bodenstedts erstes Wiesbadener Denkmal, eine 1894 vom Berliner Bildhauer Robert Bärwald geschaffene Bronzebüste auf Marmorsockel, stand am entgegengesetzten Ende der Taunusstraße in der Anlage hinter der Kurhauskolonnade. Sie wurde 1942 „wegen Metallmangels“ eingezogen.

Gegen Ende seines rastlosen Lebens ließ sich Bodenstedt 1877 oder 1878 – je nach Literaturlexikon – in Wiesbaden nieder. Am 30. April 1879 jedenfalls versah er einen heute in der Hessischen Landesbibliothek befindlichen „Brief an Unbekannt“ mit dem Absender „Wiesbaden, Taunusstraße 41“. Splitter oder Teile seiner nachgelassenen Handschriften werden außer in Wiesbaden auch in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt.

Rund 90 Exponate

In Berlin, wo Bodenstedt zeitweilig tätig war und zahlreiche seiner Werke verlegt wurden, existiert eine umfangreiche Sammlung von Manuskripten. Zum Wiesbadener Bestand gehören rund 90 Nummern. Darunter 65 von Bodenstedt geschriebene Briefe aus den Jahren 1847 bis 1892, oft ohne namentliche Anrede oder Hinweis auf den Empfänger, sowie literarische Manuskripte. Beispielsweise 14 Blatt einer zwischen 1867 und 1875 in Meiningen entstandenen autobiografischen Skizze „Im Vaterhause“. Unter dem Titel „In der Heimat“ fand sie später Verwendung im ersten Band der „Erinnerungen aus meinem Leben“ (Berlin 1888-1890). Ein interessantes Zeitdokument, lebendig und lesenswert wie Bodenstedts Reisebeschreibungen.

„Das Beste von Allem“

Ganz im Gegensatz etwa zu den Romanen, Erzählungen oder gar Dramen, die schon kurz nach seinem Tod als unbedeutend und „ohne hervorstechende Eigenart“ galten. Auch wenn der Autor selbst am 21. September 1855 stolz erklärte, seine Tragödie „Demetrius“ in fünf Akten sei „das Beste von Allem“, was „ich überhaupt je geschrieben“.

In der Literaturwissenschaft bis heute unbestritten sind seine Verdienste als Übersetzer russischer Autoren, vor allem Alexander Puschkins, Michael Lermontows und Iwan Turgenjews. Ein Brief an Turgenjew befindet sich ebenfalls in Wiesbaden. Außerdem mehrere fein mit Feder und Tinte geschriebene Zwei- oder Vierzeiler, die Bodenstedt „ja offenbar in großer Anzahl produziert und verschenkt“ habe, wie 1962 Bibliotheksdirektor Dr. Franz Götting (1905-1973) einem Antiquar mitteilte, der ihm Autographen zur Begutachtung geschickt hatte.

Vor allem in den 1970er Jahren, so erinnert sich Dr. Wolfgang Podehl als freundlich-hilfsbereiter Spezialist für die Handschriften und Nachlässe, seien in größerem Umfang Bodenstedt-Autographen angekauft worden. In einem der Umschläge steckt neben Handschriften ein Kuriosum:

Noble Speisekarte

Die noble, goldumrahmte Speisekarte des Hotels oder Restaurants „Palugyay“ aus dem damals ungarischen Pressburg (heute Bratislava) vom 28. Januar 1878 mit kulinarischen Anspielungen auf Bodenstedts Werk: Croquettes aus „kleinen Liebesliedern“, Kalbsfricandeau garniert in „Schira's Fluren“, Salade „á la Puschkin und Lermontoff“ und Compots als Reminiscenzen an „Tausend und ein Tag im Orient“.

Erste Stücke aus dem Nachlass stammen möglicherweise von Bodenstedts Tochter Mathilde (um 1856-1941). In einem Brief bietet sie nach dem Tod ihrer Mutter 1902 einem „Herrn Doctor“ Autographen ihres Vaters an. Der anonyme Adressat könnte Dr. Erich Liesegang (1860-1931) gewesen sein, seit 1898 Leiter der Wiesbadener Bibliothek.

Aufgeschlossener Geist

Bodenstedt war ein unruhiger, allem Neuen aufgeschlossener Geist. Ein „anregender, viel sprechender Mann u. mir sehr sympathisch“, urteilte 1888 der im Wiesbadener Park-Hotel an der Wilhelmstraße logierende Berliner Ägyptologe und Schriftsteller Georg Ebers und freute sich dessen häufiger Besuche.

Quelle: Wiesbadener Tagblatt, 11.9.2003

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